Land-Klinik auf Nachwuchssuche

Von Manuel Hoffmann |
Viele Krankenhäuser in Deutschland haben Probleme, freie Arztstellen zu besetzen - vor allem auf dem Land. Im niederbayerischen Mallersdorf sollen angehende Mediziner nun über ein Stipendienprogramm an die dortige Klinik gebunden werden.
In ein paar Jahren wird das sein Weg zur Arbeit sein. Philipp Bieramperl steuert den Kleinwagen durch die Straßen von Mallersdorf, einer Gemeinde mit gut 6500 Einwohnern. Sein Ziel ist das Kreiskrankenhaus oben auf dem kleinen Hügel. Der 21-Jährige studiert im ersten Semester Medizin weit weg in Halle an der Saale, aber hier in Niederbayern ist er zu Hause. Gleich nach dem Abitur - Note 1,4 - war ihm klar: Aus ihm muss Doktor Philipp Bieramperl werden.

"Also ich find‘s reizvoll, weil es ein Beruf ist, wo man den Leuten direkt helfen kann. Ich wollte immer was machen, wo ich meine Kompetenz ausreizen kann, also bis zum Äußersten gehen kann und Medizin fordert die Person einfach und es ist genau das, was mich interessiert."

Noch wirkt Philipp eher wie ein Schüler als ein werdender Arzt: Jeans, Gel im kurzen Haar, den Rucksack lässig über die Schulter geschwungen läuft er aufs Krankenhaus zu, einen von außen tristen 70er-Jahre-Betonbau. Eigentlich kennt Philipp sich hier aus, hier hat er Zivildienst geleistet und ein Praktikum gemacht. Jetzt soll er sich beim Chefarzt der inneren Medizin melden. Aber wo steckt der?

"Wenn man des erste Mal hier ist, die ganzen Stationen zu suchen oder Sekretariate zu suchen – puh!"

160 Betten hat die Klinik. Nach dem Studium will Philipp hier drei Jahre als Assistenzarzt arbeiten. Dazu hat er sich vertraglich verpflichtet. Im Gegenzug gibt's schon während des Studiums jeden Monat 300 Euro und die Chance, erfahrenen Ärzten über die Schulter zu schauen.

Heute will sich Dr. Wollner ein bisschen Zeit für Philipp nehmen. Die Begrüßung auf dem Flur fällt knapp aus, Chefarzt Herbert Wollner ist im Stress.

"Haben Sie schon Zeit oder haben sie noch einen Patienten?"

"Ich bin mit meiner Zeit heute ein bisschen hinterher, weil das Krankenhaus über Nacht übergelaufen ist. Wir haben sehr viele Patienten und ich musste jetzt ein bisschen Platz schaffen, dass wir wieder Platz für neue haben."

Ärzte vor Ort besuchen, den Klinikalltag miterleben
Dann bittet Wollner Philipp kurz in sein Büro. Er setzt sich hinter den Schreibtisch: grünkariertes Hemd, weißer Kittel, rahmenlose Brille. Ein fröhlicher Typ Anfang 50, der mit leiser Stimme spricht. Und sich trotz voller Betten Zeit nimmt.

"Was haben Sie denn vor allem für Fälle hier - schwerpunktmäßig?"

"Jetzt heute Nacht drei Leute mit hypertensiven Krisen, also massiv erhöhten Blutdruckwerten…"

Das ist Teil des Klinikstipendiums - der Luxus, die Ärzte vor Ort besuchen zu können, Fragen zu stellen. Und Klinikalltag mitzuerleben.

"Jetzt ist schon jemand einbestellt, ein Patient, dem wir einen Schrittmacher eingebaut haben, da muss man jetzt die Schrittmacherkontrolle machen."

Im Zimmer schräg gegenüber hat die Schwester schon alles vorbereitet. Der Patient liegt auf dem Rücken, Elektroden kleben am nackten Oberkörper. Oberhalb der rechten Brust sieht man eine fingerlange Narbe, drunter arbeitet der Herzschrittmacher. Ein paar Wochen ist die OP her, dem 74-Jährigen geht es gut. Chefarzt Herbert Wollner wechselt ein paar Worte, Philipp steht gerade noch in Hörweite, hält Abstand. Noch ist er kein Arzt, darf nur zuschauen - und neugierig sein.

"Werden die bei uns selbst eingesetzt, die Herzschrittmacher?"

"Ja."

"Und mit den Defis, wie schaut‘s da aus?"

"Biventrikulär können wir nicht machen…."

Geduldig beantwortet der Arzt seinem Stipendiaten die Fragen.

"Jetzt schau ich mir hier das EKG und die Kurve an - er stimuliert. Da ist er weg. Ja? Da schaut‘s ganz anders aus."

Herbert Wollner hat das Klinikstipendium mit ins Leben gerufen. Er will junge Medizinstudenten an die Klinik binden, ihnen zeigen, dass High-Tech-Medizin auch auf dem Land Alltag ist. Und er weiß, dass gerade der Studienbeginn hart sein kann.

"Wenn ich an meine Studentenzeit zurückdenke, hat mich das die ersten vier Semester etwas frustriert, ich will eigentlich Medizin studieren und muss dann irgendwo biomedizinische Formeln bis zum Exzess lernen. Ich habe gedacht, ich bin im falschen Studium."

Noch ist Philipp hier keine große Hilfe. Er hat gerade das erste Semester hinter sich, aber er soll wissen, dass er als Stipendiat in der Klinik Mallersdorf gern gesehen ist.

Der Schrittmacher ist eingestellt. Jetzt folgt die Bürokratie. Während sich der Patient das EKG-Gel vom Oberkörper abwischt, diktiert der Arzt die Befunde. Medizinstudent Philipp zieht die Augenbrauen hoch, auch für ihn klingt das alles noch nach Kauderwelsch.

Der Termin mit Philipp hat heute vor allem einen Zweck. Wollner will ihm zeigen, wie schnell, wie belastbar er als Arzt sein muss. Und was selbst an einem kleinen Krankenhaus mit moderner Medizin alles möglich ist.

"Gute Leute sind selten und am Land auch selten. Wenn man die Leute nicht von Anfang an ans Haus bindet, sind die verloren und heutzutage bekommt man ansonsten die Assistenten über Headhunter oder viele große Ausschreibungen, was auch sehr viel Geld kostet. Kurzfristig werden wir nicht profitieren. Aber langfristig wird das Haus profitieren und die Region, wenn er bleibt."

Dann ist die knapp bemessene Zeit für den jungen Klinikstipendiaten um. Schon in ein paar Tagen aber kommt er wieder, hilft auf der chirurgischen Station aus. Betten schieben, Labortransporte und so was - als Ferienjob. Es kann ja nicht schaden, alle Wege im Kreiskrankenhaus Mallersdorf zu kennen. Dort, wo Phillip nach seinem Studium seine erste Stelle antreten wird.