"Kurswechsel in der Landwirtschaft einleiten"

Hans Rudolf Herren im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 26.09.2013
Der Schweizer Agrarwissenschaftler Hans R. Herren fordert, die Landwirtschaft auf ökologische Anbaumethoden umzustellen. Er und seine Mitarbeiter hätten bewiesen, dass man mit dieser Art des Anbaus die Produktion in Afrika "zwei bis drei oder viermal vermehren" könne. Herren ist einer der Träger des Alternativen Nobelpreises.
Klaus Pokatzky: Vier Männer bekommen am 2. Dezember im schwedischen Reichstag in Stockholm den Right Livelihood Award, den alternativen Nobelpreis. Ausgewählt wurden sie aus 94 Kandidaten aus 48 Ländern. Es sind der US-Amerikaner Paul Walker für seine Verdienste bei der Abschaffung von Chemiewaffen, der kongolesische Arzt Denis Mukwege, der sich um vergewaltigte Frauen in seiner Heimat kümmert, der palästinensische Anwalt und Menschenrechtler Raji Sourani für seinen Kampf um Rechtsstaatlichkeit, und schließlich ist es der schweizerische Insektenforscher, Landwirtschafts- und Entwicklungsexperte Hans Rudolf Herren, der mit einem biologischen Programm zur Schädlingsbekämpfung in Afrika Millionen von Menschen das Leben gerettet hat. Ihn begrüße ich nun im Studio in Zürich, grüezi, Herr Herren!

Hans R. Herren: Grüezi!

Pokatzky: Und vor allem erst einmal herzlichen Glückwunsch! Herr Herren, Sie bekommen den Preis, weil Sie mit Ihrer eigenen Stiftung, mit wissenschaftlicher Kompetenz und bahnbrechender praktischer Arbeit einer gesunden, sicheren und nachhaltigen globalen Nahrungsversorgung den Weg gebahnt haben – so hat es die Jury des Preises heute gesagt. Sie, Herr Herren, sagen immer: Wenn wir 2050 neun Milliarden Menschen ernähren wollen, dann geht das nur biologisch und dezentral, nicht mit industrieller Landwirtschaft. Warum?

Herren: Erst einmal freut mich sehr, bei Ihnen zu Gast zu sein, vielen Dank für diese Einladung! Warum wir eine nachhaltige Landwirtschaft brauchen? Weil wir Klimawandel haben, die industrielle Landwirtschaft sehr stark dazu beiträgt und uns das Leben sehr schwierig machen wird. Wir müssen deshalb diesen Kurswechsel in der Landwirtschaft einleiten, und der Kurswechsel heißt auch: die alternative Landwirtschaft fördern, das ist biologische und ökologische Landwirtschaft.

Pokatzky: Was heißt biologisch und dezentral, für das Sie sich so einsetzen, dass Sie nun den Preis bekommen? Was heißt das denn konkret, und was machen Sie mit Ihrer Stiftung Biovision, die Sie vor 15 Jahren gegründet haben, in Afrika genau?

" "Wir müssen mehr mit den Kleinbauern arbeiten" "

Herren: Also biologisch heißt eigentlich, mit der Natur, mit der Umwelt arbeiten und nicht gegen, das heißt, die Eigenschaften, die uns gegeben worden sind und auch alles, was die Natur zur Verfügung stellt, brauchen, um eine nachhaltige Landwirtschaft einzurichten. Dezentral heißt eigentlich, wir müssen mehr mit den Kleinbauern, Familienbauern arbeiten, statt großindustrielle Güter zu haben. Und das kommt davon, dass die industrielle Landwirtschaft sehr energieintensiv ist. Die industrielle Landwirtschaft braucht zehn Kalorien, um eine zu produzieren. Wenn man in der alternativen Landwirtschaft hinschaut, kann man mit einer Kalorie bis 30 produzieren, und das ist Nachhaltigkeit.

Pokatzky: Warum sind die Kleinbauern so wichtig?

Herren: Die Kleinbauern sind wichtig für verschiedene Gründe, zum Beispiel erst einmal Arbeitsbeschaffung, weil wir haben ja heute schon über eine Milliarde Leute, die keine Arbeit haben. Das heißt, wir müssen sehen: Wie können wir die Kleinbauern weiter beschäftigen? Und wir wissen natürlich auch, dass die Kleinbauern produktiv sind, die Kleinbetriebe sind produktiver wie die großen Betriebe.

Und wenn wir genug produzieren wollen, nachhaltig, ist es aber noch wichtig, dass es in einer nachhaltigen Art und Weise passiert. Das kann man nur garantieren mit Klein- und Familienbauern.

Pokatzky: Sie setzen sich immer wieder bei Kampagnen mit Ihrer Biovision-Stiftung und auch dem Millenium Institute, dessen Präsident Sie sind, da setzen Sie sich bei Kampagnen dafür ein, dass genau dieser Ansatz – also Kleinbauern stärken – auch bei den politischen Entscheidungsträgern ankommt. Wie kommt der denn da an? Hat das Folgen, etwa bei den berühmten Umweltgipfeln, die wir immer wieder haben?

Herren: Ja, wir müssen einmal zurückgehen, wo das alles herkommt. Wir haben ja vor etwa vier, fünf Jahren einen Bericht, den Weltagrarbericht produziert, ich war damals der Co-Präsident von diesem Unternehmen, und dort wurde ja schon gesagt, dass wir umstellen müssen, ein neues Paradigma haben, wir müssen weg von der grünen Revolution.

Pokatzky: Entschuldigung, Herr Herren, was ist mit grüner Revolution genau gemeint?

" "Wenn wir den Boden zerstören, zerstören wir die ganze Grundlage der Nahrungsmittelproduktion" "

Herren: Die grüne Revolution ist die Art Landwirtschaft, die in den 50er-Jahren erfunden worden ist, wo man eben dank Düngemittel und neuen Hybridsorten Ertragsersteigerungen erreicht hat, also zum Beispiel Verdoppelung der Produktion. Das geht natürlich nur mit mehr Wasser, mehr Düngemitteln, mehr Pestiziden und mehr Herbiziden. Diese Produkte sind nicht langfristig erhältlich, die basieren alle auf Öl, die werden immer teurer. Und auch die Landwirtschaft, also die grüne Revolution ist nicht eine Landwirtschaftsmethode, die den Boden aufbaut, die Bodenfruchtbarkeit neu aufbaut, auf lange Sicht erhält.

Und deshalb müssen wir umstellen, weil wenn wir den Boden zerstören, zerstören wir die ganze Grundlage der Nahrungsmittelproduktion. Und deshalb muss man eben biologisch und ökologisch vorgehen.

Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur der Träger des alternativen Nobelpreises, Hans Rudolf Herren aus der Schweiz. Wenn Sie jetzt sagen, biologisch und ökologisch – können wir das mal deutlich machen am Beispiel der Insektenplagen, die ja immer wieder in Afrika die Ernten bedrohen? Was machen Sie, der gelernte Insektenkundler und Insektenforscher, was machen Sie da genau, mit welchen Methoden bekämpfen Sie Schädlinge biologisch und ökologisch?

Herren: Das geht auf zwei Arten eigentlich, die eine ist, die Nützlinge zu gebrauchen, das sind zum Beispiel Marienkäfer, Schlupfwespen, die man einsetzen kann gegen die Schädlinge, und das funktioniert sehr gut, habe ich auch gezeigt in diesem großen Projekt, wo wir eine ganze Kultur gerettet haben quer über Afrika. Aber es geht natürlich auch über Fruchtfolgen, über agronomische Praktiken. Das heißt, wir müssen das System so aufstellen und managen, dass man keine Insekten und Krankheitsausbrüche hat. Und wir wissen auch, wie das gemacht werden sollte. Also die Großmonokultur ist eigentlich das Problem. Wir müssen gemischter vorgehen.

Pokatzky: Ja, aber erklären Sie mir das doch mal, dem absoluten Laien, stellen Sie sich vor, ich bin ein Elfjähriger. Wie läuft das ganz genau ab, wie funktioniert das?

Herren: Also die biologische Bekämpfung funktioniert so, dass man, wenn ein Schädling da ist … Jeder Schädling hat auch Nützlinge. Sehr oft werden die Praktiken, die da angewendet werden, zerstören diese Nützlinge.

Pokatzky: Was sind genau, machen Sie mal … Also Marienkäfer haben Sie ja jetzt schon erwähnt. So, was kann das jetzt noch genau sein?

Herren: Also Marienkäfer, die fressen die Läuse zum Beispiel auf, Blattläuse. Aber es gibt natürlich noch eine andere Kategorie von natürlichen Feinden, das sind Schlupfwespen, die legen ein Ei in eine Laus, also in ein Insekt, also Schmierlaus oder ein Käfer oder was auch der Schädling immer ist, kann eine Blattlaus sein, und das Ei entwickelt sich in diesem Schädling und daraus schlüpft dann eine neue Schlupfwespe und befällt dann andere Schädlinge. Das ist so ein Parasit eigentlich, wie sie auch genannt werden. Also man hat eigentlich die Räuber, das sind Marienkäfer, und Parasiten wie eben die Schlupfwespen.

Pokatzky: Aber jetzt kommen die Vertreter der Gentechnik und sagen: Wir können doch Pflanzen im Labor herstellen, die sind einfach schädlingsresistent.

Herren: Ja, das wird gemacht, aber natürlich auch wieder kurzfristig, weil da hat man ja ein Bakterium, das wir wissen, das ist ein natürliches Produkt, wurde ja in Thüringen gefunden, Bacillus thuringiensis, und das Bakterium befällt Insekten. Die werden krank und sterben.

Jetzt hat man da das anders gemacht: Man hat das Gen rausgenommen aus dem Bakterium, das das Kristall produziert, das das Insekt abtötet, und jetzt produziert die Pflanze diese Kristalle. Das heißt, wenn ein Insekt diese Pflanze frisst, stirbt sie, wie wenn wir sie mit dem BT besprüht hätten. Aber, da kommt das große aber: Wenn man das großflächig braucht, dann gibt es eine Resistenz. Es gibt dann immer wieder hier und da ein Insekt, das nicht stirbt wegen diesem Kristall. Und dann fängt der Zyklus neu an, muss man wieder etwas anderes finden. Das heißt, mit dieser Methodik behandelt man nur das Symptom und nicht das Problem.

Pokatzky: Wenn Ihre ökologischen Methoden doch so sinnvoll und logisch sind, warum setzen die sich nicht flächendeckend durch? Sie beraten ja auch zum Beispiel Staaten in Afrika.

Herren: Ja, wir haben ja mit [unverständlich] von Senegal bis nach Mosambik gearbeitet. Das große Problem ist: Man muss diese Art Landwirtschaft mehr unterstützen von Forschung bis Umsetzung.

" "Die größten Gegner sind die großen Konzerne""

Pokatzky: Und wer steht dagegen, wer sind Ihre größten Gegner?

Herren: Ja, die größten Gegner sind die großen Konzerne, die die Chemie produzieren und auch die Genpflanzen, Gentechnikpflanzen produzieren. Aber es sind auch eigentlich die Staaten, die sollten ja die landwirtschaftliche Forschung unterstützen und nicht alles dem Privatsektor delegieren.

Pokatzky: Und jetzt 2050 – werden wir mit Ihren Methoden wirklich neun Milliarden Menschen ernähren können?

Herren: Ja, das haben wir gezeigt. Wir können mit biologischen, mit ökologischen Anbaumethoden in Afrika die Produktion zu zwei bis drei oder vier Mal vermehren. Das haben viele Versuche gezeigt. Jetzt geht es darum, das auch großflächig durchzuführen. Und für das müssen wir Unterstützung haben und mal sehen, dass da dann die Konzerne nicht im Wege stehen. Und das machen sie im Moment.

Pokatzky: Danke, Hans Rudolf Herren in Zürich, Dank an den Träger des alternativen Nobelpreises. Auf Wiederhören und einen schönen Tag noch und gutes Feiern heute!

Herren: Ja, vielen Dank, hat mich sehr gefreut, mitzumachen!

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