Kurator Jerofejew befürchtet Verurteilung in Moskau

Andrej Jerofejew im Gespräch mit Joachim Scholl · 09.07.2009
Der russische Kurator Andrej Jerofejew rechnet mit seiner Verurteilung durch ein Moskauer Gericht wegen seines Kunstverständnisses. Ziel des Prozesses sei es, Angst zu verbreiten, sagte Jerofejew.
Joachim Scholl: Simone Unger über den Kunstprozess gegen Jurij Samodurow und Andrej Jerofejew. Und Letzteren begrüße ich nun in einem Studio in Moskau. Herr Jerofejew, dieser Prozess kommt uns wie eine Farce vor, Sie müssen ihn ernst nehmen als Angeklagter, aber können Sie ihn überhaupt ernst nehmen?

Andrej Jerofejew: Das ist so eine Tragikomödie, wie sie oft in den Sowjetzeiten schon passiert ist, und jetzt wiederholt sie sich auch in Russland.

Scholl: Der Staatsanwalt Korobkow hat Ihnen gegenüber gesagt, dieser Prozess sei ein politisch bestellter Fall und deswegen müsse er ihn so durchziehen. Wer sind denn die da oben, die solch einen politischen Fall bestellen?

Jerofejew: Ja, der Grund für diesen Prozess, der geführt wird, ist, dass es eine Ausstellung gegeben hat, die hieß "Verbotene Kunst", im Jahre 2006, und ich habe diese Ausstellung kuratiert. Es war eine kleine Ausstellung, die ungefähr 24 Exponate enthielt, und es ging da um Ausstellungsstücke, die aus anderen Ausstellungen entfernt worden waren. Das habe ich auch auf der zweiten Biennale in Moskau zeigen wollen. Ich wollte damit dokumentieren, dass, obwohl in der russischen Verfassung oder der Konstitution die Zensur verboten ist, dass sie dennoch existiert. Ich habe damit erstmalig mich quasi politisch geäußert in der Zeit meiner Tätigkeit als Kunstexperte. Die Zensur ist also da, und ich habe jetzt eine inadäquate Antwort bekommen. Es ist also nicht so gekommen, dass es vonseiten der Behörden gekommen sei zunächst, dass das zensiert werden müsse, dass man es entfernen müsse – nein, es ist eine Antwort, die gekommen ist vor allen Dingen von den ultrarechten Kräften, die das initiiert haben.

Scholl: Früher wurde die Religion unterdrückt, jetzt wird sie zum staatlichen Interesse und Rechte der Nationalisten kochen da ihr chauvinistisches Süppchen drauf. Aber es müsste doch sozusagen eine offizielle Anklage auch von Staats wegen erfolgt sein. Wer sind denn hier die maßgeblichen Verantwortlichen?

Jerofejew: Was ich sagen möchte, ist, dass die Religion hier bei dieser ganzen Angelegenheit überhaupt nur ein Vorwand ist. Die Werke haben mit Religion an sich überhaupt nichts zu tun und nichts damit gemein. Samodurow und ich sind einfach nur jetzt vorgeschoben worden. Das ist, man muss es sich so vorstellen, dass der ganze Prozess funktioniert wie eine Matrioschka. Es ist so, dass vorneweg erstmal die Kranken, die Kinder und die Alten gehen, also wirklich orthodoxe Gläubige, die im Prinzip auch die Ausstellung nicht gesehen haben, die jetzt dazu benutzt werden, um sie gegen mich aufzuhetzen, dass man eben mich beschuldigt der Blasphemie, die ich begangen haben soll mit dieser Ausstellung. Dahinter stehen jedoch die ultrarechten Nationalisten, die früher in der neonazistischen Partei, in der RNI gewesen sind. Und dahinter stehen wieder andere, die das Geld geben und dafür bezahlen. Das Ganze ist sozusagen eine vielstufige Komposition, die letzten Endes dann dazu dienen soll, die Kultur und die Kulturschaffenden in irgendeiner Weise zu regulieren. Inwieweit die Regierung oder die Regierungsbehörden dort dahinterstecken, das ist schwer für mich zu beurteilen, weil ich keine direkten Spuren finden kann in der Anklageschrift und so weiter. Aber es ist eben unter besonderer Aufmerksamkeit dieser Leute.

Scholl: Sie haben Wladimir Putin zum Kronzeugen berufen. Er war es, der im vergangenen Herbst eine Ausstellung russisch-satirischer Kunst in Paris eigens genehmigt und unterstützt hat. Der derzeitige russische Kulturminister gilt auch als liberal. Das könnten doch starke Fürsprecher für Sie sein, und das ist doch die eigentliche Staatsmacht. Schweigen die zu Ihrem Fall?

Jerofejew: Seitens der Behörden sind da keinerlei Worte gefallen oder seitens des Ministeriums, überhaupt keine Unterstützung ist gewesen. Was mich am meisten jedoch verwundert, ist, dass es eine große Solidaritätsbewegung seitens der Künstler gibt. Auch die internationale Assoziation der Museen hat keinerlei Unterstützung gebracht. Aber es sind die Künstler, die sich vereinigen jetzt und mich unterstützen und mich tragen. Es sind dann teilweise sogar Anarchisten, die im Gerichtssaal dort Demonstrationen veranstalten. Und das ist schon etwas, was mich sehr verwundert.

Scholl: Der Kurator Andrej Jerofejew steht in Moskau vor Gericht, Volksverhetzung wirft man ihm vor. Sie hören Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Herr Jerofejew, wie geht eigentlich die russische Öffentlichkeit, die Medien mit Ihrem Fall um? Sie haben jetzt schon von den Künstlern gesprochen, die Sie unterstützen, bekommen Sie noch auf irgendeine Weise öffentliche Unterstützung?

Jerofejew: Ich sehe den Sinn dieses Prozesses folgendermaßen: Also erst einmal möchte ich ein großes Dankeschön den ganzen Journalisten sagen, das sind nämlich diejenigen, die sich auch wirklich für den Prozess interessieren, die darüber schreiben, und man muss ihnen schon den gehörigen Tribut zollen und ihnen dafür danke sagen. Das Ganze hat einen politischen Aspekt, dieser Prozess. Es geht nicht darum für die Blasphemie, es geht nicht darum, dass man die Armee verunglimpft oder die Behörden verunglimpft. Es ist einfach so, dass in Russland man Angst davor hat, dass gelacht wird. Man hat Angst vor dem Lachen, man hat Angst vor der Ironie. Und es ist eben jetzt so, dass ein Künstler, die ihre Werke herstellen oder ausstellen, die lachen über bestimmte Erscheinungen der Gesellschaft, die sich baut, und das gefällt dann den oberen Behörden nicht. Dadurch wird es teilweise wahrscheinlich dazu kommen, dass diese sich aufbauenden Strukturen der Gesellschaft wieder kaputt gehen eines Tages. Man will eben verhindern von oben her, dass gelacht wird und dass man ironisch sich über irgendwas auseinandersetzt.

Scholl: Im Westen hat man Sie schon den Chodorkowski der Kunst genannt, in Anlehnung an den Milliardär und Regierungsgegner Michail Chodorkowski, den man auch unter fadenscheinigen Argumenten aus dem Verkehr gezogen hat. Sehen Sie sich auch so?

Jerofejew: Chodorkowski, der wollte sich ja nun wirklich in die Politik einmischen, und ich bin mit Sicherheit kein politischer Funktionär. Ich habe nur in meiner Eigenschaft als Kurator diese Ausstellung eben betreut, ich habe meine Pflicht erfüllt, und ich wollte nur korrekt zeigen, was bei uns im Lande gemacht wird und wie bei uns im Lande eben in Selbstironie über die verschiedenen Erscheinungen der Gesellschaft gelacht werden kann. Das ist im Prinzip alles, was ich gemacht habe.

Scholl: Nun sagen ja in Ihrem Prozess lauter Zeugen aus, die sich beleidigt fühlen, obwohl sie die Ausstellung gar nicht gesehen haben, aus den Gerichtsakten, die Sie, Herr Jerofejew, ins Internet gestellt haben, ist ersichtlich, dass also das Gericht diese Zeugenaussagen für völlig glaubwürdig erachtet und daraufhin wirklich auch die Anklage aufbaut. Ein fairer Prozess kann das nun keinesfalls sein, den man Ihnen macht. Was erwarten Sie denn für ein Urteil?

Jerofejew: Ich denke, dieser Prozess ist schon vorentschieden worden, obwohl in Russland es schwer ist, die Zukunft vorauszusagen, aber ich denke, wir sind schon vorverurteilt. Und ich denke, Samodurow und ich, wir werden auch verurteilt werden. Es geht hier eigentlich darum, in diesem Prozess Angst zu verbreiten. Es ist ja jetzt schon so, dass Künstler schon so verschreckt sind, dass sie sich selber ans Patriarchat wenden mit der Frage: Dürfen wir dieses oder jenes Objekt überhaupt ausstellen? Das heißt, die negative Wirkung, die mit diesem Prozess beabsichtigt ist, auf die Kunstszene, die beginnt ihre Wirkung bereits jetzt schon zu entfalten.

Scholl: Der nächste Gerichtstermin, der ist schon morgen. Alles Gute, Andrej Jerofejew, wir werden diesen Prozess auf jeden Fall weiterverfolgen. Der Kurator Andrej Jerofejew steht in Moskau vor Gericht wegen Volksverhetzung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!