Labsal und tödliche Gefahr

Eine Frau reist in ihr Heimatdorf und in die Vergangenheit ihrer gestorbenen Mutter. Sie entdeckt, dass sie einen Bruder hatte, von dem sie nichts wusste. Der Debütroman von Monika Goetsch erzählt mit großer Dringlichkeit ein allerdings etwas überladenes Familiendrama.
Autoren begeben sich gern auf die Suche. Nach einer verlorenen Vergangenheit, einem unerkannten Ich, nach einem glosenden Geheimnis. Damit sind Ziel und Sinn der literarischen Ausgrabung festgeschrieben. Der rote Faden ist straff gespannt. Damit sich der Schreibende daran entlang hangeln kann auf dem Weg in die Tiefe der Seele oder des Einst.

So ist auch die Münchner Journalistin Monika Goetsch in ihrem ersten Roman tief eingetaucht in die dunklen Kerker ihrer Figuren, um die Schrecken eines Familiengeheimnisses aufzuspüren.

Eine junge Frau mit Mann und Kind und bleierner Trübsal in sich bekommt einen rätselhaften Anruf aus dem Dorf, in dem sie einst mit ihren Eltern lebte. Man habe einen Umschlag für sie. Sie fährt hin. Gegen den Willen ihres immerzu gut gelaunten Mannes, der ihre grübelnde Trauer um die vor wenigen Monaten verstorbene Mutter nicht verstehen kann. Er will jetzt leben. Und das Leben genießen.

Doch Ellen lächelt nur müde. Alles wird ihr zu viel. Das Kind, der Alltag, der Mann, die neue Schwangerschaft. Taub und fahrig bewegt sie sich durch die Tage. Der Anruf kommt gerade recht. Wie schön, der Qual der Familienidylle für eine kurze Zeit zu entfliehen.

Im süddeutschen Petersbach gibt man ihr den versprochenen Umschlag nicht, weil er für ihre Mutter sei. Sie buhlt und bittet, fragt und bleibt. Sie sieht und hört sich um im Dorf, geht zu dem Haus, in dem sie für kurze Zeit wohnten. Eine Doppelhaushälfte, damals gerade gebaut - wie Dutzende andere drum herum. Die elende Ödnis einer Neubausiedlung. Erinnerungen werden wach. Diffuse Bilder, die sich verdichten.

Und so verwebt die Autorin das Leben der jungen Frau mit dem Leben ihrer Mutter, als jene noch jung war. Auch sie verheiratet, ein Kind, dazu fremd im Dorf. Das trostlose Dasein einer Hausfrau in den 70er-Jahren, als die Welt noch in Ordnung war. Der Mann nie da, weil auf dem Weg zur Karriere, die Frau versinkend in freudloser Einsamkeit. Bis eine Sommerliebe erblüht. Eine Liebe auf Wiesen, am Fluss. Mit katastrophalen Folgen.

"Wasserblau" heißt der Roman. Wasser als Labsal und tödliche Gefahr zugleich.

Ellen entdeckt, dass sie einen Bruder hatte, von dem sie nichts wusste. Was ist mit ihm geschehen? Was haben die Eltern ihr verschwiegen? Und warum haben sie nach nur einem Sommer das Dorf fast fluchtartig verlassen?

Monika Goetsch kann mit großer Dringlichkeit erzählen. In einer klaren Sprache. Mit schnörkellosen Dialogen. Man folgt ihr hellhörig und mit Neugier auf die Pfade der Erinnerung bis hinein in die Gemütsnot und den Zusammenbruch.

Ein bisschen viel Drama packt die Autorin allerdings in ihren Erstling und befrachtet ihr schönes Erzählen mit bedeutungsvoller Symbolik. Hier noch ein Gruselmotiv für die brüchigen Nerven der Mutter aus deren Kindheit. Dort die Fehlgeburt der Tochter. Das ist wohl die Unsicherheit einer Debütantin. Dabei hat Goetsch allen Grund, dem ruhigen Fluss ihrer Erzählung, der inneren Spannung und der gescheit komponierten Dramaturgie zu vertrauen. Weniger wäre mehr gewesen.

Besprochen von Gabriele von Arnim

Monika Goetsch: Wasserblau. Roman
Doerlemann Verlag, Zürich 2010
240 Seiten, EUR 18,90