LandGang
Bremen. Ja, da wollen wir hin. Oder lieber doch nicht? Lexikon, Seite 687: Bremen, Name mehrerer Passagierdampfer des Norddt. Lloyd." Das wussten wir nicht! Der Roland also eine Galionsfigur, der Scherff ein abgemusterter Kapitän, die Stadt auf schwankendem Boden.
Wo wir doch so leicht Sehkrank werden. Obwohl, vielleicht machen wir uns doch auf nach Bremen. Immerhin soll es da welche geben, die Fach-Chinesisch rückwärts übersetzen können, also unverstehbare "Beipackzettel" in Normal-Deutsch übersetzen können.
Das chinesische Fernsehen tauchte gleich doppelt, also zweimal in Bremen auf. Es behauptete, Filme zu drehen. Worüber, dies haben wir nicht erfahren. Wohl aber, wie Filme so heißen, die da oben gedreht werden: "Gegen die Wand" und "Urlaub vom Leben". Und weil Bremen, so die Beobachtung von Experten, nicht so aussieht wie Berlin oder Köln, suchen dortige Behörden "nach Filmideen", "für kinotaugliche Geschichten." Das war ein Zitat! und dies nun ist eine Drehbuch-Steilvorlage. Wasser kommt auch drin vor!
Der Bremen-Film – Wir haben das Drehbuch
Von Hartwig Tegeler
Ein Film über Bremen ...
Also, Tegeler, was bieten Sie mir an? Aber fassen Sie sich kurz?
Ganz kurz!
Okay, okay, also wir machen ein Remake von Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung". Als Einstieg.
Eine Allegorie! Auf die Vergänglichkeit des Seins, auf die Vergänglichkeit des föderalen Seins. Vollkommen fatalistisch!
"Allegorie: Verbildlichung eines abstrakten Begriffs oder Vorgangs."
Aber auch komödiantisch. Bremen – ein Melodram voller Ambivalenzen über eine Stadt, in der einer der schönsten Stadtteile mit den herrlichsten Villen "Schwachhausen" heißt.
Können wir jetzt mal bitte zur Handlung kommen?!
Also, gut, gut...
Aber bitte fassen Sie sich kurz.
Die Handlung: Eine Frau, die keine Frau, weil sie ja eine Stadt ist, will einen Mann, der kein Mann ist, weil er ja eine Stadt ist, heiraten!
Äh, ja?!
"Ich habe eine große Überraschung für dich. – Raus damit! – Ich hab mich verlobt. Herzlichen Glückwunsch! Wer ist die Glückliche? – Ich!"
Also wir nehmen das Grundszenario von "Boulevard der Dämmerung" – die existentielle Verzweiflung, wenn deine Finanzsituation.
Ja! [Sie hält ihn für bekloppt.]
Also "Boulevard der Dämmerung" und Wilders "Manche mögen’s heiß" mischen! Weil Spaß - Ernst, Tragödie - Komödie. Okay? Also ein Doppel-Remake, aber mit viel Fassbinder drin. Wir mischen Bilder von Beirut und Bremen. Ununterscheidbar. Als Einstieg.
Bitte, das geht nicht!
Okay! Also dann ohne Beirut. Aber am Anfang auf jeden Fall viel Missgunst. Das können wir symbolisch mit doku-footage zeigen. Autobahn von Bremerhaven über Bremen Richtung Hamburg; nur Hannover ist ausgeschildert. Kein Hamburg. Missgunst eben! – Also, das ist ein Bild, fast so stark wie diese Geschichte mit Schwach ... äh, Schwach ...
... hausen.
"Jerry, Jerry, du hast den Verstand verloren. Wie stellst du dir das vor?! Wie soll das weitergehen?"
Hamburg und Bremen, inklusive Bremerhaven, heiraten. Also Bremen müsste Hannelore Elsner spielen, die ist klein; und Hamburg Götz George. Aber Hannelore Elsner muss natürlich auch den Satz sagen:
"Aber Joe, das ist vielleicht meine letzte Chance, einen Millionär zu heiraten!"
Und das ist das Ende?
Das ist erst der Anfang: Also jetzt fließen die Bundesmittel. Problemlos. Was beiden Ehepartnern wirklich gut tut; die Elbe wie die Weser vertieft auf sechzehneinhalb Meter; Containerterminal modernisiert; Rotterdam vollkommen außen vor. Keiner geht fremd! Die Autobahnschilder von Bremerhaven Richtung Bremen verändert, Hannover wird vollkommen gestrichen und durch Hamburg ersetzt. Ja. Und wir hören auf mit dem Wilder-Satz:
"Nobody is perfect."
Ja, so hör’n wir auf! Oder wir wär’s mit: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute! Trotz leerer Kassen, trotz mieser Infrastruktur, trotz Pisa und bedrohlicher Föderalismusdiskussion.
Auch gut!
Oft verfilmt, aber vom Hörensagen bekannt – die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten. Als Kind gefiel vor allem die Stelle, wo die vier gebeutelten Heimatlosen die Räuber furchtbar arg erschrecken. So sind wir Humanisten nun mal. Als wir dann Bildungsbürger mit PISA-Zertifikat wurden, deuteten wir jedes Komma in der fürchterbaren Short-Story. Der Bezeichnung Märchen waren wir endgültig entwachsen. Dafür sind wir nun auf der Flucht vor diversen Wirklichkeiten und also wieder bei den Bremer Stadtmusikanten gelandet. Ja, so weit haben wir es schon gebracht. Bitte:
Auf der Flucht – Die Bremer Stadtmusikanten
Von Knut Benzner
"Ich bin der Hahn."
Ein weiblicher Hahn. Soll’s geben.
"Er ist einfach Hahn."
"Ich bin der Esel."
"Ich spiele die Katze."
"Ich spiele den Hund."
Und nun in der richtigen Reihenfolge.
"Ich bin der Hahn."
"Ich spiele die Katze."
"Ich spiele den Hund."
"Ich bin der Esel."
Der Hahn also auf der Katze, die Katze auf dem Hund ...
"Ja, und hier steht sie auch auf den Hund, ein bisschen ... wir verlieben uns."
Ist die Katze gesund, freut sich der Hund. Und der Esel steht ...
"Ja."
... fest auf dem Boden der Tatsachen.
"Hähähähähä."
Bremen.
"Das Kikeriki, das Wauwau, das Miau, das Ia."
Schon damals. Und irgendwann dann machten sich die vier, Hahn, ...
... Katze ...
... Hund ...
... und Esel ...
... auf den Weg.
"Was Besseres als den Tod findet man überall."
"Diese Konkretionen, welches Instrument und so, die sind ja Erfindungen, die schon im Ursprung Reklame sind. Dieses Märchen hat der berühmte Bürgermeister Smidt ..."
Johann Smidt, 1773 bis 1857. Von 1821 bis 1849 sowie ab 1852 bis zu seinem Tod Bürgermeister von Bremen.
"... der Bremerhafen gekauft hat für Bremen, aufgeschrieben und den Gebrüder Grimm geschickt. Und der hat die Bremer Stadtmusikanten erfunden."
Nicht ohne Grund.
"Der Hintergrund dieses Märchens ist die Stadt-Land-Problematik natürlich. Die Umwandlung einer ländlichen in eine städtische, städtisch dominierte Gesellschaft, die Phantasie der bäuerischen, an der Scholle klebenden Bevölkerung von der Freiheit und dem paradiesischen der Stadt."
Prof. Reiner Stollmann, 57, Kulturgeschichtler des Fachbereichs Kulturwissenschaften der Universität in Bremen.
Der Ausgangspunkt: Die Not des Feudalismus.
Die inzwischen einige Male erwähnten Tiere, "Landesflüchtlinge" nennen sie die Gebrüder Grimm tatsächlich, gebrechlich, ausgelaugt, der Arbeit in der Mühle, bei der Jagd, auf dem Hof und im Stall nicht mehr fähig, sollen deshalb aus dem Futter genommen, totgeschlagen, ersäuft bzw. in den Bratentopf gebracht werden.
"Im Grunde sind’s Leute, die es da, wo sie sind, nicht mehr aushalten, sondern wandern."
Man könnte auch sagen: Flüchten.
"Wenn Sie heute mit `ner Bremer Touristikführerin durch die Stadt gehen, die erzählt Ihnen wahrscheinlich was von Migration."
Eben. Oder Emigration. Auf der Suche nach einem Zufluchtsort. Das heißt nichts anderes als dass dieses Märchen unterschiedlich gelesen werden kann.
"Das ist ein sehr aktuelles Märchen, könnte man sagen, ja."
Und was würde der ehemalige Bürgermeister Bremens, Henning Scherf, zu all dem sagen?
"Weil ich nun so´n Riese bin, übernehme ich immer gerne die Eselsrolle, weil der ist der untere, auf den bauen die anderen sich auf, und müssen sich auch darauf verlassen können, dass der nicht einknickt, ... das liegt aber an meiner Länge, nicht unbedingt an meinen langen Ohren oder an meiner Dämlichkeit, sondern, ich glaube, weil ich so´n Riese bin."
Die Stadtmusikanten kommen übrigens im Unterschied zu Scherf nie in Bremen an. Das Märchen spielt im niedersächsischen Umland.
Ach, das Detail steckt oft im Teufel. Leicht kann man sich outen … als Laie, als Auswärtiger, als Zugereister … in Bremen. Dort, wo das spitze "st" Zunge und Prothese zusammenführt. Unbedacht bezeichnet man das honorige Geschäft als Laden, behauptet keck, der Bremer gehe zum Schimpfen in den Keller. Naja. Und warum glaubt man zum Beispiel letzteres? Weil man aus einer Gegend kommt, wo dat kölsche jeflecht wird, als Bier-, Mund- und Denkart.
Fluchen wie ein Bremer – Ein bescheidenes Hörbild
Von Stephanie Pesch
"Du Doofnuss, du hästse ja nimmerall, du tütenüggel, waad ab bes isch disch in de Finger krich, isch wring dich uus, wie äne nasse lappen, du aapjesech."
Ja, genauso muss Ärger klingen! Die Waffe des Kölners ist seine große Klappe, seine verbale Munition schier unerschöpflich. Die Bremer dagegen werfen eher mit Wattebällchen.
"Schietwetter!"
"Du has doch einen anne Mütze!"
"Zieh Leine! Das ist vielleicht schon wirklich n bisschen bremisch: zieh Leine."
Nein, in Bremen gibt es keine Schimpfkultur. Wer verstehen will, warum, der muss einen kleinen Dekorationsladen besuchen, mitten im Schnoor, der Bremer Altstadt.
Der Laden gehört der Bremer Kaufmannstochter Ilse Wessely.
"Also, bei mir hier im Geschäft wird mit Sicherheit nicht geschimpft"."
Zu streng ist der Blick hinter den großen Brillengläsern, zu spitz der Mund unter der grauen Hochsteckfrisur. Schimpfen sei ihr ‚persönlichkeitsfremd‘, sagt sie.
""Ich mein, es gibt ja unheimlich viel Schimpf-Möglichkeiten, nech, das geht von einem Tadel los, über einen Verweis, schon bisschen mehr, das ist auch ne Mentalitätssache, nech?"
Ilse Wessely würde im Zweifelsfall schweigen. Dann tadeln. Dann einen Verweis erteilen. Und wenn dann einer kommt, der sie immer weiter provoziert?
"Ich denke, die Kaufmannschaft lässt sich nicht provozieren, das ist aber nicht neu, sondern das ist eigentlich uralte Tradition."
"Der Bremer ist ja ein Hanseat, und als Hanseat ist man vornehm zurückhaltend. Und man denkt sich vielleicht etwas über sein Gegenüber, gerade wenn man mit jemandem verhandelt hat, und der hat einen über den Tisch gezogen, aber üblicherweise hält der Bremer sich vornehm steif zurück."
Reinhard Goltz vom Institut für Niederdeutsche Sprache beobachtet in Sachen Schimpfkultur ein Nord-Süd-Gefälle. Im Süden, vor allem in den katholischen Gegenden, werde viel und leidenschaftlich geschimpft. Der calvinistisch geprägte Norden, zumal Bremen, leide eher, meint Goltz. Einzige Ausnahme:
"Werder! Werder!"
… wenn Werder Bremen verliert!
"Wenn Werder mal verliert, was ja eigentlich nie passiert, aber WENN Werder denn mal verliert, verliert ja nicht Werder, sondern dann hat der Schiedsrichter einen Fehler gemacht, nech. Er ist bestochen worden! Und dann kann man ganz laut grölen: Du Mors! Heißt übersetzt, du bist ein Mensch, dem ich nicht sehr zugeneigt bin, im Augenblick."
Vorsichtig ausgedrückt - Mors ist der Hintern. Ein echtes Bremer Schimpfwort, na endlich: Mors! und Schiet? Schiet, wie Schietwetter. Oder Schietkarre, wenn das Auto nicht anspringt. Schiet ist allerhöchstens ein halbes Schimpfwort ...
"Also, wenn Sie zu einem Menschen besonders nett sein wollen, dann sagen Sie zum Beispiel auch: min Schietbüttel."
Mein Scheißbeutelchen! Und das meint der Bremer dann zärtlich. Wer das versteht?!? Wie angenehm klar ist da doch der Kölner, und wie unmissverständlich, wenn er sauer ist.
Schimpfender Kölner: "Du bis esu kleen met hut, du blötschkopp, da kannste op stelze um en teppisch jon!"
Der Wähler läuft den Parteien davon. Sagt man so - auch in Bremen, obwohl der Wähler spätestens nach einer Stunde gefunden wird. Länger braucht man in der Stadt nicht, um von einem Ende ans andere zu gelangen. Und dennoch geht die Wahlbeteiligung zurück. Urnengang ist out, Seebestattung gefragt. Damit der politische Urnengang wieder IN wird, denken Bremer Politiker schon mal mehrdimensional. Wahllokale in Behörden sind ja wenig prickelnd. Mehr Eventkultur soll her … so wie im Abendprogramm des Fernsehens. Der Urnenstadl oder Die Lustige Wahlstimmenscheune und so. Also: Her mit der Event-Wahl!
Endlich Event-Wahlen – Wo man noch so wählen könnte
Von Folkert Lenz
Weber: "Dieser Wahlsonntag: Meine Eltern haben sich dann fein angezogen und sind zum Wahllokal gegangen. Ich habe das auch noch gemacht. Viele sagen heute: Banane! Aber wir leben in dieser Event-Kultur."
Wählen gehen? So richtig sexy klingt das nicht! Doch das wird sich nun ändern. Vielleicht stimmt einfach nur das Umfeld nicht. Raus also aus der düsteren Kabine, dort wählen, wo das Leben tobt.
"Also die Idee, an der Tankstelle zu wählen: Sonntags morgens ist an der Tankstelle der Bär los. Da kaufen die Leute Brötchen, kaufen ihre Zeitung. - Also die Idee: Hingehen, da wo die Menschen sind. Und ich halte die Idee immer noch für zu überprüfen, ob man das nicht macht."
Kreuzchen machen neben der Zapfsäule. Zwischen Dieselschwaden und Auspuffqualm. Der Demokratie-Drive-In kommt nicht bei jedem Mobilwähler an:
Frau: "Zu einer Tankstelle laufen? Weiß ich nicht."
... und eingehängt!
Doch warum nicht das große Wahlkollektiv aktivieren: Dort, wo es ohnehin zusammenhockt? Denkt sich Bürgerschaftspräsident Christian Weber:
Weber: "Es heißt ja Wahllokal. Wahl-Lo-Kal! Es gibt sicher das eine oder andere Wahl-Lokal, wo man es auch in der Kneipe machen kann. Das halte ich nicht für völlig verrückt."
Ein Strich auf den Bierdeckel, ein Kreuzchen auf den Wahlschein. Event-Wahl-Befürworter Weber setzt noch eins drauf.
"Ein Wahlfest, genau, ja, das wäre ja alles möglich. Hier auf dem Marktplatz könnte man ja ein schönes Zelt hinstellen und sagen: Da könnt Ihr wählen gehen. Und anschließend könnt Ihr noch zur Weser gehen, könnt Kaffee trinken gehen. So etwas. Solche Dinge stelle ich mir vor, die man unkonventionell denken muss."
Ab also mit der Urne ins Weserstadion. Dort gibt es schließlich höchstens drei Unparteiische.
Schade, dass der Bundesligafahrplan bei Werder Bremen im kommenden Mai so gar nicht passt.
"Es ist leider nicht am Sonntag. Das letzte Heimspiel ist am Samstag, am Tag davor. Also das Weserstadion ist ja wunderschön. Wenn man es auch an einem spielfreien Sonntag im Werderstadion machen könnte. Man kann es besichtigen, man kann da hingehen. Da würden Tausende kommen."
Mit der Ausbreitung von Fach-Chinesisch stieg der Verbrauch von schmerzstillenden Mitteln an. Ob Bürokratendeutsch, Politikerwelsch oder Vertragsspanisch, immer häufiger müssen wir zu Medikamenten greifen. Und verzweifeln endgültig - am Beipackzetteldeutsch. Eng bedruckt der Zettel, stark bedrückt der Zettelhalter. Er schleppt sich, so er sie noch hat, mit letzter Kraft nach Bremen, hofft auf schmerzstillende Wortwirkstoffe und barrierefreie Kommunikation, klopft an und fällt mit der Tür in das Büro für leichte Sprache, abgekürzt BflS, und pocht auch sein Recht auf Sprachrechtsbelehrung, kurz RaSbl.
Irgendwie unverständlich – Zu Besuch bei Fach-Chinesisch-Experten
Von Knut Benzner
"Das sind leider keine Gegenüberstellungen."
Bremen-Walle. In einem kleinen Büro.
"Was haben wir denn mal schön für’n Beispiel?"
Im "Büro für leichte Sprache."
"Gucken Sie am besten mal mit, was vielleicht ´n interessantes Thema wäre für Ihre Hörer."
Mietvertrag, Scheidungsanwalt, Kaufvertrag für ein Haus, Auto, für Strom, Handtelephon oder Ehevertrag?!
"Mhm, sonst habe ich auch ´n Beispiel drüben liegen, das ist der Wohnvertrag von der Lebenshilfe hier in Bremen, den wir in leichte Sprache übersetzt haben, und ich denke, das ist ein relativ prägnantes Beispiel."
Bitte:
"Jaha, Paragraph 10, Regelung bei Abwesenheit. Bei Vorübergehender Abwesenheit der Bewohnerin/des Bewohners gilt folgende Regelung: Hinsichtlich der Kostensätze bzw. der Rückvergütung bei Abwesenheit der Bewohnerin/des Bewohners gelten die derzeitig gültigen Bestimmungen des Landes Bremen."
Claudia Wessels, 33, Behindertenpädagogin.
Den eben zitierten Vertrag versteht kein Mensch. Und wie ist das mit meinem Staubsauger, einem türkischen Modell? Die Gebrauchsanweisung, die ins Deutsche übersetzte, insbesondere der Teil, der das Auswechseln der Tüte beschreibt, ist sozusagen unglaublich:
"Wenn Tuut dick mussu drücke rot sonst puff und Du bringe besser zurück."
"Hähähä. Bisher haben wir leider noch keinen Auftrag bekommen von einer Firma, die gesagt hat, wir möchten, dass unsere Gebrauchsanweisung so geschrieben ist, dass es dem Kunden problemlos möglich ist, sie zu benutzen."
Aber ... was machen Sie dann?
"Wir übersetzen Texte, Alltagstexte, Behördentexte, Vertragstexte in leichte Sprache. Wir machen das, damit auch Menschen mit geringerer Lesekompetenz diese Texte verstehen können."
Bei Gebrauchsanweisungen, bei Behördendeutsch, bei Texten von Politikern werden wir alle zu Personen mit geringer Lesekompetenz.
Eine Bremer Partei will sich das "Büro für leichte Sprache" zu Nutze machen.
"Ja, dahinter steht auch, dass diese Partei erkannt hat, dass sie durch eine leichte Sprache auch einen größeren Wählkreis erreichen kann und somit ihre eigene Partei natürlich auch gut bewirbt."
Es ist nicht die Partei, die vor einigen Wochen die "Unterschichtsdebatte" sowie die "Armutsdiskussion" begann?
"Nein, nein, nicht die SPD."
Gibt’s die SPD in Bremen überhaupt noch?
"Es gibt die SPD in Bremen noch, ja, hmhmha."
Die Staubsaugertüte bleibt somit ungeleert, äh, ungeklärt.
Damit schließen wir das BflS, kurz Büro für leichte Sprache, im LG, im LandGang. Dieser hier kam aus Bremen. Die tönenden Depeschen kabelten uns Hartwig Tegeler, Knut Benzner, Stephanie Charlotte Pesch und Folkert Lenz.
Den nächsten Landgang unternehmen wir dann am 29. Dezember, ins hoffentlich winterliche Thüringen.
Das chinesische Fernsehen tauchte gleich doppelt, also zweimal in Bremen auf. Es behauptete, Filme zu drehen. Worüber, dies haben wir nicht erfahren. Wohl aber, wie Filme so heißen, die da oben gedreht werden: "Gegen die Wand" und "Urlaub vom Leben". Und weil Bremen, so die Beobachtung von Experten, nicht so aussieht wie Berlin oder Köln, suchen dortige Behörden "nach Filmideen", "für kinotaugliche Geschichten." Das war ein Zitat! und dies nun ist eine Drehbuch-Steilvorlage. Wasser kommt auch drin vor!
Der Bremen-Film – Wir haben das Drehbuch
Von Hartwig Tegeler
Ein Film über Bremen ...
Also, Tegeler, was bieten Sie mir an? Aber fassen Sie sich kurz?
Ganz kurz!
Okay, okay, also wir machen ein Remake von Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung". Als Einstieg.
Eine Allegorie! Auf die Vergänglichkeit des Seins, auf die Vergänglichkeit des föderalen Seins. Vollkommen fatalistisch!
"Allegorie: Verbildlichung eines abstrakten Begriffs oder Vorgangs."
Aber auch komödiantisch. Bremen – ein Melodram voller Ambivalenzen über eine Stadt, in der einer der schönsten Stadtteile mit den herrlichsten Villen "Schwachhausen" heißt.
Können wir jetzt mal bitte zur Handlung kommen?!
Also, gut, gut...
Aber bitte fassen Sie sich kurz.
Die Handlung: Eine Frau, die keine Frau, weil sie ja eine Stadt ist, will einen Mann, der kein Mann ist, weil er ja eine Stadt ist, heiraten!
Äh, ja?!
"Ich habe eine große Überraschung für dich. – Raus damit! – Ich hab mich verlobt. Herzlichen Glückwunsch! Wer ist die Glückliche? – Ich!"
Also wir nehmen das Grundszenario von "Boulevard der Dämmerung" – die existentielle Verzweiflung, wenn deine Finanzsituation.
Ja! [Sie hält ihn für bekloppt.]
Also "Boulevard der Dämmerung" und Wilders "Manche mögen’s heiß" mischen! Weil Spaß - Ernst, Tragödie - Komödie. Okay? Also ein Doppel-Remake, aber mit viel Fassbinder drin. Wir mischen Bilder von Beirut und Bremen. Ununterscheidbar. Als Einstieg.
Bitte, das geht nicht!
Okay! Also dann ohne Beirut. Aber am Anfang auf jeden Fall viel Missgunst. Das können wir symbolisch mit doku-footage zeigen. Autobahn von Bremerhaven über Bremen Richtung Hamburg; nur Hannover ist ausgeschildert. Kein Hamburg. Missgunst eben! – Also, das ist ein Bild, fast so stark wie diese Geschichte mit Schwach ... äh, Schwach ...
... hausen.
"Jerry, Jerry, du hast den Verstand verloren. Wie stellst du dir das vor?! Wie soll das weitergehen?"
Hamburg und Bremen, inklusive Bremerhaven, heiraten. Also Bremen müsste Hannelore Elsner spielen, die ist klein; und Hamburg Götz George. Aber Hannelore Elsner muss natürlich auch den Satz sagen:
"Aber Joe, das ist vielleicht meine letzte Chance, einen Millionär zu heiraten!"
Und das ist das Ende?
Das ist erst der Anfang: Also jetzt fließen die Bundesmittel. Problemlos. Was beiden Ehepartnern wirklich gut tut; die Elbe wie die Weser vertieft auf sechzehneinhalb Meter; Containerterminal modernisiert; Rotterdam vollkommen außen vor. Keiner geht fremd! Die Autobahnschilder von Bremerhaven Richtung Bremen verändert, Hannover wird vollkommen gestrichen und durch Hamburg ersetzt. Ja. Und wir hören auf mit dem Wilder-Satz:
"Nobody is perfect."
Ja, so hör’n wir auf! Oder wir wär’s mit: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute! Trotz leerer Kassen, trotz mieser Infrastruktur, trotz Pisa und bedrohlicher Föderalismusdiskussion.
Auch gut!
Oft verfilmt, aber vom Hörensagen bekannt – die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten. Als Kind gefiel vor allem die Stelle, wo die vier gebeutelten Heimatlosen die Räuber furchtbar arg erschrecken. So sind wir Humanisten nun mal. Als wir dann Bildungsbürger mit PISA-Zertifikat wurden, deuteten wir jedes Komma in der fürchterbaren Short-Story. Der Bezeichnung Märchen waren wir endgültig entwachsen. Dafür sind wir nun auf der Flucht vor diversen Wirklichkeiten und also wieder bei den Bremer Stadtmusikanten gelandet. Ja, so weit haben wir es schon gebracht. Bitte:
Auf der Flucht – Die Bremer Stadtmusikanten
Von Knut Benzner
"Ich bin der Hahn."
Ein weiblicher Hahn. Soll’s geben.
"Er ist einfach Hahn."
"Ich bin der Esel."
"Ich spiele die Katze."
"Ich spiele den Hund."
Und nun in der richtigen Reihenfolge.
"Ich bin der Hahn."
"Ich spiele die Katze."
"Ich spiele den Hund."
"Ich bin der Esel."
Der Hahn also auf der Katze, die Katze auf dem Hund ...
"Ja, und hier steht sie auch auf den Hund, ein bisschen ... wir verlieben uns."
Ist die Katze gesund, freut sich der Hund. Und der Esel steht ...
"Ja."
... fest auf dem Boden der Tatsachen.
"Hähähähähä."
Bremen.
"Das Kikeriki, das Wauwau, das Miau, das Ia."
Schon damals. Und irgendwann dann machten sich die vier, Hahn, ...
... Katze ...
... Hund ...
... und Esel ...
... auf den Weg.
"Was Besseres als den Tod findet man überall."
"Diese Konkretionen, welches Instrument und so, die sind ja Erfindungen, die schon im Ursprung Reklame sind. Dieses Märchen hat der berühmte Bürgermeister Smidt ..."
Johann Smidt, 1773 bis 1857. Von 1821 bis 1849 sowie ab 1852 bis zu seinem Tod Bürgermeister von Bremen.
"... der Bremerhafen gekauft hat für Bremen, aufgeschrieben und den Gebrüder Grimm geschickt. Und der hat die Bremer Stadtmusikanten erfunden."
Nicht ohne Grund.
"Der Hintergrund dieses Märchens ist die Stadt-Land-Problematik natürlich. Die Umwandlung einer ländlichen in eine städtische, städtisch dominierte Gesellschaft, die Phantasie der bäuerischen, an der Scholle klebenden Bevölkerung von der Freiheit und dem paradiesischen der Stadt."
Prof. Reiner Stollmann, 57, Kulturgeschichtler des Fachbereichs Kulturwissenschaften der Universität in Bremen.
Der Ausgangspunkt: Die Not des Feudalismus.
Die inzwischen einige Male erwähnten Tiere, "Landesflüchtlinge" nennen sie die Gebrüder Grimm tatsächlich, gebrechlich, ausgelaugt, der Arbeit in der Mühle, bei der Jagd, auf dem Hof und im Stall nicht mehr fähig, sollen deshalb aus dem Futter genommen, totgeschlagen, ersäuft bzw. in den Bratentopf gebracht werden.
"Im Grunde sind’s Leute, die es da, wo sie sind, nicht mehr aushalten, sondern wandern."
Man könnte auch sagen: Flüchten.
"Wenn Sie heute mit `ner Bremer Touristikführerin durch die Stadt gehen, die erzählt Ihnen wahrscheinlich was von Migration."
Eben. Oder Emigration. Auf der Suche nach einem Zufluchtsort. Das heißt nichts anderes als dass dieses Märchen unterschiedlich gelesen werden kann.
"Das ist ein sehr aktuelles Märchen, könnte man sagen, ja."
Und was würde der ehemalige Bürgermeister Bremens, Henning Scherf, zu all dem sagen?
"Weil ich nun so´n Riese bin, übernehme ich immer gerne die Eselsrolle, weil der ist der untere, auf den bauen die anderen sich auf, und müssen sich auch darauf verlassen können, dass der nicht einknickt, ... das liegt aber an meiner Länge, nicht unbedingt an meinen langen Ohren oder an meiner Dämlichkeit, sondern, ich glaube, weil ich so´n Riese bin."
Die Stadtmusikanten kommen übrigens im Unterschied zu Scherf nie in Bremen an. Das Märchen spielt im niedersächsischen Umland.
Ach, das Detail steckt oft im Teufel. Leicht kann man sich outen … als Laie, als Auswärtiger, als Zugereister … in Bremen. Dort, wo das spitze "st" Zunge und Prothese zusammenführt. Unbedacht bezeichnet man das honorige Geschäft als Laden, behauptet keck, der Bremer gehe zum Schimpfen in den Keller. Naja. Und warum glaubt man zum Beispiel letzteres? Weil man aus einer Gegend kommt, wo dat kölsche jeflecht wird, als Bier-, Mund- und Denkart.
Fluchen wie ein Bremer – Ein bescheidenes Hörbild
Von Stephanie Pesch
"Du Doofnuss, du hästse ja nimmerall, du tütenüggel, waad ab bes isch disch in de Finger krich, isch wring dich uus, wie äne nasse lappen, du aapjesech."
Ja, genauso muss Ärger klingen! Die Waffe des Kölners ist seine große Klappe, seine verbale Munition schier unerschöpflich. Die Bremer dagegen werfen eher mit Wattebällchen.
"Schietwetter!"
"Du has doch einen anne Mütze!"
"Zieh Leine! Das ist vielleicht schon wirklich n bisschen bremisch: zieh Leine."
Nein, in Bremen gibt es keine Schimpfkultur. Wer verstehen will, warum, der muss einen kleinen Dekorationsladen besuchen, mitten im Schnoor, der Bremer Altstadt.
Der Laden gehört der Bremer Kaufmannstochter Ilse Wessely.
"Also, bei mir hier im Geschäft wird mit Sicherheit nicht geschimpft"."
Zu streng ist der Blick hinter den großen Brillengläsern, zu spitz der Mund unter der grauen Hochsteckfrisur. Schimpfen sei ihr ‚persönlichkeitsfremd‘, sagt sie.
""Ich mein, es gibt ja unheimlich viel Schimpf-Möglichkeiten, nech, das geht von einem Tadel los, über einen Verweis, schon bisschen mehr, das ist auch ne Mentalitätssache, nech?"
Ilse Wessely würde im Zweifelsfall schweigen. Dann tadeln. Dann einen Verweis erteilen. Und wenn dann einer kommt, der sie immer weiter provoziert?
"Ich denke, die Kaufmannschaft lässt sich nicht provozieren, das ist aber nicht neu, sondern das ist eigentlich uralte Tradition."
"Der Bremer ist ja ein Hanseat, und als Hanseat ist man vornehm zurückhaltend. Und man denkt sich vielleicht etwas über sein Gegenüber, gerade wenn man mit jemandem verhandelt hat, und der hat einen über den Tisch gezogen, aber üblicherweise hält der Bremer sich vornehm steif zurück."
Reinhard Goltz vom Institut für Niederdeutsche Sprache beobachtet in Sachen Schimpfkultur ein Nord-Süd-Gefälle. Im Süden, vor allem in den katholischen Gegenden, werde viel und leidenschaftlich geschimpft. Der calvinistisch geprägte Norden, zumal Bremen, leide eher, meint Goltz. Einzige Ausnahme:
"Werder! Werder!"
… wenn Werder Bremen verliert!
"Wenn Werder mal verliert, was ja eigentlich nie passiert, aber WENN Werder denn mal verliert, verliert ja nicht Werder, sondern dann hat der Schiedsrichter einen Fehler gemacht, nech. Er ist bestochen worden! Und dann kann man ganz laut grölen: Du Mors! Heißt übersetzt, du bist ein Mensch, dem ich nicht sehr zugeneigt bin, im Augenblick."
Vorsichtig ausgedrückt - Mors ist der Hintern. Ein echtes Bremer Schimpfwort, na endlich: Mors! und Schiet? Schiet, wie Schietwetter. Oder Schietkarre, wenn das Auto nicht anspringt. Schiet ist allerhöchstens ein halbes Schimpfwort ...
"Also, wenn Sie zu einem Menschen besonders nett sein wollen, dann sagen Sie zum Beispiel auch: min Schietbüttel."
Mein Scheißbeutelchen! Und das meint der Bremer dann zärtlich. Wer das versteht?!? Wie angenehm klar ist da doch der Kölner, und wie unmissverständlich, wenn er sauer ist.
Schimpfender Kölner: "Du bis esu kleen met hut, du blötschkopp, da kannste op stelze um en teppisch jon!"
Der Wähler läuft den Parteien davon. Sagt man so - auch in Bremen, obwohl der Wähler spätestens nach einer Stunde gefunden wird. Länger braucht man in der Stadt nicht, um von einem Ende ans andere zu gelangen. Und dennoch geht die Wahlbeteiligung zurück. Urnengang ist out, Seebestattung gefragt. Damit der politische Urnengang wieder IN wird, denken Bremer Politiker schon mal mehrdimensional. Wahllokale in Behörden sind ja wenig prickelnd. Mehr Eventkultur soll her … so wie im Abendprogramm des Fernsehens. Der Urnenstadl oder Die Lustige Wahlstimmenscheune und so. Also: Her mit der Event-Wahl!
Endlich Event-Wahlen – Wo man noch so wählen könnte
Von Folkert Lenz
Weber: "Dieser Wahlsonntag: Meine Eltern haben sich dann fein angezogen und sind zum Wahllokal gegangen. Ich habe das auch noch gemacht. Viele sagen heute: Banane! Aber wir leben in dieser Event-Kultur."
Wählen gehen? So richtig sexy klingt das nicht! Doch das wird sich nun ändern. Vielleicht stimmt einfach nur das Umfeld nicht. Raus also aus der düsteren Kabine, dort wählen, wo das Leben tobt.
"Also die Idee, an der Tankstelle zu wählen: Sonntags morgens ist an der Tankstelle der Bär los. Da kaufen die Leute Brötchen, kaufen ihre Zeitung. - Also die Idee: Hingehen, da wo die Menschen sind. Und ich halte die Idee immer noch für zu überprüfen, ob man das nicht macht."
Kreuzchen machen neben der Zapfsäule. Zwischen Dieselschwaden und Auspuffqualm. Der Demokratie-Drive-In kommt nicht bei jedem Mobilwähler an:
Frau: "Zu einer Tankstelle laufen? Weiß ich nicht."
... und eingehängt!
Doch warum nicht das große Wahlkollektiv aktivieren: Dort, wo es ohnehin zusammenhockt? Denkt sich Bürgerschaftspräsident Christian Weber:
Weber: "Es heißt ja Wahllokal. Wahl-Lo-Kal! Es gibt sicher das eine oder andere Wahl-Lokal, wo man es auch in der Kneipe machen kann. Das halte ich nicht für völlig verrückt."
Ein Strich auf den Bierdeckel, ein Kreuzchen auf den Wahlschein. Event-Wahl-Befürworter Weber setzt noch eins drauf.
"Ein Wahlfest, genau, ja, das wäre ja alles möglich. Hier auf dem Marktplatz könnte man ja ein schönes Zelt hinstellen und sagen: Da könnt Ihr wählen gehen. Und anschließend könnt Ihr noch zur Weser gehen, könnt Kaffee trinken gehen. So etwas. Solche Dinge stelle ich mir vor, die man unkonventionell denken muss."
Ab also mit der Urne ins Weserstadion. Dort gibt es schließlich höchstens drei Unparteiische.
Schade, dass der Bundesligafahrplan bei Werder Bremen im kommenden Mai so gar nicht passt.
"Es ist leider nicht am Sonntag. Das letzte Heimspiel ist am Samstag, am Tag davor. Also das Weserstadion ist ja wunderschön. Wenn man es auch an einem spielfreien Sonntag im Werderstadion machen könnte. Man kann es besichtigen, man kann da hingehen. Da würden Tausende kommen."
Mit der Ausbreitung von Fach-Chinesisch stieg der Verbrauch von schmerzstillenden Mitteln an. Ob Bürokratendeutsch, Politikerwelsch oder Vertragsspanisch, immer häufiger müssen wir zu Medikamenten greifen. Und verzweifeln endgültig - am Beipackzetteldeutsch. Eng bedruckt der Zettel, stark bedrückt der Zettelhalter. Er schleppt sich, so er sie noch hat, mit letzter Kraft nach Bremen, hofft auf schmerzstillende Wortwirkstoffe und barrierefreie Kommunikation, klopft an und fällt mit der Tür in das Büro für leichte Sprache, abgekürzt BflS, und pocht auch sein Recht auf Sprachrechtsbelehrung, kurz RaSbl.
Irgendwie unverständlich – Zu Besuch bei Fach-Chinesisch-Experten
Von Knut Benzner
"Das sind leider keine Gegenüberstellungen."
Bremen-Walle. In einem kleinen Büro.
"Was haben wir denn mal schön für’n Beispiel?"
Im "Büro für leichte Sprache."
"Gucken Sie am besten mal mit, was vielleicht ´n interessantes Thema wäre für Ihre Hörer."
Mietvertrag, Scheidungsanwalt, Kaufvertrag für ein Haus, Auto, für Strom, Handtelephon oder Ehevertrag?!
"Mhm, sonst habe ich auch ´n Beispiel drüben liegen, das ist der Wohnvertrag von der Lebenshilfe hier in Bremen, den wir in leichte Sprache übersetzt haben, und ich denke, das ist ein relativ prägnantes Beispiel."
Bitte:
"Jaha, Paragraph 10, Regelung bei Abwesenheit. Bei Vorübergehender Abwesenheit der Bewohnerin/des Bewohners gilt folgende Regelung: Hinsichtlich der Kostensätze bzw. der Rückvergütung bei Abwesenheit der Bewohnerin/des Bewohners gelten die derzeitig gültigen Bestimmungen des Landes Bremen."
Claudia Wessels, 33, Behindertenpädagogin.
Den eben zitierten Vertrag versteht kein Mensch. Und wie ist das mit meinem Staubsauger, einem türkischen Modell? Die Gebrauchsanweisung, die ins Deutsche übersetzte, insbesondere der Teil, der das Auswechseln der Tüte beschreibt, ist sozusagen unglaublich:
"Wenn Tuut dick mussu drücke rot sonst puff und Du bringe besser zurück."
"Hähähä. Bisher haben wir leider noch keinen Auftrag bekommen von einer Firma, die gesagt hat, wir möchten, dass unsere Gebrauchsanweisung so geschrieben ist, dass es dem Kunden problemlos möglich ist, sie zu benutzen."
Aber ... was machen Sie dann?
"Wir übersetzen Texte, Alltagstexte, Behördentexte, Vertragstexte in leichte Sprache. Wir machen das, damit auch Menschen mit geringerer Lesekompetenz diese Texte verstehen können."
Bei Gebrauchsanweisungen, bei Behördendeutsch, bei Texten von Politikern werden wir alle zu Personen mit geringer Lesekompetenz.
Eine Bremer Partei will sich das "Büro für leichte Sprache" zu Nutze machen.
"Ja, dahinter steht auch, dass diese Partei erkannt hat, dass sie durch eine leichte Sprache auch einen größeren Wählkreis erreichen kann und somit ihre eigene Partei natürlich auch gut bewirbt."
Es ist nicht die Partei, die vor einigen Wochen die "Unterschichtsdebatte" sowie die "Armutsdiskussion" begann?
"Nein, nein, nicht die SPD."
Gibt’s die SPD in Bremen überhaupt noch?
"Es gibt die SPD in Bremen noch, ja, hmhmha."
Die Staubsaugertüte bleibt somit ungeleert, äh, ungeklärt.
Damit schließen wir das BflS, kurz Büro für leichte Sprache, im LG, im LandGang. Dieser hier kam aus Bremen. Die tönenden Depeschen kabelten uns Hartwig Tegeler, Knut Benzner, Stephanie Charlotte Pesch und Folkert Lenz.
Den nächsten Landgang unternehmen wir dann am 29. Dezember, ins hoffentlich winterliche Thüringen.