Längere Laufzeiten oder abschalten?

Gäste: Heinz Smital, Kernphysiker, und Hans Josef Allelein, Professor für Reaktorsicherheit- und Technik · 24.04.2010
Sie soll eine der größten Demonstrationen dieses Jahres werden: Mehr als 30.000 Menschen werden am Samstag, den 24.04.2010 für den Ausstieg aus der Kernenergie auf die Straße gehen. Unter dem Motto "KettenreAktion – Atomkraft abschalten!" wollen sie auf 120 Kilometern zwischen den Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel eine Aktions- und Menschenkette bilden.
Zwei Tage vor dem 24. Jahrestag des Reaktorunfalls von Tschernobyl wollen sie damit zum einen auf die Gefahren der Kernenergie und die ungelöste Endlagerfrage hinweisen, aber auch die politische Dimension thematisieren – kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Einer der Demonstranten wird Heinz Smital sein, Kernphysiker und Atom-Experte bei Greenpeace. Gerade durch sein Wissen als Physiker warnt er vor den unbeherrschbaren Gefahren: "Die Atomenergie hat viele Probleme. Das größte ist das Sicherheitsproblem, das Problem der Entsorgung – auch nach 50 Jahren weiß man noch nicht, wohin mit dem Müll. Ein weiteres Problem ist die Proliferation, also die Weitergabe von Atommaterial. Die Gefahren zeigen sich, wenn man auf Tschernobyl schaut. Da sind nur fünf Prozent des radioaktiven Potentials entwichen, und es wurden 200 Quadratkilometer verseucht. Daran kann man schon sehen, welches Höllenfeuer in so einem Atomkraftwerk brodelt. Und da ist es egal, von welchem Meiler wir reden."

Er fordert die Abschaltung der insgesamt 17 Kernkraftwerke in Deutschland.
"Man kann die sieben ältesten sofort abschalten und alle anderen abwickeln bis 2015 – wenn man das will und den Bereich der Erneuerbaren fördert. Wir stehen vor einer Energie-Entscheidung: Gehen wir in die Erneuerbaren oder fördern wir weiter die Atomkraft?"

Das Abschalten sei zudem die einzig konsequente Schlussfolgerung aus den Dokumenten rund um das geplante und umstrittene Endlager in Gorleben.
"Nach den Enthüllungen von Gorleben ist klar, der Standort Gorleben kann als Endlager nicht herhalten, der Standort Gorleben ist aufzugeben. Der Salzstock hat erhebliche Mängel und die sind zur Kenntnis zu nehmen. Man muss andere Standorte untersuchen, aber solange muss die Produktion eingestellt werden, denn das ist ja auch eine Frage des Volumens."

Seine Prognose: "Bis 2050 ist eine 100-prozentige Versorgung durch Erneuerbare möglich. Wenn man das will. Aber dann muss man das jetzt vorbereiten!"
Seien Überzeugung: "Die Atomenergie ist keine Brückentechnologie, sondern Blockadetechnologie."
Dies sieht Prof. Dr. Hans Josef Allelein anders. Der Professor für Reaktorsicherheit- und Technik an der RWTH Aachen ist zwar kein glühender Verfechter der Kernenergie, er hält sie in Deutschland aber für unverzichtbar.
Die geplanten Großdemonstrationen sieht er zwiespältig:
"Wir leben in einer Demokratie, und die hat als unangenehme Eigenschaft, dass wir über viele Sachen indirekt mitbestimmen können, von denen wir nichts verstehen. Ich kann grundsätzlich verstehen, dass die Menschen Angst haben. Aber ich habe wenig Verständnis, wie es gesteuert wird. Einerseits ist die Endlagerfrage ungelöst, andererseits wird nichts dazu getan, dass sich etwas tut. Wir haben ein 10jähriges Moratorium … Ich habe etwas dagegen, wenn es dazu dient, Ängste zu schüren. Da finde ich Aufklärung wichtiger. Die wahren Gefahren kommen doch nicht aus dem Endlager, sondern immer noch aus den Reaktoren. Im Grunde hat man die Endlagerfrage offen gelassen, um zu sagen, solange wir die nicht gelöst haben, können wir nicht verantwortlich Atomkraftwerke betreiben`."

Er fordert eine sachliche und differenzierte Diskussion über die Vor- und Nachteile der Kernenergie und einen gesellschaftlichen Konsens – auch zu der derzeit wieder strittig diskutierten Endlagerfrage:
"Man muss hier festlegen, was will man für ein Endlager, technisch wie gesellschaftlich. Dafür muss man satte Mehrheiten haben, das darf sich nicht von Wahl zu Wahl ändern. Und entsprechend dieser Kriterien muss geprüft werden. Das könnte dazu führen, Gorleben weiter zu verfolgen, es könnte aber auch dazu führen, es aufzugeben. Aber, was nicht sein kann, ist, dass man die ´beste Lösung` sucht. Das ist unseriös, das wird nie passieren."

Deutschland könne auf absehbare Zeit nicht auf Kernenergie verzichten:
"Uns geht es wirtschaftlich nicht so gut, da haben wir mit der Kernenergie eine preiswerte Möglichkeit, Strom zu produzieren, und es wäre unverantwortlich und leichtsinnig, dieses Potential zu verschenken. Wir müssten die Anlagen ja auch entsorgen, wir müssen den Müll entsorgen, ob es nun Gorleben ist oder ein anderer Standort. Volkswirtschaftlich wäre das eine starke Belastung."

Er verweist auf andere Länder, in denen die Kernenergie unstrittiger sei – in der Schweiz, Frankreich oder den USA. Wir Deutschen seien zu verwöhnt und zu wenig risikobewusst. Wir wollten immer alles: Luxus, aber nur keine Gefahren, jegliche Technik, aber nur nicht das Kraftwerk in der Nähe. Da seien die Franzosen pragmatischer, "uns fehlt da die notwendige Robustheit."

"Längere Laufzeiten oder abschalten? Wie weiter mit der Kernenergie?
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Heinz Smital und Prof. Dr. Hans Josef Allelein.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über Greenpeace
Über Hans-Josef Allelein