LandGang

Mit folgenden Themen: Kleine Kampagnen-Kunde des Landes – "Wir stehen früher auf" & Care-Pakete; Der wohltemperierte Werckmeister - Er machte den Anfang; Können wir Westdeutsch? - Wir lassen uns beraten; Ein kleiner Brocken nur - Der Brocken- Benno kommt; Wir sehen uns Magdeburg schön! - Eine virtuelle Hoffnung
Sachsen-Anhalt. Land der kecken Sprüche. "Hast du Hammer, Zange, Draht, kommst du bis nach Leningrad." Lebenserfahrung tollkühner Männer in ihren knatternden Kisten, kurz Trabi genannt. Aktueller dieser Ruf der Hotelchefin so um 6.39 Uhr in der Früh: "Aufstehen! Wir stehen früher auf. Willkommen in Sachsen-Anhalt!" Da ist’s vorbei mit friedlich im Hotelbett liegen. Und ein Spruch auf einem Denkmal teilte uns mit: "Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen Menschen bleibt es erspart." Nun ja …


Care-um – Eine kleine KampagnenKunde
Von Annette Schneider-Solis

Früher, ganz weit früher war das Wort Kampagne ein Fremdwort. Das ist lange her und Sachsen-Anhalt ist ein Kampagnen-Land. Ein Image-Kampagnenland. Ob die jährliche Rüben-Kampagne darunter fällt, wissen wir nicht genau. Aber so gewiss die Rüben-Kampagne alle Jahre ist, so sicher sind dort die Image-Kampagnen. Also erntet Sachsen-Anhalt nicht nur Rüben, sondern auch noch Lorbeeren - für außerordentliche Einfälle. Wir schreiben mit:

"Die Rüben-Kampagne. Sie versüßt dem Hiesigen den Alltag."

Die "Wir stehen früher auf"-Kampagne. Sie soll dem Hiesigen den Alltag versüßen. Also das Image des Landes aufpolieren. Und das Selbstwertgefühl. Denn früher war Sachsen-Anhalt "das Land des Selbstmitleids". Sagt jedenfalls der Ministerpräsident. Und weil das so war, erfand ein Berliner die Kampagne.

Und weil eine Umfrage ergab, dass in Sachsen-Anhalt die Wecker im Schnitt neun Minuten früher schrillen als im Rest der Republik, wurden andernorts Sachsen-Anhalt-Uhren installiert, die neun Minuten vorgingen. Jedenfalls 2005.

Indes: Touristen drehten sich doch lieber nochmals um. Und Arbeitslose, davon gibt es hier viele, fragen sich: Früher aufstehen – warum? Und Investoren scheinen auch nicht gerade zu den Frühaufstehern zu gehören.

Dann kam die Care-um-Kampagne. Also Knäckebrot im Paket, Trost aus der Schachtel.

Heimatschachteln für Ausgereiste, für Sachsen-Anhaltiner in der westlichen Ferne. "Kehr um, kehr um", flüsterte der Karton, "vergiss die blühenden Landschaften nicht." Der Karton ähnelt einer Pizza-Verpackung, der Inhalt an das Land: Pralinen, Spielkarten, Abo für die Heimatzeitung. Doch der Strom der Heimkehrer bleibt aus.

Das Land der Morgenmenschen bleibt unter sich. Resonanz fast Null auf das Ost-Paket für den Westen. Trockenen Auges bleiben die Ausgewanderten ob solcher Sätze wie "Du hast Heimweh, und es ist kein Trost in der Nähe?"

Wenn schon keiner kommt, dann soll er wenigstens gut ankommen. Dachte sich offenbar das Innenministerium. Sozusagen als Vorsorgefall wurde nun die Kampagne "Kommt gut an!" ausgerufen. Mit Ausrufezeichen!
Als wir uns im Internet darüber informieren wollten, wir waren früh aufgestanden, griffen wir bald leicht frustriert zum Kaffeepott. Zum Spruch fanden wir alles Mögliche, nur nicht das gesuchte. Und bei der Eingabe www.sachsen-anhalt.de wurde uns der Spruch serviert: "Wir stehen früher auf." Naja, kam irgendwie nicht so gut an.


Brocken-Benno – Eine deutsche Gipfelstürmerei
Von Elke Kürschner

Ein Mann braucht ein Ziel. Erst recht, wenn ihm ein Brocken im Wege steht. Genauer: der Brocken, der deutscheste aller Gipfel, beladen mit Romantik noch und nöcher. 1142 Meter ist er hoch, also gibt es auch Gipfelstürmer. Und es gibt den Gipfelstürmer. Benno Schmidt. Er steht vor seinem fünftausendsten Aufstieg. Mal ganz oben stehen. Er kennt den höchsten Harzgipfel wie seine Westentasche, auch wenn der da nicht reinpasst. Brocken an Benno – wir folgen.

"Hager und biegsam, oben herum etwas kahl und leicht zerzaust – die Fichten auf der Bergspitze."

Hager und biegsam, oben herum etwas kahl und leicht zerzaust – auch Brocken-Benno. Noch zu Füßen des Brocken, noch. Jeden Tag treibt es ihn hinauf, also auch heute.

"Der Brocken ist 1142 Meter hoch. Ich gehe allerdings nicht immer über Wenigerode, sondern auch über Schierke … 500 Höhenmeter ... kürzester steilster Weg ... sechs Kilometer - ich gehe also alle Wege."

Alle Wege führen nach oben. Und manche halten jung. Die 74 Jahre sieht man Benno Schmidt nicht an, mancher Wanderschuh sieht alt gegen ihn aus. Der Berg ist ein Mythos, der Weg hinauf ist sein Ziel. Einmal in der Woche wandert seine Frau mit. Und einmal begegnete er Reinhold Messner, sie plauderten und tauschten Adressen aus.

Der Brocken ruft. Willi Fricke, genannt der Brockengeist, schaffte bis 1941 500 Aufstiege. Das war, als da oben noch das Brockenhotel stand. Das ist lange her. Und von 1961 bis 1989 war der Brocken für Wanderer geschlossen. Grenzgebiet. Nah und doch unerreichbar – bis zum 3. Dezember 1989.

"Nach langen Verhandlungen wurde das Tor geöffnet und blieb dann auch auf."

Benno Schmidt entdeckte die Tradition der Brockenaufstiege, wurde Brocken-Benno.

"Es gab auch vor dem Kriege ... Brockenwilli ... 650 Aufstiege ... aus Wernigerode ... dann will ich die Tradition fortführen."

Die Tradition verschliss bislang 17 Paar feste Wanderschuhe und führte ins Guinness-Buch der Rekorde. Am 22. Mai will Benno Schmidt zum 5000. Mal rauf. Noch knapp 100 Aufstiege, dann hat er es geschafft. Der Wetterdienst warnt heute vor Sturm mit Windstärke 12. Ein Orkan, wie er öfter über die Brockenkuppe fegt. Egal, Brocken-Benno zieht los. Und die Autorin bleibt lieber unten.

westDeutsch – Wie ein neuer Zungenschlag gebimst wurde
Von Claus Stephan Rehfeld

Die Nummer hat mehrfach gewechselt, aber den Anschluss gibt es noch – den des telefonischen Sprachberatungsdienstes. Die Luther-Universität in Halle hatte die Idee, der Sachsen-Anhaltiner das Bedürfnis, weil eine Frage: Wie sagt man das jetzt auf westDeutsch? So um die 3000 westDeutsche Vokabeln musste der Ossi nach der Sprachwende bimmsen, wollte er "in" sein. Und mehr als 800 Begriffe aus dem DDR-Deutsch landeten im Plastiksack der Sprachentsorgung. Obwohl der Ossi bei Plastik immer noch an Bildhauerkunst denkt, der gebildete Wessi übrigens auch. Plaste also war passé, Plastik in. Wir nun machen uns ein plastisches Sprachbild.

"Seit einem westDeutsch-Sprachkurs sagt er Overhead. Polylux ist out."

Frau: "Okay, ich spreche westDeutsch, ja, ostDeutsche Wörter im Allgemeinen benutze ich nicht mehr."

Der Schlächter nennt sich nun City-Metzger, er hat das Problem, neuwestDeutsch gesagt, realisiert, die Neubausiedlung wandelte sich wundersam in einen Wohnpark – rein sprachlich gesehen.

Kühn: "Kann ich das noch sagen? Wie muss ich jetzt dafür sagen?"

Das Interesse an westDeutscher Zunge war groß, denn mit den Speisekarten wechselte das Sprachangebot. Sogar Todesanzeigen für Ossis, so verriet uns Frau Professor Kühn, wurden nun in neuwestDeutsch abgefasst. Und Herr Doktor Almstädt, er hob tausende mal den Telefonhörer ab, erinnert sich eines – wie wir finden – sehr hübschen Beispiels, auch wieder rein sprachlich gesehen.

Almstädt: "Ich bekam einen Anruf von einer Sekretärin, die hatte geschrieben, die nächste Dienstberatung findet dann und dann statt. Und da hat ihr Chef gesagt, man kann das so nicht schreiben. Das muss Dienstbesprechung heißen, denn weder hat er die Absicht, jemanden zu beraten, noch möchte er sich beraten lassen."

Als ein Regisseur, den wir in Halle trafen, hörte, die Schauspieler seien am Set, da fragte er: An welchem Zelt? Seine westDeutsch-Kenntnisse sind rudimentär zu nennen. Und wir ziehen mit unserer Sprach-Botanisiertrommel weiter. Aus der Geschichte wurde unter der Hand plötzlich die Story, das Flugzeug mutierte zum Flieger. Früher fühlte man sich wohl, jetzt ist man gut drauf. Sagt man jedenfalls. Früher ging man kleechen, in der DDR arbeiten, nun geht man jobben. So man einen Job hat, ja, ja. Und an den Fakultäten der Uni in Halle gehört das Studium deutsch-deutscher Zungenschläge zur lustvollen Alltäglichkeit.

Kellnerin: "Wir waren wirklich 50 Prozent Wessis oder noch mehr, fast 60 Prozent. Und die haben sich wirklich an die Tafel so Wörter geschrieben, die sie nicht kannten. Naja, eben wie Broiler, Untertrikotagen. Das waren viele Wörter, die kannten die nicht. Aber die Hits waren Ober- und Untertrikotagen, weil das wussten sie wirklich nicht, was das ist."

Ja, lustig ging’s im Café zu. Und an den Schreibtischen und an den Werkbänken. Sagt man das noch so? Werkbank? Egal, in der Firma, was früher der Betrieb war, ist der Manager der kleine Finger vom Chief. Die Überzeugungsarbeit hieß früher Agitation. Und Beratung heißt firmenintern Kunden krallen, Kunden anlocken, Kunden einpacken. Sprache ist dynamisch, Ostdeutschland ist die dynamischste Region. Auch wenn man nichts im Angebot hat. Sagt uns der Kiecountmanager, der früher Buchhalter hieß.

Manager: "Na wenn man sagt, wir haben einen bestimmten Sachverhalt nicht, dann sagt man also: Das liegt nicht in unserem Leistungsumfang. Hört sich wesentlich besser an."

Momentan, so erfuhren wir, liegen Arbeitsplätze "nicht im Leistungsumfang".


KlavierTemperatur – Der wohltemperierte Andreas Werckmeister
Von Arne Reul

Das wohltemperierte Klavier. Nicht die ideale Temperatur des Pianos, der wohlige Klang interessiert uns in den nächsten Minuten. Genauer der Zeitpunkt, von dem an man vom strahlenden C-Dur, vom schwebenden und edlen Cis-Dur oder vom lyrischen, wenn auch geisterhaften es-moll spricht. Kurzum von einer neuen Stimmung. Bach schrieb Das wohltemperierte Klavier, aber Andreas Werckmeister machte es erst möglich. Er zeigte allen, wie man ein gravierendes musikalisches Problem so beheben kann, dass es gleichzeitig sozusagen zum würzigen Salz in der Musik-Suppe wird. Bitte, Maestro.

Klingt irgendwie schief …

Aaah, schon viel besser! Obwohl all diese Akkorde auf dem gleichen Cembalo angeschlagen. Baujahr 1618. Entsprechend der Zeit ist das Cembalo "mitteltönig" gestimmt, in anderen Worten, je mehr schwarze Tasten ein Musikstück hat, desto schiefer klingt es. Das ist natürlich sehr unbefriedigend und deshalb zerbrachen sich die Musiktheoretiker schon vor langer Zeit den Kopf, wie man solche schrägen Akkorde vermeiden kann. Wie kann man die zwölf verschiedenen Töne so stimmen, dass jeder Ton auch Ausgangspunkt für eine darauf aufbauende Tonart sein kann? Und zwar, ohne dass dabei irgendetwas wirklich schief klingt.

Der Übeltäter heißt "pythagoräisches Komma". Gemeint ist damit, dass ein Viertelton in unserem Tonsystem irgendwo zu viel ist; dieser ist schuld daran, dass es trotz Stimmung Klänge geben kann, die so schrecklich-schön schief sind.

Da sich das pythagoräische Komma nun einmal nicht wegdiskutieren lässt, denn Musik ist etwas anderes als Politik, war eine intelligente Lösung nötig. Eine besonders brauchbare Idee hatte da der Organist Andreas Werckmeister aus dem sachsen-anhaltinischen Benneckenstein. 1687 formulierte er seinen Vorschlag in aller Ausführlichkeit in der Abhandlung:

"Musicalische Temperatur, oder Deutlicher und warer mathematischer Unterricht, wie man durch Anweisung des Monochordi ein Clavier und dergleichen wol temperiert stimmen könne."

Wir verteilen also den überschüssigen Viertelton auf bestimmte Töne und zwar so, dass wichtige Klänge sauberer klingen als weniger wichtige, aber gleichzeitig auch so, dass das Spiel in allen Tonarten möglich ist. So ungefähr Werckmeister.

Johann Sebastian Bach ist von Werckmeisters Lösungsvorschlag äußerst angetan. Und um zu beweisen wie salomonisch und praktisch Werckmeisters "Temperatur" ist, komponiert er ein Kompendium von Präludien und Fugen, die alle 24 Tonarten berücksichtigen, und nennt es in Anlehnung an Werckmeister "Das Wohltemperierte Klavier". Wir kennen die Bedeutung des Wohltemperierten Klaviers für die Musikgeschichte, es gilt als das "Alte Testament" der Klaviermusik.


Erscheinungen – Wir denken uns Magdeburg schön
Von Annette Schneider-Solis

In Sachsen-Anhalt gibt es die meisten leerstehenden Wohnungen und Magdeburg ist die schönste Stadt der Welt. Beides stimmt. Der erstere Fakt ist klar, der zweitere überraschend. Aber nicht für den, der sich Magdeburg so richtig schön zurechtdenkt. Der sich also sein Bild vom Bild macht. Politiker wissen, wovon wir reden, der Magdeburger kann es auch - wenn er die Nase von der Wirklichkeit voll hat oder mal eben schnell beim Fraunhofer-Institut anklopft. Schöne Magdeburg-Welten gibt es da, virtuell und dreidimensional. Per Knopfdruck. Also beamen wir uns jetzt nach Magdeburg und denken uns die Stadt mal richtig schön.

Das tut gut. Eine Stadtführung im Sessel.

Der Dom. Da suchen sie gerade nach dem Dom Otto des Großen.

Das Elbufer. Wunderschön, wunderschön.

Der Landtag. Schnell weiter.

Komplette Werkhallen, die es noch gar nicht gibt. Ah, Arbeitsplätze. Das schauen wir uns länger an.

Maschinen.

Flugzeuge,

Hafen.

Plattenbauten. Ach, wie ist Magdeburg doch schön.

Ja, ja, den Blauen Bock, nicht diese Fernsehsendung, die gibt es ja nicht mehr, nein, die peinlichen Plattenbau-Überbleibsel aus DDR-Zeiten mitten im Stadtzentrum. Weg! Die Mieter sind ja auch schon auf und davon.

Gucke mal, Neu Olvenstedt! Die sie liebten, sind och alle weg.

Nee, wie schön sogar Industriebrachen aussehen können. "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt …" Das schöne alte SKET.

Da! Der Kristallpalast hat schon neuen Putz und neue Farbe! Bröselt nicht mehr vor sich hin. Die zoffende Erbengemeinschaft ist über den Streit offenbar weggestorben. Ist das schön! Ist das schön! Ja, ja, wir Bördestädter.

Das gibt’s doch nicht! Erna, komm mal! Lass mal den Abwasch. Wir schauen uns Magdeburg schön! Auf die Straße gehen wir jetzt nicht mehr.