Lärm unter Wasser

Wie künstliche Geräusche Meerestiere bedrohen

07:12 Minuten
Ein Blauwal und ein Containerschiff vor der kalifornischen Küste.
„Es ist auf alle Fälle so, dass der Mensch auf ganz viele Art und Weisen die Geräusche im Meer verändert. Das reicht von direkten Störquellen wie zum Beispiel dem Schiffsverkehr." © picture alliance / dpa/ / AP Photo / John Calambokidis
Von Johannes Kulms · 01.04.2021
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Schiffsverkehr, Unterwasserbohrungen oder Sprengungen verursachen Schallwellen, die Meerestiere bis zu Tausende Kilometer weit wahrnehmen können. Eine Studie zeigt, dieser Lärm stresst die Tiere noch mehr, als bisher angenommen.
Ein kleines Land in Nordeuropa ist in Aufruhr; unheimliche Geräusche im Meer führen zu wilden Spekulationen: Spionieren russische U-Boote in schwedischen Gewässern? Die Angst sei in den 80er-Jahren ein Dauerthema in den Medien gewesen, erinnert sich Magnus Wahlberg – fast so präsent wie heute die Corona-Pandemie.
"Ich bin den 80er-Jahren aufgewachsen, und erinnern mich sehr gut dran. Das war sehr großes Thema damals. Das war fast so bedeutend wie Corona heute in den Nachrichten. Soweit ich mich daran erinnere, wurde in Schweden über fast nichts anderes als über B-Boote gesprochen. Es wurde sehr viel über das Problem in den Medien berichtet."
Selbst in den 90er-Jahren blieb das schwedische Militär misstrauisch. Denn die Töne im Meer blieben – auch nach dem Zerfall der Sowjetunion. 1996 zogen die Streitkräfte Magnus Wahlberg und einen Kollegen zurate – als junger Physiker und Biologe sollte er eine bis dahin streng geheime Tonaufnahme anhören. Das Militär hatte das Geräusch unter Wasser aufgenommen.


Doch wie sich herausstellte, rührte es nicht von osteuropäischen U-Booten. Vielmehr waren es Luftgeräusche. Von Heringsschwärmen…
Es habe so ähnlich geklungen wie das Geräusch, das entsteht, wenn Heringe in einer Pfanne angebraten werden, sagt Wahlberg.
Das Militär sei ein wichtiger Treiber gewesen, um Lärm in den Weiten der Ozeane zu erforschen, sagt Magnus Wahlberg, der heute an der Universität im dänischen Odense lehrt.
"Der Zweite Weltkrieg war entscheidend, weil er auch unter Wasser stattfand. Die Amerikaner wollten wissen, wie sich die Unterwasserwelt anhört. Denn sie haben versucht, die Geräusche von deutschen U-Booten zu identifizieren. Das war der Beginn der Bio-Akustik. Denn zu hören ist alles Mögliche: Wale, Delfine oder Fische – aber die Amerikaner wussten nicht, woher die Geräusche kamen. Und plötzlich gab es eine Menge Jobs für Biologen, die das klären sollten."

Auswirkungen des Unterwasserlärms auf die Meerestiere

Inzwischen haben sich Meeresgeräusche zu einem eigenen Forschungsschwerpunkt in der Wissenschaft entwickelt. Geophysiker wie Christian Berndt beschäftigen sich damit. Er arbeitet am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
"Es ist auf alle Fälle so, dass der Mensch auf ganz viele Art und Weisen die Geräusche im Meer verändert. Das reicht von direkten Störquellen wie zum Beispiel dem Schiffsverkehr. Über Experimente, die im Meer gemacht werden. Wo man zum Beispiel versucht, in den Untergrund hineinzugucken oder den Meeresboden abzubilden. Bis hin zu indirekten Effekten, wo wir durch den Klimawandel zum Beispiel eine Zunahme an Stürmen haben oder Eisschilde schneller abschmelzen und dadurch andere Geräuschkulissen verursachen."

Erst vor Kurzem hat ein internationales Forschungsteam um den spanischen Wissenschaftler Carlos Duarte die Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung zum Lärm in den Weltmeeren veröffentlicht. Danach ist die Geräuschkulisse heute eine ganz andere als im vorindustriellen Zeitalter.
Und der vom Menschen verursachte Unterwasserlärm führt bei Lebewesen im Meer zu großem Stress. Mit Folgen: Die Geräusche verändern das Verhalten der Lebewesen im Meer. Aber auch ihre Physiologie und ihr Fortpflanzungsverhalten. Denn viele Tiere nutzen akustische Signale nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Partnersuche. In extremen Fällen könnte der Meereslärm sogar zum Tod führen.
Unter dem Titel "Soundscape of the Anthropocene Ocean" hat das Forschungsteam bei YouTube eine siebenminütige Geräuschcollage ins Netz gestellt. Wer sie anhört, taucht ein in eine faszinierende wie auch verstörende Reise aus Gesängen von Walen und Seehunden gemischt mit Schiffsmotoren, abbrechenden Eismassen oder Regenfällen, aufgenommen rund um den Planeten.

Der Lärm in den Meeren sei ein ernsthaftes Problem, sagt Christian Berndt. Doch gebe es andere Faktoren, die weitaus größere Auswirkungen hätten auf den maritimen Lebensraum: das Schleppen von Grundnetzen oder die wachsende Sauerstoffarmut. Der Geophysiker sagt, es müsse unterschieden werden.
"…zwischen den Geräuschen, die absichtlich gemacht werden. Zum Beispiel für die Untersuchung vom Untergrund. Und Geräuschbelastungen, die unabsichtlich so nebenbei stattfinden wie zum Beispiel bei Schiffen. Das ist natürlich bei Schiffen denkbar, dass man die grundsätzlich leiser macht. Das kostet dann zwar Geld, aber das ist sicherlich technisch umsetzbar."
Wenn ein Schiff viel Schall produziere, deute dies daraufhin, dass es unnötig viel Energie verbraucht.
"Und das ist vielleicht einer der Hebel, an denen man da drehen kann. Wenn man jetzt überlegt, neue Elektromotoren, die sind natürlich viel leiser als Verbrennungsmotoren und das wird ja jetzt auch auf Fähren schon eingesetzt. Da gibt es viele Möglichkeiten, da technisch weiterzukommen und das wieder deutlich leiser zu machen."

Wirksame Bekämpfung von Lärm

Auch Windräder in der Nordsee sind eine starke Lärmquelle – gefährlich etwa für Schweinswale. Dann nämlich, wenn Pfeiler für die Anlagen in den Meeresboden gerammt werden. Um die Auswirkungen zu mildern, wird versucht, die Schweinswale während der Bauarbeiten zu verscheuchen. Außerdem kommen Blasenschleier zum Einsatz.
Mit Druckluft werden Luftblasen am Meeresgrund erzeugt, die wie ein Vorhang aufsteigen – er bildet eine dämmende Barriere für den Baulärm. Naturschutzorganisationen wie der NABU fordern, Blasenschleier auch bei der Entschärfung von Weltkriegsmunition zu nutzen. Vor anderthalb Jahren kamen bei Minensprengungen in der Ostsee Dutzende Schweinswale ums Leben – vermutlich wegen des Schalldrucks.
Das Lärmproblem in den Meeren sei deutlich einfacher in den Griff zu bekommen als etwa das Thema Plastik oder Quecksilbereinträge, sagt der schwedische Biologe Magnus Wahlberg.
"Ich bin zuversichtlich, dass das nicht das schlimmste Problem werden wird, mit dem die Meerestiere zu tun haben. Aber Forscher und Politiker sollten drauf achten, dass das alles nicht aus dem Ruder läuft."
Wahlberg und sein Geomar-Kollege Christian Berndt meiden alarmistische Töne, wenn es um die Folgen des Lärms in den Meeren geht.
Klar ist aber auch: Die Ozeane werden lauter. Und die jüngst veröffentlichte Studie von Carlos Duarte und seinem Team zeigt, dass das für Meerestiere schädlicher ist, als bislang angenommen. Derzeit werde das Problem stiefmütterlich behandelt, so die Forschenden. Sie fordern, den Lärm weltweit durch internationale Abkommen zu regulieren, denn Schall breitet sich im Wasser über Tausende Kilometer aus.
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