Kurdischer Regisseur Shawkat Amin Korki

"Kino steht in unserer Region erst ganz am Anfang"

Shawkat Amin Korki im Gespräch mit Susanne Burg · 16.04.2016
"Memories on Stone" war der irakische Oscarbeitrag in diesem Jahr. Der Spielfilm erzählt die Geschichte von Hussein und Alan. Die Jugendfreude drehen einen Film über den Genozid des irakischen Regimes an der kurdischen Bevölkerung. Das Filmemachen im Nachkriegskurdistan ist aber schwierig.
Susanne Burg: Das Filmteam in "Memories on Stone" muss lauter Hindernisse überwinden. Dabei habe ich mich unweigerlich gefragt, wieviel davon haben Sie selbst als Regisseur im Nordirak erlebt?
Shawkat Amin Korki: "Memories on Stone" ist in der Tat aus den Erfahrungen beim Dreh meiner letzten Filme entstanden. Mein Ko-Autor Mehmet Aktas und ich haben auch viele Erfahrungen anderer kurdischer Regisseure in den Film einfließen lassen. Ich denke, jeder Regisseur verspürt mindestens einmal den Wunsch, die Kamera umzudrehen und zu zeigen, was während der Dreharbeiten hinter der Kamera passiert. Das Kino steht in unserer Region erst ganz am Anfang, es entwickelt sich noch, deshalb haben wir beim Drehen mit vielen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen. Alle Szenen dieses Filmes entstammen meiner persönlichen Erfahrung und der meiner Freunde.
Burg: Welche Herausforderungen waren das denn jetzt bei diesem Film "Memories on Stone", die es dann vielleicht gar nicht in den Film geschafft haben?
Korki: Manchmal waren es die gleichen Herausforderungen, aber natürlich gibt es noch viele andere Schwierigkeiten, die man im Film nicht sieht. Die Postproduktion in Kurdistan ist zum Beispiel praktisch unmöglich. Man muss einen Film woanders fertigstellen. In unserem Fall war das in Berlin. Es gibt aber auch noch andere Herausforderungen: so haben wir einen unserer vorherigen Filme in gefährlichen Gebieten gefilmt, wo es Terroristen gibt und andere Gruppen, die nicht wollen, dass dort ein Film entsteht.
Burg: Im Film selbst ist eine Schwierigkeit, eine Hauptdarstellerin zu finden, dann kommt Sinur, aber ihr Cousin und sein Vater haben große Probleme damit, dass sie in dem Film mitspielen will. Warum ist es so unschicklich für eine Frau, Schauspielerin zu sein? Welchen Ruf hat Film im Nordirak, im kurdischen Teil?

Kino in der Region nicht historisch verwurzelt

Korki: Im irakischen Kurdistan und im ganzen Nahen Osten gibt es dieses Problem mit Filmschauspielerinnen – dafür gibt es viele Gründe, nicht nur einen. Da ist der religiöse Aspekt dieser Gesellschaften, der dagegen steht. Außerdem ist das Kino in der Region nicht historisch verwurzelt, so dass die Leute nicht mit einer Karriere beim Film vertraut sind. Wir haben ja noch nicht mal Leute für die Technik, es gibt keine guten Filmteams in Kurdistan und kaum Schauspieler. Nur wenige Menschen haben überhaupt mit der Filmbranche zu tun, die Auswahl ist also sehr gering.
Burg: Sinur kommt ans Set und sieht, wie die Kulissen für den Film aufgebaut werden. Da wird ein Galgen hingestellt und ein Soldat in der Baath-Uniform des ehemaligen Saddam-Hussein-Regimes kommt ihr entgegen. Man sieht, wie sie zusammenzuckt, man merkt, wie präsent die Vergangenheit noch ist – inwieweit ist das Filmset also auch ein Zugang zu größeren gesellschaftlichen Themen wie der Vergangenheitsbewältigung?
Korki: In "Memories on Stone" gibt es den Hintergrund des Völkermords an den Kurden, "Anfal" in den achtziger Jahren, bei dem das irakische Regime sehr viele Menschen umbrachte. Das haben alle Kurden noch immer im Kopf, besonders natürlich die Opfer der Anfal-Operation, dieses Genozids. Sinur hat ihre eigene Anfal-Geschichte, sie verbrachte einige Zeit im Gefängnis, ihr Vater wurde dort getötet. Darum erschrickt sie, als sie zum ersten Mal Dinge aus dieser aus Zeit sieht. Ich habe diesen Effekt an zwei Stellen verwendet, um auch meine eigene Geschichte zu erzählen.
Burg: Der Film ist ja auch im kurdischen Teil des Irak gezeigt worden – wie reagieren denn dort die Zuschauer?
Korki: Die mögen natürlich diese Szenen und sie mögen den ganzen Film, sie verstehen die Story, weil sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte stattfindet. Es ist ja nicht nur ein Film über das Filmemachen, was vielleicht nur die Leute interessieren würde, die fürs Kino arbeiten, aber so finden den Film auch Menschen gut, die mit dem Thema der kurdischen Geschichte zu tun haben. Dazu muss ich noch sagen, dass "Memories on Stone" auf vielen Filmfestivals gezeigt worden ist und dort konnte ich zu meiner Überraschung feststellen, dass sowohl das kurdische als auch das internationale Publikum den Film mochten, daß auch Ausländer den Film verstanden.

Saddam Hussein baute viele Festungen

Burg: Sie haben auch in einem alten Gefängnis gedreht. Wie wichtig war es Ihnen, an Originalschauplätzen zu drehen?
Korki: Dieses Gefängnis war damals eigentlich eine Art "Burg" der Armee. Saddam Hussein baute viele dieser "Festungen" überall im Irak, ich glaube es gibt mehr als hundert davon. Alle sahen gleich aus. Sie wurden zur Zeit des Iran-Irak-Krieges gebaut und für iranische Kriegsgefangene genutzt. Als danach mit den Attacken auf Kurden begonnen wurde, kamen so viele von ihnen in diese Gefängnisse. Und als nach 1991 das irakische Kurdistan so eine Art "halber Unabhängigkeit" erhielt, wurden viele Flüchtlinge in diesen Bauten untergebracht.
Aus dem Gefängnis, das man im Film sieht, möchte die Regierung der Region Duhok eine Gedenkstätte für den Anfal-Genozid machen. Weil ich die Geschichte kenne, war es mir einfach wichtig, den Film dort zu drehen. Der Crew habe ich in der Festung ein Büro eingerichtet, weil sie in dem Film für mich und wohl auch für das Publikum wie ein Protagonist, wie eine eigene Figur funktioniert.
Burg: Im Film geht es auch immer darum, wird dieser Film jemals fertig werden, und wo wird er gezeigt? Man findet heraus, es gibt eigentlich nur ein Kino in der Stadt und das soll nun auch noch zumachen… Wie ist denn die reale Situation im irakischen Kurdistan, was Kinos angeht?
Korki: Vor dem zweiten Golfkrieg, vor 1991, als der Irak Kuweit überfiel und dann die Amerikaner in den Irak kamen und im Anschluss die irakischen Kurden ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erhielten, befand sich das irakische Kurdistan in einem sehr schlechten Zustand. Es gab bis dahin ungefähr zehn Kinos im gesamten Gebiet, aber die konnten keine 35-mm-Kopien zeigen, weil es keinen Kontakt mehr mit dem Irak gab und von außen keine Filme mehr reinkamen. Nach einer Weile machten die Kinos entweder dicht oder zeigten Videos von VHS-Kassetten, später dann DVDs von sehr schlechter Qualität und vor allem schlechter Projektion. Manche Kinos schnitten sogar Porno-Szenen in einzelne Filme hinein, um mehr Leute ins Kino zu locken. Schließlich wurden auch die übrigen Kinos eins nach dem anderen geschlossen. Vier oder fünf Jahre später wurden dann in Shopping-Centern neue Kinos eröffnet. Das sind, denke ich, die Gründe für die große Lücke zwischen dem kurdischen Publikum und dem Kino. Es gibt in Kurdistan eine Generation, die sich nicht daran erinnern kann, mal in einem Kino gewesen zu sein, da gibt es überhaupt keine Verbindung. Von den neuen Kinos zeigen natürlich die meisten amerikanische Mainstream-Filme, aber es ist trotzdem auf jeden Fall besser als vorher.
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