Lamya Kaddor über Körperverständnis im Islam

"Man soll das Leben schon genießen"

Porträt von Lamya Kaddor im Studio der ARD-Sendung "Anne Will"
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. © dpa / Karlheinz Schindler
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor im Gespräch mit Philipp Gessler · 26.04.2015
Der Islam proklamiere einen "Weg der Mitte", er lehne "das völlige Mönchtum" mit seiner Askese ab, sagt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Sinnliche Freuden würden durchaus positiv gesehen: "Also, ich komme nicht auf meine Kosten im Jenseitigen, wenn ich hier völlig verzichte und den Körper möglichst kurz halte."
Philipp Gessler: Am Dienstag dieser Woche fand in der Nähe des Gendarmenmarkts in der Hauptstadt in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften das zweite Berliner Religionsgespräch statt – organisiert von der Akademie, der Udo-Keller-Stiftung Forum Humanum, dem Verlag der Weltreligionen und Deutschlandradio Kultur.
Dieses Mal ging es um Leib und Leben, genauer die Buchreligionen, ihr Körperverständnis und die Menschenrechte, die manchmal davon betroffen sind, erinnert sei etwa an die Beschneidungsdebatte vor drei Jahren. Im Anschluss an diese Diskussion hatte ich die Möglichkeit, mit der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor über das Körperverständnis des Islam zu sprechen.
Das einmonatige Fasten während des Ramadan ist eine der fünf Säulen des Islam. Es ist also sehr wichtig. Meine erste Frage an Lamya Kaddor war, was diese lange, jährliche Askesepflicht über das Körperverständnis des Islam sagt.
Lamya Kaddor: Ja, das Fasten ist ja dafür da, um im Grunde genommen seine Seele zu reinigen. Also nicht nur tatsächlich den Körper zu reinigen, indem man sich wäscht, sondern die Seele zu reinigen, indem man eben entsagt, indem man verzichtet. Es gibt eine überlieferte Aussage des Propheten, der sagt, wenn ihr das Fasten brecht, dann sollt ihr euren Magen mit einem Drittel Wasser füllen, mit dem zweiten Drittel essen, also es mit Essen füllen, und das letzte Drittel bleibt leer, um so quasi schonend oder besonders effektiv zu fasten und zu entsagen. Also, der höhere Zweck des Fastens liegt in der spirituellen Reinigung.
Gessler: Der Koran schreibt ja es den Gläubigen vor, den Körper nicht zu schädigen. Gleichzeitig schreibt zumindest die traditionelle Auslegung der Scharia zum Teil schwere körperliche Strafen vor – das Bekannteste ist immer dieses Hand-Abhacken. Ist das eigentlich ein Widerspruch?
Kaddor: Wir bemessen ja hier göttliche Kategorien miteinander. Aus der Sicht Gottes vermutlich nicht, wenn wir Muslime das richtig verstanden haben sollten. Denn Gott sagt, ihr sollt den Körper unversehrt lassen, so wie ich euch erschaffen habe, aber genau diese Unversehrtheit, die, die ich euch geschenkt habe, kann ich euch natürlich auch wieder nehmen und euch auch dessen beschneiden. Das heißt, für den Moslem ist das erst mal deshalb auch kein Widerspruch, weil es göttliche Kategorien sind oder Bemessungsgrundlagen.
Gessler: Weil sozusagen Gott straft?
Kaddor: Genau. Weil Gott gibt und Gott auch wieder nehmen kann.
Gessler: Im Christentum findet man gerade bei Paulus ja eine gewisse Leibverachtung. Das scheint dem Islam ziemlich fremd zu sein.
Weg der Mitte
Kaddor: In der Tat. Also, das kennen wir nicht. Auch, wenn der Islam natürlich auch einen Schwerpunkt auf das jenseitige Leben hat, so kennt er einen weiteren Schwerpunkt, natürlich auf das Diesseitige. Man soll das Leben schon genießen. Man soll nicht in das völlige Mönchtum verfallen. Das gilt zwar nicht als verpönt, aber es ist nicht der Idealweg für uns Muslime, sondern der Islam proklamiert immer wieder den Weg der Mitte, sowohl im irdischen Leben – wobei man natürlich schauen muss, dass man gottgefällig lebt, was auch immer dann eben gottgefällig, oder wie das verstanden wird, um eben dann später im jenseitigen Leben auch auf seine Kosten sozusagen zu kommen. Also, ich komme nicht auf meine Kosten im Jenseitigen, wenn ich hier völlig verzichte und den Körper möglichst kurz halte. Ganz im Gegenteil. Sinnliche Freuden oder auch körperlicher Einsatz, wie auch immer wir das verstehen wollen, werden im Islam eigentlich relativ stark bejaht und positiv hervorgehoben.
Gessler: Sie haben es angesprochen heute bei der Diskussion, die Ewigkeitsvorstellungen sind im Islam, was das Paradies angeht, aber auch zum Teil, was die Hölle angeht, aber vor allem, was das Paradies angeht, doch sehr körperlich. Körperliche Genüsse werden geschildert. Was sagt uns das über das Körperverständnis des Islam?
Kaddor: Ich glaube, es sagt uns vor allen Dingen etwas über das Körperverständnis vor 1400 Jahren, weniger über das Körperverständnis des Islams. Ich glaube, der Mensch vor 1400 Jahren, der viel damit zu tun hatte, sich landwirtschaftlich zu betätigen, also gerade in einer sehr wüstenartigen Umgebung, wo der Körper natürlich noch einmal eine andere Belastung erfährt, als wir sie heute zum Teil kennen – ich glaube, um Dinge zu verdeutlichen – welches Mittel soll Gott wählen, um Dinge zu verdeutlichen, wenn nicht über die Körperlichkeit, die wahrscheinlich für Menschen der damaligen Zeit noch am besten nachvollziehbar gewesen wären.
Das waren ja alles keine Philosophen, um sie quasi intellektuell beflügeln oder spirituell beflügeln zu können, sondern er musste – oder ich denke, Gott wird sicherlich gewusst haben, wie er das machen wird – die Menschen seiner Zeit ansprechen, und ich glaube, das ging am besten über Körperlichkeit, über körperliches Empfinden.
Gessler: Der Koran verbietet ja, sich das Leben zu nehmen. Gleichzeitig tun das genau diese dschihadistischen Suizid-Attentäter. Wie umgehen die dieses klare Gebot des Koran, sich eben nicht das Leben zu nehmen?
Kaddor: Indem sie zum einen den Dschihad-Begriff ein Stück weit pervertieren. Der Mainstream-Islam hat eigentlich anerkannt oder hat es so herausgearbeitet, dass der Dschihad als Verteidigungskampf, in erster Linie zumindest als Verteidigungskampf zu sehen ist. Wobei man nicht unter den Scheffel stellen will, dass es nicht auch Initiativkämpfe seitens irgendwelcher Muslime gegeben haben könnte, aber primär wurde der eigentlich als Verteidigungskampf gesehen. Das heißt, das pervertieren die, dieses Verständnis, von Verteidigung ist eigentlich keine Rede. Aber sie sagen dennoch, wir verteidigen uns hier indirekt schon gegen einen westlichen nichtmuslimischen Aggressor, den wir zwar nicht direkt am Leibe zu spüren bekommen, aber indirekt schon, und deshalb können wir uns ja verteidigen. Also, das kann man auch schon so geradebiegen.
Das tun sie tatsächlich, in ihrer Propaganda wird das eben genau so geschildert. Und indem sie dann sagen, ja, wenn ich durch den Westen oder den vermeintlichen Ungläubigen, wie auch immer man das betitelt will, man findet da viele Worte, wenn ich angegriffen werde, darf ich mich verteidigen, vor allem zum Wohle des Islams, von uns Muslime. Weil wir als Muslime angegriffen werden. Ich werde nicht als Türke oder als Araber angegriffen, sondern weil ich Muslim bin. In der westlichen Welt – Islamfeindlichkeit wird ja als der Hauptgrund sozusagen eines Angriffskampfes, wenn man so will, eines Angriffs seitens des Westens gewertet und auch so dargestellt, also kann man sich verteidigen. So würden sie das ableiten. Und damit umgehen sie natürlich das koranische Gebot, dass jeder Mensch, der einen anderen Menschen tötet, damit die ganze Menschheit getötet hätte.
Gessler: Und das legitimiert dann auch tatsächlich die Selbsttötung, die Zerstörung des eigenen Körpers, was ja eigentlich verboten ist?
Eine Form der legitimen Verteidigung
Kaddor: Sie legitimieren sich natürlich selber dadurch. Inzwischen funktioniert der sogenannte Islamische Staat ja schon als Staat mit einem bestimmten Führungsanspruch des sogenannten selbsternannten Kalifen, der denen tatsächlich sagt, auch religiös oder theologisch argumentiert und sagt, ihr dürft euch natürlich umbringen. Denn, wenn du angegriffen wirst, weil du Muslim bist, also dein Glaube irgendwie angegriffen ist, darfst du dich verteidigen, und das ist eine Form der legitimen Verteidigung. Wenn du beim Kampf stirbst, dann giltst du als Märtyrer. Das ist gottgefällig.
Gessler: Im Wahhabismus, dem man ja vor allem in Saudi-Arabien in der einigermaßen reinen Form erleben kann, ist der Körper der Frau in der Öffentlichkeit fast völlig verhüllt. Was sagt das über das Körperverständnis, was ihre Frauen angeht, über die saudischen Männer?
Kaddor: Ja, da hat sich tatsächlich auch sehr viel, über die Jahrhunderte hinweg, sehr viel Volksfrömmigkeit auch ein Stück weit mit Religion vermischt. Das ist ja nicht der reine Glaube des Islams, den der wahhabitische Islam vertritt, ganz im Gegenteil. Er markiert ja die Frau als zum Teil unreines oder zumindest minderwertiges Wesen, was sie laut Koran ja gar nicht ist, ganz im Gegenteil, da ist sie gleichwertig.
Deshalb können sich auch viele Muslime übrigens nicht mit dem Wahhabismus anfreunden. Aber natürlich, von den Frauen geht aus ihrer Vorstellung heraus, von der Frau geht Fitna hervor, also sie ist ein Grund für ein Zerwürfnis oder für Zwiespalt. Und beim Anblick einer schleierlosen Frau würde man dieser Fitna erliegen, da würde dann quasi Chaos ausbrechen. Also, das ist so im Grunde genommen das, was an Idee dahintersteckt.
Aus meiner Sicht ist das, ich will nicht sagen, ein Schandfleck, so zu denken oder das so islamisch ableiten zu wollen. Ich kann mich damit nicht anfreunden, überhaupt nicht, ich sehe darin auch nichts Islamisches, um ehrlich zu sein. Eher ganz im Gegenteil, das typische patriarchalische Bild durchgesetzt, was islamisch legitimiert werden will. Und dass Theologen vor Ort das so mitmachen, das erzürnt mich umso mehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema