Land der Ideen

Von Peter Zudeick |
"Deutschland - Land der Ideen" ist nun keineswegs, wie gerne kolportiert wird, ein Spruch des Bundespräsidenten. Zwar hat Horst Köhler in einer seiner Ideen sprühenden Reden auch den ungeheuer innovativen Satz gesagt, dass Deutschland als Land der Ideen die Zukunft meistern könne und müsse. Der Slogan aber kommt daher, wo Slogans herkommen: Von einer Werbeagentur. Und zur Idee wurde der Slogan da, wo Ideen herkommen: Am Biertisch.
An einem solchen saßen nämlich Jungs vom Kanzleramt, aus dem Innenministerium, von der Werbeagentur "Zum goldenen Hirschen" mit Regisseur und Kanzlerfreund Sönke Wortmann zusammen und dachten nach. Nämlich darüber, wie man das Fußball-Gedröhne zur Werbung für Deutschland als solches nutzen könne. Sprich für den Bundeskanzler.

"Deutschland, da geht was" hieß der kanzlerkonforme Arbeitstitel, Schröder war begeistert, und als das Projekt potentiellen Geldgebern vorgestellt wurde, hörte es auf den putzigen Namen "FC Deutschland 06". So ist das mit Deutschland-Ideen: Dümmer geht’s nimmer, denkt man, und dann geht es immer noch eine Schublade tiefer. Die Präsentation fiel mit Pauken und Trompeten durch, es wurde nachgebessert, die Agenturen Lowe und Scholz and Friends durften mitmischen, und siehe da: Scholz and Friends hatten noch eine Idee in der Schublade. "Land der Ideen", eine Kampagne fürs Auswärtige Amt, die nicht realisiert worden war.

Seither geht’s aufwärts mit Ideen-Deutschland. Überdimensionale Fußball-Stollen-Schuhe vor dem Reichstag, eine haushohe Gutenberg-Bibel vor dem Brandenburger Tor und weitere große deutsche Geistesleistungen sollen monumental in Styropor über ganz Deutschland verteilt werden. Auf dass der Fußballfan aus Feuerland auch wisse, wo er sei und mit wem er es zu tun habe. Leider hat bislang nicht funktioniert, was das Kanzleramt erhofft und die Opposition befürchtet hatte: Eine Idee zur Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme ist nicht im Angebot. Möglicherweise ist dafür auch die Perspektive etwas zu eng. Denn die Ideen dafür kommen bislang auch überwiegend von Werbefachleuten. Von Peter Hartz zum Beispiel. Aber nicht einmal dessen geniale Reduzierung ganzer Regierungsprogramme auf durchnumerierte Namen - Hatz I bis IV - hat ja bisher den gewünschten Erfolg gezeitigt.

Man müsste sich die Ideen von anderen holen. Ein bisschen Dänemark zum Beispiel, ein bisschen Niederlande, ein bisschen Großbritannien, auch ein bisschen USA vielleicht, was die rigorose Besteuerung von Aktiengewinnen betrifft. "Deutschland - Land des Ideenklaus" - dieser Slogan tät mir schon ganz gut gefallen, vor allem wenn er für den entsprechenden Inhalt stünde. Stattdessen sind die Ideen, die derzeit durch Deutschland geistern, eher von gestern, vorgestern, vorvorgestern. Weil’s in der Gegenwart nicht klappt, fantasiert man sich in schöne Vergangenheiten und Zukünfte. Die "Fantasy"-Literatur boomt mal wieder, alle Welt rennt in "Star Wars III" und flennt, dass damit der Krieg der Sterne nun endgültig vorbei sein soll. Pseudo-mittelalterliche Trivialliteratur feiert große Siege, und bei den Sachbüchern geht’s nicht anders zu. In der "Spiegel" - Bestseller-Liste ist Peter Hahne vom ZDF mit seinen zuckrigen Plattheiten unter dem Titel "Schluss mit lustig" ganz vorn, und die neueste Idee der Deutschen ist ein bemerkenswerter Rückfall in frömmelnde Erbauungsliteratur. Unter den ersten zwanzig Titeln der "Spiegel" - Liste taucht der neue Bischof von Rom gleich drei Mal auf. Joseph Ratzingers Autobiographie, seine "Einführung in das Christentum" und sein Grundlagenwerk "Glaube, Wahrheit, Toleranz". Wer geglaubt hatte, dass das Papst-Theater der vergangenen Wochen in erster Linie eine Medien-Show war, Big Brother für Messdiener sozusagen - der sieht sich wohl getäuscht.

Also nichts ist mit Ideen in Deutschland, nichts mit der Zukunft - die Zukunft gehört der Fantasy-Vergangenheit oder einem fantastischen Versprechen auf eine spirituelle Zukunft, auf das Leben nach dem Tod. Gab es da nicht mal den Slogan "Es gibt ein Leben vor dem Tod"? Augenscheinlich hat die Werbeagentur, die den verzapft hat, auch versäumt, für die entsprechenden Inhalte zu sorgen. Aber das ist ja auch nicht die Aufgabe von Werbeagenturen.

Dr. Peter Zudeick, langjähriger Korrespondent in Bonn und jetzt in Berlin, Buchveröffentlichungen u.a. "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Saba - Bilanz einer Aufgabe".