Kuriosum in der Südsee
21.08.2007
Zu den unbekanntesten weltberühmten Orten dürfte St. Helena gehören, jene kleine Insel im südatlantischen Ozean, die man eigentlich nur als Verbannungs- und Sterbeort Napoleons kennt. Johannes Willms, seines Zeichens Paris-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" und Autor einer Napoleon-Biographie, ist jetzt für den maritimen Marebuchverlag hingefahren und hat sich den Ort einmal angeschaut. Wobei er sofort die Frage erhebt, ob man nicht lieber von einem Unort sprechen sollte.
Denn St. Helena, so zauberhaft es in Hinsicht auf seine natürliche Beschaffenheit auch ist, muss doch als so verlassenes, abgelegenes und von vielen Segnungen der modernen Zivilisation verschontes Plätzchen gelten, dass der Autor nicht recht mit ihm warm wird.
Leider überträgt sich der Unmut von Willms, an dieses "ultima Thule" entsandt worden zu sein, durchaus auch auf den Leser. Die ersten, allein der Beschreibung der Insel gewidmeten Kapitel sind von einer Lustlosigkeit, dass der Leser das Büchlein mehr und mehr gelangweilt durchblättert.
Erst wenn sich der Autor anschickt, das St. Helena der napoleonischen Zeit zu schildern, kommt die Sache in Schwung. Dann erfahren wir sehr präzise, unter welchen Bedingungen der ehemalige Kaiser der Franzosen hier mit seinem üppigen Gefolge residierte (muss man schon sagen).
Vor allem aber werden wir eingeweiht in seinen "großen Wahn", auch in dem gottverlassenen St. Helena noch gewaltige Pläne schmieden zu müssen. Napoleon, dem ja mit der Flucht von seinem ersten Verbannungsort Elba immerhin für 100 Tage ein sensationelles, furchterregendes Comeback auf der politischen Bühne gelungen war, schwebte etwas Ähnliches auch in den ersten Jahren seines Aufenthaltes auf St. Helena vor.
Als er 1815 hier anlangte, war seine Strategie zunächst, durch eine Vielzahl von Beschwerden und Klagen, die er an die britische Regierung schrieb, deren Gefangener er war, und die meistenteils, wie Willms nun nachweist, vollkommen unbegründet waren, auf sein beklagenswertes Los aufmerksam zu machen, vor allem aber die Anteilnahme der Weltöffentlichkeit an seiner Person wachzuhalten.
Als jedoch auf dem Kongress zu Aachen (das Willms aus unerfindlichen Gründen bei seinem französischen Namen Aix-la-Chapelle nennt) die europäische Potentaten ein für allemal beschließen, dass sie dem Ex-Kaiser keine Hafterleichterungen und schon gar keine Freilassung gewähren wollen, bricht der Elan des Korsen in sich zusammen.
Schon bald setzt denn auch der körperliche Verfall des "General Bonaparte" ein, wie die Briten ihn jetzt offiziell nennen. Sein Krebs kann sich relativ rasch ausbreiten, und zwei Jahre, nachdem er das Ergebnis des Aachener Kongresses erfahren musste, stirbt Napoleon schließlich im Mai 1821 an seiner Krankheit.
Nun setzt gewissermaßen das zweite Leben des Kaisers ein und damit auch "seiner" Insel, das Willms nicht minder ausführlich erzählt und bis auf den heutigen Tag währen lässt. Das Hin und Her der französischen Regierungen von den restaurierten Bourbonen über die Juli-Monarchie, das zweite Kaiserreich, die dritte Republik bis hin zum besetzten Frankreich und zur vierten und auch noch fünften Republik wird in ihrer ganzen, oft ans Komische grenzenden Ambivalenz geschildert: einerseits macht man St. Helena bereits früh zum französischen "lieu de mémoire" (Gedächtnisort), wie Pierre Nora das genannt hat, andererseits hat eigentlich so recht niemand etwas mit diesem Ort im Sinn.
Entsprechend verkamen lange Zeit die Stätten, die an Napoleon erinnern, von mal mehr, mal weniger befähigten Verwaltern nach eigenem Gutdünken behandelt. Dem französischen Staat gehören sie ohnehin erst seit 1859, als das zweite Kaiserreich, das sich ja besonders in der Nachfolge des "großen" Napoleon sah, sich ganz offiziell zu diesem speziellen Erbe bekannte.
Noch der Bürgerkönig Louis-Philipp, der immerhin 1840 die Überführung der sterblichen Überreste des Kaisers nach Paris (in den Invalidendom) veranlasste, fürchtete vor allem politische Unruhen und jene napoleonische Restauration, die ja dann auch, wenngleich anders als gedacht, vom Neffen des ersten Kaisers, Louis Napoléon, 1851 ins Werk gesetzt wurde.
Diese einzelnen Stationen des napoleonischen Nachlebens in Frankreich werden von Willms mit der Süffisanz dessen ausgebreitet, der sich einen augenzwinkernden Vorbehalt gegenüber der Dauerinszenierung von Frankreichs Glorie und Grandeur gestattet, obwohl er im Grunde seines Herzens derselben doch eine Menge Verständnis entgegenbringt. So entstand ein kleines Buch, das sich an Kenner wendet. Wer über Napoleon bereits alles weiß, nehme es als ergänzendes Kuriosum - nicht mehr, aber auch nicht weniger kann diese Veröffentlichung leisten.
Rezensiert von Tilman Krause
Johannes Willms: St. Helena. Kleine Insel, großer Wahn
Marebuchverlag, Hamburg 2007, 216 Seiten, 18 Euro
Leider überträgt sich der Unmut von Willms, an dieses "ultima Thule" entsandt worden zu sein, durchaus auch auf den Leser. Die ersten, allein der Beschreibung der Insel gewidmeten Kapitel sind von einer Lustlosigkeit, dass der Leser das Büchlein mehr und mehr gelangweilt durchblättert.
Erst wenn sich der Autor anschickt, das St. Helena der napoleonischen Zeit zu schildern, kommt die Sache in Schwung. Dann erfahren wir sehr präzise, unter welchen Bedingungen der ehemalige Kaiser der Franzosen hier mit seinem üppigen Gefolge residierte (muss man schon sagen).
Vor allem aber werden wir eingeweiht in seinen "großen Wahn", auch in dem gottverlassenen St. Helena noch gewaltige Pläne schmieden zu müssen. Napoleon, dem ja mit der Flucht von seinem ersten Verbannungsort Elba immerhin für 100 Tage ein sensationelles, furchterregendes Comeback auf der politischen Bühne gelungen war, schwebte etwas Ähnliches auch in den ersten Jahren seines Aufenthaltes auf St. Helena vor.
Als er 1815 hier anlangte, war seine Strategie zunächst, durch eine Vielzahl von Beschwerden und Klagen, die er an die britische Regierung schrieb, deren Gefangener er war, und die meistenteils, wie Willms nun nachweist, vollkommen unbegründet waren, auf sein beklagenswertes Los aufmerksam zu machen, vor allem aber die Anteilnahme der Weltöffentlichkeit an seiner Person wachzuhalten.
Als jedoch auf dem Kongress zu Aachen (das Willms aus unerfindlichen Gründen bei seinem französischen Namen Aix-la-Chapelle nennt) die europäische Potentaten ein für allemal beschließen, dass sie dem Ex-Kaiser keine Hafterleichterungen und schon gar keine Freilassung gewähren wollen, bricht der Elan des Korsen in sich zusammen.
Schon bald setzt denn auch der körperliche Verfall des "General Bonaparte" ein, wie die Briten ihn jetzt offiziell nennen. Sein Krebs kann sich relativ rasch ausbreiten, und zwei Jahre, nachdem er das Ergebnis des Aachener Kongresses erfahren musste, stirbt Napoleon schließlich im Mai 1821 an seiner Krankheit.
Nun setzt gewissermaßen das zweite Leben des Kaisers ein und damit auch "seiner" Insel, das Willms nicht minder ausführlich erzählt und bis auf den heutigen Tag währen lässt. Das Hin und Her der französischen Regierungen von den restaurierten Bourbonen über die Juli-Monarchie, das zweite Kaiserreich, die dritte Republik bis hin zum besetzten Frankreich und zur vierten und auch noch fünften Republik wird in ihrer ganzen, oft ans Komische grenzenden Ambivalenz geschildert: einerseits macht man St. Helena bereits früh zum französischen "lieu de mémoire" (Gedächtnisort), wie Pierre Nora das genannt hat, andererseits hat eigentlich so recht niemand etwas mit diesem Ort im Sinn.
Entsprechend verkamen lange Zeit die Stätten, die an Napoleon erinnern, von mal mehr, mal weniger befähigten Verwaltern nach eigenem Gutdünken behandelt. Dem französischen Staat gehören sie ohnehin erst seit 1859, als das zweite Kaiserreich, das sich ja besonders in der Nachfolge des "großen" Napoleon sah, sich ganz offiziell zu diesem speziellen Erbe bekannte.
Noch der Bürgerkönig Louis-Philipp, der immerhin 1840 die Überführung der sterblichen Überreste des Kaisers nach Paris (in den Invalidendom) veranlasste, fürchtete vor allem politische Unruhen und jene napoleonische Restauration, die ja dann auch, wenngleich anders als gedacht, vom Neffen des ersten Kaisers, Louis Napoléon, 1851 ins Werk gesetzt wurde.
Diese einzelnen Stationen des napoleonischen Nachlebens in Frankreich werden von Willms mit der Süffisanz dessen ausgebreitet, der sich einen augenzwinkernden Vorbehalt gegenüber der Dauerinszenierung von Frankreichs Glorie und Grandeur gestattet, obwohl er im Grunde seines Herzens derselben doch eine Menge Verständnis entgegenbringt. So entstand ein kleines Buch, das sich an Kenner wendet. Wer über Napoleon bereits alles weiß, nehme es als ergänzendes Kuriosum - nicht mehr, aber auch nicht weniger kann diese Veröffentlichung leisten.
Rezensiert von Tilman Krause
Johannes Willms: St. Helena. Kleine Insel, großer Wahn
Marebuchverlag, Hamburg 2007, 216 Seiten, 18 Euro