Kurzgeschichten aus der Hirnforschung

"Schreiben Sie Liebesbriefe", fordert der Hirnforscher und Autor Manfred Spitzer seine Leser auf. Die schriftliche Äußerung von Gefühlen sei Garant für eine lang andauerende Beziehung. Das ist nur eine Erkenntnis von vielen, die in der Aufsatzsammlung "Liebesbriefe und Einkaufszentren" präsentiert werden.
Geld macht einsam, Liebesbriefe auf Dauer glücklich und Meditieren senkt das Stressniveau. Wieso, weshalb und warum das so ist, erklärt der populäre Hirnforscher Manfred Spitzer in seinem neusten Buch "Liebesbriefe und Einkaufzentren". Hinter dem peppigen Titel verbirgt sich eine Aufsatzsammlung aus der Zeitschrift "Nervenheilkunde", deren Mitherausgeber Spitzer ist. Acht solcher Sammlungen mit Aufsätzen liegen bereits in Buchform vor. "Liebesbriefe und Einkaufzentren" ist damit der neunte Band.

Es ist eine gelungene Sammlung kurzer Essays und Berichte, die sich mit aktuellen Fragen der Hirnforschung beschäftigt. Verständlich geschrieben und auch für Nichtmediziner geeignet. Denn Manfred Spitzer verzichtet größtenteils auf Fachvokabular und überträgt Forschungsergebnisse auf unseren Alltag.

Zweiundzwanzig interessante Themen aus Hirn-, Verhaltens- und Lernforschung werden in kurzen, unterhaltsamen Kapiteln besprochen. So erfährt man, dass gläubige Menschen, anders als vielleicht erwartet, nicht ehrlicher sind als nicht-gläubige. Das zumindest haben Tests mit amerikanischen Studenten ergeben. Und im Supermarkt sind Nukleus accumbens und präfrontaler Kortex aktiv, die Zentren für Belohnung und Entscheidungen, die unsere Einkäufe lenken.

Doch ist es wirklich sinnvoll, zu erforschen, was im Gehirn passiert, wenn man eine Cola kauft? Wäre es nicht besser, die teuren Hirnscanner für die Diagnose von Krankheiten zu nutzen, fragt Spitzer. Man ist als Leser dankbar für solche Einwürfe und Hinweise. Denn nicht alles was den Titel "wissenschaftliche Studie" trägt, muss tatsächlich sinnvoll sein.

Spitzer resümiert am Ende jedes Kapitels die möglichen Konsequenzen, die sich aus den Studien ergeben. Das ist gut, denn auch sinnvolle Untersuchungen können unsinnig eingesetzt werden, wie folgendes Beispiel zeigt.

Studien haben ergeben, dass Kinder bereits mit wenigen Monaten Sprachen unterscheiden können. Medienkonzerne nutzen dies um Sprach- DVDs und CDs für Kinder anzupreisen. Das ist irreführend, hat sogar den gegenteiligen Effekt. Denn nur wenn echte Menschen, sich den Kleinen direkt zuwenden, hat das später einen positiven Effekt beim Spracherwerb, erklärt Spitzer. Grund dafür ist, dass Lernen stark mit emotionalen Erfahrungen verbunden ist und besonders bei Kleinkindern positive Verstärker wie Körperkontakt entscheidend für den Spracherwerb sind.Das können Audio- oder Fernsehbeiträge nicht leisten.

Erfreulich dagegen das Kapitel über Untersuchungen zur sprachlichen Kommunikation, das zu dem Ergebnis kommt, Liebesbriefe sind ein Garant für eine lang andauernde Beziehung. Also, äußern sie Ihre Emotionen, schreiben Sie Liebesbriefe, rät der Autor. Denn wer gelernt hat seine positiven Gefühle zu artikulieren, dem fällt es auch leichter über Probleme zu sprechen.

Solche Beispiele machend deutlich, wie unterschiedlich man mit Ergebnissen aus der Forschung umgehen kann und was sie für unseren Alltag bedeuten. Manfred Spitzer gewährt dem Leser einen ausführlichen Blick in Forschungslabore. Er erklärt wie die Testpersonen für die Experimente ausgewählt werden, was sie genau tun müssen und wie die Forscher ihre Ergebnisse interpretieren. Denn nur, wer versteht, wie etwas funktioniert, kann sich auch dazu verhalten, lautet sein Motto.

Der meinungsfreudige Autor kann aber zuweilen ganz schön vehement werden, wenn es um Streitthemen zwischen verschiedenen Forschergruppen geht. Wo Spitzer sich von Kollegen missverstanden fühlt, überrascht er mit Hartnäckigkeit und ausführlicher Darlegung der unterschiedlichen Positionen. Für die meisten Leser, die den Wissenschaftsdiskurs nicht kennen, wird es dann schwierig zu folgen. Zum Glück betrifft dies nur zwei der insgesamt zweiundzwanzig Kapitel. In allen anderen Kapiteln finden sich zahlreiche Anregungen und Denkanstöße.

Rezensiert von Susanne Nessler

Manfred Spitzer: Liebesbriefe und Einkaufszentren. Meditationen im und über den Kopf
Schattauer Verlag
214 Seiten, 19,95 Euro