LandGang
Niedersachsen. Die Gegend, in der ein erbitterter Kartoffelkrieg um Linda ausgetragen ward, die Rechtschrei, nee, Rechtschreibreform erst laut verdammt und dann leise doch eingeführt wurde, wo einem in Cuxhaven dämmert, warum der Hafen Auswandererhafen heißt.
117 x Hannover – eine investigative Recherche
Von Irving Wolther
Christian Wulff gilt als einer der beliebtesten Politiker in Deutschland, wenn nicht sogar in Niedersachsen. Allerdings leidet das Image des MP unter einem kleinen Schönheitsfehler: er residiert in Hannover. PR-Strategen fordern daher: MP Wulff braucht ein sympathischeres Hannover. Wir haben uns schon mal umgehört und nach einem neuen Quartier Ausschau gehalten.
60 Jahre war sie den Niedersachsen gut genug – jetzt droht die Abschiebung. Der wenig kribbelnde Ruf der Landeshauptstadt soll den bundespolitischen Ambitionen von Ministerpräsident Christian Wulff nicht mehr länger im Weg stehen. Eine Expertenkommission sucht fieberhaft nach Neu-Hannover, also einer echten Metropole.
Ein Hannover in der Provinz, 116 Hannover weltweit. Vielleicht das hier? Mal sehen, also mal hören.
"Wir sind ein hübsche, sehr traditionelle Kleinstadt in Neuengland mit einer relativ kleinen, aber sehr malerischen Altstadt. Wir haben circa 11.000 Einwohner und beherbergen mit Dartmouth eine der zehn führenden Elite-Hochschulen der Vereinigten Staaten."
Nee, doch nicht. Mit einem Studentenanteil von 42 Prozent an der Bevölkerung erfüllt Hanover, New Hampshire, nur knapp die Anforderungen der Exzellenz-Initiative für die drei Universitäten Hannover-Braunschweig-Göttingen. Das muss besser gehen.
Irgendwas muss mit der Leitung nicht stimmen. Da, Hanover, Jamaika … Koalition.
"Wenn Herr Wulff nach Hanover kommt, werde ich ihm alle Bauwerke zeigen, die von den Deutschen errichtet wurden. Wir haben eine mehr als 100 Jahre alte historische Turmuhr. Die Uhr stammt aus Deutschland, deshalb befindet sich darüber auch eine deutsche Pickelhaube."
Deutsche Pickelhaube, aber nicht mal einen schrägen Aufzug wie im Neuen Rathaus am Maschsee. Vielleicht doch Südafrika?
"Wir in Hanover empfangen unsere Besucher mit offenen Armen. Normalerweise tanzen wir auch, wenn man uns rechtzeitig Bescheid gibt, aber die Begrüßung fällt auf jeden Fall sehr herzlich aus. Wenn Herr Wulff in Kazoo bei der schwarzen Community bleiben möchte, bin ich mir sicher, dass es ihm gefallen wird."
In der schwarzen Community lebt er doch schon! C-D-U! Außerdem, so ist zu hören, neigen die Imageberater von uns MP zu Neu-Hannover - kleine Insel im Nordosten von Papua-Neuguinea.
Ja, bitte. Herr Pilar, nicht ganz so bekannt, aber gut, war schon da … und findet nur gute Worte für das Eiland Neu-Hannover:
"Im Landesinneren der Insel ist dichter Urwald, und die Leute leben in spartanischen Bambushütten, in denen sie auf dem Fußboden schlafen, auf dem Holzfußboden und eigentlich kaum über Einrichtung oder solche Sachen verfügen, genauso wenig wie Toiletten oder ein Wasseranschluss oder solche Sachen."
Für den ehemaligen jungen Wilden Christian Wulff dürfte das eigentlich kein Problem sein. Telefon gibt es allerdings nicht auf der Insel. Schlecht für Lagebesprechungen mit den Freuden aus dem Andenpakt.
Das Schlachtfeld des Arminus – ein Gang über die Scholle
Von Hans-Peter Fischer
Wir bewegen uns weiter auf historischem Boden, also Tatsachen. Und da wissen wir, dass Niedersachsen halt echte Siegertypen sind wie der …, na Sie wissen schon. Und da wundert es wenig, dass bundesweit rund 700 Orte sich in niedersächsischem Ruhm sonnen wollen. Sie rufen Arminus, träumen von längst erledigte Schlachten, haben sich eingebimst: Varusschlacht. Nur, leider, Kalkriese, ein Ort, der Kalkriese heißt, kann nur in Niedersachsen liegen. Teuteburger Wald. So 9 vor unserer Zeitrechnung. Wir haben die Scholle aufgesucht.
Wo vor rund 2000 Jahren unter Arminius vereinte Germanenstämme ihr Land von den Römern befreiten, verläuft heute eine Bundesstraße. Die Landschaft verbirgt dem Fahrer das Aufmarschgebiet einer ganzen Armee.
Erst aus der Vogelperspektive und vom Museumsturm aus nimmt der antike Kampfplatz erste Konturen an. Eine Parklandschaft aus Wald und Wiesen hat sich über den Schlachtenplatz gelegt. Ganz anders vor 2000 Jahren. Joseph Rottmann, Geschäftsleiter des Museum und Park Varusschlacht.
"Das war hier ein sehr unwirtliches Gebiet gewesen, der Boden war nicht eben, Bachläufe gingen vom Kalkrieser Berg nach unten in das große Moor, was sich nördlich anschloss und diese Topografie hat Arminius genutzt, um die Römer in einen Hinterhalt zu lotsen..."
Arminius lockt General Varus in einen Engpass: Zur einen Seite das Moor, zur anderen der Wald und ein von den Germanen aufgeschütteter Befestigungswall. Dazwischen ein schmaler Streifen fester Boden. Die Legionäre sitzen in der Falle, berichtet der römische Geschichtsschreiber Cassius Dio.
"Inzwischen kam auch ein starker Regen und Sturm auf, und der Boden, schlüpfrig geworden, machte jeden Schritt höchst unsicher. Mit solchen Schwierigkeiten hatten die Römer zu kämpfen, als die Barbaren gerade durch die ärgsten Dickichte drangen."
Die Germanen nutzen das Gelände: Der Heertross der Römer zieht sich an dem Engpass über Kilometer auseinander. Die Legionäre können nicht ihre gefürchteten Schlachtformationen entfalten, der Raum fehlt. Und sie kämpfen gegen einen unsichtbaren Feind: Die Germanen stoßen aus den Wäldern hervor, greifen kleine Römergruppen an und verschwinden wieder im Dickicht.
"So konnten die Barbaren ihre Gegner leichter umzingeln und niedermachen. Varus und die übrigen hohen Offiziere erfasste darüber Angst und das ließ sie eine zwar schreckliche, aber notwendige Tat wagen: sie begingen Selbstmord."
Geschichtsschreiber Cassius Dio berichtet: 10 bis 20.000 Römer kommen in der viertägigen Schlacht ums Leben. Die siegreichen Germanen greifen sich alles, was brauchbar ist. Dann legen Jahrhunderte neue Erdschichten über das Schlachtfeld und die wenigen Habseligkeiten der Römer.
Mit Metalldetektoren und Grabungsschaufeln förderten Archäologen in Kalkriese bislang über 6000 Fundstücke zu Tage – Münzen, Rüstungsteile, Weinsiebe. Egal, Skeptiker tippen weiter auf andere Orte - von Achterhoek in den Niederlanden bis Halberstadt am Harz. Museumsleiter Joseph Rottmann schüttelt den Kopf.
"Wir sind ja gern bereit, mit weiteren Standorten eine Diskussion zu führen, aber die kann ja erst dann auf Augenhöhe geführt werden, wenn ein zweiter Standort in Deutschland überhaupt diese archäologischen Ergebnisse vorlegen kann, aber bislang ist niemand da, der Entsprechendes zu bieten hat."
Hoch-Grommolo – ein parlierendes Zwischenspiel
Von Ute Möhle
Verabscheuen Sie auch diese Rechtschreibreform? Geübte Grommoloianer lehnen sich zurück, lächeln und winken gelassen ab. Die können uns mal … und da haben sie Recht. Sie beherrschen eine Sprache, die sich dem Zugriff von Wortklempnern entzieht, denn diese Sprache namens Hoch-Grommolo wird emotional gelernt und gesprochen. Also so wie auch Kinder Deutsch lernen bevor sie zur Schule … aber lassen wir das. Wir richten lieber unseren Blick nach Hannover und pressen unser geneigtes Ohr an den Lautsprecher daheim … und lauschen dem Hoch-Grommolo.
Phonetiker aus aller Welt sind immer wieder aufs Neue erstaunt, wie klar und formvollendet der Hannoveraner das Hoch-Grommolo parliert.
Fingerübung der leichten Art, schlichter Zungenschlag des Hoch-Grommolo. Wenige beherrschen es, viele wollen es können. Die Freunde des Grommolo klopfen an der Tür an von
"ohhhh"
Wwas bekanntlich soviel heißt wie TUT, also - Übersetzung für Grommolo-Unkundige - Schule für Clown, Tanz und Theater. Am Anfang steht die Bla-Lektion. Nicht die blabla-Lektion, die das gemeine Volk täglich in den Medien und am Stammtisch verfolgt, sondern die gekonnte, geschliffene Variante desselben. Dieter Bartels, führende Grommolo-Zunge am TUT:
"bla blab blab baalblbaaa"
Blabla, gewöhnlich nur so dahingesagt, hier mit einem Sinn versehen, hat natürlich auch eine Grammatik. So mancher Anfänger scheitert am Hoch-Grommolo-Genitiv, nur die Geübten können die grommolonischen Verben korrekt konjugieren. Indes: wie man "Grommolo" grammatisch richtig schreibt, dies ist bis heute noch nicht so ganz geklärt.
"Das ist uns auch relativ egal."
Uns aber nicht! Egal, weiter. Der wichtigste Baustein der Grommolo-Sprache ist bekanntlich das "Endlos-Variations-Prinzip". Selbiges lässt sich trefflich am Beispiel "Guten Tag" erläutern. Mal heißt es
"heischahaha"
dann auch mal wieder
"ohhschibidasaja"
gelegentlich aber auch
"hossehskibbedasaja"
Letzteres kann aber auch heißen: "Christian Wulff hat Urlaub" oder "Ich hätte gerne fünf Lüttje Lagen, bitte." Was auch immer dies nun wieder heißen mag.
"Es ist grad so, wie es im Augenblick kommt."
Die emotionale Begeisterung für das Hoch-Grommolo ist weltweit zu registrieren, also zu hören. Einer ihrer bekanntesten Sprecher war Alt-Meister Chaplin. Er beherrschte es geradezu perfekt, erteilte uns allen eine Hoch-Grommolo-Lektion als Hinkel in "Der große Diktator".
"Er hat ja den Hinkel, diese Hitleradaption, die hat er ‚schrabretzka, reppen’ reden lassen. Und das kann man sehr schön lernen, wenn man sehr eckige, zackige Bewegungen mit Händen, Armen, mit dem ganzen Körper macht."
Der Konsonanten-Reichtum des Hoch-Grommolo lässt jeden Grönländer und Waliser vor Neid erblassen. Und, also: Hannover ist nicht nur Hochburg des Hochdeutschen, sondern auch sprachkulturelle Wiege des Hoch-Grommolo, der Sprache der Clowns. Wir erinnern uns. Und wer gut aufgepasst hat, schüttelt den Namen der Stadt an der Leine lässig aus den weiten Ärmeln des Grommolo.
"hoischebaihaschihaboa"
Alles für die Ratte – eine Rechnung aus Hameln
Von Wilhelm Purk
Ob er gut oder nur leidlich die Flöte spielte, dies wissen wir so genau nicht. Wie auch immer seine Fingerfertigkeit war, der Stadt gereichte es zum Nutzen. Erst verschwanden die Ratten, dann tauchten die Touristen auf. Und schreiten sie in Hameln ein, da mag sich mancher verwundert die Augen reiben. Eine rattenfreie Zone wollte er endlich mal sehen, doch überall sitzen besagte Nager. Ja, Hameln hofiert die Ratten, der Stadt geht es rattig gut. In einer Gegend, über der – wie wir lasen – "ein Hauch Dornröschen" liegt. Nun, wir wecken Dornröschen kurzzeitig auf und schauen dem Treiben der Rattenfänger zu.
Was hatten es die Ratten doch gut in Hameln - vor mehr als 700 Jahren. Ein bunt gekleideter Pfeifer begleitete sie damals auf ihrem letzten Gang.
Es war einmal. Heutzutage reichen Giftköder.
"Ich sage mal: Müsli-Riegel für Ratten."
Für Stadtsprecher Thomas Wahmes gibt es kein Rattenproblem in Hameln, jedenfalls nicht das, obwohl: Die Nager sind allgegenwärtig. Eine Rattenspur auf dem Pflaster führt zu den Sehenswürdigkeiten, in den Bäckereien gibt es Brotratten zu kaufen, "Flambierte Rattenschwänze" steht auf der Speisekarte eines Restaurants. Und natürlich hat auch der belgische Pralinenladen etwas rattiges:
"Lakritzratten mit Anis und Süßholzwurzelsaft."
Und wer das Süße nicht mag, der Teeladen gleich um die Ecke bietet eine Sondermischung an: den Rattenköder-Tee:
"Der Hamelner Rattenköder ist eine ganz besondere Spezialität, hat die Geschmacksrichtung Mango–Zitrone."
In den Kneipen der Stadt gibt es Rattenblut-Schnaps zu trinken und wem der zu lieblich ist, der greife doch am Besten zum 50%-igen - zum Rattenkiller:
"Aah. Lecker schmeckt er, der räumt den Magen auf. Da bleibt keine Ratte heile."
In der Touristinformation türmen sich die Mitbringsel mit Ratten-Logo: Ratten-Schlipse, Ratten-Becher und Ratten-T-Shirts. Und Sonntag ist Rattentag, immer sonntags geht in der Altstadt das Rattenfängerfreilichtspiel über die Bühne. Und für junge Leute gibt es – natürlich - die rockige Variante der Geschichte – das Musicals "Rats"
Lied: "Hameln, oh Hameln, vor nicht langer Zeit / warst du die schönste Stadt weit und breit / jetzt aber stinkst du aus allen Poren / und bist seither der Ratte verloren …"
Bei so viel Ratterei reicht in Hameln ein Rattenfänger nicht aus. Gleich fünf Darsteller hat die Stadt unter Vertrag. Wenn alle fünf mit Touristen in der Stadt unterwegs sind, kann es passieren, dass sie sich über den Weg laufen. Einer von Ihnen ist Michael Boyer:
"Wir brauchen die Kapazitäten und so viel Darsteller."
Hameln weiß, was es den Ratten verdankt, was es am Rattenfänger hat. Der ist in Japan bekannter als Berlin. Und deshalb darf der Hamelner Pfeifer auch auf die Werbeplakate, die in Japan für Deutschland werben:
"Wenn Bilder von Deutschland, dann muss der Reichstag, Neuschwanstein und der Rattenfänger drauf sein."
Drei Millionen Tagestouristen pro Jahr kommen in die Rattenfängerstadt. Nicht nur wegen, aber vor allem – sie ahnen es – wegen der Ratten und des bekannten Fängers.
Von Irving Wolther
Christian Wulff gilt als einer der beliebtesten Politiker in Deutschland, wenn nicht sogar in Niedersachsen. Allerdings leidet das Image des MP unter einem kleinen Schönheitsfehler: er residiert in Hannover. PR-Strategen fordern daher: MP Wulff braucht ein sympathischeres Hannover. Wir haben uns schon mal umgehört und nach einem neuen Quartier Ausschau gehalten.
60 Jahre war sie den Niedersachsen gut genug – jetzt droht die Abschiebung. Der wenig kribbelnde Ruf der Landeshauptstadt soll den bundespolitischen Ambitionen von Ministerpräsident Christian Wulff nicht mehr länger im Weg stehen. Eine Expertenkommission sucht fieberhaft nach Neu-Hannover, also einer echten Metropole.
Ein Hannover in der Provinz, 116 Hannover weltweit. Vielleicht das hier? Mal sehen, also mal hören.
"Wir sind ein hübsche, sehr traditionelle Kleinstadt in Neuengland mit einer relativ kleinen, aber sehr malerischen Altstadt. Wir haben circa 11.000 Einwohner und beherbergen mit Dartmouth eine der zehn führenden Elite-Hochschulen der Vereinigten Staaten."
Nee, doch nicht. Mit einem Studentenanteil von 42 Prozent an der Bevölkerung erfüllt Hanover, New Hampshire, nur knapp die Anforderungen der Exzellenz-Initiative für die drei Universitäten Hannover-Braunschweig-Göttingen. Das muss besser gehen.
Irgendwas muss mit der Leitung nicht stimmen. Da, Hanover, Jamaika … Koalition.
"Wenn Herr Wulff nach Hanover kommt, werde ich ihm alle Bauwerke zeigen, die von den Deutschen errichtet wurden. Wir haben eine mehr als 100 Jahre alte historische Turmuhr. Die Uhr stammt aus Deutschland, deshalb befindet sich darüber auch eine deutsche Pickelhaube."
Deutsche Pickelhaube, aber nicht mal einen schrägen Aufzug wie im Neuen Rathaus am Maschsee. Vielleicht doch Südafrika?
"Wir in Hanover empfangen unsere Besucher mit offenen Armen. Normalerweise tanzen wir auch, wenn man uns rechtzeitig Bescheid gibt, aber die Begrüßung fällt auf jeden Fall sehr herzlich aus. Wenn Herr Wulff in Kazoo bei der schwarzen Community bleiben möchte, bin ich mir sicher, dass es ihm gefallen wird."
In der schwarzen Community lebt er doch schon! C-D-U! Außerdem, so ist zu hören, neigen die Imageberater von uns MP zu Neu-Hannover - kleine Insel im Nordosten von Papua-Neuguinea.
Ja, bitte. Herr Pilar, nicht ganz so bekannt, aber gut, war schon da … und findet nur gute Worte für das Eiland Neu-Hannover:
"Im Landesinneren der Insel ist dichter Urwald, und die Leute leben in spartanischen Bambushütten, in denen sie auf dem Fußboden schlafen, auf dem Holzfußboden und eigentlich kaum über Einrichtung oder solche Sachen verfügen, genauso wenig wie Toiletten oder ein Wasseranschluss oder solche Sachen."
Für den ehemaligen jungen Wilden Christian Wulff dürfte das eigentlich kein Problem sein. Telefon gibt es allerdings nicht auf der Insel. Schlecht für Lagebesprechungen mit den Freuden aus dem Andenpakt.
Das Schlachtfeld des Arminus – ein Gang über die Scholle
Von Hans-Peter Fischer
Wir bewegen uns weiter auf historischem Boden, also Tatsachen. Und da wissen wir, dass Niedersachsen halt echte Siegertypen sind wie der …, na Sie wissen schon. Und da wundert es wenig, dass bundesweit rund 700 Orte sich in niedersächsischem Ruhm sonnen wollen. Sie rufen Arminus, träumen von längst erledigte Schlachten, haben sich eingebimst: Varusschlacht. Nur, leider, Kalkriese, ein Ort, der Kalkriese heißt, kann nur in Niedersachsen liegen. Teuteburger Wald. So 9 vor unserer Zeitrechnung. Wir haben die Scholle aufgesucht.
Wo vor rund 2000 Jahren unter Arminius vereinte Germanenstämme ihr Land von den Römern befreiten, verläuft heute eine Bundesstraße. Die Landschaft verbirgt dem Fahrer das Aufmarschgebiet einer ganzen Armee.
Erst aus der Vogelperspektive und vom Museumsturm aus nimmt der antike Kampfplatz erste Konturen an. Eine Parklandschaft aus Wald und Wiesen hat sich über den Schlachtenplatz gelegt. Ganz anders vor 2000 Jahren. Joseph Rottmann, Geschäftsleiter des Museum und Park Varusschlacht.
"Das war hier ein sehr unwirtliches Gebiet gewesen, der Boden war nicht eben, Bachläufe gingen vom Kalkrieser Berg nach unten in das große Moor, was sich nördlich anschloss und diese Topografie hat Arminius genutzt, um die Römer in einen Hinterhalt zu lotsen..."
Arminius lockt General Varus in einen Engpass: Zur einen Seite das Moor, zur anderen der Wald und ein von den Germanen aufgeschütteter Befestigungswall. Dazwischen ein schmaler Streifen fester Boden. Die Legionäre sitzen in der Falle, berichtet der römische Geschichtsschreiber Cassius Dio.
"Inzwischen kam auch ein starker Regen und Sturm auf, und der Boden, schlüpfrig geworden, machte jeden Schritt höchst unsicher. Mit solchen Schwierigkeiten hatten die Römer zu kämpfen, als die Barbaren gerade durch die ärgsten Dickichte drangen."
Die Germanen nutzen das Gelände: Der Heertross der Römer zieht sich an dem Engpass über Kilometer auseinander. Die Legionäre können nicht ihre gefürchteten Schlachtformationen entfalten, der Raum fehlt. Und sie kämpfen gegen einen unsichtbaren Feind: Die Germanen stoßen aus den Wäldern hervor, greifen kleine Römergruppen an und verschwinden wieder im Dickicht.
"So konnten die Barbaren ihre Gegner leichter umzingeln und niedermachen. Varus und die übrigen hohen Offiziere erfasste darüber Angst und das ließ sie eine zwar schreckliche, aber notwendige Tat wagen: sie begingen Selbstmord."
Geschichtsschreiber Cassius Dio berichtet: 10 bis 20.000 Römer kommen in der viertägigen Schlacht ums Leben. Die siegreichen Germanen greifen sich alles, was brauchbar ist. Dann legen Jahrhunderte neue Erdschichten über das Schlachtfeld und die wenigen Habseligkeiten der Römer.
Mit Metalldetektoren und Grabungsschaufeln förderten Archäologen in Kalkriese bislang über 6000 Fundstücke zu Tage – Münzen, Rüstungsteile, Weinsiebe. Egal, Skeptiker tippen weiter auf andere Orte - von Achterhoek in den Niederlanden bis Halberstadt am Harz. Museumsleiter Joseph Rottmann schüttelt den Kopf.
"Wir sind ja gern bereit, mit weiteren Standorten eine Diskussion zu führen, aber die kann ja erst dann auf Augenhöhe geführt werden, wenn ein zweiter Standort in Deutschland überhaupt diese archäologischen Ergebnisse vorlegen kann, aber bislang ist niemand da, der Entsprechendes zu bieten hat."
Hoch-Grommolo – ein parlierendes Zwischenspiel
Von Ute Möhle
Verabscheuen Sie auch diese Rechtschreibreform? Geübte Grommoloianer lehnen sich zurück, lächeln und winken gelassen ab. Die können uns mal … und da haben sie Recht. Sie beherrschen eine Sprache, die sich dem Zugriff von Wortklempnern entzieht, denn diese Sprache namens Hoch-Grommolo wird emotional gelernt und gesprochen. Also so wie auch Kinder Deutsch lernen bevor sie zur Schule … aber lassen wir das. Wir richten lieber unseren Blick nach Hannover und pressen unser geneigtes Ohr an den Lautsprecher daheim … und lauschen dem Hoch-Grommolo.
Phonetiker aus aller Welt sind immer wieder aufs Neue erstaunt, wie klar und formvollendet der Hannoveraner das Hoch-Grommolo parliert.
Fingerübung der leichten Art, schlichter Zungenschlag des Hoch-Grommolo. Wenige beherrschen es, viele wollen es können. Die Freunde des Grommolo klopfen an der Tür an von
"ohhhh"
Wwas bekanntlich soviel heißt wie TUT, also - Übersetzung für Grommolo-Unkundige - Schule für Clown, Tanz und Theater. Am Anfang steht die Bla-Lektion. Nicht die blabla-Lektion, die das gemeine Volk täglich in den Medien und am Stammtisch verfolgt, sondern die gekonnte, geschliffene Variante desselben. Dieter Bartels, führende Grommolo-Zunge am TUT:
"bla blab blab baalblbaaa"
Blabla, gewöhnlich nur so dahingesagt, hier mit einem Sinn versehen, hat natürlich auch eine Grammatik. So mancher Anfänger scheitert am Hoch-Grommolo-Genitiv, nur die Geübten können die grommolonischen Verben korrekt konjugieren. Indes: wie man "Grommolo" grammatisch richtig schreibt, dies ist bis heute noch nicht so ganz geklärt.
"Das ist uns auch relativ egal."
Uns aber nicht! Egal, weiter. Der wichtigste Baustein der Grommolo-Sprache ist bekanntlich das "Endlos-Variations-Prinzip". Selbiges lässt sich trefflich am Beispiel "Guten Tag" erläutern. Mal heißt es
"heischahaha"
dann auch mal wieder
"ohhschibidasaja"
gelegentlich aber auch
"hossehskibbedasaja"
Letzteres kann aber auch heißen: "Christian Wulff hat Urlaub" oder "Ich hätte gerne fünf Lüttje Lagen, bitte." Was auch immer dies nun wieder heißen mag.
"Es ist grad so, wie es im Augenblick kommt."
Die emotionale Begeisterung für das Hoch-Grommolo ist weltweit zu registrieren, also zu hören. Einer ihrer bekanntesten Sprecher war Alt-Meister Chaplin. Er beherrschte es geradezu perfekt, erteilte uns allen eine Hoch-Grommolo-Lektion als Hinkel in "Der große Diktator".
"Er hat ja den Hinkel, diese Hitleradaption, die hat er ‚schrabretzka, reppen’ reden lassen. Und das kann man sehr schön lernen, wenn man sehr eckige, zackige Bewegungen mit Händen, Armen, mit dem ganzen Körper macht."
Der Konsonanten-Reichtum des Hoch-Grommolo lässt jeden Grönländer und Waliser vor Neid erblassen. Und, also: Hannover ist nicht nur Hochburg des Hochdeutschen, sondern auch sprachkulturelle Wiege des Hoch-Grommolo, der Sprache der Clowns. Wir erinnern uns. Und wer gut aufgepasst hat, schüttelt den Namen der Stadt an der Leine lässig aus den weiten Ärmeln des Grommolo.
"hoischebaihaschihaboa"
Alles für die Ratte – eine Rechnung aus Hameln
Von Wilhelm Purk
Ob er gut oder nur leidlich die Flöte spielte, dies wissen wir so genau nicht. Wie auch immer seine Fingerfertigkeit war, der Stadt gereichte es zum Nutzen. Erst verschwanden die Ratten, dann tauchten die Touristen auf. Und schreiten sie in Hameln ein, da mag sich mancher verwundert die Augen reiben. Eine rattenfreie Zone wollte er endlich mal sehen, doch überall sitzen besagte Nager. Ja, Hameln hofiert die Ratten, der Stadt geht es rattig gut. In einer Gegend, über der – wie wir lasen – "ein Hauch Dornröschen" liegt. Nun, wir wecken Dornröschen kurzzeitig auf und schauen dem Treiben der Rattenfänger zu.
Was hatten es die Ratten doch gut in Hameln - vor mehr als 700 Jahren. Ein bunt gekleideter Pfeifer begleitete sie damals auf ihrem letzten Gang.
Es war einmal. Heutzutage reichen Giftköder.
"Ich sage mal: Müsli-Riegel für Ratten."
Für Stadtsprecher Thomas Wahmes gibt es kein Rattenproblem in Hameln, jedenfalls nicht das, obwohl: Die Nager sind allgegenwärtig. Eine Rattenspur auf dem Pflaster führt zu den Sehenswürdigkeiten, in den Bäckereien gibt es Brotratten zu kaufen, "Flambierte Rattenschwänze" steht auf der Speisekarte eines Restaurants. Und natürlich hat auch der belgische Pralinenladen etwas rattiges:
"Lakritzratten mit Anis und Süßholzwurzelsaft."
Und wer das Süße nicht mag, der Teeladen gleich um die Ecke bietet eine Sondermischung an: den Rattenköder-Tee:
"Der Hamelner Rattenköder ist eine ganz besondere Spezialität, hat die Geschmacksrichtung Mango–Zitrone."
In den Kneipen der Stadt gibt es Rattenblut-Schnaps zu trinken und wem der zu lieblich ist, der greife doch am Besten zum 50%-igen - zum Rattenkiller:
"Aah. Lecker schmeckt er, der räumt den Magen auf. Da bleibt keine Ratte heile."
In der Touristinformation türmen sich die Mitbringsel mit Ratten-Logo: Ratten-Schlipse, Ratten-Becher und Ratten-T-Shirts. Und Sonntag ist Rattentag, immer sonntags geht in der Altstadt das Rattenfängerfreilichtspiel über die Bühne. Und für junge Leute gibt es – natürlich - die rockige Variante der Geschichte – das Musicals "Rats"
Lied: "Hameln, oh Hameln, vor nicht langer Zeit / warst du die schönste Stadt weit und breit / jetzt aber stinkst du aus allen Poren / und bist seither der Ratte verloren …"
Bei so viel Ratterei reicht in Hameln ein Rattenfänger nicht aus. Gleich fünf Darsteller hat die Stadt unter Vertrag. Wenn alle fünf mit Touristen in der Stadt unterwegs sind, kann es passieren, dass sie sich über den Weg laufen. Einer von Ihnen ist Michael Boyer:
"Wir brauchen die Kapazitäten und so viel Darsteller."
Hameln weiß, was es den Ratten verdankt, was es am Rattenfänger hat. Der ist in Japan bekannter als Berlin. Und deshalb darf der Hamelner Pfeifer auch auf die Werbeplakate, die in Japan für Deutschland werben:
"Wenn Bilder von Deutschland, dann muss der Reichstag, Neuschwanstein und der Rattenfänger drauf sein."
Drei Millionen Tagestouristen pro Jahr kommen in die Rattenfängerstadt. Nicht nur wegen, aber vor allem – sie ahnen es – wegen der Ratten und des bekannten Fängers.