Kurzarbeit "wie eine Droge"

Marie-Christine Ostermann im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Die Bundesvorsitzende des Verbandes "Die Jungen Unternehmer", Marie-Christine Ostermann, fordert drastische Einschnitte ins Steuersystem. Vor allem mittelständische Unternehmen sollten entlastet werden, so Ostermann.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind knapp über 30. Ihr Verband aber, den Sie vertreten, ist schon 60 Jahre alt. Sind Sie eine junge Unternehmerin mit recht alten Verbandspositionen?

Marie-Christine Ostermann: Ich bin eine junge Unternehmerin mit sehr aktuellen Verbandspositionen. Ich finde, dass wir sehr, sehr wichtige Themen vertreten. Denn wir jungen Unternehmer, BJU, setzen uns besonders ein für die junge Generation – und hier besonders für Themen, wie die hohe Staatsverschuldung und die Generationengerechtigkeit. Denn schon jetzt hat jedes kleine Kind über 20.000 Euro Schulden. Es sind alles kleine Schuldenzwerge. Und ich möchte nicht, dass so die Zukunft der jungen Generation verbaut wird, indem wir einfach die hohen Schulden irgendwann alle wieder zurückzahlen müssen. Das sind eben Themen, für die wir uns einsetzen, für die wir kämpfen. Das finde ich einfach ganz, ganz wichtig.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja ein zentrales Thema genannt: die hohe Staatsverschuldung. Und Sie sagen, die muss abgebaut werden. Wie würden Sie denn vorgehen, wenn Sie jetzt morgen, übermorgen die Entscheidungen treffen könnten? Wie machen Sie das?

Marie-Christine Ostermann: Ich finde hier eine ganz konsequente Wachstumspolitik, verbunden mit striktem Sparen, ganz wichtig. Und Wachstum können wir schaffen, indem wir den Mittelstand, den Motor unserer Wirtschaft, mehr stärken und zum Beispiel ganz konkret die Kostenbesteuerung bei der Gewerbesteuer abschaffen. Es ist nämlich so, dass Kostenelemente auf den Gewinn drauf geschlagen werden, wie Mieten, Zinsen, Pachten, und besteuert werden. Das schwächt einfach die Eigenkapitalbasis der Unternehmen. Es schwächt die Bonität. Es ist schwieriger, bei den Banken dann Kredite zu bekommen. Solche wirklich perversen – wie ich finde – Regelungen müssen dringend abgeschafft werden. Denn gerade wir mittelständischen Familienbetriebe möchten mehr Wachstum schaffen, möchten mehr Mitarbeiter einstellen. Dafür muss man uns aber auch gute Rahmenbedingungen geben.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja geschäftsführende Gesellschafterin eines Lebensmittelgroßhandels, Rullko in Hamm, kennen also aus eigenem Erleben das Thema, wie Sie sagen, Gewerbesteuer. Würden Sie denn nichts zahlen wollen für die öffentlichen Leistungen?

Marie-Christine Ostermann: Oh doch, ich möchte gerne zahlen und mich auch beteiligen, denn ich sehe, wie schlecht es den Kommunen geht, gerade hier in Nordrhein-Westfalen. Aber auf der anderen Seite ist es auch so, dass wir zum Beispiel in 2009 schon die höchsten Steuereinnahmen generell überhaupt hatten in Deutschland. Wir zahlen alle wirklich viele Steuern. Und wir müssen einfach das Steuersystem so umbauen, dass es wirklich auch Wachstumsanreize setzt.

Ein Thema sind da zum Beispiel auch meine Mitarbeiter. Ich sehe einfach gerade bei den mittleren und kleineren Einkommen, wie hoch die Belastungen sind, die Steuern und Abgaben und vor allem die kalte Progression. Die zahlen auf jeden Euro, den sie mehr verdienen, progressiv mehr Steuern und sagen mir dann auch manchmal, wenn ich zum Beispiel gerne eine Prämie bezahlen möchte im Lager für gute Arbeit, dass sie die Prämie nicht möchten, weil es sich für die Mitarbeiter nicht lohnt. Deswegen finde ich, dass wir gerade im steuerlichen Bereich ansetzen müssen und nicht unbedingt weniger Steuern einführen müssten, sondern einfach das Steuersystem umbauen müssten, damit es einfach gerechter wird.

Deutschlandradio Kultur: Aber interessanterweise ist es so, wenn man die jüngsten Umfragen noch mal zur Hand nimmt, dass vor allen Dingen auch Familienbetriebe relativ gut durch die Krise gekommen sind. Also, sie sind jetzt nicht kurz vor der Pleite. Sie sind trotz dieser Steuerregelungen, die sie haben, einigermaßen gut aufgestellt.

Marie-Christine Ostermann: Das ist richtig. Das hat sehr viel auch, glaube ich, mit den Werten in Familienunternehmen zu tun. Also, mein eigener Vater hat es mir die letzten 30, 40 Jahre vorgelebt. Er hat immer gesagt, er möchte wenig Risiko und das Geld immer wieder ins Unternehmen zurück investieren. Das hat er gemacht und mir auch gezeigt, dass das eben richtig ist. Wir haben im Steuersystem zu viele Anreize, dass zu viel Fremdkapital aufgenommen wird. Das ist neben der Kostenbesteuerung bei der Gewerbesteuer zum Beispiel die Diskriminierung des Eigenkapitals. Zum Beispiel können Sie Fremdkapitalzinsen vom Gewinn absetzen. Es mindert Ihre Steuerlast. Aber mit Eigenkapitalzinsen geht das nicht. Oder Sie haben die Abgeltungssteuer, die nur 25 Prozent beträgt am Kapitalmarkt. Und wenn Sie das Geld ins eigene Unternehmen investieren, müssen Sie dann viel mehr Steuern bezahlen. Das sind ja alles Anreize, finde ich, dass die Unternehmen mal lieber mehr Fremdkapital aufnehmen wollen generell. Ja, da muss man einfach ansetzen, die Leute mehr zu motivieren, das Geld im Unternehmen zu lassen. Denn dann geht man auch gestärkt durch die Krise.

Deutschlandradio Kultur: Einmal wollen Sie gerne, dass die einbehaltenen Gewinne gar nicht besteuert werden. Oder Sie sagen auch, dass das eigene Kapital verzinst werden kann, steuerlich begünstigt verzinst werden kann. Auf der anderen Seite möchten Sie am Ende auch die Gewerbesteuer abschaffen. Das bedeutet doch, dass Sie keine Unternehmenssteuern mehr wollen.

Marie-Christine Ostermann: Nee, wir möchten die Gewerbesteuer nicht abschaffen. Wir wünschen uns, dass die Gewerbesteuer umgestaltet wird, nämlich dass sie auf einer anderen Basis aufgebaut ist, nämlich einen eigenen Hebesatz auf die Einkommenssteuer, auf die Körperschaftssteuer und eine eigene Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer. Denn dadurch wäre diese Steuer einfach breiter aufgestellt und auch nicht mehr so extrem stark schwankend, wie sie jetzt ist.

Denn jetzt sieht man ja, in schlechten Zeiten, zum Beispiel hier in der Kommune Hamm, sind die Steuereinbrüche extrem groß geworden. Die Kommune ist hoch verschuldet. Unterm Strich wird jetzt die Gewerbesteuer erhöht, weil die so große Probleme haben. In anderen Städten ist das auch so. Und es ist natürlich wichtig, dass die Kommunen an einer guten konjunkturellen Lage der Unternehmen nach wie vor interessiert sind, aber es wäre besser, wenn die Steuer nicht so konjunkturanfällig wäre.

Ich glaube, dass es einfach viel, viel mehr Sinn machen würde, wenn diese Steuer einfach breiter angelegt wäre. Dafür müsste man natürlich, wenn man größere Bevölkerungsgruppen in diese Steuer mit einbeziehen würde durch einen Hebesatz der Kommunen auf Einkommenssteuer und bei den Firmen auf die Körperschaftssteuer, müsste man diese Steuertarife erst mal leicht absenken, damit dann Platz für diese neue Änderung wieder ist. Also, ich möchte nicht, dass das Steueraufkommen insgesamt gesenkt wird, sondern einfach, dass es so umgebaut wird, dass bessere Anreize da sind, dass mehr Wachstum geschaffen werden kann. Ich glaube, dass das auch eigentlich ganz gut wäre für die Kommunen, wenn die Bürger alle mit an dieser Steuer beteiligt wären. Weil, dann wäre es schwieriger für die Städte, Steuererhöhungen durchzusetzen, weil man das wirklich ja mit allen Bürgern vereinbaren müsste. Da hätte jeder ein großes Interesse daran dann. Und, ja, das fände ich wesentlich besser.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie wollen es auf breitere Beine stellen, aber Sie würden schon gerne Ihr Unternehmen auch steuerlich einen Teil entlasten, wenn ich Sie richtig verstanden habe.

Marie-Christine Ostermann: Mir ist es wichtig bei der Gewerbesteuer, dass diese Kostenbesteuerung abgeschafft wird. Denn wenn die Unternehmen mehr Eigenkapital haben, weil diese Substanzbesteuerung nicht mehr da ist, dann können sie auch mehr Arbeitsplätze schaffen. Mehr Arbeitsplätze bedeutet dann auch wieder mehr Steuereinnahmen, mehr Sozialversicherungsbeiträge. Ich möchte jetzt allerdings nicht, dass wir jetzt massiv weniger Steuern zahlen, aber einfach dass solche perversen Regelungen, wie eine Kostenbesteuerung, dass es die nicht mehr gibt. Und dafür haben wir wirklich einfach kein Verständnis und es schwächt uns einfach.

Deutschlandradio Kultur: Warum ist die Kostenbesteuerung pervers? Denn es gibt ja laufende Dienstleistungen. Die kann die Kommune ja in einer wirtschaftlich schwachen Zeit nicht einfach abschalten. Sie müssen ja auch Geld für Strom und für Energie bezahlen, ob es Ihnen gut oder schlecht geht, warum nicht also auch für den öffentlichen Dienst, der auch den Betrieben und nicht nur den Bürgern zugute kommt?

Marie-Christine Ostermann: Ich finde einfach, dass man Steuern bezahlt, wenn man etwas verdient, wenn man einen Wert schafft, einen Gewinn. Aber es gibt ja auch Firmen, die erwirtschaften gerade in Krisenzeiten keinen Gewinn und haben eben laufende Kosten durch Mieten, Zinsen, Pachten. Und dann werden diese Kosten hergenommen und besteuert. Das finde ich einfach nicht richtig. Denn ich kann ja nur etwas abgeben, wenn ich auch etwas verdiene.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind ja nicht nur Unternehmerin, sondern Sie sind ja auch jemand, der in Berlin Lobbyarbeit macht und genau versucht, dort noch mal die Position klar zu kriegen. Und jemand wie der Bundeswirtschaftsminister, Herr Brüderle, hat schon immer gesagt, ja, der Mittelstand ist genau das Rückgrat der Wirtschaft hier in Deutschland. Haben Sie denn die richtigen Ansprechpartner mittlerweile in Berlin gefunden? Seit November machen Sie diesen Job.

Marie-Christine Ostermann: Ich habe ein gutes Verhältnis zu Herrn Brüderle, konnte mich schon oft mit ihm austauschen. Und ich bin auch froh, dass wir einige Erfolge da eben auch schon durchsetzen konnten.

Deutschlandradio Kultur: Was haben Sie denn erreicht?

Marie-Christine Ostermann: Zum Beispiel bei der Erbschaftssteuer: Wenn man sieben Jahre den Betrieb hält, dann wird man komplett von der Erbschaftssteuer befreit. Und vorher waren es zehn Jahre. Das ist für uns natürlich schon ein schöner Erfolg. Denn ich habe mit vielen jungen Nachfolgern gesprochen oder jungen Leuten, die überlegen, ob sie die Nachfolge antreten im Unternehmen. Und diese Zehnjahresregelung, das hat schon viele abgeschreckt, weil man für zehn Jahre auch das Personal genauso halten musste wie jetzt, wie der Stand jetzt aktuell ist. Das war für viele schon eine Abschreckung. Es ist einfach eine große Herausforderung, so einen Betrieb zu übernehmen. Und ich finde, es lässt sich gut für vielleicht vier Jahre abschätzen, wie die wirtschaftliche Entwicklung sein wird. Aber zehn Jahre waren einfach sehr, sehr lange. Denn wenn so eine Krise, wie wir sie letztes Jahr hatten, wie sie immer noch ist, noch mal kommt und sie haben große Probleme und sie müssen vielleicht einen Teil ihres Betriebes verkaufen, und dann in dem Moment schlägt die Erbschaftssteuer zu, dann könnte das dem Unternehmen das Genick brechen. Viele junge Leute sind da schon sehr abgeschreckt gewesen.

Und da habe ich mich sehr gefreut, dass wir diese Vereinfachung durchsetzen konnten, dass es jetzt nur noch sieben Jahre sind und nicht mehr zehn Jahre.

Deutschlandradio Kultur: Hätten Sie es denn gerne noch kleiner gehabt oder die Erbschaftsteuer lieber ganz abgeschafft?

Marie-Christine Ostermann: Ja. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn wir die Erbschaftssteuer ganz abgeschafft hätten, weil ich glaube, dass es noch mehr junge Menschen motivieren würde, den Betrieb zu übernehmen. Es sind über 70.000 Betriebe, die jedes Jahr eine Nachfolgeregelung suchen. Und noch nicht mal die Hälfte davon schafft es, diese Regelung innerhalb der eigenen Familie durchzusetzen. Deswegen glaube ich, dass es besser wäre, die Erbschaftssteuer abzuschaffen.

Deutschlandradio Kultur: Frau Ostermann: "Weniger staatliche Regulierung, unternehmerische Freiheit wahren", das scheint Ihr Motto zu sein. Wenn man das mal richtig runter dekliniert, könnte man eigentlich auch sagen, dann war so etwas wie eine Kurzarbeiterregelung ordnungspolitisch ein richtiger Fehler.

Marie-Christine Ostermann: Ganz genau. Ich denke, die Kurzarbeit ist vorübergehend eine gute Regelung gewesen, aber langfristig gesehen wird natürlich durch die Kurzarbeit auch ein Strukturwandel verhindert. Und jetzt wurde die Kurzarbeiterregelung wieder erweitert bis März 2012. Und das finde ich nicht richtig, weil es sich einfach zu lange hinzieht. Das ist einfach eine Subvention an Betriebe, die schlechter wirtschaften als Betriebe, die ohne Kurzarbeit langfristig eben auskommen.

Deutschlandradio Kultur: Könnte es nicht Betriebe geben, die erst jetzt Schwierigkeiten mit der Krise haben, die vor eineinhalb Jahren stattgefunden hat, und die dann benachteiligt sind, wenn sie auf diese Instrumente überhaupt nicht zurückgreifen können?

Marie-Christine Ostermann: Ja, wenn es Betriebe sind, die jetzt vielleicht gerade zum ersten Mal Kurzarbeit anmelden für einen gewissen Zeitraum, dann ist das sicherlich eine gute Regelung, auf die Kurzarbeit zurückgreifen zu können. Aber wenn es Betriebe sind, die ja schon wirklich länger diese Kurzarbeitregelung nutzen, ist es einfach jetzt wieder eine Vereinbarung Dritter, nämlich zu Lasten eben auch der Steuerzahler. Und das ist ja nun mal die Grundregel am Markt, dass ein Unternehmen eben zusehen muss, dass es gute Produkte bereitstellt, eine gute Leistung am Markt erbringt. Ansonsten geht man insolvent, muss verkaufen. Das ist einfach die Regelung, aber das ist auch richtig und wichtig so. Man kann sich ja nicht immer darauf verlassen, dass man vom Staat gerettet wird.

Ja, ich habe auch den Eindruck, die Kurzarbeit ist wie eine Droge, einmal eingeführt und man kommt nicht mehr davon los. Man muss aber dann Einschnitte auch machen und sagen, hey, die Wirtschaft muss zusehen, wie sie klar kommt. Das ist nun mal der Wettbewerb. Und alles andere ist Wettbewerbsverzerrung. Auch Opel sollte jetzt keine staatlichen Hilfen bekommen. Das wäre einfach der falsche Weg. Ja, warum sollten Mitarbeiter, die bei Ford arbeiten über ihre Steuergelder Opel mit subventionieren und sich somit noch ins eigene Fleisch schneiden. Also, das geht einfach nicht.

Deutschlandradio Kultur: Dann würden Sie rückblickend auch sagen, dass sämtliche Konjunkturprogramme, die wir in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland gemacht haben, eigentlich ordnungspolitisch verheerend waren, weil sie den Strukturwandel verhindert haben? Also, man hätte das lieber dem Markt überlassen sollen – von Amerika bis nach China?

Marie-Christine Ostermann: Richtig, absolut. Wir leben nun mal im Wettbewerb. Da ist auch einfach wichtig. Weil, wenn Sie einfach immer sich darauf verlassen können, dass Sie vom Staat gerettet werden, dann sind Sie auch nicht mehr vorsichtig. Dann gehen Sie einfach mit Ihrem Geld um, ohne drüber nachzudenken. Und auch ich als Unternehmerin weiß, dass mich im Zweifelsfall niemand rettet und dass ich insolvent gehen kann. Und das ist für mich aber ganz wichtig, weil ich mir so ganz genau überlege, was für Strategien ich fahre, wo ich mein Geld investiere. Schauen Sie sich diese wahnsinnigen Staatsverschuldungen an in allen Ländern und auch in Deutschland. Das ist einfach unglaublich beängstigend. Und wir müssen diese Schulden ja irgendwann alle mal wieder zurückbezahlen. Und jetzt kriegt Griechenland auch noch mal eben acht Milliarden Euro eventuell, falls die Hilfe in Anspruch genommen wird. Und wir haben so viele eigene Probleme vor der eigenen Haustür, die wir dringend erst mal anpacken müssen, wie eine Reform unserer sozialen Sicherungssysteme, weil die auch nicht mehr finanzierbar sind bei dem demografischen Wandel, den wir haben.

Deswegen finde ich, da muss man auch als Unternehmer die Eigenverantwortung übernehmen für sein eigenes Geschäft, mit dem Wissen, wenn ich Gewinne mache, super, fahre ich die richtige Strategie. Aber ich kann eben auch insolvent gehen. Und ich werde nicht gerettet vom Staat.

Deutschlandradio Kultur: Aber das ist doch auch ein Problem für die Wirtschaftspolitik. Wenn man über lange Jahre Wirtschaftsförderung macht und versucht, auch neue Branchen zu entdecken, Unternehmen zu unterstützen in ihrer Entwicklung, und dann kommt eine Krise und dann sagen Sie, Politiker sollen die Hände in den Schoß legen? Es war doch die Furcht, dass viele Zulieferbetriebe, also der Mittelstand, unter der großen Krise in die Knie geht. Und darum hat man gesagt, wir müssen etwas tun, in diesem Fall Beispiel Opel beispielsweise, ein zentrales Unternehmen, nicht allzu schnell sterben zu lassen.

Marie-Christine Ostermann: Ja, aber ich vertrete da ganz klar die Meinung, dass die Krise bei Opel nicht durch die Wirtschaftskrise entstanden ist, sondern durch schlechtes Wirtschaften. Die Konkurrenten hatten die besseren Produkte. Und dann ist es einfach nicht in Ordnung, dass der Staat da mit unter die Arme greift. Das tut dann weh. Es müssen dann vielleicht auch Arbeitsplätze abgebaut werden, aber besser das dann sofort zu tun und den Strukturwandel einzuleiten, anstatt erst noch mal ordentlich viel Geld zu bezahlen, was hinterher dann verloren ist. Das bringt nichts.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben vorher das Beispiel auf internationaler Ebene genannt, Griechenland, und sagten, da sollte man auch nicht helfen. Griechenland ist innerhalb des Euro-Raumes. Griechenland ist ein Land und nicht ein kleines Unternehmen, das einfach verschwinden kann. Würden Sie das einfach dann sagen, ja, dann muss das Land schauen, wie es zurechtkommt, egal, was mit dem Euro passiert? Das Land soll einfach absaufen?

Marie-Christine Ostermann: Wir haben ja gesehen, dass Griechenland jahrelang massiv über seine Verhältnisse gelebt hat. Griechenland ist auch nicht das einzige Land, das Probleme hat. Da gibt’s noch Spanien, Italien und einige andere Länder. Wir können einfach nicht für die Schulden, die in anderen Ländern aufgebaut wurden, alle auch noch aufkommen und einspringen.

Ja, das, was wir Familienunternehmer jeden Tag auch vorleben, wir haften für die eigenen Entscheidungen, übernehmen die Verantwortung für das, was wir machen. Und das muss, finde ich, für Staaten, für Länder genauso gelten. Warum nur für Unternehmen? Und auch Privatpersonen, die rettet doch auch keiner, wenn jemand Pleite geht. – Klar, ein Land sagt dann, okay, ich bin systemrelevant. Aber das ist auch eine Art, fast zu sagen Erpressung. Es geht einfach nicht. Das ist einfach ein Fass ohne Boden.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben zu Teilen sicherlich Recht, aber zu einem anderen Teil würde ich meinen, ist das wirklich die richtige Argumentation für ein Exportland? Wir haben ja den Griechen unsere Produkte und Leistungen verkauft. Und unsere Banken haben denen Kredite gegeben. Also, eigentlich könnte man auch sagen, es war doch auch euer Problem, was da passiert ist.

Marie-Christine Ostermann: Ja, aber die Griechen haben natürlich auch profitiert durch die niedrigen Zinsen, die sie dann bekommen haben innerhalb der Währungsunion. Letztendlich muss man einfach von jedem Land, was da eben dann auch teilnimmt, fordern, dass sie ihre Staatsfinanzen im Griff haben, dass sie verantwortungsbewusst handeln, auch nicht lügen, betrügen und ihre Zahlen fälschen. Griechenland muss massiv jetzt sparen, konsolidieren. Und im schlimmsten Fall vertreten wir die Meinung, dass Griechenland aus der Währungsunion ausscheiden müsste. Anders geht es nicht, weil, sonst wäre es einfach ein Freibrief für die anderen Staaten, eben auch sich massiv weiter zu verschulden.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben vorher gesagt, dass Sie ganz zufrieden waren mit der Politik von Herrn Brüderle. Wenn Sie sich jetzt diese anderen Fragen anschauen und diese schwarz-gelbe Regierung in Berlin, sind Sie dann an all diesen Stellen, was Europa angeht, was Haushaltsverschuldung angeht, völlig enttäuscht? Eigentlich müsste es doch genau diese politische Gruppierung sein, die Ihre Ideen weiter trägt.

Marie-Christine Ostermann: Ja, das ist richtig. Gut, ich habe mich über gewisse Änderungen gefreut im Wachstumsbeschleunigungsgesetz, wie zum Beispiel der Erleichterung der Erbschaftssteuer, aber das waren sicherlich alles nur Reparaturen, aber noch keine richtigen Reformen. Ich hoffe sehr, dass jetzt Reformen kommen nach der NRW-Wahl. Ich würde mir sehr, sehr wünschen, dass zum einen unser Steuersystem vereinfacht wird, dass gerade eben auch die mittelständischen Einkommen, die jetzt nicht so viel verdienen, dass die auf jeden Fall entlastet werden durch eine Abschaffung der kalten Progression und des Mittelstandsbauchs. Das wäre mir sehr wichtig.

Deutschlandradio Kultur: Das muss aber auch finanziert werden.

Marie-Christine Ostermann: Richtig. Das wollte ich gerade sagen, dass es einfach mir auch sehr wichtig ist, dass unsere Politiker mehr sparen. Konkret wurde noch nicht gesagt, wo jetzt hier endlich eingespart wird und die massive Staatsverschuldung abgebaut wird. Das schafft man sicherlich durch mehr Wachstum, aber wir müssen da auch konkret Subventionen abbauen und gucken, wo wir eben einsparen können.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie zum Beispiel jetzt fordern, dass die Rentengarantie falsch war, fordern Sie da nicht genau das Gegenteil, was notwendig wäre, nämlich die Reformen zu schmieren mit Sozialpolitik?

Marie-Christine Ostermann: Die Rentengarantie, finde ich, muss dringend abgeschafft werden, weil das nicht so weitergehen kann. Wir haben ja immer weniger junge Menschen, immer mehr alte. Wir haben leider auch schon mehr Transfergeldempfänger als Einzahler. Und somit ist auch die Rentengarantie nicht mehr finanzierbar. Und in Zeiten, wo es allen schlechter geht, müssen eben auch alle den Gürtel enger schnallen. Und wenn dann nun mal weniger da ist, dann müssen die Rentner eben auch weniger bekommen.

Und ja, ich möchte auch nicht, dass durch diese Rentengarantie ein Keil zwischen die Generationen geworfen wird. Mir ist es ja auch wichtig und ich finde es auch richtig, dass jemand, der sein Leben lang hart gearbeitet hat, seine Rente bekommt. Aber da, finde ich, müssen unsere Politiker die Rahmenbedingungen setzen, dass das eben auch möglich wird. Und ich glaube, bei der demografischen Entwicklung, wie wir sie jetzt haben, geht das nur, wenn jeder auch mehr selbst mit anspart und mehr Eigenverantwortung übernimmt – auch bei der Rente.

Deutschlandradio Kultur: Die Rentner, die heute kleine Renten haben, wollen Sie denen wirklich zumuten, wie Sie es gesagt haben, dass die einfach weniger bekommen und nicht wenigstens den Sockel behalten, den sie im Moment haben?

Marie-Christine Ostermann: Und was machen Sie mit der Bevölkerung, die die Renten ja nun mal erwirtschaften muss und die ganzen hohen Schulden zurückbezahlen muss? Und es werden immer weniger junge Leute. Wissen Sie, wo es mir drum einfach geht, ist, dass wir jetzt das so einspielen, dass es eben langfristig über die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte auch finanzierbar ist, unsere Rente. Und wenn wir alles so lassen, wie es jetzt ist, dann wird das System irgendwann zusammenbrechen.

Allein schon jetzt gehen über 80 Milliarden Euro als Staatszuschuss ins Rentensystem. Man sieht einfach, dass es so nicht funktioniert. Und das macht mich einfach so wütend, dass nichts daran geändert wird. Das ist mit eine der wichtigsten Reformen, denke ich, die wir dringend brauchen, dass wir unsere sozialen Sicherungssysteme umbauen, dass sie finanzierbar sind.

Deutschlandradio Kultur: Frau Ostermann, in zwei Wochen finden in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen statt. Glauben Sie denn, dass es nach dieser Landtagswahl zu diesem Politikwechsel kommen wird im Bund wie im Land, von dem Sie sich Fortschritte im Land erhoffen?

Marie-Christine Ostermann: Ich hoffe sehr. Ich hoffe einfach sehr, dass dann endlich Steuerreformen angegriffen werden, die dringend notwendig sind, und zwar keine kleinen Reparaturen, sondern wirkliche Reformen, eine Abschaffung des Mittelstandsbauches und der kalten Progression. Ja, ich hoffe, dass Reformen kommen bei den sozialen Sicherungssystemen. Ich bin gespannt, wie das weitergeht bei der Krankenversicherung. Hier ist es ganz wichtig, dass der Faktor Arbeit nicht mehr teurer wird und nicht noch mehr Kosten drauf kommen. Deswegen finde ich auch den Vorschlag von Herrn Rösler sehr gut, eine Gesundheitsprämie einzuführen. Und ja, ich bin gespannt und ich glaube aber und ich hoffe, dass Reformen jetzt auch konkret angegriffen werden nach der Wahl.

Deutschlandradio Kultur: Aber es könnte ja passieren in Nordrhein-Westfalen, dass gerade die Partei, die wohl am meisten Ihre Position vertritt, nämlich die Freien Demokraten, nicht den Erfolg haben, den sie brauchen, um noch mal in Düsseldorf in die Regierung zu kommen. Das bedeutet doch auch, dass Positionen, wie Sie sie vertreten, in der Bevölkerung nicht den Erfolg hatten, wie es schien in der Bundestagswahl beispielsweise.

Marie-Christine Ostermann: Das wird sich dann zeigen. Wie gesagt, die Wahl war ja noch nicht. Von Prognosen halte ich auch nicht so viel, weil, die ändern sich sowieso immer täglich.

Deutschlandradio Kultur: Nun sind Sie Generalsekretärin.

Marie-Christine Ostermann: Nein, bin ich nicht. Ich bin auch parteilos. Aber, was wir zum Beispiel machen, wir gehen nächste Woche auch nach Düsseldorf am Dienstag und kämpfen dort für mehr Arbeitsplätze, machen dort eine Kundgebung für mehr Arbeitsplätze. Ja, wir schauen dann einfach mal, wie die Bevölkerung reagieren wird und wie sie wählen wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass Schwarz-Gelb die richtigen Reformen auch angreifen wird in Zukunft. Und da werde ich auch mich nach wie vor hartnäckig immer mit einbringen und sagen, was ich aus unternehmerischer Sichtweise eben für richtig halte, weil ich als Unternehmerin tagtäglich ja auch viele Gesetze am eigenen Leibe eben auch in der Praxis erlebe. Ja, da ist es wichtig, dass ich mich nach wie vor mit einbringe.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie setzen im Land auf eine schwarz-gelbe Regierung – die hatten wir bereits schon fünf Jahre – und hoffen gleichzeitig, dass bei den nächsten fünf Jahren es dann zu einem Politikwechsel kommt?

Marie-Christine Ostermann: Ich hoffe, dass die Dinge, die ich gerade alle angesprochen habe, die wichtig sind, dass die jetzt eben angegriffen werden nach der Wahl. Und da bin ich auch, bin ich zuversichtlich. Jetzt ist es eben, glaube ich, für die Parteien sehr, sehr wichtig gewesen, die Bundesratsmehrheit nicht zu verlieren. Und das hat sie, glaube ich, gehemmt. Wir hätten uns gewünscht, dass viel, viel eher Reformen angegriffen werden. Ja, ich hoffe, dass einfach, dass ab Mai, dass es jetzt los geht, weil wir haben einfach keine Zeit mehr. Und ich kann nur sagen: An die Arbeit, und zwar schnellstens!

Deutschlandradio Kultur: Sie hoffen auf Leute, die bisher zu feige waren? Habe ich Sie da jetzt richtig verstanden?

Marie-Christine Ostermann: "Zu feige" ist vielleicht nicht das Wort, aber die sich, ja, noch nicht getraut haben, Reformen jetzt schneller voranzubringen, die dringend nötig wären – das ist richtig, ja.

Deutschlandradio Kultur: Sollte das alles idealtypisch so stattfinden, wie Sie sich das vorstellen, was würde das beispielsweise für Ihr Unternehmen bedeuten? Würden Sie dann auf einen Schlag mehr einstellen, größere Umsätze machen können?

Marie-Christine Ostermann: Ich würde auf jeden Fall noch mehr einstellen können, wenn unser Bildungssystem so wäre, dass wir mehr geeignete Kandidaten eben auch hätten, die wir einstellen könnten. Also, da bin ich in letzter Zeit nicht so zufrieden gewesen. Es ist auch oft so gewesen, dass viel Unterricht ausgefallen ist, weil zu wenig Lehrer da waren in den Schulen und bei den Einstellungsgesprächen auch zu wenig wirtschaftliche Kenntnisse da sind. Und da hoffe ich eben auch mehr, dass zum Beispiel das Fach Wirtschaft eingeführt wird in den Schulen, dass es auch eine engere Zusammenarbeit geben wird zwischen den Schulen und den Unternehmen. Da haben wir ja auch das Projekt "Schüler im Chefsessel", so dass Schüler einen Tag mit einem Unternehmer mal verbringen können, um das Unternehmerleben kennen zu lernen. Das sind Dinge, die ich eben, ja, sehr, sehr wichtig finde. Und wenn dann eben auch zum Beispiel noch im Steuersystem gewisse Dinge geändert werden, dann würde auch ich noch mehr Mitarbeiter einstellen.

Deutschlandradio Kultur: Aber Ihre Kritik an der Schulausbildung wirkt doch auch ein bisschen seltsam. Gerade im kommunalen Bereich und auch in der Schulpolitik sind doch die mittelständischen Unternehmer exzellent vernetzt. Sie haben die Handwerkskammern, sie haben die Industrie- und Handelskammer. Sie sitzen überall drin. Warum haben Sie es nicht geschafft, die Schulausbildung zu drehen, dass Sie heute nicht mehr klagen müssen über die mangelnde Qualifikation ihrer Bewerber?

Marie-Christine Ostermann: Ja, da ist eben sehr auch die Politik mit gefordert. Ja, die müssen eben die guten Voraussetzungen schaffen, nämlich zum Beispiel, dass wir mehr Lehrer haben, dass wir aber auch mehr Wettbewerb und weniger Planwirtschaft in unserem Schulsystem haben. Und das sind ja Dinge, da können wir Unternehmer drauf hinweisen, dass das wichtig wäre eine Schule zu managen, wie eben auch ein Unternehmen. Aber letztendlich, entschieden und umgesetzt wird’s nun mal von der Politik. Was wir einfach tun können, ist, so gut es geht uns eben einzubringen. Und ja, gerade das Projekt "Schüler im Chefsessel" ist für uns eben da auch ein guter Bereich, gute Kontakte zu den Schulen zu knüpfen. Aber da ist eben auch sehr die Politik gefordert.

Deutschlandradio Kultur: Frau Ostermann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Marie-Christine Ostermann: Ja, gerne.