Landgang
Die Schwaben geben sich ganz unbescheiden als Stamm der Tüftler, die Rheinland-Pfälzer kommen etwas bescheidener daher, versehen Erfinder gerne mit An- und Abführungszeichen. So kürzlich geschehen bei der Wahl der "100 größten Rheinland-Pfälzer".
Karl Marx ist "Erfinder" des Kommunismus, Johann Philipp Abresch "Erfinder" der Deutschlandfahne, Thomas Nast "Erfinder" des Weihnachtsmannes, Clemens Wilmenrod "Erfinder" des Toast Hawaii. Hängt das vielleicht damit zusammen, dass auch Rheinland-Pfalz eine "Erfindung" ist?
Rheinland-Pfalz also. Die Schwaben geben sich als Stamm der Tüftler, die Rheinland-Pfälzer als Erfinder mit An- und Abführungszeichen, siehe die "100 größten Rheinland-Pfälzer". Karl Marx ist "Erfinder" des Kommunismus, Johann Philipp Abresch "Erfinder" der Deutschlandfahne, Thomas Nast "Erfinder" des Weihnachtsmannes, Clemens Wilmenrod "Erfinder" des Toast Hawaii. Rheinland-Pfalz ist eine Erfindung. Und der "Erfinder" des schreienden Schauspielers ist Bruce Willis - auch ein gebürtiger Rheinland-Pfälzer. Er landete noch vor der Loreley.
Nuschelbrabbel – Missverständnisse, rein sprachlich
Von Christoph Gehring
Moselromanisch, Moselfränkisch und wie die Dialekte alle hier landauf, flußab hießen und heißen, sie kommen den geneigten Ohr des Auswärtigen irgendwie unverständlich, also missverständlich daher. Das überrascht nicht, denn die Hiesigen halten unverdrossen an ihrer Lautgebung fest, denn nur so können sie sich behaupten. Wie einst die Gallier. Womit wir auf direktem Wege einerseits auf die Zugehörigkeit eines Teils des Landes zu Gallien verwiesen haben, das war im Altertum, und anderseits nun dem Sprachtalent huldigen können. Bitte, der Herr.
Die Pfalz – ein friedlicher Landstrich irgendwo im mittleren Südwesten der Republik. Mild ist das Klima, sanft das Hügelland und weich der Wein, der dem Gaumen schmeichelt und den Auswärtigen mit jedem Schluck näher an den promilleschweren Zustand bringt, der erforderlich ist, um mit den Einheimischen kommunizieren zu können.
"Manchemol isses jo ganz schää luschdisch se betrachte wie die Leit gugge duun wann se es erschde mol pälzisch heere orre lääse duun."
Ja, ja, manchmal ist es wirklich ganz lustig zu sehen, wie die Leute schauen, wenn sie das erste Mal Pfälzisch hören oder gar lesen. Die Einheimischen sprechen einen Dialekt so mild wie das pfälzische Klima, so sanft wie das pfälzische Hügelland und so unverständlich wie eine zentralafrikanische Stammessprache. Jedenfalls nüchtern und für hochdeutsche Ohren. Oder gar für ausländische.
Die meisten Ausländer in der Pfalz sind Amerikaner. Die sind meistens da, weil sie in der Pfalz auf streng gesicherten Armeebasen Dienst tun müssen. Auf den streng gesicherten Armeebasen der Amerikaner gab es früher Raketen vom Modell "Pershing", aber die waren zahlenmäßig immer chancenlos gegen Tausende und Abertausende von "Pärrsching" in pfälzer Hand.
"Pärrsching" sind auf gut Pfälzisch – Pfirsiche.
Wir wissen nicht, wie viele Geheimdienstaktionen der Amis gegen pfälzer Pärrsching-Hersteller und Pärrsching-Käufer gelaufen sind – aber wir wissen, wie der Amerikaner an sich zu Fremdsprachen steht und es darf deswegen als großes Glück gelten, dass in der Unübersichtlichkeit zwischen Pershing und Pärrsching es niemals zu Verhaftungen durch die CIA gekommen ist. Und deswegen sind die Amerikaner in der Pfalz immer noch willkommen.
Willkommen sind in der Pfalz neben fremden Menschen auch fremde Wörter – aber sie werden, wie die fremden Menschen, mit erbarmungsloser Sanftheit assimiliert und integriert und weitergereicht. Zum Beispiel in der Gärtnerei, wo die Gärtnerin, die schöne, pfälzische Gärtnerin, einem zwei Dutzend zarte Pflänzchen namens "Prasee" verkauft. Im ganzen Satz hieße das: "Isch hätt do noch zwee Dutzend Pra see fier aisch." Welch Wohlklang geheimnisvoller Worte – dabei ist die Rede nur von Stiefmütterchen, die auf Französisch "Pensée" heißen und eingepfälzischt wurden. So wie das "embrassement", die Umarmung, die die pfälzische Oma vom pfälzischen Enkel einfordert mit den Worten "Gäb mer än Ämber!".
Das muss man natürlich erst mal zu verstehen lernen. Hochdeutschen, denen das zuviel Mühe ist, sei gesagt: Es gilt die pfälzische Leitkultur. Wer sich ihr nicht unterwerfen mag, mag seinen Wein wo anders kaufen. Für alle anderen fassen wir zusammen:
"Die meischde vun denne Leit hann nemmlich iwwerhaupt kää Ahnung was do vezeehlt werd. Des leit dann dodroo, dass es pälzische schun e ganz eichenie Sprach is un die Pälzer halt all so babbele wie ne es Maul gewachs is."
Die kleine Wappenkunde. Rheinland-Pfalz
Von Claus Stephan Rehfeld
Rheinland-Pfalz. Ein Kunstgebilde der zweiten deutschen Nachkriegszeit. Am 30. April 1946 wurden die Grenzpfähle neu eingeschlagen. Sie markierten fürderhin ein Land, das vormals hauptsächlich aus den Territorien der preußischen Rheinprovinz, Rheinhessen und der Kurpfalz, dem linksrheinischen Kernland, bestanden hatte. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kam in dem "Land aus der Retorte" nicht so schnell auf, die Überlebenschancen wurden zunächst gering veranschlagt, die historisch gewachsenen Zugehörigkeiten der Einwohner seien zu wenig beachtet worden.
Die Kleine Wappenkunde. Rheinland-Pfalz.
Die schönste Geschichte überliefern uns die Gebrüder Grimm. Sie beginnt anno 1009. Willegis ward zum Bischof von Mainz gewählt, aber von armer Herkunft. Die adligen Turmherren und Stiftsgenossen hassten jedoch den Sohn eines Radmachers. Und so malten sie mit Kreide, um ihn zu verdrießen, Räder an die Wände und Türen seines Schlosses. Nun ließ Willegis in alle seine Gemächer weiße Räder in rote Felder malen. Und einen Spruch dazu setzen. "Willegis, Willegis, denk, woher du kommen sis (bist)."
Viele alte Geschichten erzählt das Wappen von Rheinland-Pfalz. Es vereinigt die drei rheinischen Kurfürstentümer, die das Gebiet des Bundeslandes am stärksten geprägt haben. Die früheren Kurfürstentümer Trier, Mainz und Pfalz.
Das Trierer Sankt-Georgs-Kreuz, das Mainzer Rad, der Pfälzer Löwe.
Das rote Kreuz auf weißem Grund erscheint anno 1273 im Rücksiegel von Erzbischof Heinrich II. Es ist das Wappen des Erzbistums und Kurfürstentums Trier. Seit 902 ist der Erzbischof von Trier auch weltlicher Herr. Sein irdischer Herrschaftsanspruch erlischt 1803.
Das sechsspeichige Rad auf rotem Grund prangt im 13. Jahrhundert im Siegel des Bistums Mainz. Steht es für das Christusmonogramm XP? Ist es das Zeichen eines keltischen Sonnengottes? Oder ist das Rad ein Kennzeichen des Heiligen Martin ist?, dem Patron der Stadt Mainz und des Doms.
Der goldene kurpfälzische Löwe auf schwarzem Grund zeigt rotbewehrt und mit roter Krone besetzt. 1229 ist er auf einem Reitersiegel des Wittelsbacher Pfalzgrafen Otto dem Erlauchten zu sehen. Jahrhunderte lang ist der goldene Löwe auf schwarzem Grund das gemeinsames Zeichen der Wittelsbacher.
Doch über den Symbolen dreier mittelalterlicher Kurfürstentümer thront seit 1948 die goldene Volkskrone. Weinlaub, fünf goldfarbene Weinblätter. Die Blattkrone ziert das Wappenschild, sie stellt das Volk als Souverän dar.
Schwarz-Rot-Gold. Die Farben der Landesflagge sind aus dem Landeswappen abgeleitet. Und aus einer demokratische Tradition. Dem "Hambacher Fest". Dort taucht erstmals die gewählte Farbfolge auf einer Hauptfahne auf. Wird im Zug der Demonstranten hochgehalten. Und es hieß: "Es lebe das freie, das einige Deutschland!" Das war die Reihenfolge von 1832: freies Deutschland, einiges Deutschland. 176 Jahre* ist das her.
Vergessen – Die Mainzer Republik
Von Claus Stephan Rehfeld
Georg Forster. Er wird dieser Tage wieder und zu Recht hoch gehandelt – als Chronist der zweiten Weltumseglung Cooks. Aber, und um dies ABER geht es gleich, der politische Georg Forster wurde und wird auch heute noch eigenartigerweise in den Hintergrund gedrängt. Das verwundert, weil Forster einer der Mitbegründer der Mainzer Republik war. Vor 215 Jahren musste sie abtreten, wurde sie abgetreten. So bleibt "nur" die Erinnerung an eine verlorene Revolution, an eine vergessene Republik – an die erste deutsche Republik, an die erste gewählte Volksvertretung und an nationale Selbstbestimmung. Die Chronologie der unterschlagenen Republik im Schnelldurchlauf, aber nicht zum Vergessen.
"Die Repräsentanten des freien deutschen Volkes, durchdrungen vom Hochgefühl ihrer Würde, erhoben sich von den Sitzen und erklärten die Souveränität des deutschen Volkes."
18. März 1793. Lang ist es her, war nur von kurzer Dauer und betraf einen winzigen Landstrich. Die Mainzer Republik.
"Unser Vaterland … drückt kein Despote mehr."
Ein Dekret wurde erlassen, dessen erster Artikel verkündete, dass
"der ganze Landstrich von Landau bis Bingen … von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen" soll, der "gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht."
Mainz, die ersten Gehversuche der Freiheit. Egal, mit einem Handstreich wurden
"alle bisherigen angemaßten willkürlichen Gewalten abgeschafft"."
Die Geburtsstunde bürgerlicher Demokratie auf deutschem Boden. Das erste Schriftstück, das sich zu Volkssouveränität, Rechtsgleichheit und politischer Freiheit bekennt. Dreißig Kanonenschüsse
""verkündeten auf der Stelle dem Volk diesen ersten Akt der deutschen Volkssouveränität"."
Beschlossen und verkündet vom rheinisch-deutschen Nationalkonvent, angestoßen vom Mainzer Jakobinerclub. Er hatte sich am 23. Oktober 1792 konstituiert als
""Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit"."
Ein paar Verwegene konstituieren die Demokratie.
""Die Freiheit, das heißt alles tun zu dürfen, was Gesetze, wozu Ihr selbst mitwürket, nicht verbieten …"
Es blieb ein Versuch, aber er wurde wenigstens gewagt. Am 31. März 1793, an einem Sonntagvormittag, tagt die Volksvertretung zum letzten Mal.
"Die Mitglieder des Konvents wurden vom Präsidenten auf den folgenden Tag eingeladen, Holz zum Bedürfnisse der Stadt in den Alleen um dieselbe zu fällen, und die Sitzung ward hieraus geschlossen."
Letzte Worte des letzten Protokolls der Wagemutigen, der Demokraten.
Eine Woche darauf geht die Republik unter im Feuer der kaiserlichen Truppen. Sie hatten die Stadt umzingelt.
Nach neun Monaten wird die Mainzer Republik ebenso abrupt beendet wie sie begonnen hatte.
"Mainz ist wirklich den Feinden in die Hände gefallen …"
Wunschgesang – Wie sich der Hiesige besingt
Von Hans-Peter Betz
Als wir ein Kabel nach Mainz auf den Weg brachten, da verwies uns die Antwortdepesche auf ein Mädchen, "das in erotischer Pose auf einem Felsen am Rhein sitzt." Nix da, kabelten wir zurück, nix Erotik und Loreley, wir wollen mancherley Beleg davon, wie sich der Rheinland-Pfälzer gerne besingt. An die Lore mag er da in der Weinwirtschaft wohl denken, aber doch nicht ein traurig Lied anstimmen! Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
"Mir sind die Tramps, Tramps, Tramps vun de Pfalz / uns steht es Wasser immer bis zum Hals. / Mir schaffe nix, nix, nix wird geduhn / krie mir ah nix abgezoh."
Wie so hören, ist die Frage, wie sich der Rheinland-Pfälzer besingt, kurz und knapp zu beantworten: Häufig, gerne und meist auch sehr laut.
Allerdings muss man bei genauerem Hinhören erkennen, dass es doch erhebliche regionale Unterschiede gibt. Wer kennt schon ein Lied aus der Eiffel? In der Eiffel wird nicht gesungen! In diesem zugigen, abgelegenen Mittelgebirge kommt kein frohes Lied über die Lippen.
Im Gegensatz zum Westerwald, wo es klimatisch zwar auch nicht besser bestellt ist, wo die raue Witterung aber immerhin gesanglich beschrieben wird. Sind nicht schon ganze Generationen von Rekruten oder kurzbehosten Pfadfindern mit dem Lied vom schönen Westerwald singend durch den deutschen Forst marschiert?
"Oh du schöner Westerwald / Über deine Höhen pfeift der Wind so kalt / Jedoch der kleinste Sonnenschein / Dringt tief ins Herz hinein."
Auch im Hunsrück ertönten bisher keine frohen Lieder. Bis auf die kurze Zeit Anfang der 60er Jahre, als sich die Creme de la Creme der deutschen Liedermacher auf Burg Waldeck traf. Bei diesem deutschen Woodstock schmetterten Hannes Wader, Reinhard May oder Franz Josef Degenhard ihre sozialkritischen Wandervogelmelodien in die Hunsrücker Luft.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, / sing nicht ihre Lieder. / Geh doch in die Oberstadt, / mach’s wie deine Brüder."
Diesen Text als typisch rheinland-pfälzisch zu bezeichnen, wäre allerdings etwas weit hergeholt. Nein, nein, das typische rheinland-pfälzische Sangesgut hören wir in Tälern des Rheins und seinen lieblichen Nebenflüssen, also dort, wo der Wein wächst. Wo Wein wächst, wird zwangsläufig auch gesungen. Wie sagte schon Martin Luther? "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, bleibt ein Narr sein Leben lang!"
Und obwohl Rheinland-Pfalz überwiegend katholisch ist, wird Luthers Wahlspruch überall fleißig nachgeeifert. In welchem Kegelclub wurde noch nicht gesungen?
"Oh Mosella, du hast ja soviel Wein …"
Oder:
"Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wäre …"
Und noch eins:
"In Mainz am schönen Rhein, / da hab ich geküsst und gelacht."
Wunderbar, wunderbar! Aber auch in der oberrheinischen Tiefebene, also in der Pfalz, in der deutschen Toscana, sind Wein- und Sauflieder im pfälzischen Dialekt gewachsenes Kulturgut.
"Isch bin en echte Pälzerbub am Woistock großgezooh,
drum bin ich ach so luschdisch, drum bin isch aach so froh!"
Oder:
"Ja so en guude Palzwoi, der laaft äm in de Hals noi..."
Tja, die pfälzische Saumagen-Gemütlichkeit hat schon bemerkenswerte Texte und Melodien hervorgebracht.
Arretiert – Eine Erfahrung des Herrn Baedeker
Von Claus Stephan Rehfeld
So mancher, und das sind sicherlich gar viele, hat mindestens einige Baedeker ins Regal geschoben. Einen Reiseführer über diese und jene Gegend, in der er noch nicht war und in die er auch nie hinfahren wird. Egal, der Buchreisende beitreibt damit – jedenfalls nach neuerem Sicherheitsverständnis - "vorsorgende Datenspeicherung". Weiß man … ob … vielleicht … Nun, ein Engländer soll mal gesagt haben: "Die Deutschen reisen hauptsächlich deshalb, um den Baedeker auf seine Richtigkeit zu kontrollieren." Davor wollen wir warnen, auch wenn besagter Herr Baedeker in Koblenz das Tageslicht erblickte.
Es ist lange her, sehr lange sogar. Das Wort "Tourismus" fasste, aus England kommend, in deutschen Landen gerade Fuß. Ging, wie man so schön sagt, von Mund zu Mund, wurde sozusagen geläufig. Vom Wandersmann war noch die Rede, vom Reisenden. Touris und Sightseeingtouren warteten noch auf ihre Kreierung.
Kurzum: Wir reden von einer anderen Zeit. Obwohl: Auch dazumalen kam ein ortsfremdes Subjekt, welches sich nach allem und jenem erkundigte und dies genauestens protokollierte, schnell in Verdacht? Ja, ja …
"Hierorts wurde heute ein verdächtiges Individuum wegen Landstreicherei aufgriffen."
Es war der 19-jährige Karl Bädeker, der sich da noch mit "ä" schrieb, aber schon früh seiner Neigung für detailgenaue Notizen frönte. Das wiederum machte ihn arg verdächtig. Und das Protokoll der Gendarmerie Pilchow vermerkte ebenfalls sehr genau:
"Genächtigt hat der angebliche Bädeker in einer Scheune des hiesigen Bauern Mitzkeit, was beweisst, dass er nicht dem Stande angehört, der er angibt."
Welchen Stand das "verdächtige Inidviduum" dem Pilchower Gendarmen angab, ist nicht überliefert. Jedenfalls war er damals Buchdruckerlehrling.
"Nach einem Versuch, in das Schulhaus einzudringen, wurde er auf Anzeige des Schullehrers Mehlmann arretiert. Dieser gab zu Protokoll, dass das Individuum versucht habe, ihn zu Mitteilungen über Bewohner, Anzahl der Pferde, Verkehr der Postkutschen, sowie über Viehbestand und alte Gebäude der Gegend auszufragen."
Das Protokoll stammt vom 15. Juni 1820. Und ein paar Jahre später zeichnete genau dies dann den "Baedeker" mit ae genau dies aus: "allgemeine Übersicht", detaillierte Beschreibung der "Merkwürdigkeiten" sowie "praktische Hinweise".
"Auch interrogierte (also: befragte) besagtes Individuum den Küster der Gemeinde über alle Fremden, die im Gasthof von Pilchow abgestiegen, und über deren Geschäfte hierorts."
Ein Pedant im positiven Sinne des Wortes. 1847 wird Baedeker sich beim Besteigen des Mailänder Doms abwechselnd in die Westentasche und in die Hosentasche greifen. Alle 20 Stufen nahm er eine Erbse aus der Westentasche und steckte sie in die Hosentasche. Und machte beim Abstieg die Gegenprobe – 1847, in Mailand. Nun, 1820 in Pilchow ging es anders zu.
"Angeblicher Bädeker Karl ließ sich ohne Widerstand arretieren. Bei sich trug er zwei Schreibbücher mit verdächtigen Eintragungen, sowie Zeichnungen."
Seitdem machen wir uns keine Notizen mehr und Zeichnungen an fremden Orten. Wer mag schon als "verdächtiges Inidividuum" in das Protokoll eingehen?! Damals "Landstreicher", heute … na, Sie wissen schon. Außerdem hat ja "besagtes Inidividuum" über seine Reiseführer selber mal gesagt:
"Diese handwerksmäßigen Führer mögen Demjenigen, der im Fluge reiset, von einigen Nutzen sein. Wer aber Land und Leute näher kennen lernen will, dem sind sie nur eine Fessel, die jede freie Bewegung, vorzugsweise die geistige hemmt."
Rheinland-Pfalz also. Die Schwaben geben sich als Stamm der Tüftler, die Rheinland-Pfälzer als Erfinder mit An- und Abführungszeichen, siehe die "100 größten Rheinland-Pfälzer". Karl Marx ist "Erfinder" des Kommunismus, Johann Philipp Abresch "Erfinder" der Deutschlandfahne, Thomas Nast "Erfinder" des Weihnachtsmannes, Clemens Wilmenrod "Erfinder" des Toast Hawaii. Rheinland-Pfalz ist eine Erfindung. Und der "Erfinder" des schreienden Schauspielers ist Bruce Willis - auch ein gebürtiger Rheinland-Pfälzer. Er landete noch vor der Loreley.
Nuschelbrabbel – Missverständnisse, rein sprachlich
Von Christoph Gehring
Moselromanisch, Moselfränkisch und wie die Dialekte alle hier landauf, flußab hießen und heißen, sie kommen den geneigten Ohr des Auswärtigen irgendwie unverständlich, also missverständlich daher. Das überrascht nicht, denn die Hiesigen halten unverdrossen an ihrer Lautgebung fest, denn nur so können sie sich behaupten. Wie einst die Gallier. Womit wir auf direktem Wege einerseits auf die Zugehörigkeit eines Teils des Landes zu Gallien verwiesen haben, das war im Altertum, und anderseits nun dem Sprachtalent huldigen können. Bitte, der Herr.
Die Pfalz – ein friedlicher Landstrich irgendwo im mittleren Südwesten der Republik. Mild ist das Klima, sanft das Hügelland und weich der Wein, der dem Gaumen schmeichelt und den Auswärtigen mit jedem Schluck näher an den promilleschweren Zustand bringt, der erforderlich ist, um mit den Einheimischen kommunizieren zu können.
"Manchemol isses jo ganz schää luschdisch se betrachte wie die Leit gugge duun wann se es erschde mol pälzisch heere orre lääse duun."
Ja, ja, manchmal ist es wirklich ganz lustig zu sehen, wie die Leute schauen, wenn sie das erste Mal Pfälzisch hören oder gar lesen. Die Einheimischen sprechen einen Dialekt so mild wie das pfälzische Klima, so sanft wie das pfälzische Hügelland und so unverständlich wie eine zentralafrikanische Stammessprache. Jedenfalls nüchtern und für hochdeutsche Ohren. Oder gar für ausländische.
Die meisten Ausländer in der Pfalz sind Amerikaner. Die sind meistens da, weil sie in der Pfalz auf streng gesicherten Armeebasen Dienst tun müssen. Auf den streng gesicherten Armeebasen der Amerikaner gab es früher Raketen vom Modell "Pershing", aber die waren zahlenmäßig immer chancenlos gegen Tausende und Abertausende von "Pärrsching" in pfälzer Hand.
"Pärrsching" sind auf gut Pfälzisch – Pfirsiche.
Wir wissen nicht, wie viele Geheimdienstaktionen der Amis gegen pfälzer Pärrsching-Hersteller und Pärrsching-Käufer gelaufen sind – aber wir wissen, wie der Amerikaner an sich zu Fremdsprachen steht und es darf deswegen als großes Glück gelten, dass in der Unübersichtlichkeit zwischen Pershing und Pärrsching es niemals zu Verhaftungen durch die CIA gekommen ist. Und deswegen sind die Amerikaner in der Pfalz immer noch willkommen.
Willkommen sind in der Pfalz neben fremden Menschen auch fremde Wörter – aber sie werden, wie die fremden Menschen, mit erbarmungsloser Sanftheit assimiliert und integriert und weitergereicht. Zum Beispiel in der Gärtnerei, wo die Gärtnerin, die schöne, pfälzische Gärtnerin, einem zwei Dutzend zarte Pflänzchen namens "Prasee" verkauft. Im ganzen Satz hieße das: "Isch hätt do noch zwee Dutzend Pra see fier aisch." Welch Wohlklang geheimnisvoller Worte – dabei ist die Rede nur von Stiefmütterchen, die auf Französisch "Pensée" heißen und eingepfälzischt wurden. So wie das "embrassement", die Umarmung, die die pfälzische Oma vom pfälzischen Enkel einfordert mit den Worten "Gäb mer än Ämber!".
Das muss man natürlich erst mal zu verstehen lernen. Hochdeutschen, denen das zuviel Mühe ist, sei gesagt: Es gilt die pfälzische Leitkultur. Wer sich ihr nicht unterwerfen mag, mag seinen Wein wo anders kaufen. Für alle anderen fassen wir zusammen:
"Die meischde vun denne Leit hann nemmlich iwwerhaupt kää Ahnung was do vezeehlt werd. Des leit dann dodroo, dass es pälzische schun e ganz eichenie Sprach is un die Pälzer halt all so babbele wie ne es Maul gewachs is."
Die kleine Wappenkunde. Rheinland-Pfalz
Von Claus Stephan Rehfeld
Rheinland-Pfalz. Ein Kunstgebilde der zweiten deutschen Nachkriegszeit. Am 30. April 1946 wurden die Grenzpfähle neu eingeschlagen. Sie markierten fürderhin ein Land, das vormals hauptsächlich aus den Territorien der preußischen Rheinprovinz, Rheinhessen und der Kurpfalz, dem linksrheinischen Kernland, bestanden hatte. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kam in dem "Land aus der Retorte" nicht so schnell auf, die Überlebenschancen wurden zunächst gering veranschlagt, die historisch gewachsenen Zugehörigkeiten der Einwohner seien zu wenig beachtet worden.
Die Kleine Wappenkunde. Rheinland-Pfalz.
Die schönste Geschichte überliefern uns die Gebrüder Grimm. Sie beginnt anno 1009. Willegis ward zum Bischof von Mainz gewählt, aber von armer Herkunft. Die adligen Turmherren und Stiftsgenossen hassten jedoch den Sohn eines Radmachers. Und so malten sie mit Kreide, um ihn zu verdrießen, Räder an die Wände und Türen seines Schlosses. Nun ließ Willegis in alle seine Gemächer weiße Räder in rote Felder malen. Und einen Spruch dazu setzen. "Willegis, Willegis, denk, woher du kommen sis (bist)."
Viele alte Geschichten erzählt das Wappen von Rheinland-Pfalz. Es vereinigt die drei rheinischen Kurfürstentümer, die das Gebiet des Bundeslandes am stärksten geprägt haben. Die früheren Kurfürstentümer Trier, Mainz und Pfalz.
Das Trierer Sankt-Georgs-Kreuz, das Mainzer Rad, der Pfälzer Löwe.
Das rote Kreuz auf weißem Grund erscheint anno 1273 im Rücksiegel von Erzbischof Heinrich II. Es ist das Wappen des Erzbistums und Kurfürstentums Trier. Seit 902 ist der Erzbischof von Trier auch weltlicher Herr. Sein irdischer Herrschaftsanspruch erlischt 1803.
Das sechsspeichige Rad auf rotem Grund prangt im 13. Jahrhundert im Siegel des Bistums Mainz. Steht es für das Christusmonogramm XP? Ist es das Zeichen eines keltischen Sonnengottes? Oder ist das Rad ein Kennzeichen des Heiligen Martin ist?, dem Patron der Stadt Mainz und des Doms.
Der goldene kurpfälzische Löwe auf schwarzem Grund zeigt rotbewehrt und mit roter Krone besetzt. 1229 ist er auf einem Reitersiegel des Wittelsbacher Pfalzgrafen Otto dem Erlauchten zu sehen. Jahrhunderte lang ist der goldene Löwe auf schwarzem Grund das gemeinsames Zeichen der Wittelsbacher.
Doch über den Symbolen dreier mittelalterlicher Kurfürstentümer thront seit 1948 die goldene Volkskrone. Weinlaub, fünf goldfarbene Weinblätter. Die Blattkrone ziert das Wappenschild, sie stellt das Volk als Souverän dar.
Schwarz-Rot-Gold. Die Farben der Landesflagge sind aus dem Landeswappen abgeleitet. Und aus einer demokratische Tradition. Dem "Hambacher Fest". Dort taucht erstmals die gewählte Farbfolge auf einer Hauptfahne auf. Wird im Zug der Demonstranten hochgehalten. Und es hieß: "Es lebe das freie, das einige Deutschland!" Das war die Reihenfolge von 1832: freies Deutschland, einiges Deutschland. 176 Jahre* ist das her.
Vergessen – Die Mainzer Republik
Von Claus Stephan Rehfeld
Georg Forster. Er wird dieser Tage wieder und zu Recht hoch gehandelt – als Chronist der zweiten Weltumseglung Cooks. Aber, und um dies ABER geht es gleich, der politische Georg Forster wurde und wird auch heute noch eigenartigerweise in den Hintergrund gedrängt. Das verwundert, weil Forster einer der Mitbegründer der Mainzer Republik war. Vor 215 Jahren musste sie abtreten, wurde sie abgetreten. So bleibt "nur" die Erinnerung an eine verlorene Revolution, an eine vergessene Republik – an die erste deutsche Republik, an die erste gewählte Volksvertretung und an nationale Selbstbestimmung. Die Chronologie der unterschlagenen Republik im Schnelldurchlauf, aber nicht zum Vergessen.
"Die Repräsentanten des freien deutschen Volkes, durchdrungen vom Hochgefühl ihrer Würde, erhoben sich von den Sitzen und erklärten die Souveränität des deutschen Volkes."
18. März 1793. Lang ist es her, war nur von kurzer Dauer und betraf einen winzigen Landstrich. Die Mainzer Republik.
"Unser Vaterland … drückt kein Despote mehr."
Ein Dekret wurde erlassen, dessen erster Artikel verkündete, dass
"der ganze Landstrich von Landau bis Bingen … von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen" soll, der "gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht."
Mainz, die ersten Gehversuche der Freiheit. Egal, mit einem Handstreich wurden
"alle bisherigen angemaßten willkürlichen Gewalten abgeschafft"."
Die Geburtsstunde bürgerlicher Demokratie auf deutschem Boden. Das erste Schriftstück, das sich zu Volkssouveränität, Rechtsgleichheit und politischer Freiheit bekennt. Dreißig Kanonenschüsse
""verkündeten auf der Stelle dem Volk diesen ersten Akt der deutschen Volkssouveränität"."
Beschlossen und verkündet vom rheinisch-deutschen Nationalkonvent, angestoßen vom Mainzer Jakobinerclub. Er hatte sich am 23. Oktober 1792 konstituiert als
""Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit"."
Ein paar Verwegene konstituieren die Demokratie.
""Die Freiheit, das heißt alles tun zu dürfen, was Gesetze, wozu Ihr selbst mitwürket, nicht verbieten …"
Es blieb ein Versuch, aber er wurde wenigstens gewagt. Am 31. März 1793, an einem Sonntagvormittag, tagt die Volksvertretung zum letzten Mal.
"Die Mitglieder des Konvents wurden vom Präsidenten auf den folgenden Tag eingeladen, Holz zum Bedürfnisse der Stadt in den Alleen um dieselbe zu fällen, und die Sitzung ward hieraus geschlossen."
Letzte Worte des letzten Protokolls der Wagemutigen, der Demokraten.
Eine Woche darauf geht die Republik unter im Feuer der kaiserlichen Truppen. Sie hatten die Stadt umzingelt.
Nach neun Monaten wird die Mainzer Republik ebenso abrupt beendet wie sie begonnen hatte.
"Mainz ist wirklich den Feinden in die Hände gefallen …"
Wunschgesang – Wie sich der Hiesige besingt
Von Hans-Peter Betz
Als wir ein Kabel nach Mainz auf den Weg brachten, da verwies uns die Antwortdepesche auf ein Mädchen, "das in erotischer Pose auf einem Felsen am Rhein sitzt." Nix da, kabelten wir zurück, nix Erotik und Loreley, wir wollen mancherley Beleg davon, wie sich der Rheinland-Pfälzer gerne besingt. An die Lore mag er da in der Weinwirtschaft wohl denken, aber doch nicht ein traurig Lied anstimmen! Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
"Mir sind die Tramps, Tramps, Tramps vun de Pfalz / uns steht es Wasser immer bis zum Hals. / Mir schaffe nix, nix, nix wird geduhn / krie mir ah nix abgezoh."
Wie so hören, ist die Frage, wie sich der Rheinland-Pfälzer besingt, kurz und knapp zu beantworten: Häufig, gerne und meist auch sehr laut.
Allerdings muss man bei genauerem Hinhören erkennen, dass es doch erhebliche regionale Unterschiede gibt. Wer kennt schon ein Lied aus der Eiffel? In der Eiffel wird nicht gesungen! In diesem zugigen, abgelegenen Mittelgebirge kommt kein frohes Lied über die Lippen.
Im Gegensatz zum Westerwald, wo es klimatisch zwar auch nicht besser bestellt ist, wo die raue Witterung aber immerhin gesanglich beschrieben wird. Sind nicht schon ganze Generationen von Rekruten oder kurzbehosten Pfadfindern mit dem Lied vom schönen Westerwald singend durch den deutschen Forst marschiert?
"Oh du schöner Westerwald / Über deine Höhen pfeift der Wind so kalt / Jedoch der kleinste Sonnenschein / Dringt tief ins Herz hinein."
Auch im Hunsrück ertönten bisher keine frohen Lieder. Bis auf die kurze Zeit Anfang der 60er Jahre, als sich die Creme de la Creme der deutschen Liedermacher auf Burg Waldeck traf. Bei diesem deutschen Woodstock schmetterten Hannes Wader, Reinhard May oder Franz Josef Degenhard ihre sozialkritischen Wandervogelmelodien in die Hunsrücker Luft.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, / sing nicht ihre Lieder. / Geh doch in die Oberstadt, / mach’s wie deine Brüder."
Diesen Text als typisch rheinland-pfälzisch zu bezeichnen, wäre allerdings etwas weit hergeholt. Nein, nein, das typische rheinland-pfälzische Sangesgut hören wir in Tälern des Rheins und seinen lieblichen Nebenflüssen, also dort, wo der Wein wächst. Wo Wein wächst, wird zwangsläufig auch gesungen. Wie sagte schon Martin Luther? "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, bleibt ein Narr sein Leben lang!"
Und obwohl Rheinland-Pfalz überwiegend katholisch ist, wird Luthers Wahlspruch überall fleißig nachgeeifert. In welchem Kegelclub wurde noch nicht gesungen?
"Oh Mosella, du hast ja soviel Wein …"
Oder:
"Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wäre …"
Und noch eins:
"In Mainz am schönen Rhein, / da hab ich geküsst und gelacht."
Wunderbar, wunderbar! Aber auch in der oberrheinischen Tiefebene, also in der Pfalz, in der deutschen Toscana, sind Wein- und Sauflieder im pfälzischen Dialekt gewachsenes Kulturgut.
"Isch bin en echte Pälzerbub am Woistock großgezooh,
drum bin ich ach so luschdisch, drum bin isch aach so froh!"
Oder:
"Ja so en guude Palzwoi, der laaft äm in de Hals noi..."
Tja, die pfälzische Saumagen-Gemütlichkeit hat schon bemerkenswerte Texte und Melodien hervorgebracht.
Arretiert – Eine Erfahrung des Herrn Baedeker
Von Claus Stephan Rehfeld
So mancher, und das sind sicherlich gar viele, hat mindestens einige Baedeker ins Regal geschoben. Einen Reiseführer über diese und jene Gegend, in der er noch nicht war und in die er auch nie hinfahren wird. Egal, der Buchreisende beitreibt damit – jedenfalls nach neuerem Sicherheitsverständnis - "vorsorgende Datenspeicherung". Weiß man … ob … vielleicht … Nun, ein Engländer soll mal gesagt haben: "Die Deutschen reisen hauptsächlich deshalb, um den Baedeker auf seine Richtigkeit zu kontrollieren." Davor wollen wir warnen, auch wenn besagter Herr Baedeker in Koblenz das Tageslicht erblickte.
Es ist lange her, sehr lange sogar. Das Wort "Tourismus" fasste, aus England kommend, in deutschen Landen gerade Fuß. Ging, wie man so schön sagt, von Mund zu Mund, wurde sozusagen geläufig. Vom Wandersmann war noch die Rede, vom Reisenden. Touris und Sightseeingtouren warteten noch auf ihre Kreierung.
Kurzum: Wir reden von einer anderen Zeit. Obwohl: Auch dazumalen kam ein ortsfremdes Subjekt, welches sich nach allem und jenem erkundigte und dies genauestens protokollierte, schnell in Verdacht? Ja, ja …
"Hierorts wurde heute ein verdächtiges Individuum wegen Landstreicherei aufgriffen."
Es war der 19-jährige Karl Bädeker, der sich da noch mit "ä" schrieb, aber schon früh seiner Neigung für detailgenaue Notizen frönte. Das wiederum machte ihn arg verdächtig. Und das Protokoll der Gendarmerie Pilchow vermerkte ebenfalls sehr genau:
"Genächtigt hat der angebliche Bädeker in einer Scheune des hiesigen Bauern Mitzkeit, was beweisst, dass er nicht dem Stande angehört, der er angibt."
Welchen Stand das "verdächtige Inidviduum" dem Pilchower Gendarmen angab, ist nicht überliefert. Jedenfalls war er damals Buchdruckerlehrling.
"Nach einem Versuch, in das Schulhaus einzudringen, wurde er auf Anzeige des Schullehrers Mehlmann arretiert. Dieser gab zu Protokoll, dass das Individuum versucht habe, ihn zu Mitteilungen über Bewohner, Anzahl der Pferde, Verkehr der Postkutschen, sowie über Viehbestand und alte Gebäude der Gegend auszufragen."
Das Protokoll stammt vom 15. Juni 1820. Und ein paar Jahre später zeichnete genau dies dann den "Baedeker" mit ae genau dies aus: "allgemeine Übersicht", detaillierte Beschreibung der "Merkwürdigkeiten" sowie "praktische Hinweise".
"Auch interrogierte (also: befragte) besagtes Individuum den Küster der Gemeinde über alle Fremden, die im Gasthof von Pilchow abgestiegen, und über deren Geschäfte hierorts."
Ein Pedant im positiven Sinne des Wortes. 1847 wird Baedeker sich beim Besteigen des Mailänder Doms abwechselnd in die Westentasche und in die Hosentasche greifen. Alle 20 Stufen nahm er eine Erbse aus der Westentasche und steckte sie in die Hosentasche. Und machte beim Abstieg die Gegenprobe – 1847, in Mailand. Nun, 1820 in Pilchow ging es anders zu.
"Angeblicher Bädeker Karl ließ sich ohne Widerstand arretieren. Bei sich trug er zwei Schreibbücher mit verdächtigen Eintragungen, sowie Zeichnungen."
Seitdem machen wir uns keine Notizen mehr und Zeichnungen an fremden Orten. Wer mag schon als "verdächtiges Inidividuum" in das Protokoll eingehen?! Damals "Landstreicher", heute … na, Sie wissen schon. Außerdem hat ja "besagtes Inidividuum" über seine Reiseführer selber mal gesagt:
"Diese handwerksmäßigen Führer mögen Demjenigen, der im Fluge reiset, von einigen Nutzen sein. Wer aber Land und Leute näher kennen lernen will, dem sind sie nur eine Fessel, die jede freie Bewegung, vorzugsweise die geistige hemmt."