Lambsdorff lobt Köhler

Moderation: Leonie March |
Der FDP-Ehrenvorsitzende und ehemalige Bundeswirtschaftsminister, Otto Graf Lambsdorff, hat die Vorschläge von Bundespräsident Horst Köhler zu einer Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern sowie einem staatlichen Zuschuss im Niedriglohnsektor befürwortet. Es sei "vollkommen richtig", Erwerbslosen einen Anreiz zu geben, sagte Lambsdorff am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Dieser dürfe nicht durch Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II "zerstört werden", betonte er.
March: ... und staatlichem Zuschuss für Geringverdiener und eine Gewinn- und Kapitalbeteiligung für Arbeitnehmer. Bundespräsident Köhler schaltete sich mit diesen sehr konkreten Vorschlägen in die Debatte um eine angemessene Lohnpolitik ein. Politiker aller Parteien begrüßten diese Vorschläge. Das Echo der Gewerkschaften war gespalten. Über die Forderungen möchte ich nun mit Otto Graf Lambsdorff sprechen, Ehrenvorsitzender der FDP.

March: Guten Morgen, Graf Lambsdorff.

Lambsdorff: Guten Morgen, Frau March.

March: Nun ist das ja nicht das erste Mal, dass sich der Bundespräsident Köhler sehr konkret zu Fragen des politischen Tagesgeschäfts äußert. Verstehen Sie das als Bereicherung oder als Einmischung?

Lambsdorff: Ausgesprochen als Bereicherung. Ich bin sehr froh, dass der Bundespräsident, der ja von Hause aus Ökonom ist und von Wirtschaft viel versteht, seine Meinung sagt und sie klar und deutlich sagt. Er hat das am klarsten getan im März 2005 auf dem Arbeitgeberforum "Wirtschaft und Gesellschaft" in Berlin. Das hat damals auch Erstaunen ausgelöst. Ich kann nur wünschen und den Bundespräsidenten bitten, darin fortzufahren und - wenn es geht - noch deutlicher zu werden. Er weiß, was geschehen muss, und es ist gut, wenn er es sagt.

March: Kommen wir zu den einzelnen Vorschlägen Köhlers: Eine stärkere Beteiligung der Mitarbeiter am Gewinn und am Produktivvermögen der Unternehmen - würde das tatsächlich, wie von Köhler gewünscht, einer wachsenden Kluft von Arm und Reich entgegenwirken?

Lambsdorff: Eine Vorbemerkung: Es ist schade, dass nur diese beiden Punkte aus dem Interview, das der Bundespräsident gegeben hat, immer erwähnt werden. Was er zur Globalisierung, zur Notwendigkeit von Freiheit für die Menschen in der Wirtschaft gesagt hat, das ist in meinen Augen wichtiger als die konkreten Vorschläge.

Aber jetzt zu der Frage, die Sie gestellt haben: Also erstens: Kombilohn, Bürgergeld, negative Einkommenssteuer. Das haben wir nun schon alles seit vielen Jahren diskutiert. Das ist überhaupt nicht neu. Es wird immer wieder gesagt: Ja, ja, das ist richtig, das sollten wir tun, das sollten wir machen. Aber keiner wagt sich an die Umsetzung heran. Wir müssen allerdings auch bedenken, dass wir zum Beispiel mit der negativen Einkommenssteuer, wie wir sie in Amerika haben und wie es dann hier bei uns verglichen wird, nicht so verfahren können wie in Amerika. Denn dort gibt es keine Sozialhilfe, dort gibt es keine Arbeitslosengeld II, das ja praktisch wie ein Mindestlohn wirkt.

Aber die grundsätzliche Idee, dass man Menschen, die minder qualifiziert sind, nicht genügend qualifiziert sind, um ihre Existenz selber verdienen zu können, dass man denen einen Anreiz gibt, zu arbeiten - aber der Anreiz muss auch da sein und er darf nicht durch Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II zerstört werden -, Anreiz gibt, zu arbeiten, und wenn das nicht ausreicht, um die Lebensbedürfnisse zu decken, ihnen einen staatlichen Zuschuss gibt. Den habe ich seit 1994 vertreten und halte ihn nach wie vor für völlig richtig.

March: Sie haben eben gesagt, Graf Lambsdorff, an die Umsetzung traut sich eigentlich keiner heran. Warum? Auch weil die Gewerkschaften hier so stark sind?

Lambsdorff: Da bin ich mir gar nicht mal so sicher, dass die Gewerkschaften in diesem Punkt große Bedenken anmelden würden. Darüber muss man mit ihnen reden. Es hat sich eigentlich keiner herangetraut - einmal natürlich aus finanziellen Gründen, weil man immer glaubt, das sei eine zu große Haushaltsbelastung. Das muss man auch genau und sorgfältig prüfen. Wir können nicht immer noch mehr Geld ausgeben, das wir nicht haben - das tut leider auch diese Regierung schon wieder -, das heißt dann nur, dass neue Schulden gemacht werden. Also das muss sorgfältig geprüft werden.

Aber dennoch, dass der Bundespräsident diesen Anstoß gibt, in dieser Richtung etwas nachzudenken und etwas zu überlegen, das finde ich richtig - was immer dabei am Ende herauskommt. Denn wir können es uns nicht leisten, mit einer großen Gruppe von nicht ausgebildeten, nicht qualifizierten Menschen zu leben, die dann nur auf Kosten des Staates leben. Wenn man ihnen die Chance gibt, wenigstens einen Teil ihrer eigenen Existenz zu verdienen, dann ist das auch eine Frage ihres sozialen Selbstwertgefühls, dass jemand nach Hause kommt und wenigstens etwas selber verdient hat und nicht nur vom Arbeitsamt das Geld überwiesen bekommt.

March: Und ist die große Koalition in diesem Punkt eher eine Chance oder eher ein Hemmschuh?

Lambsdorff: Frau March, das ist eine ganz grundlegende Frage. Der Bundespräsident hat gesagt, er freue sich und er nehme an, dass wir eine handlungsfähige Regierung haben. Handlungsfähig, wenn wir die Zahl der Sitze im Bundestag herannehmen, ja die haben wir in der Tat. Handlungswillig - das wird sich zeigen. Und Handlungsfähigkeit, also noch einmal darauf zurück, objektiv: ja. Ob das subjektiv auch erfolgen wird, das weiß ich nicht. Wenn Sie mich fragen, ich traue der großen Koalition wenig zu, der Bundeskanzlerin traue ich sehr viel mehr zu, hoffentlich setzt sie sich durch und vergisst manches von dem, was in dem enttäuschenden Koalitionsvertrag aufgeschrieben worden ist.

March: Jetzt möchte ich noch mal auf einen Einzelaspekt zu sprechen kommen und zwar die Beteiligung am Betriebskapital. Könnte die auch bei der Lösung des Problems der Altersvorsorge helfen?

Lambsdorff: Nein, das glaube ich nicht. Also auch das haben wir ja diskutiert, ich selber seit 1972. Und die Freiburger Thesen der FDP, die ja damals großes Aufsehen gemacht haben, haben sich mit dem Thema "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" - und zwar Produktivvermögensbildung in Arbeitnehmerhand - beschäftigt. Und seither ist diese Diskussion immer weiter fortgeführt worden. Das Ergebnis ist jedes Mal, dass man dazu kommt, dass man sagen muss: Wenn das, die Vermögensbildung am Kapital, am Grundkapital, am Aktienkapital der eigenen Firma erfolgt, dann verdoppelt man das Risiko, dass man, wenn die Firma pleite geht, nicht nur keinen Lohn mehr bekommt, sondern auch noch seine Vermögensanlagen verloren hat.

Das war immer der Einwand der Gewerkschaften, hat der IG-Metall-Vorsitzende Peters nach meiner Überzeugung gestern auch richtig gesagt. Wenn dann das nicht tut, dann muss man zu überbetrieblichen Vermögensbildungsfonds kommen. Die sind unbeschreiblich teuer, die funktionieren nicht. Und außerdem kann sich da ein gewerkschaftlicher Anspruch durchsetzen, der de facto zu mehr Mitbestimmung in den Unternehmen führt - und das kann auch nicht sein. Also, diese Problematik ist, wie gesagt, ebenfalls nicht neu, seit Jahrzehnten, muss ich wirklich sagen, diskutiert worden. Und bisher sind wir auf dem Gebiet nicht weitergekommen. Letztlich auch deswegen, weil die Arbeitnehmer, wie wir immer wieder gesehen haben, weniger an Produktivvermögen, an Anteilen an ihrer Firma als an Lohn, an "Cash in the Täsch", wie man im Rheinland so schön sagt, interessiert sind.

March: Die Frage ist ja auch, inwiefern solche Modelle überhaupt vom Gesetzgeber verordnet werden können und inwiefern die Betriebe sie selbst initiieren müssen?

Lambsdorff: Beides ist natürlich möglich. Lieber wäre es mir, wenn es die Betriebe selber machen. Aber auch da müssen Sie sehen, Frau March: Dann können es die großen Betriebe machen, die können das schaffen, können das organisieren. Wie die Mittelständler mit so etwas zurechtkommen, das wird eine sehr schwierige Frage sein und keine leicht zu lösende Aufgabe.

Aber richtig ist, dass wir ohnehin mehr Freiheit für die Tarifabschlüsse und für die Art der Entlohnung und die Art der Bezahlung der Arbeitnehmer, mehr Unabhängigkeit für die Betriebe haben wollen und haben müssen und nicht das Tarifkartell, das aufgebrochen werden muss. Der Bundespräsident hat das in seiner Rede im März ziemlich deutlich angedeutet. Die Arbeitgeber waren gar nicht begeistert. Er hat aber völlig Recht.

March: Ganz kurz noch mal das Stichwort, das Sie am Anfang gegeben haben, nämlich Köhlers Kommentar zur Globalisierung. Warum wäre das wichtig, auch darüber zu diskutieren?

Lambsdorff: Weil wir in Deutschland, schon ja wie so häufig, immer nur die Risiken sehen, immer nur in Angst erstarrt sind. In Wirklichkeit ist die Globalisierung wohlstandsmehrend. In Wirklichkeit gibt uns die Globalisierung als ein leistungsfähiges Land - das zeigen ja unsere Exportzahlen, die erfreulicherweise günstig sind -, gibt uns große Chancen in den Weltmärkten.

Wir müssen uns öffnen, wir müssen freiheitlicher sein, wir müssen liberaler sein, wir müssen marktwirtschaftlicher sein. Nur auf diese Weise werden wir die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen können. Elf Prozent Arbeitslosigkeit sind ein Skandal, sind eine Schande für das Land. Das sieht der Bundespräsident ganz genauso. Und dafür müssen allerdings Vorschläge auf den Tisch und durchgesetzt werden, die weiter reichen als die beiden Punkte Vermögensbildung und Mindestlohn, Lohn für gering Qualifizierte.