Landgang
Wer dort die Nase in den Wind steckt, dem fliegen die Themen nur so um die Ohren. Dort, im Flachland, wo der Wind ein leichtes Spiel hat. Eine Seilbahn haben sie dort, Jules Verne war mal da, Friesen tummeln sich allerorten, auf Föhr sprechen die Grabsteine, Barlach hinterließ seine mahnende Spur, Rungholt verschwand in der Versenkung - zwischen Himmel und Erde ist viel Wasser und Platz für Geschichten. Über alles kann der Landgang nicht berichten, leider, aber doch über dieses und jenes. Denn irgendwie ist Schleswig-Holstein so der Dies-und-das-Landstrich.
Lange wehrten sie sich da oben hoch im Norden erfolgreich gegen die Sachsen. Schon um 1070 beschreibt der Geschichts- und manchmal auch Geschichtenschreiber Adam von Bremen den Sachsenwall, Limes Saxionae. Der Wall gegen die Sachsen verlief von Boizenburg an der Elbe bis zur Kieler Förde und ward durch Burgen gesichert. Die Burgen von damals wichen irgendwann den Bettenburgen, dem Sachsenwall folgte der Sachsenschwall. Nun ja …
Was die Bayern können, das können wir schon lange. Das dachten sich die mit allen Wassern gewaschenen Landratten und Fischköppe hoch im Norden. Und also erklärten die Schleswig-Holsteiner ihren Bungsberg zum Wintersportgebiet. Jedenfalls ist er ein Berg in einer ein wenig hügeligen Landschaft. Satte 168 Metern erhebt er sich über dem Meeresspiegel! Schleswig-Holstein - bergumschlungen.
Ski heil – Der heiße Pisten-Tipp
Von Matthias Günther
Skifahren in Bayern.
Skifahren zwischen Nord- und Ostsee.
Eine Freude für jeden Ski-Fahrer – der Bungsberg. Das versichert jedenfalls Horst Schnoor:
"Joo, das sind 300, gut 300 Meter, die Abfahrt, ne. Und dann in alle Richtungen."
Egal in welche Richtung: nach 300 Metern ist Schluss. Früher hieß das anschließend immer wieder: mühevoller Aufstieg bis auf den Gipfel des höchsten Berges in ganz Schleswig-Holstein.
Eine Zumutung. Aber der Schleswig-Holsteiner ist ja nicht immer so störrisch, dass er nicht über den Tellerrand hinaus blicken mag. Wie lösen also die Bayern das Problem? Mit einem Ski-Lift. Und die Schleswig-Holsteiner? Auch. Schon seit Jahrzehnten hat der Bungsberg seine Anlage:
"Davor war eine mit ´m Trecker und Antriebszapfwelle, bloß das wurde nachher nich` mehr vom TÜV abgenomm`."
So also wurde Horst Schnoor wurde zum Ski-Lift-Betreiber.
Eines aber hatten die Bayern den Schleswig-Holsteinern immer noch voraus: sie hatten ein Seilbahngesetz. So etwas gab es im Norden nicht. Und hier waren die Leute im Norden nun wirklich ausnahmsweise mal ein wenig störrisch. Sie wollten kein Seilbahngesetz. Auch Horst Schnoor meint:
"Joo – eigentlich is` das gar nich` soo wichtig für uns."
Also zwang die Europäische Union die störrischen Schleswig-Holsteiner zu ihrem Glück. Seit 2004 gibt es auch hier ein Seilbahngesetz. Darin ist unter anderem geregelt, was eine Seilbahn überhaupt ist. Und Horst Schnoor weiß jetzt: Auch sein Ski-Schlepp-Lift ist eine Seilbahn. Na bitte! Allerdings: Auch jetzt haben die Bayern den Schleswig-Holsteinern noch etwas voraus: Sie haben Schnee, und davon kann Horst Schnoor meist nur träumen:
"Joo, die letzten zwei Jahre war ja gar nix. Und davor war`n auch nur fünf bis acht Tage so. Also es wurde langsam immer weniger in diesem Jahrhundert."
Und was machen die Bayern, wenn der Schnee ausbleibt? Richtig – sie fahren die Schneekanone auf. Und was die können, das können wir erst recht, sagten sich die Schleswig-Holsteiner:
"Das war eigentlich `n Rreinfall für uns. Das war´n hohe Kosten, Energiekosten, und dann brraucht man vor allem Minusgrrade. Vier, fünf Grrad minus, dann kann man Schnee machen. Aber nich`so. Wir hatt´n das so bei null Grrad rrum. Dann kommt mehr Wasser da aus der Kanone als Schnee – also das war nix."
Schleswig-holsteinische Hügel sind halt nicht bayerische Berge.
Blau-weiß-rot – Die kleine Wappenkunde
Von Claus Stephan Rehfeld
Der Schleswiger. Sein Zuchtbuch ist geschlossen. Er trägt typische Namen wie "Zauberbote", "Zephier" und "Zeus". Sein "mittelgroßer Kopf hat ein Ramsprofil, kleine Augen und eine recht feine Maulpartie". Er hat abfallende und muskulöse Schultern, der Rumpf ist tonnenförmig, die Brust tief und breit geraten. Seine "kurzen Beinen sind kaum trocken". Blau-weiß-rot. Die kleine Wappenkunde.
Es ist eine Geschichte mit vielen Wirrungen, die das Wappen von Schleswig-Holstein erzählt. Staaten haben ihre Finger drin, Gebietsaustausche finden statt, Erbteilungen und Heimfälle auch, Könige und Bürger greifen ein, Kriege werden ausgefochten und Frieden geschlossen. Die Geschichte reicht lange zurück.
Wir schreiben das Jahr 1386. Zum ersten Mal taucht das Wappen mit Löwen und Nesselblatt bei beim Schauenburger Grafen Gerhard VI. auf. Der Holsteiner hat vom dänischen Königshaus Schleswig als Lehen erhalten. Zwei blaue übereinander schreitende Löwen stehen für Schleswig. Rot bewehrt und auf goldenem Grund. Das silberne Nesselblatt auf rotem Grund steht für Holstein.
Die schleswigschen Löwen stammen vom dänischen Königswappen ab. Doch aus den drei königlichen waren zwei herzogliche Löwen geworden. Schleswig ist Jahrhunderte lang Teil des Königreiches Dänemark. Und die Löwen stehen nach links, strebten dem Wappenrand zu.
Dann die Kehrtwendung. 1891 streben sie nach rechts, zur Wappenmitte. Gern wird die Anekdote kolportiert: Otto von Bismarck ordnete nach dem deutsch-dänischen Krieg an, die Löwen sollten zum Nesselblatt schauen. Es sei doch "ungebührlich", dem anderen Landesteil das Hinterteil zu zeigen.
Ein Löwe und das Nesselblatt zierten ursprünglich das Wappen der Schauenburger. Anfang des 12. Jahrhunderts verschwindet der Leu aus dem Wappen. Die Holsteiner demonstrieren auch heraldisch ihre Unabhängigkeit von Dänemark. Übrig bleibt das Nesselblatt. Doch nicht der Botanik wird damit gehuldigt, es zeigte einen gezackten roten Schildbeschlag. Der sieht einer Pflanze ähnlich, hält aber die Bretter des Schildes zusammen.
Als die Schauenburger aussterben, wird ihr Neffe König Christian I von Dänemark zum Landesherren gewählt. Schleswig-Holstein bleibt von 1460 bis 1864 in einer Personalunion mit Dänemark verbunden. Doch Christian I regiert Schleswig und Holstein nicht als König, sondern als Herzog beider Gebiete.
Die Preußen drehten die Löwen um. Nach dem Sieg gegen die Dänen und kurz darauf gegen ihren Verbündeten Österreich. Schleswig-Holstein ist nun preußische Provinz. 1891 werden die Löwen und das Nesselblatt offizielles Wappen der neuen preußischen Provinz.
Blau-Weiß-Rot. Die Landesfarben von Schleswig-Holstein entstammen dem Wappen. Sie gehen auf das Jahr 1843 zurück.
Watt´n los – Die kleine Wassermusik
Von Arne Reul
Der Holsteiner. Wurde für die Landwirtschaft und Kriegsführung seit den 1820er Jahren in den Elbmarschen gezüchtet. Starke Knochen, räumiger Gang, ausdrucksvoller Kopf. Ihren mengenmäßigen Höhepunkt fand die Zucht des Holsteiners 1948, dann der rasche Niedergang durch die Technisierung auf dem Land. Er bewegt sich gemeinhin im schwungvollen Galopp, hat harte Beine mit kurzen Röhren. Die kleine Wassermusik.
Ja, ja. Schon Thomas Mann verglich die Nordseewellen mit "Prankenschlägen, nach denen er sich das ganze Jahr zurücksehnt."
Von solchen Wellen kann man allerdings höchstens auf den mondänen Badeinseln Sylt und Amrum träumen. Am Küstenstreifen der Nordsee soll’s ja ansonsten lediglich das Wattenmeer geben - und da kann man nur durchwaten.
Natürlich geht das Wattwandern nur bei Niedrigwasser. Herr Pianist, darf ich mal eben Niedrigwasser haben?
Äh, ja ‚Niedrigwasser’. Ansonsten muss man erst mal wieder 12 Stunden warten bis das HOCHWASSER ... wieder auf Ebbe ist. Und wenn das Hochwasser dann auch noch mit Vollmond zusammenfällt, kann einem so eine Springflut ziemlich kalt erwischen.
Puh, vielleicht sollte man unter solchen Bedingungen doch eher an die Ostsee von Schleswig Holstein? Wobei so ein richtiges Meer ist das ja gar nicht; nur ein riesiger Binnensee – mit vorwiegend Süßwasser.
Na, so possierlich, wie sie hier das Süßwasser malen! Die wenigen Verbindungen zur Nordsee minimieren schließlich immer weiter das ursprüngliche Salzwasser der Ostsee.
Dieser ganze Mischmasch aus Salz- und Süßwasser ergibt dann: Brackwasser
Für die Fische soll das Brackwasser ja nicht so gut sein. Trotzdem schön. Landschaftlich jedenfalls. Dort wo das Brackwasser der Schlei ins Land hinein schwemmt, soll man prima baden und segeln können.
Aha, mein Pianist macht jetzt Schluss - ist wohl gedanklich schon im Urlaub. Und dann diese Touristenschwemme jedes Jahr in Schleswig-Holstein... Da kann ich eigentlich auch wieder an den Wannsee!
Friesenliebe – Und andere Unmöglichkeiten
Von Werner Junge
Küste, Nordsee, Friesen – das ist der Dreiklang für Landratten. Das riecht nach Salzwasser, schmeckt nach Krabben, fühlt sich herb an. Und überhaupt: hinter jedem dieser Deiche muss ein blonder Friese leben. Tut er aber nicht. Im Westen, also in Ostfriesland, leben zwar noch Friesen, sie sprechen aber kein Friesisch mehr. Wer richtige, also echte Friesen treffen will, die auch noch so sprechen, was ohnehin selten passiert, der muss ganz weit in den Norden vom Norden, also nördlich der Eider. Da gibt es den Nordfriesen. Und nördlich von Husum sprechen sie auch noch Friesisch. Allerdings selten. Und sehr selten mit Zugereisten.
"Ain arke frasche heed halle haare."
Nicht alle Friesen sind blond. Der Friese als solcher selbst in Küstennähe deshalb nicht immer zweifelsfrei auszumachen. Als gesichert gilt, biologisch funktionieren Friesen weitgehend ähnlich wie sonstige Nordeuropäer. Und das ist dann doch erstaunlich. Denn der Friese als solcher kennt tausend Wörter für alles was mit Landwirtschaft zu tun hat, aber nicht eines, das sich schlicht mit "Liebe" übersetzen ließe. Lieblos ist er nicht, dafür garantiert vielseitig. Bei rund 10.000 Nordfriesen, die noch friesisch sprechen, herrscht eine bunte Vielfalt. Da sagt dann die Mutter Karin aus Langenhorn:
"Dat bjerne san in de tünn en spaale toname scheef."
Sie sagt also: die Kinder sind im Garten und Spielen um den Tisch herum.
Das sagt auch Mutter Kersten.
"Au jungen san una goord an spelle trin jar boursel."
Ups, das war doch ganz anders. Musste anders sein, Karin spricht nämlich festlandfriesisch und Kersten inselfriesisch. Aha, es gibt also zwei Arten Nordfriesisch. Das ist so ein bisschen wie die Frage an Radio Eriwan: Ja, es gibt festlandfriesisch. Hörprobe: Im Frühjahr bekommt man keine Sommersprossen.
"Ene uurs fetum nii een summersproote."
Klingt komisch, ist aber so. Und auf inselfriesisch:
"A mors feit am neen freergnang."
Aber das war nun Amrumer, also Oomring, Dann gibt es noch Föhrer Friesisch, Fering, da bekommt man wieder ganz anders Sommersprossen. Und schließlich – sie haben es sicher schon vermisst – Slyter, also Sölring. Genug Dialekte? Nein, Karin spricht natürlich nur einen der ebenfalls vielen Festlandsdialekte. Halten wir fest: Friesisch ist komplizierter als es sein dürfte. Selbst Friesen haben große Probleme, sich gegenseitig zu verstehen.
Einen Vorteil hat das für die Gäste: die Friesen sprechen nur noch untereinander Friesisch. Damit sie es dann trotzdem noch mal hören:
"Ik satt bei aun, man boom de nüss, da tild mi doch hum ön. / Ik sat bi oong, meen kinjen üna müss, da hemm mi doc hoker unröpen."
Das war nun Mooringer und Oomringer. Und was haben wir erfahren: Ich sitze am Ofen mit einem Bonbon im Mund, da ruft mich jemand an. Alles klar? Und eine Frage zu guter letzt. Wo wir soviel aus dem französischen, englischen und lateinischen übernommen haben, was haben uns die braven Nordfriesen geschenkt? Sie haben uns das Stop-Schild geschenkt. Denn deutsche Schilder müssen deutsch beschriftet sein. Das Stop vor unseren Vorfahrtstraßen schreibt sich ganz undeutsch mit einem "P". Und Stoppen mit einem "P", das können in unserem Land nur die Nordfriesen.
Letzte Fahrt – Die Geschichte der PASSAT
Letzte Fahrten. Die Küste von Schleswig-Holstein erzählt viele Geschichten davon. Von Fischern, die nicht mehr heimkehrten, von Fahrensleuten, die auf See blieben, von Unbekannten, die an Land gespült wurden, von Menschen, die die Seebestattung gewählt haben. Von einer letzten Fahrt, die landauf, landab für Schlagzeilen sorgte, erzählt in Lübeck-Travemünde die Viermastbark PASSAT.
21. September 1957. Der dritte Tag auf See. Ein Samstag. Bordalltag. Doch plötzlich ist nichts mehr so wie vorher.
"Denn heute Abend erfahren wir eine unbestimmte Nachricht darüber, dass die PAMIR in der Azorengegend von einem Hurrikan überrascht, sämtliche Segel verloren hat und eine Notmeldung SOS gefunkt hat."
An Bord der PASSAT, die auf ihrem Kurs segelt, wird sofort heftig über die Ursachen des Unglücks diskutiert.
"Es drängte sich natürlich gleich der Verdacht auf, dass eventuell was mit der Ladung passiert ist."
In der Diskussion macht Kapitän Grubbe den Vorschlag, in einem solchen Fall den mit Getreide gefüllten luvseitigen Ballasttank zu fluten. So könnte das Gleichgewicht wieder hergestellt werden.
Die gequellten Getreidekörner würden den Schiffskörper sprengen, lautet ein Gegenargument. Nun veranlasst der Kapitän der PASSAT ein Experiment. Ein Topf mit Gerste wird mit Seewasser gefüllt. Nach vier Tagen hat das Getreide sein Volumen nur um 5 Prozent vergrößert. An Bord ahnt keiner, welche schicksalsschwere Bedeutung dieses Ergebnis noch haben wird.
"Das wir selber mal in diese Lage kommen würden, hätte man nie geglaubt."
15. Oktober 1957. Der 27.Tag auf See. Vor Eintritt in die Mallungen, die wetterunsichere Tiefdruckzone am Äquator, eine bestürzende Entdeckung. Das Getreide im Laderaum ist um 30 Zentimeter gesackt. Bei einem Sturm könnte die lose Gerste das Segelschiff in eine gefährliche Schieflage bringen.
Eine Woche lang staut die Mannschaft mit Einsatz und Schneeschiebern die Gerste. Seefahrt ist Abenteuer und Berechnung.
"Ich glaube, dann wären wir nicht ganz so mit einem blauen Augen davongekommen - das ist absolut Fakt."
5. November. Der 49. Tag auf See. Es ist die Hölle. Mit 11 bis 12 Windstärken fegt ein Orkan über die Viermastbark. Die Wellen sind fast 10 Meter hoch.
"Das Schiff kränkte bis zu 42 Grad nach Backbord. Das ist schon ganz schön, ne.”"
Die PAMIR hatte vor ihrem Untergang 45 Grad Schlagseite in schwerer See gefunkt. Und wie das Unglücksschiff, bekommt auch die PASSAT Schlagseite. Sie richtet sich nicht mehr auf. Die Getreideladung ist gefährlich verrutscht.
" "Es war sozusagen die Duplizität der Fälle."
Immer noch der 5. November. Um 18 Uhr lässt der Kapitän eine Notmeldung abgeben. Mit einem selbstgebauten Lot messen die Matrosen zwischenzeitlich 48 Grad Schlagseite. Erst später erfahren sie:
"Wir hatten 60. Was die Schiffsleitung uns nachher sagte, war 60 Grad, was man an der Maschine gemessen hatte, am Kränkungsmesser, ne."
Die See tobt. Die Mannschaft der PASSAT kämpft ums Überleben. Das Schiff bäumt sich auf. Da verschwindet die ganze Back im schwarzen Wasser einer gigantischen Welle.
"Wir versuchten das Äußerste. Und Kapitän Grubbe gab den Befehl, den Steuerbordtank zu fluten."
Eine Notentscheidung. Die Rettung. Langsam richtet sich das Schiff um 10 Grad auf, behält aber gefährliche Schlagseite. Der Orkan tobt weiter. Bange Stunden des Abwartens. Schlichte Notiz im Tagebuch:
"Das war heute Nacht nur noch eine Daumenbreite vom Untergang entfernt. Das ist meine Eintragung hier. Mein erster Satz."
6. November 1957. Der 50. Tag auf See. Am Morgen tobt der Sturm weiter. Erst am Nachmittag lässt er nach. Nur noch 8 Windstärken. Endlich, nach vier Tagen.
"Für mich war es, mit den Naturgewalten fertig werden, ganz ehrlich, ja."
Der Untergang der PAMIR und das Schicksal der PASSAT bedeuten das Ende der frachtfahrenden Segelschiffahrt. Einer ahnt das bereits 12 Stunden nach dem letzten Funkspruch der PAMIR. Im Tagebuch des 17-jährigen Lothar Friis steht:
"Heute Abend hörten wir auf der Deutschen Welle im Nachrichtendienst, dass die PAMIR angeblich seit 12 Stunden überfällig ist. Wenn dieses den Tatsachen entspricht, wird es vorläufig mit Segelschiffreisen aus sein."
Was die Bayern können, das können wir schon lange. Das dachten sich die mit allen Wassern gewaschenen Landratten und Fischköppe hoch im Norden. Und also erklärten die Schleswig-Holsteiner ihren Bungsberg zum Wintersportgebiet. Jedenfalls ist er ein Berg in einer ein wenig hügeligen Landschaft. Satte 168 Metern erhebt er sich über dem Meeresspiegel! Schleswig-Holstein - bergumschlungen.
Ski heil – Der heiße Pisten-Tipp
Von Matthias Günther
Skifahren in Bayern.
Skifahren zwischen Nord- und Ostsee.
Eine Freude für jeden Ski-Fahrer – der Bungsberg. Das versichert jedenfalls Horst Schnoor:
"Joo, das sind 300, gut 300 Meter, die Abfahrt, ne. Und dann in alle Richtungen."
Egal in welche Richtung: nach 300 Metern ist Schluss. Früher hieß das anschließend immer wieder: mühevoller Aufstieg bis auf den Gipfel des höchsten Berges in ganz Schleswig-Holstein.
Eine Zumutung. Aber der Schleswig-Holsteiner ist ja nicht immer so störrisch, dass er nicht über den Tellerrand hinaus blicken mag. Wie lösen also die Bayern das Problem? Mit einem Ski-Lift. Und die Schleswig-Holsteiner? Auch. Schon seit Jahrzehnten hat der Bungsberg seine Anlage:
"Davor war eine mit ´m Trecker und Antriebszapfwelle, bloß das wurde nachher nich` mehr vom TÜV abgenomm`."
So also wurde Horst Schnoor wurde zum Ski-Lift-Betreiber.
Eines aber hatten die Bayern den Schleswig-Holsteinern immer noch voraus: sie hatten ein Seilbahngesetz. So etwas gab es im Norden nicht. Und hier waren die Leute im Norden nun wirklich ausnahmsweise mal ein wenig störrisch. Sie wollten kein Seilbahngesetz. Auch Horst Schnoor meint:
"Joo – eigentlich is` das gar nich` soo wichtig für uns."
Also zwang die Europäische Union die störrischen Schleswig-Holsteiner zu ihrem Glück. Seit 2004 gibt es auch hier ein Seilbahngesetz. Darin ist unter anderem geregelt, was eine Seilbahn überhaupt ist. Und Horst Schnoor weiß jetzt: Auch sein Ski-Schlepp-Lift ist eine Seilbahn. Na bitte! Allerdings: Auch jetzt haben die Bayern den Schleswig-Holsteinern noch etwas voraus: Sie haben Schnee, und davon kann Horst Schnoor meist nur träumen:
"Joo, die letzten zwei Jahre war ja gar nix. Und davor war`n auch nur fünf bis acht Tage so. Also es wurde langsam immer weniger in diesem Jahrhundert."
Und was machen die Bayern, wenn der Schnee ausbleibt? Richtig – sie fahren die Schneekanone auf. Und was die können, das können wir erst recht, sagten sich die Schleswig-Holsteiner:
"Das war eigentlich `n Rreinfall für uns. Das war´n hohe Kosten, Energiekosten, und dann brraucht man vor allem Minusgrrade. Vier, fünf Grrad minus, dann kann man Schnee machen. Aber nich`so. Wir hatt´n das so bei null Grrad rrum. Dann kommt mehr Wasser da aus der Kanone als Schnee – also das war nix."
Schleswig-holsteinische Hügel sind halt nicht bayerische Berge.
Blau-weiß-rot – Die kleine Wappenkunde
Von Claus Stephan Rehfeld
Der Schleswiger. Sein Zuchtbuch ist geschlossen. Er trägt typische Namen wie "Zauberbote", "Zephier" und "Zeus". Sein "mittelgroßer Kopf hat ein Ramsprofil, kleine Augen und eine recht feine Maulpartie". Er hat abfallende und muskulöse Schultern, der Rumpf ist tonnenförmig, die Brust tief und breit geraten. Seine "kurzen Beinen sind kaum trocken". Blau-weiß-rot. Die kleine Wappenkunde.
Es ist eine Geschichte mit vielen Wirrungen, die das Wappen von Schleswig-Holstein erzählt. Staaten haben ihre Finger drin, Gebietsaustausche finden statt, Erbteilungen und Heimfälle auch, Könige und Bürger greifen ein, Kriege werden ausgefochten und Frieden geschlossen. Die Geschichte reicht lange zurück.
Wir schreiben das Jahr 1386. Zum ersten Mal taucht das Wappen mit Löwen und Nesselblatt bei beim Schauenburger Grafen Gerhard VI. auf. Der Holsteiner hat vom dänischen Königshaus Schleswig als Lehen erhalten. Zwei blaue übereinander schreitende Löwen stehen für Schleswig. Rot bewehrt und auf goldenem Grund. Das silberne Nesselblatt auf rotem Grund steht für Holstein.
Die schleswigschen Löwen stammen vom dänischen Königswappen ab. Doch aus den drei königlichen waren zwei herzogliche Löwen geworden. Schleswig ist Jahrhunderte lang Teil des Königreiches Dänemark. Und die Löwen stehen nach links, strebten dem Wappenrand zu.
Dann die Kehrtwendung. 1891 streben sie nach rechts, zur Wappenmitte. Gern wird die Anekdote kolportiert: Otto von Bismarck ordnete nach dem deutsch-dänischen Krieg an, die Löwen sollten zum Nesselblatt schauen. Es sei doch "ungebührlich", dem anderen Landesteil das Hinterteil zu zeigen.
Ein Löwe und das Nesselblatt zierten ursprünglich das Wappen der Schauenburger. Anfang des 12. Jahrhunderts verschwindet der Leu aus dem Wappen. Die Holsteiner demonstrieren auch heraldisch ihre Unabhängigkeit von Dänemark. Übrig bleibt das Nesselblatt. Doch nicht der Botanik wird damit gehuldigt, es zeigte einen gezackten roten Schildbeschlag. Der sieht einer Pflanze ähnlich, hält aber die Bretter des Schildes zusammen.
Als die Schauenburger aussterben, wird ihr Neffe König Christian I von Dänemark zum Landesherren gewählt. Schleswig-Holstein bleibt von 1460 bis 1864 in einer Personalunion mit Dänemark verbunden. Doch Christian I regiert Schleswig und Holstein nicht als König, sondern als Herzog beider Gebiete.
Die Preußen drehten die Löwen um. Nach dem Sieg gegen die Dänen und kurz darauf gegen ihren Verbündeten Österreich. Schleswig-Holstein ist nun preußische Provinz. 1891 werden die Löwen und das Nesselblatt offizielles Wappen der neuen preußischen Provinz.
Blau-Weiß-Rot. Die Landesfarben von Schleswig-Holstein entstammen dem Wappen. Sie gehen auf das Jahr 1843 zurück.
Watt´n los – Die kleine Wassermusik
Von Arne Reul
Der Holsteiner. Wurde für die Landwirtschaft und Kriegsführung seit den 1820er Jahren in den Elbmarschen gezüchtet. Starke Knochen, räumiger Gang, ausdrucksvoller Kopf. Ihren mengenmäßigen Höhepunkt fand die Zucht des Holsteiners 1948, dann der rasche Niedergang durch die Technisierung auf dem Land. Er bewegt sich gemeinhin im schwungvollen Galopp, hat harte Beine mit kurzen Röhren. Die kleine Wassermusik.
Ja, ja. Schon Thomas Mann verglich die Nordseewellen mit "Prankenschlägen, nach denen er sich das ganze Jahr zurücksehnt."
Von solchen Wellen kann man allerdings höchstens auf den mondänen Badeinseln Sylt und Amrum träumen. Am Küstenstreifen der Nordsee soll’s ja ansonsten lediglich das Wattenmeer geben - und da kann man nur durchwaten.
Natürlich geht das Wattwandern nur bei Niedrigwasser. Herr Pianist, darf ich mal eben Niedrigwasser haben?
Äh, ja ‚Niedrigwasser’. Ansonsten muss man erst mal wieder 12 Stunden warten bis das HOCHWASSER ... wieder auf Ebbe ist. Und wenn das Hochwasser dann auch noch mit Vollmond zusammenfällt, kann einem so eine Springflut ziemlich kalt erwischen.
Puh, vielleicht sollte man unter solchen Bedingungen doch eher an die Ostsee von Schleswig Holstein? Wobei so ein richtiges Meer ist das ja gar nicht; nur ein riesiger Binnensee – mit vorwiegend Süßwasser.
Na, so possierlich, wie sie hier das Süßwasser malen! Die wenigen Verbindungen zur Nordsee minimieren schließlich immer weiter das ursprüngliche Salzwasser der Ostsee.
Dieser ganze Mischmasch aus Salz- und Süßwasser ergibt dann: Brackwasser
Für die Fische soll das Brackwasser ja nicht so gut sein. Trotzdem schön. Landschaftlich jedenfalls. Dort wo das Brackwasser der Schlei ins Land hinein schwemmt, soll man prima baden und segeln können.
Aha, mein Pianist macht jetzt Schluss - ist wohl gedanklich schon im Urlaub. Und dann diese Touristenschwemme jedes Jahr in Schleswig-Holstein... Da kann ich eigentlich auch wieder an den Wannsee!
Friesenliebe – Und andere Unmöglichkeiten
Von Werner Junge
Küste, Nordsee, Friesen – das ist der Dreiklang für Landratten. Das riecht nach Salzwasser, schmeckt nach Krabben, fühlt sich herb an. Und überhaupt: hinter jedem dieser Deiche muss ein blonder Friese leben. Tut er aber nicht. Im Westen, also in Ostfriesland, leben zwar noch Friesen, sie sprechen aber kein Friesisch mehr. Wer richtige, also echte Friesen treffen will, die auch noch so sprechen, was ohnehin selten passiert, der muss ganz weit in den Norden vom Norden, also nördlich der Eider. Da gibt es den Nordfriesen. Und nördlich von Husum sprechen sie auch noch Friesisch. Allerdings selten. Und sehr selten mit Zugereisten.
"Ain arke frasche heed halle haare."
Nicht alle Friesen sind blond. Der Friese als solcher selbst in Küstennähe deshalb nicht immer zweifelsfrei auszumachen. Als gesichert gilt, biologisch funktionieren Friesen weitgehend ähnlich wie sonstige Nordeuropäer. Und das ist dann doch erstaunlich. Denn der Friese als solcher kennt tausend Wörter für alles was mit Landwirtschaft zu tun hat, aber nicht eines, das sich schlicht mit "Liebe" übersetzen ließe. Lieblos ist er nicht, dafür garantiert vielseitig. Bei rund 10.000 Nordfriesen, die noch friesisch sprechen, herrscht eine bunte Vielfalt. Da sagt dann die Mutter Karin aus Langenhorn:
"Dat bjerne san in de tünn en spaale toname scheef."
Sie sagt also: die Kinder sind im Garten und Spielen um den Tisch herum.
Das sagt auch Mutter Kersten.
"Au jungen san una goord an spelle trin jar boursel."
Ups, das war doch ganz anders. Musste anders sein, Karin spricht nämlich festlandfriesisch und Kersten inselfriesisch. Aha, es gibt also zwei Arten Nordfriesisch. Das ist so ein bisschen wie die Frage an Radio Eriwan: Ja, es gibt festlandfriesisch. Hörprobe: Im Frühjahr bekommt man keine Sommersprossen.
"Ene uurs fetum nii een summersproote."
Klingt komisch, ist aber so. Und auf inselfriesisch:
"A mors feit am neen freergnang."
Aber das war nun Amrumer, also Oomring, Dann gibt es noch Föhrer Friesisch, Fering, da bekommt man wieder ganz anders Sommersprossen. Und schließlich – sie haben es sicher schon vermisst – Slyter, also Sölring. Genug Dialekte? Nein, Karin spricht natürlich nur einen der ebenfalls vielen Festlandsdialekte. Halten wir fest: Friesisch ist komplizierter als es sein dürfte. Selbst Friesen haben große Probleme, sich gegenseitig zu verstehen.
Einen Vorteil hat das für die Gäste: die Friesen sprechen nur noch untereinander Friesisch. Damit sie es dann trotzdem noch mal hören:
"Ik satt bei aun, man boom de nüss, da tild mi doch hum ön. / Ik sat bi oong, meen kinjen üna müss, da hemm mi doc hoker unröpen."
Das war nun Mooringer und Oomringer. Und was haben wir erfahren: Ich sitze am Ofen mit einem Bonbon im Mund, da ruft mich jemand an. Alles klar? Und eine Frage zu guter letzt. Wo wir soviel aus dem französischen, englischen und lateinischen übernommen haben, was haben uns die braven Nordfriesen geschenkt? Sie haben uns das Stop-Schild geschenkt. Denn deutsche Schilder müssen deutsch beschriftet sein. Das Stop vor unseren Vorfahrtstraßen schreibt sich ganz undeutsch mit einem "P". Und Stoppen mit einem "P", das können in unserem Land nur die Nordfriesen.
Letzte Fahrt – Die Geschichte der PASSAT
Letzte Fahrten. Die Küste von Schleswig-Holstein erzählt viele Geschichten davon. Von Fischern, die nicht mehr heimkehrten, von Fahrensleuten, die auf See blieben, von Unbekannten, die an Land gespült wurden, von Menschen, die die Seebestattung gewählt haben. Von einer letzten Fahrt, die landauf, landab für Schlagzeilen sorgte, erzählt in Lübeck-Travemünde die Viermastbark PASSAT.
21. September 1957. Der dritte Tag auf See. Ein Samstag. Bordalltag. Doch plötzlich ist nichts mehr so wie vorher.
"Denn heute Abend erfahren wir eine unbestimmte Nachricht darüber, dass die PAMIR in der Azorengegend von einem Hurrikan überrascht, sämtliche Segel verloren hat und eine Notmeldung SOS gefunkt hat."
An Bord der PASSAT, die auf ihrem Kurs segelt, wird sofort heftig über die Ursachen des Unglücks diskutiert.
"Es drängte sich natürlich gleich der Verdacht auf, dass eventuell was mit der Ladung passiert ist."
In der Diskussion macht Kapitän Grubbe den Vorschlag, in einem solchen Fall den mit Getreide gefüllten luvseitigen Ballasttank zu fluten. So könnte das Gleichgewicht wieder hergestellt werden.
Die gequellten Getreidekörner würden den Schiffskörper sprengen, lautet ein Gegenargument. Nun veranlasst der Kapitän der PASSAT ein Experiment. Ein Topf mit Gerste wird mit Seewasser gefüllt. Nach vier Tagen hat das Getreide sein Volumen nur um 5 Prozent vergrößert. An Bord ahnt keiner, welche schicksalsschwere Bedeutung dieses Ergebnis noch haben wird.
"Das wir selber mal in diese Lage kommen würden, hätte man nie geglaubt."
15. Oktober 1957. Der 27.Tag auf See. Vor Eintritt in die Mallungen, die wetterunsichere Tiefdruckzone am Äquator, eine bestürzende Entdeckung. Das Getreide im Laderaum ist um 30 Zentimeter gesackt. Bei einem Sturm könnte die lose Gerste das Segelschiff in eine gefährliche Schieflage bringen.
Eine Woche lang staut die Mannschaft mit Einsatz und Schneeschiebern die Gerste. Seefahrt ist Abenteuer und Berechnung.
"Ich glaube, dann wären wir nicht ganz so mit einem blauen Augen davongekommen - das ist absolut Fakt."
5. November. Der 49. Tag auf See. Es ist die Hölle. Mit 11 bis 12 Windstärken fegt ein Orkan über die Viermastbark. Die Wellen sind fast 10 Meter hoch.
"Das Schiff kränkte bis zu 42 Grad nach Backbord. Das ist schon ganz schön, ne.”"
Die PAMIR hatte vor ihrem Untergang 45 Grad Schlagseite in schwerer See gefunkt. Und wie das Unglücksschiff, bekommt auch die PASSAT Schlagseite. Sie richtet sich nicht mehr auf. Die Getreideladung ist gefährlich verrutscht.
" "Es war sozusagen die Duplizität der Fälle."
Immer noch der 5. November. Um 18 Uhr lässt der Kapitän eine Notmeldung abgeben. Mit einem selbstgebauten Lot messen die Matrosen zwischenzeitlich 48 Grad Schlagseite. Erst später erfahren sie:
"Wir hatten 60. Was die Schiffsleitung uns nachher sagte, war 60 Grad, was man an der Maschine gemessen hatte, am Kränkungsmesser, ne."
Die See tobt. Die Mannschaft der PASSAT kämpft ums Überleben. Das Schiff bäumt sich auf. Da verschwindet die ganze Back im schwarzen Wasser einer gigantischen Welle.
"Wir versuchten das Äußerste. Und Kapitän Grubbe gab den Befehl, den Steuerbordtank zu fluten."
Eine Notentscheidung. Die Rettung. Langsam richtet sich das Schiff um 10 Grad auf, behält aber gefährliche Schlagseite. Der Orkan tobt weiter. Bange Stunden des Abwartens. Schlichte Notiz im Tagebuch:
"Das war heute Nacht nur noch eine Daumenbreite vom Untergang entfernt. Das ist meine Eintragung hier. Mein erster Satz."
6. November 1957. Der 50. Tag auf See. Am Morgen tobt der Sturm weiter. Erst am Nachmittag lässt er nach. Nur noch 8 Windstärken. Endlich, nach vier Tagen.
"Für mich war es, mit den Naturgewalten fertig werden, ganz ehrlich, ja."
Der Untergang der PAMIR und das Schicksal der PASSAT bedeuten das Ende der frachtfahrenden Segelschiffahrt. Einer ahnt das bereits 12 Stunden nach dem letzten Funkspruch der PAMIR. Im Tagebuch des 17-jährigen Lothar Friis steht:
"Heute Abend hörten wir auf der Deutschen Welle im Nachrichtendienst, dass die PAMIR angeblich seit 12 Stunden überfällig ist. Wenn dieses den Tatsachen entspricht, wird es vorläufig mit Segelschiffreisen aus sein."