Lahme Ente im Morast der Wertediskussion

Von Norbert Carius · 09.03.2013
Beim genauen Hinsehen sind gleich mehrere Parallelen zu entdecken zwischen Angela Merkel und dem Papst, bevor er vorzeitig abdankte. Streit und mangelnder Erneuerungswille lähmen das Oberhaupt - eine Lösung ist nicht in Sicht.
Irgendwie geht es Frau Merkel wie dem Papst. Die CDU-Chefin muss eine Schar von Schäflein bei der Stange halten, die die gemeinsame Grundüberzeugung auf höchst unterschiedliche, ja gegensätzliche Weise interpretieren. In der katholischen Kirche reicht das vom Opus Dei bis zur Befreiungstheologie. In der Union klaffen die Meinungen zu Grundwerten wie Ehe und Familie nicht weniger auseinander. Und auch hier spricht das Oberhaupt ein Machtwort – und stützt die konservativen Kreise.

Das "Basta" der Kanzlerin zur Homo-Ehe hat eine Debatte in der CDU abrupt beendet, die die Partei ins 21. Jahrhundert hätte führen können. Denn das von den Traditionalisten gepflegte Familienbild hat mit der Realität nicht mehr viel zu tun. Die Bilderbuch-Familie mit zwei Erwachsenen unterschiedlichen Geschlechts, die lebenslang glücklich zusammen bleiben und dabei mindestens zwei gemeinsam gezeugte Kinder groß ziehen, ist ja schon bei führenden Koalitionspolitikern nicht mehr die Regel, der CSU-Vorsitzende hat eine Art Patchwork-Familie, der Außenminister lebt in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft.

Vor allem die Fundamentalisten im Süden wehren sich dagegen, dass diese Wirklichkeit in die Politik einfließt: wenn schon die Realität nicht mehr den althergebrachten Vorstellungen entspricht, so will man doch wenigstens den Anschein wahren. Nur so konnten die Christsozialen auf die Idee mit dem Betreuungsgeld kommen, das unterm Strich weder christlich noch sozial ist. Wer Eltern dafür Geld gibt, dass sie ihre Kinder von Bildungs- und Integrations-Angeboten fernhalten und Frauen vom Berufsleben, kann nur ein Ziel haben: möglichst jeden Wandel in der Gesellschaft zu behindern. Das erinnert doch an die USA, wo Eltern ihre Kinder nicht in öffentliche Schulen schicken, weil dort die Darwinsche Evolution gelehrt wird, die doch im Widerspruch zum Bibeltext steht, nach der die Welt erst 7.000 Jahre alt ist.

Auch wenn es, wie die ohnehin nicht sehr wirklichkeitsnahe Familienministerin Schröder meint, ein Wert an sich ist, wenn zwei Menschen füreinander einstehen – ist es christlich, das vom Geschlecht abhängig zu machen? Und wieso beschädigt man das Verfassungsgeschützte Institut der Ehe, wenn man andere, längst gesellschaftlich akzeptierte Lebensentwürfe toleriert?

Dass Parteien über Werte diskutieren, ist ja an sich nicht zu beanstanden – im Gegenteil. Die SPD hatte eine solche Debatte durchzustehen, als die Schrödersche Rot-Grün-Regierung mit der Agenda 2010 den Grundwert Solidarität in Frage stellte – ein Streit, der im Übrigen bis heute nicht ausgestanden ist. Doch damals hatte die SPD einen Koalitionspartner, der sich einmischte und mithalf bei der Suche nach dem richtigen Weg. Wie immer man zu Schröders Reformen stehen mag: Rot-Grün hatte eine Vorstellung davon, wie man in Deutschland in Zukunft leben solle.

Beides - Koalitions-Korrektiv wie politische Vision - geht der schwarz-gelben Regierung ab. Bei der FDP sind Grundwerte schon lange kaum mehr zu erkennen, die Freiheit führt sie nur noch im Namen, es sei denn, die Freiheit, möglichst viel Geld verdienen zu dürfen. Der eigentliche Grundwert der FDP scheint doch die Regierungsbeteiligung zu sein. Ein solcher Koalitionspartner kann keinen fruchtbaren Einfluss nehmen auf die rückwärtsgewandte Wertedebatte in der Union.

So kann es kaum verwundern, dass die bei den Deutschen so beliebte Kanzlerin kurz vor der Bundestagswahl mit einer weitgehend handlungsunfähigen Regierung da steht. Lame Duck ist da schon fast ein schmeichelhafter Ausdruck: es sieht nicht so aus, als würde die schwarz-gelbe Chaostruppe in den nächsten sechs Monaten noch wesentliches zustande bringen.

Die Energiewende stockt, weil weder Umwelt- noch Wirtschaftsminister einen Weg wissen, und schon gar keinen gemeinsamen. Steuerpläne scheitern am oppositionsdominierten Bundesrat. Die FDP ist mit sich selbst beschäftigt, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich das auf dem Parteitag an diesem Wochenende ändert.

Der Papst ist zurückgetreten, als ihm klar wurde, dass ihm die Kraft fehlt, seine Gefolgschaft zu einen und in die Zukunft zu führen. Angela Merkel wird solches bestimmt nicht tun. Aber es wäre ihr fast zu wünschen, dass sie diese Koalition nach der Wahl im September nicht fortführen muss.
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