Lammert spricht sich für fünfjährige Legislaturperiode aus
Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, hat sich für eine Verlängerung der Legislaturperiode im Deutschen Bundestag von vier auf fünf Jahre ausgesprochen. Die vierjährige Legislaturperiode sei im internationalen Vergleich zur Ausnahme geworden, auch die meisten Landtage hätten eine fünfjährige Regierungszeit, betonte er. Eine Zusammenlegung aller Landtagswahlen auf einen gemeinsamen Termin lehnte er hingegen ab.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, wenn im Zusammenhang mit Ex-Kanzler Schröders neuem Job als Aufsichtsratschef des Firmenkonsortium, das die Gas-Pipeline durch die Ostsee baut, der Verdacht der Korruption erhoben wird, bevor noch die Details alle klar sind, ist dies nicht dann auch ein Beitrag dazu, die Politik insgesamt in Misskredit zu bringen?
Lammert: Jede Übertreibung, in welchem Zusammenhang auch immer, beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit der jeweils Diskutierenden oder der jeweils in Auseinandersetzung Befindlichen. Ich habe mich in den vielen Jahren meiner Mitgliedschaft zum Deutschen Bundestag, meist mit Erfolg, darum bemüht, genau solche unnötigen Zuspitzungen zu vermeiden. An dem konkreten Beispiel wird deutlich, dass man als Bundestagspräsident allen Erwartungen gleichzeitig gar nicht gerecht werden kann. Es gibt nämlich zugleich die strenge Erwartung, dass, wegen der besonderen Bedeutung für die politische Kultur eines Landes, dazu doch etwas gesagt werden müsse und gleichzeitig die ebenso strenge Erwartung, dass eine solche Äußerung aber möglichst so unkenntlich sein müsse, dass sie über jeden denkbaren Anwurf erhaben sei.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns den Blick ins Ausland werfen. Es gibt ja auf EU-Ebene mittlerweile so was wie, nennen wir es 'Abkühlzeiten für ehemalige EU-Kommissare', bevor sie Posten in der Wirtschaft übernehmen. Es gibt in Frankreich so genannte Karenzzeiten und es gibt in den USA sogar die Verpflichtung, dass sich jemand, der in einem bestimmten Politikfeld gearbeitet hat, lebenslang nicht in Wirtschaftsbereichen tummeln darf, die er als Politiker zu verantworten hatte. Gibt es denn vielleicht nicht guten Grund, sich da ein Vorbild zu nehmen an dem Einen oder Anderen, um bestimmte Diskussionen nicht mehr haben zu müssen? Dann müssten Sie uns dazu auch keine Interviews mehr geben.
Lammert: Die letzte fröhliche Vermutung ist durch die Wirklichkeit hinreichend oft widerlegt. Wir haben, was den Deutschen Bundestag angeht, Verhaltensregeln. Wir haben sie regelmäßig verändert, weil es Anlässe gab, die ganz offenkundig durch die bestehenden Verhaltensregeln nicht erfasst waren. Die Exegese übrigens, der dann jeweils beschlossenen Veränderungen belegt, dass diese beschlossenen Veränderungen meist nur noch einen entfernten Zusammenhang zu dem jeweiligen Anlass hatten. Etwas salopp formuliert: Aktionismus aber nicht unbedingt Problemlösung war. Ich stehe auch aus diesem Grunde – wie ja weit vor meiner Wahl zum Bundestagspräsidenten öffentlich in Debatten des Deutschen Bundestages vorgetragen – dem Ergeiz der Formalisierung solcher Zusammenhänge eher skeptisch gegenüber. Und ich fühle mich durch jüngere Erfahrungen in dieser Skepsis eher bestätigt, als dass ich darin einen überzeugenden Nachweis für die weitere Perfektionierung erblicken könnte.
Deutschlandradio Kultur: Worauf setzen Sie dann?
Lammert: Auf die Einsicht von Betroffenen und auf eine ganz offenkundig hoch kritische, hoch sensibilisierte Öffentlichkeit.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, ein Dauerbrenner der politischen Diskussion, ein Thema, das gerade die Öffentlichkeit auch immer wieder bewegt und aufregt, ist die Frage der Abgeordneten-Diäten. Sie wollen, so haben Sie angekündigt, Anfang des kommenden Jahres mit den Fraktionschefs über eine Reform dieser Abgeordneten-Diäten sprechen. Was muss sich denn ändern, um von dem immer wieder laut werdenden Vorwurf der Selbstbedienung weg zu kommen?
Lammert: Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung, nach der der Bundestagspräsident zu Beginn einer Legislaturperiode einen Bericht vorzulegen hat. In diesem Bericht hat er darzustellen, wie sich die Einkommensentwicklung der Abgeordneten auch und gerade im Vergleich zur allgemeinen Einkommensentwicklung in Deutschland vollzogen hat und er soll dies mit einem Vorschlag verbinden, wie denn unter Berücksichtigung dieser vorgelegten Daten in Zukunft mit diesem Thema verfahren werden soll. Dieser Verpflichtung werde ich selbstverständlich nachkommen. Da ich für den zweiten Teil dieser Verpflichtung ja nicht erlassen kann, was ich für zweckmäßig halte, sondern bestenfalls einen Vorschlag machen kann und soll, der im Deutschen Bundestag dann eine Mehrheit finden muss, ist es nahe liegend, um nicht zu sagen zwingend, vor der Erstellung eines solchen Berichts die Überlegungen kennen zu lernen, die in den Fraktionen des Deutschen Bundestages bestehen. Aus genau dem Grunde habe ich zu Gesprächen eingeladen.
Deutschlandradio Kultur: Die FDP hat zum Beispiel die Vorstellung, dass fürderhin, um zum Beispiel dem benannten Vorwurf der Selbstbedienung vorbeugen zu können, eine unabhängige Expertenkommission Diäten für die Abgeordneten festlegen sollte. Könnte sich das mit Ihren Vorstellungen treffen?
Lammert: Meine Vorstellungen gibt es erst, wenn ich die Vorstellungen der Fraktionen kennen gelernt habe.
Deutschlandradio Kultur: Es könnte ja sein, dass Sie vorher schon eigene haben.
Lammert: Aber es könnte auch sein, dass es unklug wäre, sie dann vorher vorzutragen.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt ja Modelle, die diskutiert werden, das Modell in Nordrhein-Westfalen etwa. Da gibt es höhere Diäten aber dafür keine Altersversorgung mehr. Dafür müssen dann die Abgeordneten selbst aufkommen. Ist dies denn ein Modell, an dem man sich orientieren könnte?
Lammert: Es ist sicher ein Modell, aber es ist genau so sicher, nicht das einzig mögliche Modell. Und neben beachtlichen Argumenten, die für diese Lösung sprechen, nehme ich zur Kenntnis, dass auch und gerade im Kreis der Landtage beachtliche Argumente gegen dieses Modell angeführt werden. Ich werde im Übrigen aus diesem Grunde vor dem Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden zu einem Gespräch mit den Landtagspräsidenten zusammen kommen, weil es, wie mir scheint, Sinn macht, weiterführende Überlegungen des Bundes jedenfalls in der Nähe der Überlegungen, vielleicht auch der konkreten Beschlüsse und Absichten zu halten, die in den deutschen Landtagen geschlossen werden oder in Vorbereitung sind.
Deutschlandradio Kultur: Es hat ja nach diversen Affären vor einigen Monaten um die so genannten oder auch Nebeneinkünfte von Abgeordneten im Sommer einen Aufruf gegeben zu einer Aktion ‚Sauberer Bundestag’ und es hat auch eine Übereinkunft zu Beginn der neuen Legislaturperiode gegeben, dass es mehr Transparenz bei beruflichen Nebeneinkünften, anderen Einkünften, geben soll. So sollen die Abgeordneten Entgelte aus ihren Tätigkeiten veröffentlichen müssen - nach drei Stufen. Würden Sie sagen, dass wir das dann damit ausreichend geregelt haben?
Lammert: Die veränderten Verhaltensregeln sind seit Beginn dieser Legislaturperiode in Kraft. Ihre Anwendung im Sinne der Erfüllung der damit verbundenen Anzeigepflichten, setzt die Ausführungsbestimmungen in der Handhabung dann dieser Regel voraus, die sich jetzt gewissermaßen in der Schlussredaktion befinden. Ich habe wenige Tage nach meinem Amtsantritt den Fraktionen den Entwurf dieser Ausführungsbestimmungen zugesandt, mit der Bitte um Rückäußerung. Dabei hat sich meine Vermutung bestätigt, dass das Bemühen um Präzisierung solcher Sachverhalte in der Umsetzung auf eine Reihe von praktischen Problemen stößt. Aber ich werde selbstverständlich Ausführungsbestimmungen erlassen, die den Wortlaut der beschlossenen Verhaltensregeln so praktikabel wie eben möglich, und vor allen Dingen so unmissverständlich wie eben möglich machen.
Deutschlandradio Kultur: Wo sind denn da noch Präzisierungsdefizite?
Lammert: Also das würde jetzt entschieden zu weit gehen, wenn ich gewissermaßen einzelne Fall-Konstellationen darstellen würde.
Deutschlandradio Kultur: Nein, aber geht es zum Beispiel um die Frage, ob alle Berufsgruppen gleich behandelt werden müssen? Das ist ein Thema, was immer mal wieder in diesem Umfeld diskutiert wurde. Oder: was ist mit Freiberuflern, was ist mit Unternehmern? Schaden die sozusagen ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit, weil sie mit ihren Bezügen offen umgehen müssen? Was ist eigentlich eine Nebentätigkeit? Ist es das auch, wenn man seinen alten Beruf ausübt?
Lammert: Das ist eine außerordentlich reizvolle Diskussion, an der ich mich selber auch beteiligt habe, zumal ich die begrenzt vergnügliche Aufgabe hatte, Vorsitzender der Kommission zu sein, die das vorbereitet hat. Aber es macht nun überhaupt keinen Sinn, Nachhutgefechte der damals stattgefundenen Debatte über die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Praktikabilität solcher Transparenzvorschriften zu führen. Fakt ist, dass der Deutsche Bundestag diese Regeln beschlossen hat und dass sie mit Beginn dieser Legislaturperiode in Kraft getreten sind.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns auch da vielleicht noch mal einen Blick über Landesgrenzen hinauswerfen, Stichwort Schweden, Stichwort vielleicht auch Großbritannien. Sind da die Verhältnisse so anders, dass man sie schlicht mit unseren nicht vergleichen kann, denn beispielsweise ist es in Schweden so: Anruf genügt und man kann die Bezüge von Abgeordneten aus anderen Tätigkeiten erfahren. In Großbritannien ist es ähnlich und wird sogar im Internet veröffentlicht…
Lammert: …weil das in Schweden überhaupt für alle Steuerpflichtigen so gilt. Ich habe in der öffentlichen Diskussion, einschließlich der deutschen Journalisten, den Vorschlag bisher nicht gehört, dass man alle Einkünfte und die sich daraus ergebenden Steuerpflichten im Internet für jeden zugänglich machen sollte.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn wir diesen Vorschlag jetzt hier machten?
Lammert: Bin ich sehr gespannt auf die Mehrheitsfähigkeit im Kreis Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Deutschlandradio Kultur: Die müssten es aber nicht beschließen. Was sagen Sie denn dazu?
Lammert: Dass es gelegentlich schon der Seriosität von Diskussionen hilft, wenn man Maßstäbe nicht nur für andere erhebt, sondern jedenfalls dem Grunde nach auch für sich selbst gelten lässt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, Sie haben sich bei Ihrem Amtsantritt ein selbstbewusstes Parlament gewünscht und auch den Anspruch auf Selbstbewusstsein des Parlaments gegenüber der Regierung betont. Nun hat am Donnerstag dieser Woche die große Koalition - noch nicht sehr lange im Amt - eine erste Abstimmungsniederlage hinnehmen müssen dadurch, dass die Opposition genau entdeckt hat, dass die große Koalition nicht immer ganz so groß ist. Was hat das auf Sie für einen Eindruck gemacht?
Lammert: Dies sind so kleine Erfolgserlebnisse von Oppositionen, die am Beginn einer Legislaturperiode häufiger vorkommen als mit Etablieren von Abläufen. Mir gefällt das vom Prinzip her eigentlich auch. Ich habe ja hier nicht die Interessen der Koalition zu vertreten, sondern die des Parlaments. Und wenn eine statistisch übermächtige Koalition so großzügig oder so leichtfertig ist, in bestimmten parlamentarischen Situationen auf die eigenen Mehrheiten nicht zu achten, dann darf sie sich nicht beklagen, wenn der Effekt eintritt, der eingetreten ist.
Deutschlandradio Kultur: Es ging darum, dass der Vize-Kanzler ins Parlament zitiert wurde. Ist es nicht aber möglicherweise auch Ausdruck, dass es überhaupt dazu kam, dass die Situation entstand, die zu dieser Forderung der Opposition führte, dass die Gefahr besteht, dass eben eine so große Koalition – schlicht auch mengen- und massenmäßig große – die Opposition nicht in dem selben Maße achtet, wie wenn die zahlenmäßigen Verhältnisse andere wären? Unter dem Motto: ,Da muss man ja, wenn da so ein bisschen Opposition ist, nicht die halbe Regierungsbank besetzen’.
Lammert: Na ja, das Beispiel, das Sie gerade angeführt haben, widerlegt ja eine solche allgemeine Vermutung. Dass sich gelegentlich vielleicht eine solche Neigung breit macht, will ich nicht ausschließen. Deswegen habe ich ja gesagt, wenn es hier entweder Fahrlässigkeit oder Großzügigkeiten gibt, dann darf man sich auch nicht beklagen, wenn damit bestimmte Folgen verbunden sind. Was prinzipiell das Verhältnis jetzt von Koalition zu Opposition in den typischen parlamentarischen Verfahrensabläufen angeht, habe ich nicht den Eindruck, dass die Opposition Grund zu der Beschwerde hat, sie würde von den großen Fraktionen, salopp formuliert: untergebuttert. Bei den üblichen Vereinbarungen: wie werden Redezeiten verteilt? Wie wird die Abfolge von Rednern vereinbart, sind erstens durchweg einvernehmliche Lösungen gefunden worden, und zweitens sind bei der Berechnung der Redezeiten, die sich ja nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen richtet, einvernehmliche Regelungen gefunden worden, die die kleineren Oppositionsparteien rechnerisch gegenüber dem Anspruch, den sie reklamieren könnten, leicht begünstigen.
Deutschlandradio Kultur: Man könnte sie noch weiter begünstigen wenn man denn wollte. Es gibt ja immer mal auch Überlegungen, die sind älter als diese Legislaturperiode natürlich, dass man sagt, man könnte gewissen Quorums verändern, so dass man den kleineren Oppositionsparteien – wenn sie denn zu einer gemeinsamen Stimme kämen – mehr Einfluss verschafft. Beispiel wäre Normen-Kontrollklage in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht.
Lammert: Das ist ja jeder Fraktion im Deutschen Bundestag unbenommen, solche Überlegungen anzustellen, gegebenenfalls auch Anträge zu stellen. Ich will nur darauf aufmerksam machen, auch und gerade die Quorums bei den Minderheitsrechten haben natürlich jeweils ihre innere Logik. Sie sind ja alle nicht vom Himmel gefallen, sondern sie sind aus guten Gründen so entstanden, wie sie entstanden sind. Das schließt nicht aus, dass man die Erfahrung macht, dass sie unter den jetzt gegebenen Bedingungen möglicherweise nicht in jedem Fall den Ansprüchen genügen, die man schon gar aus der Perspektive der Opposition haben könnte.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, ein immer wieder diskutiertes Thema ist auch die Länge der Legislaturperiode. Soll man sie nicht auf fünf Jahre verlängern? Wie ist denn da Ihre Position?
Lammert: Ich persönlich würde das begrüßen. Ich halte das allerdings nicht für die Schicksalsfrage des deutschen Parlamentarismus. Ich stelle nur fest und finde das auch nicht zufällig, sondern nachvollziehbar, dass die früher scheinbar selbstverständliche Regel, dass eine Legislaturperiode vier Jahre dauert, inzwischen eher zur Ausnahme geworden ist. Die allermeisten Landtage haben eine fünfjährige Legislaturperiode. Das Europäische Parlament hat eine fünfjährige Legislaturperiode, das französische Parlament hat eine fünfjährige Legislaturperiode, das italienische Parlament, das britische eine bis zu – weil es in der Hand des Premierministers liegt – eine bis zu fünfjährige Legislaturperiode. Daraus ergibt sich keinerlei zwingende Notwendigkeit, dass auch der Bundestag eine fünfjährige haben müsste. Aber wir haben ja auch seit Jahren die ständige Diskussion darüber, ob die konkret an den Sachverhalten orientierte politische Arbeit nicht durch die Vielzahl von Wahlen – schon gar durch die immer wieder zwischendurch stattfindenden Landtags- oder Kommunalwahlen….
Deutschlandradio Kultur: Und die Wahlkämpfe vor allen Dingen.
Lammert: … und die damit natürlich verbundenen Wahlkämpfe beeinträchtigt sei. Und deswegen finde ich für mich persönlich, im Ergebnis spräche manches dafür, auch auf der Bundesebene zu einer fünfjährigen Legislaturperiode zu kommen. Ich würde nur auch an dieser Stelle entsprechende Bemühungen mit dem dringlichen Wunsch verbinden, dass so was nicht mit Mehrheit gegen Minderheit beschlossen werden sollte, sondern jedenfalls auf einer ganz breiten Mehrheitsbasis beruhen muss.
Deutschlandradio Kultur: Und sollten da auch Überlegungen mit einbezogen werden, dass, wenn man das macht, man gleichzeitig mehr Elemente direkter Demokratie einführen sollte, weil man ja sozusagen dem Wahlvolk da so ein Stück Luft nimmt, da es dann halt seltener sein Kreuzchen machen könnte?
Lammert: Das kann man tun, muss man nicht. Ein zwingender Zusammenhang zwischen der einen und der anderen Frage besteht nicht. Aber meine Beobachtung ist, dass auch im Deutschen Bundestag Neigung besteht, das miteinander zu verbinden. Das kann man tun, muss man nicht. Ein zwingender Zusammenhang zwischen der einen und der anderen Frage besteht nicht. Aber meine Beobachtung ist, dass es auch im Deutschen Bundestag Neigungen gibt, das eine zu ändern, wenn man das andere tut, während wieder bei anderen keine große Neigung besteht, das miteinander zu verbinden.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es denn, um so etwas wie einen permanenten Wahlkampf zu verhindern, dann nicht sinnvoll, die Landtagswahlen stärker noch zu bündeln als das bisher der Fall ist?
Lammert: Nach meiner Überzeugung wäre das nicht sinnvoll. Man darf ja keine Illusionen darüber haben, wie gründlich sich der Charakter von Landtagswahlen verändern würde, wenn es, wie gelegentlich vorgeschlagen, an einem Termin - meist dann auch vorgeschlagen, zur Hälfte der Legislaturperiode des Bundes - eine gemeinsame Landtagswahl in allen Bundesländern gäbe. Dies wäre selbstverständlich die zweite Bundestagswahl und sie würde, wenn sie zu einem anderen Gesamt-Wahlergebnis führte, als die jeweils aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag die Legitimation der amtierenden Bundesregierung de facto aushebeln.
Deutschlandradio Kultur: Wenigstens eine einfach nur nette Frage am Schluss
Lammert: Darauf warte ich jetzt schon die ganze Zeit
Deutschlandradio Kultur: Ist Ihr Amt etwas, was Ihnen Spaß macht - bisher?
Lammert: Also nicht Stunde für Stunde, im Ganzen schon. Aber neben manchen angenehmen, gibt es auch eine Reihe außerordentlich unangenehmer Verpflichtungen, die sich aus dem Amt ergeben. Das ist kein Grund zur Klage, aber es ist der leise Hinweis darauf, dass das, was wahrgenommen wird, das was stattfindet, nur unvollständig abbildet.
Deutschlandradio Kultur: Es wäre vergeblich, Sie jetzt nach unangenehmen Beispielen zu fragen, richtig?
Lammert: So ist es.
Dr. Norbert Lammert wurde am 16. 11. 1948 in Bochum geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Neueren Geschichte und Sozialökonomie in Bochum und Oxford promovierte der Sozialwissenschaftler 1975. Er veröffentlichte diverse Bücher und Beiträge zur Parteienforschung und zu Grundsatzfragen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.
Dr. Norbert Lammert trat 1966 in die CDU ein. Seit 1980 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages; zwischen 1989 und 1998 war er nacheinander Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, für Wirtschaft und für Verkehr. 1998 bis 2002 war Dr. Norbert Lammert kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Von 2002 bis 2005 war er Vizepräsident des Deutschen Bundestages; im Oktober 2005 wurde er zum Präsidenten des Bundestages gewählt.
Lammert: Jede Übertreibung, in welchem Zusammenhang auch immer, beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit der jeweils Diskutierenden oder der jeweils in Auseinandersetzung Befindlichen. Ich habe mich in den vielen Jahren meiner Mitgliedschaft zum Deutschen Bundestag, meist mit Erfolg, darum bemüht, genau solche unnötigen Zuspitzungen zu vermeiden. An dem konkreten Beispiel wird deutlich, dass man als Bundestagspräsident allen Erwartungen gleichzeitig gar nicht gerecht werden kann. Es gibt nämlich zugleich die strenge Erwartung, dass, wegen der besonderen Bedeutung für die politische Kultur eines Landes, dazu doch etwas gesagt werden müsse und gleichzeitig die ebenso strenge Erwartung, dass eine solche Äußerung aber möglichst so unkenntlich sein müsse, dass sie über jeden denkbaren Anwurf erhaben sei.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns den Blick ins Ausland werfen. Es gibt ja auf EU-Ebene mittlerweile so was wie, nennen wir es 'Abkühlzeiten für ehemalige EU-Kommissare', bevor sie Posten in der Wirtschaft übernehmen. Es gibt in Frankreich so genannte Karenzzeiten und es gibt in den USA sogar die Verpflichtung, dass sich jemand, der in einem bestimmten Politikfeld gearbeitet hat, lebenslang nicht in Wirtschaftsbereichen tummeln darf, die er als Politiker zu verantworten hatte. Gibt es denn vielleicht nicht guten Grund, sich da ein Vorbild zu nehmen an dem Einen oder Anderen, um bestimmte Diskussionen nicht mehr haben zu müssen? Dann müssten Sie uns dazu auch keine Interviews mehr geben.
Lammert: Die letzte fröhliche Vermutung ist durch die Wirklichkeit hinreichend oft widerlegt. Wir haben, was den Deutschen Bundestag angeht, Verhaltensregeln. Wir haben sie regelmäßig verändert, weil es Anlässe gab, die ganz offenkundig durch die bestehenden Verhaltensregeln nicht erfasst waren. Die Exegese übrigens, der dann jeweils beschlossenen Veränderungen belegt, dass diese beschlossenen Veränderungen meist nur noch einen entfernten Zusammenhang zu dem jeweiligen Anlass hatten. Etwas salopp formuliert: Aktionismus aber nicht unbedingt Problemlösung war. Ich stehe auch aus diesem Grunde – wie ja weit vor meiner Wahl zum Bundestagspräsidenten öffentlich in Debatten des Deutschen Bundestages vorgetragen – dem Ergeiz der Formalisierung solcher Zusammenhänge eher skeptisch gegenüber. Und ich fühle mich durch jüngere Erfahrungen in dieser Skepsis eher bestätigt, als dass ich darin einen überzeugenden Nachweis für die weitere Perfektionierung erblicken könnte.
Deutschlandradio Kultur: Worauf setzen Sie dann?
Lammert: Auf die Einsicht von Betroffenen und auf eine ganz offenkundig hoch kritische, hoch sensibilisierte Öffentlichkeit.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, ein Dauerbrenner der politischen Diskussion, ein Thema, das gerade die Öffentlichkeit auch immer wieder bewegt und aufregt, ist die Frage der Abgeordneten-Diäten. Sie wollen, so haben Sie angekündigt, Anfang des kommenden Jahres mit den Fraktionschefs über eine Reform dieser Abgeordneten-Diäten sprechen. Was muss sich denn ändern, um von dem immer wieder laut werdenden Vorwurf der Selbstbedienung weg zu kommen?
Lammert: Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung, nach der der Bundestagspräsident zu Beginn einer Legislaturperiode einen Bericht vorzulegen hat. In diesem Bericht hat er darzustellen, wie sich die Einkommensentwicklung der Abgeordneten auch und gerade im Vergleich zur allgemeinen Einkommensentwicklung in Deutschland vollzogen hat und er soll dies mit einem Vorschlag verbinden, wie denn unter Berücksichtigung dieser vorgelegten Daten in Zukunft mit diesem Thema verfahren werden soll. Dieser Verpflichtung werde ich selbstverständlich nachkommen. Da ich für den zweiten Teil dieser Verpflichtung ja nicht erlassen kann, was ich für zweckmäßig halte, sondern bestenfalls einen Vorschlag machen kann und soll, der im Deutschen Bundestag dann eine Mehrheit finden muss, ist es nahe liegend, um nicht zu sagen zwingend, vor der Erstellung eines solchen Berichts die Überlegungen kennen zu lernen, die in den Fraktionen des Deutschen Bundestages bestehen. Aus genau dem Grunde habe ich zu Gesprächen eingeladen.
Deutschlandradio Kultur: Die FDP hat zum Beispiel die Vorstellung, dass fürderhin, um zum Beispiel dem benannten Vorwurf der Selbstbedienung vorbeugen zu können, eine unabhängige Expertenkommission Diäten für die Abgeordneten festlegen sollte. Könnte sich das mit Ihren Vorstellungen treffen?
Lammert: Meine Vorstellungen gibt es erst, wenn ich die Vorstellungen der Fraktionen kennen gelernt habe.
Deutschlandradio Kultur: Es könnte ja sein, dass Sie vorher schon eigene haben.
Lammert: Aber es könnte auch sein, dass es unklug wäre, sie dann vorher vorzutragen.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt ja Modelle, die diskutiert werden, das Modell in Nordrhein-Westfalen etwa. Da gibt es höhere Diäten aber dafür keine Altersversorgung mehr. Dafür müssen dann die Abgeordneten selbst aufkommen. Ist dies denn ein Modell, an dem man sich orientieren könnte?
Lammert: Es ist sicher ein Modell, aber es ist genau so sicher, nicht das einzig mögliche Modell. Und neben beachtlichen Argumenten, die für diese Lösung sprechen, nehme ich zur Kenntnis, dass auch und gerade im Kreis der Landtage beachtliche Argumente gegen dieses Modell angeführt werden. Ich werde im Übrigen aus diesem Grunde vor dem Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden zu einem Gespräch mit den Landtagspräsidenten zusammen kommen, weil es, wie mir scheint, Sinn macht, weiterführende Überlegungen des Bundes jedenfalls in der Nähe der Überlegungen, vielleicht auch der konkreten Beschlüsse und Absichten zu halten, die in den deutschen Landtagen geschlossen werden oder in Vorbereitung sind.
Deutschlandradio Kultur: Es hat ja nach diversen Affären vor einigen Monaten um die so genannten oder auch Nebeneinkünfte von Abgeordneten im Sommer einen Aufruf gegeben zu einer Aktion ‚Sauberer Bundestag’ und es hat auch eine Übereinkunft zu Beginn der neuen Legislaturperiode gegeben, dass es mehr Transparenz bei beruflichen Nebeneinkünften, anderen Einkünften, geben soll. So sollen die Abgeordneten Entgelte aus ihren Tätigkeiten veröffentlichen müssen - nach drei Stufen. Würden Sie sagen, dass wir das dann damit ausreichend geregelt haben?
Lammert: Die veränderten Verhaltensregeln sind seit Beginn dieser Legislaturperiode in Kraft. Ihre Anwendung im Sinne der Erfüllung der damit verbundenen Anzeigepflichten, setzt die Ausführungsbestimmungen in der Handhabung dann dieser Regel voraus, die sich jetzt gewissermaßen in der Schlussredaktion befinden. Ich habe wenige Tage nach meinem Amtsantritt den Fraktionen den Entwurf dieser Ausführungsbestimmungen zugesandt, mit der Bitte um Rückäußerung. Dabei hat sich meine Vermutung bestätigt, dass das Bemühen um Präzisierung solcher Sachverhalte in der Umsetzung auf eine Reihe von praktischen Problemen stößt. Aber ich werde selbstverständlich Ausführungsbestimmungen erlassen, die den Wortlaut der beschlossenen Verhaltensregeln so praktikabel wie eben möglich, und vor allen Dingen so unmissverständlich wie eben möglich machen.
Deutschlandradio Kultur: Wo sind denn da noch Präzisierungsdefizite?
Lammert: Also das würde jetzt entschieden zu weit gehen, wenn ich gewissermaßen einzelne Fall-Konstellationen darstellen würde.
Deutschlandradio Kultur: Nein, aber geht es zum Beispiel um die Frage, ob alle Berufsgruppen gleich behandelt werden müssen? Das ist ein Thema, was immer mal wieder in diesem Umfeld diskutiert wurde. Oder: was ist mit Freiberuflern, was ist mit Unternehmern? Schaden die sozusagen ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit, weil sie mit ihren Bezügen offen umgehen müssen? Was ist eigentlich eine Nebentätigkeit? Ist es das auch, wenn man seinen alten Beruf ausübt?
Lammert: Das ist eine außerordentlich reizvolle Diskussion, an der ich mich selber auch beteiligt habe, zumal ich die begrenzt vergnügliche Aufgabe hatte, Vorsitzender der Kommission zu sein, die das vorbereitet hat. Aber es macht nun überhaupt keinen Sinn, Nachhutgefechte der damals stattgefundenen Debatte über die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Praktikabilität solcher Transparenzvorschriften zu führen. Fakt ist, dass der Deutsche Bundestag diese Regeln beschlossen hat und dass sie mit Beginn dieser Legislaturperiode in Kraft getreten sind.
Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns auch da vielleicht noch mal einen Blick über Landesgrenzen hinauswerfen, Stichwort Schweden, Stichwort vielleicht auch Großbritannien. Sind da die Verhältnisse so anders, dass man sie schlicht mit unseren nicht vergleichen kann, denn beispielsweise ist es in Schweden so: Anruf genügt und man kann die Bezüge von Abgeordneten aus anderen Tätigkeiten erfahren. In Großbritannien ist es ähnlich und wird sogar im Internet veröffentlicht…
Lammert: …weil das in Schweden überhaupt für alle Steuerpflichtigen so gilt. Ich habe in der öffentlichen Diskussion, einschließlich der deutschen Journalisten, den Vorschlag bisher nicht gehört, dass man alle Einkünfte und die sich daraus ergebenden Steuerpflichten im Internet für jeden zugänglich machen sollte.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn wir diesen Vorschlag jetzt hier machten?
Lammert: Bin ich sehr gespannt auf die Mehrheitsfähigkeit im Kreis Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Deutschlandradio Kultur: Die müssten es aber nicht beschließen. Was sagen Sie denn dazu?
Lammert: Dass es gelegentlich schon der Seriosität von Diskussionen hilft, wenn man Maßstäbe nicht nur für andere erhebt, sondern jedenfalls dem Grunde nach auch für sich selbst gelten lässt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, Sie haben sich bei Ihrem Amtsantritt ein selbstbewusstes Parlament gewünscht und auch den Anspruch auf Selbstbewusstsein des Parlaments gegenüber der Regierung betont. Nun hat am Donnerstag dieser Woche die große Koalition - noch nicht sehr lange im Amt - eine erste Abstimmungsniederlage hinnehmen müssen dadurch, dass die Opposition genau entdeckt hat, dass die große Koalition nicht immer ganz so groß ist. Was hat das auf Sie für einen Eindruck gemacht?
Lammert: Dies sind so kleine Erfolgserlebnisse von Oppositionen, die am Beginn einer Legislaturperiode häufiger vorkommen als mit Etablieren von Abläufen. Mir gefällt das vom Prinzip her eigentlich auch. Ich habe ja hier nicht die Interessen der Koalition zu vertreten, sondern die des Parlaments. Und wenn eine statistisch übermächtige Koalition so großzügig oder so leichtfertig ist, in bestimmten parlamentarischen Situationen auf die eigenen Mehrheiten nicht zu achten, dann darf sie sich nicht beklagen, wenn der Effekt eintritt, der eingetreten ist.
Deutschlandradio Kultur: Es ging darum, dass der Vize-Kanzler ins Parlament zitiert wurde. Ist es nicht aber möglicherweise auch Ausdruck, dass es überhaupt dazu kam, dass die Situation entstand, die zu dieser Forderung der Opposition führte, dass die Gefahr besteht, dass eben eine so große Koalition – schlicht auch mengen- und massenmäßig große – die Opposition nicht in dem selben Maße achtet, wie wenn die zahlenmäßigen Verhältnisse andere wären? Unter dem Motto: ,Da muss man ja, wenn da so ein bisschen Opposition ist, nicht die halbe Regierungsbank besetzen’.
Lammert: Na ja, das Beispiel, das Sie gerade angeführt haben, widerlegt ja eine solche allgemeine Vermutung. Dass sich gelegentlich vielleicht eine solche Neigung breit macht, will ich nicht ausschließen. Deswegen habe ich ja gesagt, wenn es hier entweder Fahrlässigkeit oder Großzügigkeiten gibt, dann darf man sich auch nicht beklagen, wenn damit bestimmte Folgen verbunden sind. Was prinzipiell das Verhältnis jetzt von Koalition zu Opposition in den typischen parlamentarischen Verfahrensabläufen angeht, habe ich nicht den Eindruck, dass die Opposition Grund zu der Beschwerde hat, sie würde von den großen Fraktionen, salopp formuliert: untergebuttert. Bei den üblichen Vereinbarungen: wie werden Redezeiten verteilt? Wie wird die Abfolge von Rednern vereinbart, sind erstens durchweg einvernehmliche Lösungen gefunden worden, und zweitens sind bei der Berechnung der Redezeiten, die sich ja nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen richtet, einvernehmliche Regelungen gefunden worden, die die kleineren Oppositionsparteien rechnerisch gegenüber dem Anspruch, den sie reklamieren könnten, leicht begünstigen.
Deutschlandradio Kultur: Man könnte sie noch weiter begünstigen wenn man denn wollte. Es gibt ja immer mal auch Überlegungen, die sind älter als diese Legislaturperiode natürlich, dass man sagt, man könnte gewissen Quorums verändern, so dass man den kleineren Oppositionsparteien – wenn sie denn zu einer gemeinsamen Stimme kämen – mehr Einfluss verschafft. Beispiel wäre Normen-Kontrollklage in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht.
Lammert: Das ist ja jeder Fraktion im Deutschen Bundestag unbenommen, solche Überlegungen anzustellen, gegebenenfalls auch Anträge zu stellen. Ich will nur darauf aufmerksam machen, auch und gerade die Quorums bei den Minderheitsrechten haben natürlich jeweils ihre innere Logik. Sie sind ja alle nicht vom Himmel gefallen, sondern sie sind aus guten Gründen so entstanden, wie sie entstanden sind. Das schließt nicht aus, dass man die Erfahrung macht, dass sie unter den jetzt gegebenen Bedingungen möglicherweise nicht in jedem Fall den Ansprüchen genügen, die man schon gar aus der Perspektive der Opposition haben könnte.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lammert, ein immer wieder diskutiertes Thema ist auch die Länge der Legislaturperiode. Soll man sie nicht auf fünf Jahre verlängern? Wie ist denn da Ihre Position?
Lammert: Ich persönlich würde das begrüßen. Ich halte das allerdings nicht für die Schicksalsfrage des deutschen Parlamentarismus. Ich stelle nur fest und finde das auch nicht zufällig, sondern nachvollziehbar, dass die früher scheinbar selbstverständliche Regel, dass eine Legislaturperiode vier Jahre dauert, inzwischen eher zur Ausnahme geworden ist. Die allermeisten Landtage haben eine fünfjährige Legislaturperiode. Das Europäische Parlament hat eine fünfjährige Legislaturperiode, das französische Parlament hat eine fünfjährige Legislaturperiode, das italienische Parlament, das britische eine bis zu – weil es in der Hand des Premierministers liegt – eine bis zu fünfjährige Legislaturperiode. Daraus ergibt sich keinerlei zwingende Notwendigkeit, dass auch der Bundestag eine fünfjährige haben müsste. Aber wir haben ja auch seit Jahren die ständige Diskussion darüber, ob die konkret an den Sachverhalten orientierte politische Arbeit nicht durch die Vielzahl von Wahlen – schon gar durch die immer wieder zwischendurch stattfindenden Landtags- oder Kommunalwahlen….
Deutschlandradio Kultur: Und die Wahlkämpfe vor allen Dingen.
Lammert: … und die damit natürlich verbundenen Wahlkämpfe beeinträchtigt sei. Und deswegen finde ich für mich persönlich, im Ergebnis spräche manches dafür, auch auf der Bundesebene zu einer fünfjährigen Legislaturperiode zu kommen. Ich würde nur auch an dieser Stelle entsprechende Bemühungen mit dem dringlichen Wunsch verbinden, dass so was nicht mit Mehrheit gegen Minderheit beschlossen werden sollte, sondern jedenfalls auf einer ganz breiten Mehrheitsbasis beruhen muss.
Deutschlandradio Kultur: Und sollten da auch Überlegungen mit einbezogen werden, dass, wenn man das macht, man gleichzeitig mehr Elemente direkter Demokratie einführen sollte, weil man ja sozusagen dem Wahlvolk da so ein Stück Luft nimmt, da es dann halt seltener sein Kreuzchen machen könnte?
Lammert: Das kann man tun, muss man nicht. Ein zwingender Zusammenhang zwischen der einen und der anderen Frage besteht nicht. Aber meine Beobachtung ist, dass auch im Deutschen Bundestag Neigung besteht, das miteinander zu verbinden. Das kann man tun, muss man nicht. Ein zwingender Zusammenhang zwischen der einen und der anderen Frage besteht nicht. Aber meine Beobachtung ist, dass es auch im Deutschen Bundestag Neigungen gibt, das eine zu ändern, wenn man das andere tut, während wieder bei anderen keine große Neigung besteht, das miteinander zu verbinden.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es denn, um so etwas wie einen permanenten Wahlkampf zu verhindern, dann nicht sinnvoll, die Landtagswahlen stärker noch zu bündeln als das bisher der Fall ist?
Lammert: Nach meiner Überzeugung wäre das nicht sinnvoll. Man darf ja keine Illusionen darüber haben, wie gründlich sich der Charakter von Landtagswahlen verändern würde, wenn es, wie gelegentlich vorgeschlagen, an einem Termin - meist dann auch vorgeschlagen, zur Hälfte der Legislaturperiode des Bundes - eine gemeinsame Landtagswahl in allen Bundesländern gäbe. Dies wäre selbstverständlich die zweite Bundestagswahl und sie würde, wenn sie zu einem anderen Gesamt-Wahlergebnis führte, als die jeweils aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag die Legitimation der amtierenden Bundesregierung de facto aushebeln.
Deutschlandradio Kultur: Wenigstens eine einfach nur nette Frage am Schluss
Lammert: Darauf warte ich jetzt schon die ganze Zeit
Deutschlandradio Kultur: Ist Ihr Amt etwas, was Ihnen Spaß macht - bisher?
Lammert: Also nicht Stunde für Stunde, im Ganzen schon. Aber neben manchen angenehmen, gibt es auch eine Reihe außerordentlich unangenehmer Verpflichtungen, die sich aus dem Amt ergeben. Das ist kein Grund zur Klage, aber es ist der leise Hinweis darauf, dass das, was wahrgenommen wird, das was stattfindet, nur unvollständig abbildet.
Deutschlandradio Kultur: Es wäre vergeblich, Sie jetzt nach unangenehmen Beispielen zu fragen, richtig?
Lammert: So ist es.
Dr. Norbert Lammert wurde am 16. 11. 1948 in Bochum geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Neueren Geschichte und Sozialökonomie in Bochum und Oxford promovierte der Sozialwissenschaftler 1975. Er veröffentlichte diverse Bücher und Beiträge zur Parteienforschung und zu Grundsatzfragen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.
Dr. Norbert Lammert trat 1966 in die CDU ein. Seit 1980 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages; zwischen 1989 und 1998 war er nacheinander Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, für Wirtschaft und für Verkehr. 1998 bis 2002 war Dr. Norbert Lammert kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Von 2002 bis 2005 war er Vizepräsident des Deutschen Bundestages; im Oktober 2005 wurde er zum Präsidenten des Bundestages gewählt.