Lambertz: Sprachenstreit ist nicht nur ein politischer Konflikt
Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinde Belgiens, hat den Ausstieg der flämischen Liberalen aus dem Regierungsbündnis kritisiert. Er habe kein Verständnis für diesen Schritt, so Lambertz.
Hanns Ostermann: Belgien kommt nicht zur Ruhe und steckt einmal mehr in einer schweren Regierungskrise: Die flämischen Liberalen warfen das Handtuch und beenden die Koalition unter Führung von Premierminister Yves Leterme. Stein des Anstoßes ist wieder einmal ein Sprachenstreit: Es geht um die Minderheitenrechte von französischsprachigen Belgiern, die im Umland von Brüssel leben.
Am Telefon ist jetzt Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinde in Belgien rund um Eupen herum im Osten des Landes. Guten Morgen, Herr Lambertz!
Karl-Heinz Lambertz: Guten Morgen!
Ostermann: Teilen Sie die Einschätzung der 16-jährigen Lora: In Wirklichkeit ist das alles ein Problem der Politik und nicht der Menschen?
Lambertz: Das ist auch ein Problem der Politik, aber ich bin schon fest davon überzeugt, dass da auch sehr viel Konflikt mit hintersteckt, den die Menschen selbst auch teilen. Das ist zumindest meine Beobachtung aus dem etwas entfernten Eupen, wenn ich die Lage in und um Brüssel herum mir etwas näher anschaue. Es ist Politik, aber Politik könnte das über Jahre und Jahrzehnte nicht so konfliktuell und kontrovers gestalten, wenn es nicht auch dafür Verankerung auf beiden Seiten – auf der flämischen ebenso wie auf der französischsprachigen – in der Bevölkerung gäbe.
Ostermann: Haben Sie denn jetzt Verständnis dafür, dass den flämischen Liberalen der Geduldsfaden gerissen ist?
Lambertz: Nein, dafür habe ich eigentlich weniger Verständnis, denn es war wieder einmal eine etwas heikle Situation: Ein schwieriger Kompromiss musste – und muss übrigens – gefunden werden, und dann zu einem ganz präzisen Punkt die Reißleine da zu ziehen, das hat auch was mit politischer Taktik zu tun.
Ostermann: Sie selbst haben in früheren Konflikten vermittelt, sind also taktisch versiert. Worin könnte denn jetzt eine Lösung bestehen?
Lambertz: Das weiß ich natürlich auch nicht im Einzelnen, und wenn ich es wüsste, würde ich es natürlich dem belgischen König zuerst sagen und nicht Ihnen, so gerne ich auch mit Ihnen in einer Rundfunksendung rede. Der Kompromiss wird sicherlich nicht sehr weit weg von dem sein, was der (…) auf den Tisch gelegt hat. Es war allerdings so, dass dies in der noch verbleibenden Zeit, die da die flämischen Liberalen nun definitiv gesetzt hatten – die ja übrigens auch eigentlich das angepeilte Zeitziel war –, nicht möglich. Da braucht man sicherlich noch etwas mehr an Stunden, Tagen und vor allem Nächten, um den Verhandlungsprozess auch nach einer Dramatisierung zu Ende zu führen und dann einen Kompromiss zu finden, der wie jeder gute Kompromiss insgesamt und der auf jeden Fall wie jeder typisch belgische Kompromiss so sein muss, dass er weder dem einen noch dem anderen gefällt, dass er keinen letztlich mit dem Rücken zur Wand dastehen lässt und sein Gesicht verlieren lässt.
Ostermann: Herr Lambertz, Sie werden mir das nicht übelnehmen – so ganz begreife ich diesen Konflikt noch nicht. Geht es eigentlich nur um den Zuschnitt bestimmter Wahlkreise rund um Brüssel herum oder worum geht es eigentlich genau?
Lambertz: Ja, dieses Schicksal, diesen Kompromiss nicht so richtig zu verstehen und das Problem auch nicht so richtig zu verstehen, das teilen Sie mit vielen Menschen außerhalb und auch innerhalb Belgiens. Es geht natürlich um eine konkrete, auch politisch strittige Frage, die aber vor allem ein Symbol ist: Es geht im Wesentlichen darum – und deshalb war dieser Bericht auch so hervorragend heute morgen –, es geht darum, dass um Brüssel herum das ganze belgische Problem, die Konflikte zwischen Flamen und Wallonen, wie in einem Brennglas fokussiert sind und eigentlich die Flamen nicht wollen, dass das vorwiegend französischsprachige Brüssel sich ausdehnt, dass immer mehr frankophone Menschen in diese flämischen Grenzgemeinden um Brüssel hineinwandern, sich dort niederlassen und damit die flämische Natur dieser Regionen da in Frage stellt.
Es war übrigens sehr interessant, dass Sie gerade eine Familie zu Wort kommen ließen, die sich selbst darum bemüht hat, auch Niederländisch und Flämisch zu lernen. Das Problem besteht auch darin, dass in diesen flämischen Gemeinden sehr viele Menschen hineinwandern, die sich dann nicht die Mühe geben, auch die Regionalsprache dort, die flämische Sprache, zu lernen. Das gehört auch zum Thema. Die Familie, mit der Sie da sprachen, schien mir eine sehr gut integrierte und auch eine sehr vernünftige Familie zu sein, aber das ist nicht mit allen der Fall, die da in das flämische Gebiet dann hineinwandern. Und wenn man dieses Thema sich anschaut, dann wird man sehr schnell feststellen, dass da sowohl die einen als auch die anderen gute Argumente haben. Es ist nicht so, dass der eine der Gute und der andere der Böse ist, es ist halt eben ein Konflikt, wo sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen, wo ein ganzes Stück belgische Geschichte sich dann jeden Tag neu widerspiegelt, und das ist nicht so einfach zu lösen, da geht es ebensoviel um Symbole als auch um reale Probleme.
Ostermann: Wäre es nicht irgendwann einmal besser, das Land fiele auseinander, nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende?
Lambertz: Das glaube ich nicht. Stellen Sie sich mal vor, dass in jeder Ehe, wo Konflikte sind, nach diesem Verfahren letztlich vorgegangen würde, dann gäbe es kaum noch Familien, die zusammenhalten, denn Konflikte gibt es ja immer, wenn unterschiedliche Menschen zusammenleben müssen. Und Flamen und Französischsprachige sind in Belgien schon zwei sehr verschiedene Paar Schuhe, da gibt es große Unterschiede in den Mentalitäten, den Vorgehensweisen, auch in der Sicht über die Details der weiteren Umgestaltung Belgiens in einen Bundesstaat.
Das Problem Flamen, Wallonen ist zu alt wie Belgien selbst, es ist dann in den letzten 40 Jahren versucht worden, dieses Problem durch die Umwandlung Belgiens von einem Einheitsstaat in einen Bundesstaat in den Griff zu kriegen. Das ist bisher gar nicht so schlecht gelungen, denn diese Konflikte sind zwar da, aber sie werden doch auf eine sehr friedliche Weise gelöst, auch wenn das Geschehen gestern im belgischen Parlament schon etwas eigenartig war – obschon es sich da ja nicht um ein nationalistisches Kampflied, sondern um die ganz offizielle Hymne Flanderns handelte, die da gesungen wurde. Aber was schon bedenklich war ist, dass es einer Gruppe rechtsradikaler Flamen gelungen ist, so ins Parlament hineinzukommen und dann diese Show abzuziehen, aber das passte wohl in irgendeine Dramatisierung des Tages hinein, da haben ein paar Saalordner wohl nicht aufgepasst.
Ostermann: Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinde in Belgien. Herr Lambertz, ich danke Ihnen für das Gespräch heute früh!
Lambertz: Wiederhören!
Am Telefon ist jetzt Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinde in Belgien rund um Eupen herum im Osten des Landes. Guten Morgen, Herr Lambertz!
Karl-Heinz Lambertz: Guten Morgen!
Ostermann: Teilen Sie die Einschätzung der 16-jährigen Lora: In Wirklichkeit ist das alles ein Problem der Politik und nicht der Menschen?
Lambertz: Das ist auch ein Problem der Politik, aber ich bin schon fest davon überzeugt, dass da auch sehr viel Konflikt mit hintersteckt, den die Menschen selbst auch teilen. Das ist zumindest meine Beobachtung aus dem etwas entfernten Eupen, wenn ich die Lage in und um Brüssel herum mir etwas näher anschaue. Es ist Politik, aber Politik könnte das über Jahre und Jahrzehnte nicht so konfliktuell und kontrovers gestalten, wenn es nicht auch dafür Verankerung auf beiden Seiten – auf der flämischen ebenso wie auf der französischsprachigen – in der Bevölkerung gäbe.
Ostermann: Haben Sie denn jetzt Verständnis dafür, dass den flämischen Liberalen der Geduldsfaden gerissen ist?
Lambertz: Nein, dafür habe ich eigentlich weniger Verständnis, denn es war wieder einmal eine etwas heikle Situation: Ein schwieriger Kompromiss musste – und muss übrigens – gefunden werden, und dann zu einem ganz präzisen Punkt die Reißleine da zu ziehen, das hat auch was mit politischer Taktik zu tun.
Ostermann: Sie selbst haben in früheren Konflikten vermittelt, sind also taktisch versiert. Worin könnte denn jetzt eine Lösung bestehen?
Lambertz: Das weiß ich natürlich auch nicht im Einzelnen, und wenn ich es wüsste, würde ich es natürlich dem belgischen König zuerst sagen und nicht Ihnen, so gerne ich auch mit Ihnen in einer Rundfunksendung rede. Der Kompromiss wird sicherlich nicht sehr weit weg von dem sein, was der (…) auf den Tisch gelegt hat. Es war allerdings so, dass dies in der noch verbleibenden Zeit, die da die flämischen Liberalen nun definitiv gesetzt hatten – die ja übrigens auch eigentlich das angepeilte Zeitziel war –, nicht möglich. Da braucht man sicherlich noch etwas mehr an Stunden, Tagen und vor allem Nächten, um den Verhandlungsprozess auch nach einer Dramatisierung zu Ende zu führen und dann einen Kompromiss zu finden, der wie jeder gute Kompromiss insgesamt und der auf jeden Fall wie jeder typisch belgische Kompromiss so sein muss, dass er weder dem einen noch dem anderen gefällt, dass er keinen letztlich mit dem Rücken zur Wand dastehen lässt und sein Gesicht verlieren lässt.
Ostermann: Herr Lambertz, Sie werden mir das nicht übelnehmen – so ganz begreife ich diesen Konflikt noch nicht. Geht es eigentlich nur um den Zuschnitt bestimmter Wahlkreise rund um Brüssel herum oder worum geht es eigentlich genau?
Lambertz: Ja, dieses Schicksal, diesen Kompromiss nicht so richtig zu verstehen und das Problem auch nicht so richtig zu verstehen, das teilen Sie mit vielen Menschen außerhalb und auch innerhalb Belgiens. Es geht natürlich um eine konkrete, auch politisch strittige Frage, die aber vor allem ein Symbol ist: Es geht im Wesentlichen darum – und deshalb war dieser Bericht auch so hervorragend heute morgen –, es geht darum, dass um Brüssel herum das ganze belgische Problem, die Konflikte zwischen Flamen und Wallonen, wie in einem Brennglas fokussiert sind und eigentlich die Flamen nicht wollen, dass das vorwiegend französischsprachige Brüssel sich ausdehnt, dass immer mehr frankophone Menschen in diese flämischen Grenzgemeinden um Brüssel hineinwandern, sich dort niederlassen und damit die flämische Natur dieser Regionen da in Frage stellt.
Es war übrigens sehr interessant, dass Sie gerade eine Familie zu Wort kommen ließen, die sich selbst darum bemüht hat, auch Niederländisch und Flämisch zu lernen. Das Problem besteht auch darin, dass in diesen flämischen Gemeinden sehr viele Menschen hineinwandern, die sich dann nicht die Mühe geben, auch die Regionalsprache dort, die flämische Sprache, zu lernen. Das gehört auch zum Thema. Die Familie, mit der Sie da sprachen, schien mir eine sehr gut integrierte und auch eine sehr vernünftige Familie zu sein, aber das ist nicht mit allen der Fall, die da in das flämische Gebiet dann hineinwandern. Und wenn man dieses Thema sich anschaut, dann wird man sehr schnell feststellen, dass da sowohl die einen als auch die anderen gute Argumente haben. Es ist nicht so, dass der eine der Gute und der andere der Böse ist, es ist halt eben ein Konflikt, wo sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen, wo ein ganzes Stück belgische Geschichte sich dann jeden Tag neu widerspiegelt, und das ist nicht so einfach zu lösen, da geht es ebensoviel um Symbole als auch um reale Probleme.
Ostermann: Wäre es nicht irgendwann einmal besser, das Land fiele auseinander, nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende?
Lambertz: Das glaube ich nicht. Stellen Sie sich mal vor, dass in jeder Ehe, wo Konflikte sind, nach diesem Verfahren letztlich vorgegangen würde, dann gäbe es kaum noch Familien, die zusammenhalten, denn Konflikte gibt es ja immer, wenn unterschiedliche Menschen zusammenleben müssen. Und Flamen und Französischsprachige sind in Belgien schon zwei sehr verschiedene Paar Schuhe, da gibt es große Unterschiede in den Mentalitäten, den Vorgehensweisen, auch in der Sicht über die Details der weiteren Umgestaltung Belgiens in einen Bundesstaat.
Das Problem Flamen, Wallonen ist zu alt wie Belgien selbst, es ist dann in den letzten 40 Jahren versucht worden, dieses Problem durch die Umwandlung Belgiens von einem Einheitsstaat in einen Bundesstaat in den Griff zu kriegen. Das ist bisher gar nicht so schlecht gelungen, denn diese Konflikte sind zwar da, aber sie werden doch auf eine sehr friedliche Weise gelöst, auch wenn das Geschehen gestern im belgischen Parlament schon etwas eigenartig war – obschon es sich da ja nicht um ein nationalistisches Kampflied, sondern um die ganz offizielle Hymne Flanderns handelte, die da gesungen wurde. Aber was schon bedenklich war ist, dass es einer Gruppe rechtsradikaler Flamen gelungen ist, so ins Parlament hineinzukommen und dann diese Show abzuziehen, aber das passte wohl in irgendeine Dramatisierung des Tages hinein, da haben ein paar Saalordner wohl nicht aufgepasst.
Ostermann: Karl-Heinz Lambertz, der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinde in Belgien. Herr Lambertz, ich danke Ihnen für das Gespräch heute früh!
Lambertz: Wiederhören!