Kurz vor Küchenschluss
Der amerikanische Schriftsteller Stewart O'Nan schildert in seinem neuen Roman wie der gastronomische Betrieb hinter den Kulissen funktioniert. In der "Letzten Nacht" des porträtierten Restaurants halten sich Routine und Anarchie des nahen Endes die Waage. Behutsam zeichnet er die unterschiedlichen Charaktere der Mitarbeiter in dieser Ausnahmesituation.
Stewart O`Nan ist einer dieser überaus fleißigen amerikanischen Schriftsteller, die unermüdlich, Jahr um Jahr und Buch um Buch, die Realität zu ergründen versuchen. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft: Angefangen mit dem ewig nobelpreisverdächtigen John Updike sind die bekannten und seriösen Erzähler der USA fast alle Realisten, mit einem gelegentlichen Hang zur Satire. Das macht ihre Stärke aus – aber auch die Begrenztheit ihres Schaffens.
Stewart O`Nan schreibt panoramische Gesellschaftsromane und private Familiengeschichten, Gesellschaftskritisches ("Speed Queen") und Historisches – aber immer geht es ihm darum, die amerikanische Wirklichkeit mit ihren Widersprüchen, ihren Traumata, ihren Träumen und Legenden - und ihrer Gewalttätigkeit möglichst genau ins Bild zu setzen.
Das ist auch in dem neuesten Roman "Letzte Nacht" nicht anders: Die Belegschaft eines Restaurants der Red Lobster Kette arbeitet ihre letzte Schicht, bevor die – durchaus rentable - Filiale geschlossen wird. Erzählt wird das aus großer Nähe und mit lückenloser, fast dokumentarischer Genauigkeit über die Figur des Filialleiters Manny. Wie eine Kamera folgt das Buch im erzählenden Präsens jedem seiner Schritte und jedem seiner Handgriffe; und darüber hinaus folgte es den Gedanken, die er sich um seine Arbeit, seine Leute und seine Liebesgeschichten macht – jedenfalls dem Teil seiner Gedanken, die ihm selbst bewusst sind. Verborgen aber steht hinter all dieser Geschäftigkeit das uramerikanische Ethos: dass ein guter Mensch ist, wer seinen Job gut macht – egal ob es für eine anonyme Unternehmensgruppe ist oder für nervige Kunden.
Der Bestsellerautor Stephen King, der literarisch ein etwas anderes, weniger realistisches Genre bedient und zu O`Nans Freunden zählt, sagte über dieses Buch, es handle vom "Guten im Menschen". Ein Europäer würde kaum auf diese Idee kommen. Denn es ist ein Buch, das in Gestalt seiner Hauptfigur die Werte der US-Gesellschaft abbildet: da gibt es nicht den Hauch einer Rebellion gegen die Entscheidung der "Zentrale", das Restaurant zu schließen, da werden die Mitarbeiter evaluiert und für den nächsten Job übernommen - oder eben nicht.
Manny entscheidet über ihr Schicksal, und das tut er nach bestem Wissen und Gewissen, den Regeln folgend, die er auf der untersten Chefetage gelernt hat. Er ist ein netter, gesetzestreuer Bürger, der seine Arbeit so gut wie möglich machen will, und der sogar seine Liebesgeschichten existenzieller Vernunft und einer gewissen Funktionalität unterwirft.
Wunderbar schildert O´Nan, wie der gastronomische Betrieb hinter den Kulissen funktioniert, während Routine und Anarchie des nahen Endes einander die Waage halten. Er zeichnet behutsam die unterschiedlichen Charaktere der Mitarbeiter in dieser Ausnahmesituation, gibt jedem eine eigene Stimme, ein Temperament, eine Farbe.
Zum Schluss, als kein Kunde mehr kommt und im Schneesturm der Strom ausfällt, halten nur einige wenige bis zum Ende der offiziellen Öffnungszeit aus – und dieses Häuflein, die Kellnerinnen Jacquie und Roz, der ehemalige Soldat und Koch Ty, der Bäcker Rich und der Küchenhelfer Leron, sind O`Nans Helden in diesem so alltäglich scheinenden Roman.
Nun steht Literatur der Arbeitswelt nicht gerade im Ruf großer Unterhaltsamkeit – aber dieses Buch liest man voller Interesse, mit wirklicher Neugier auf die ganz normalen, schlichten, ungebildeten Leute, von denen die Rede ist. Das liegt wohl daran, dass der Autor ihnen, ihrem Leben, ihren Eigenheiten, ihrem Verhalten und ihren Erfahrungen all die Aufmerksamkeit widmet, die ihnen ihr Arbeitgeber schuldig bleibt.
Rezensiert von Katharina Döbler
Stewart O`Nan, Letzte Nacht
Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel
marebuchverlag, Hamburg, 2007. Geb. 120 S. 18,00 €
Stewart O`Nan schreibt panoramische Gesellschaftsromane und private Familiengeschichten, Gesellschaftskritisches ("Speed Queen") und Historisches – aber immer geht es ihm darum, die amerikanische Wirklichkeit mit ihren Widersprüchen, ihren Traumata, ihren Träumen und Legenden - und ihrer Gewalttätigkeit möglichst genau ins Bild zu setzen.
Das ist auch in dem neuesten Roman "Letzte Nacht" nicht anders: Die Belegschaft eines Restaurants der Red Lobster Kette arbeitet ihre letzte Schicht, bevor die – durchaus rentable - Filiale geschlossen wird. Erzählt wird das aus großer Nähe und mit lückenloser, fast dokumentarischer Genauigkeit über die Figur des Filialleiters Manny. Wie eine Kamera folgt das Buch im erzählenden Präsens jedem seiner Schritte und jedem seiner Handgriffe; und darüber hinaus folgte es den Gedanken, die er sich um seine Arbeit, seine Leute und seine Liebesgeschichten macht – jedenfalls dem Teil seiner Gedanken, die ihm selbst bewusst sind. Verborgen aber steht hinter all dieser Geschäftigkeit das uramerikanische Ethos: dass ein guter Mensch ist, wer seinen Job gut macht – egal ob es für eine anonyme Unternehmensgruppe ist oder für nervige Kunden.
Der Bestsellerautor Stephen King, der literarisch ein etwas anderes, weniger realistisches Genre bedient und zu O`Nans Freunden zählt, sagte über dieses Buch, es handle vom "Guten im Menschen". Ein Europäer würde kaum auf diese Idee kommen. Denn es ist ein Buch, das in Gestalt seiner Hauptfigur die Werte der US-Gesellschaft abbildet: da gibt es nicht den Hauch einer Rebellion gegen die Entscheidung der "Zentrale", das Restaurant zu schließen, da werden die Mitarbeiter evaluiert und für den nächsten Job übernommen - oder eben nicht.
Manny entscheidet über ihr Schicksal, und das tut er nach bestem Wissen und Gewissen, den Regeln folgend, die er auf der untersten Chefetage gelernt hat. Er ist ein netter, gesetzestreuer Bürger, der seine Arbeit so gut wie möglich machen will, und der sogar seine Liebesgeschichten existenzieller Vernunft und einer gewissen Funktionalität unterwirft.
Wunderbar schildert O´Nan, wie der gastronomische Betrieb hinter den Kulissen funktioniert, während Routine und Anarchie des nahen Endes einander die Waage halten. Er zeichnet behutsam die unterschiedlichen Charaktere der Mitarbeiter in dieser Ausnahmesituation, gibt jedem eine eigene Stimme, ein Temperament, eine Farbe.
Zum Schluss, als kein Kunde mehr kommt und im Schneesturm der Strom ausfällt, halten nur einige wenige bis zum Ende der offiziellen Öffnungszeit aus – und dieses Häuflein, die Kellnerinnen Jacquie und Roz, der ehemalige Soldat und Koch Ty, der Bäcker Rich und der Küchenhelfer Leron, sind O`Nans Helden in diesem so alltäglich scheinenden Roman.
Nun steht Literatur der Arbeitswelt nicht gerade im Ruf großer Unterhaltsamkeit – aber dieses Buch liest man voller Interesse, mit wirklicher Neugier auf die ganz normalen, schlichten, ungebildeten Leute, von denen die Rede ist. Das liegt wohl daran, dass der Autor ihnen, ihrem Leben, ihren Eigenheiten, ihrem Verhalten und ihren Erfahrungen all die Aufmerksamkeit widmet, die ihnen ihr Arbeitgeber schuldig bleibt.
Rezensiert von Katharina Döbler
Stewart O`Nan, Letzte Nacht
Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel
marebuchverlag, Hamburg, 2007. Geb. 120 S. 18,00 €