Kunstzeichen von Felsgeistern und Wasserwesen
Als "Kunsthandwerk" wurden Arbeiten der Aborigines, der Ureinwohnen Australiens, noch Ende der achtziger Jahre von der Kasseler documenta abgelehnt. Aber nicht nur in Kassel hat sich unterdessen vieles geändert: Mittlerweile gibt es in Australien sogar einen ausgemachten "Star" unter den Aborigine-Künstlern: John Mawurndjul.
Feinen Teppichen gleichen diese Bilder, gewebt aus einem filigranen Netz dunkelbrauner Linien. Aus diesem Gespinst schauen weiße Schädel und schwarze Köpfe hervor. Bei der Benennung der Fabelwesen und schlangenartigen Gestalten, die er in traditioneller Manier auf Baumrinde malt, folgt der australische Künstler John Mawurndjul den uralten Mythen seines Aborigine-Stammes: "Yawkyawk" heißt der aus Fischbauch und Flossen entsprungene Wassergeist, "Buluwana" ist wird ein zwölfarmiges Ahnenwesen genannt, auf die beschwörende Formel "Nawarramulmul" hört der Sternschnuppengeist mit massigem Körper und abgeknicktem Kopf. Das sieht zunächst nach einer Märchenstunde aus, aber mit ihrer groß angelegten Schau exotisch wirkender Motive wollen der Künstler und Ulrich Krempel, Direktor des hannoverschen Sprengel Museums, ein westliches Publikum durchaus nicht in ein entrücktes Idyll entführen:
"Mawurndjul sagt, ihr Walanga, also ihr Weißen könnt euch diese Dinge angucken, ich finde es gut, wenn ihr sie zeigt, weil in diesen Bildern unsere Botschaften sind: Die Kunde von unserem Land, unserem Leben, unseren Traditionen. Und es ist ja tatsächlich in Australien so, dass für viele der politischen Kämpfe, die die Ureinwohner um ihr Land führen müssen, ihre Kunst und ihre Lieder gerichtsverwertbare Tatsachen geworden sind."
In den Gerichtsverfahren geht es um Grundbesitz, um ein weites Land, das die Aborigines als Jäger seit Jahrtausenden durchstreiften, ohne es im Wortsinne in "Besitz" nehmen, ohne sesshaft zu werden. Aber in eben dieser Situation hatte eine Kunst existentielle Bedeutung, auf deren traditioneller Überlieferung von Ornamenten und Motiven auch die scheinbar abstrakten Kompositionen Mawurndjuls noch beruhen. Ulrich Krempel:
"Die Kreise, die wir da sehen, das sind zum Beispiel Lagerorte. Diese langen Schnüre, das sind Wege. Das sind Landkarten, die durch lange Überlieferung und eigene Erfahrung so getreu gestaltet werden, dass sie dann, wenn sie sich zum ersten Mal im Flugzeug befinden, die Aborigines in der Lage sind, tatsächlich ihr Territorium exakt zu beschreiben."
Nicht nur im Flugzeug, auch mit dem eigenen Geländewagen sind Aborigines heute unterwegs. Aber das bringt sie nicht aus dem Tritt, wenn es um die Geister ihrer verehrten Ahnen geht, wie Museumsdirektor Krempel bei seinen Ausflügen nach Australien erkannt hat:
"Man fährt mit dem Four-Wheel-Drive, man ist auch sonst den westlichen Errungenschaften nicht ganz abhold. Aber trotzdem sind das Menschen, die es heute noch schaffen, so ein Stück weit jahrtausendealte Traditionen aufrecht zu erhalten, zu modifizieren, der neuen Wirklichkeit anzupassen und sie uns über Bilder mitzuteilen."
Von ganz eigener Mitteilungsfreude zeugt auch der Titel der großen Mawurndjul-Schau: Eine schier unaussprechliche Lautmalerei in der Art eines Comics, die dem Aborigine-Freund Krempel allerdings flott über die Lippen kommt:
"'Rarrk' – das ist die Kreuzschraffur, die John Mawarndjul in ganz besonderer Weise entwickelt hat. Er ist einer, der da auch Beispiele gegeben hat und sozusagen ein Lehrer war für viele. Und wie er selber beklagt, die ihn auch imitieren. Aber es ist eine wichtige Veränderung: Die Figuren werden jetzt besetzt mit solchen großflächigen Mustern, die sehr individuelle Handschriften haben."
Diese Handschrift, dieser individuelle, gitterartig ziselierte "Strich" ist keineswegs ein "Markenzeichen". Dann wäre Mawurndjul nichts weiter als ein besserer Kunsthandwerker. Als Rindenmaler – die Borke der Eukalyptusbäume dient den Aborigines seit jeher als "Leinwand" – bricht Mawurndjul aber auch mit der Tradition. Die Verwendung der Kreuzschraffur nämlich war bislang dem Initiationsritual des "Mardayin" vorbehalten, nun wird sie immer häufiger zum Ausfüllen der unregelmäßigen Farbfelder benutzt. Ulrich Krempel:
"Was sich geändert hat in den letzten zwanzig Jahren, das ist zum Beispiel der Stil. Also dieses crossedging, diese Kreuzschraffur, ist schon eine langsame Veränderung vom 'Rohen' zum 'Gekochten', wenn man so will. Da wird nämlich etwas sehr viel kunstvoller gestaltet, als es traditionell in der Körperbemalung oder in der Felsmalerei üblich gewesen ist. Das sind übrigens zwei sehr wichtige Quellen für diese Bilder auf Rinden."
Mit der zivilisationshistorischen Kategorie "gekocht" weist Krempel darauf hin, dass im Werk Mawurndjuls die Überlieferung sachte, mit Fingerspitzengefühl und großem Wissen, verwandelt wird, ohne die Quellen zu verschütten oder gar unkenntlich zu machen. Deutlich zu sehen am Beispiel einiger reich ornamentierter Bilder, die von weißen Schädeln dominiert werden:
"Das sind Figuren wie die Mimihs, die Geister, die in den Felsen leben und die die ursprünglichen Lehrer der Menschen für die Kunst sind. Von denen sie also, in der Schöpfungsgeschichte der Aborigines im Norden, das Malen gelernt haben."
Die scheinbar abstrakte Geometrie bleibt immer auf Gegenstände bezogen, und seien es geisterhafte Wesen als Verkörperung von Wasser oder Felsen. So entsteht aus geheimnisvollen Zeichen ein Gegenuniversum zur globalisierten Alltagswelt der selbst für Analphabeten lesbaren Piktogramme in den immergleichen Flughäfen, den Einheitshotels, durchgestylten Städten und vielleicht auch den Museen? Ulrich Krempel:
"Im Museum westlicher Prägung können wir die geheimen und geheiligten Inhalte nicht lesen. Darüber wird auch im Katalog nachgedacht. Das ist auch eine Geschichte, die inzwischen zu den Verabredungen zwischen den Künstlern und den Ausstellern gehört, dass man sagt: Okay, wir lesen die Bilder bis zu der Ebene, die ihr uns noch mitteilt – und darüber hinaus gibt es sicherlich noch geheimere Ebenen."
Im Museum steht – und besteht – das Werk des Aborigine-Künstlers neben den Monumenten der Moderne, jenen monochromen Farbfeldern etwa, die einen Barnett Newman mit missionarischer Rhetorik fragen ließen, wer denn etwa Angst habe vor Gelb, Rot oder Blau? Dem entzieht sich Mawurndjul mit minimalistischer Konsequenz, mit dem Rückgriff auf das, was die karge australische Erde zu bieten hat. Ulrich Krempel:
"Also die Töne des Ocker, die vom Gelb bis ins Rot und dunkle Braun gehen. Dann gibt es Schwarz, das ist aus einfacher Holzkohle gewonnen. Und das Weiß, das ist Ton, so genannter Pfeifenton. Und neueste Hinzugabe als Bindemittel ist heute Holzleim. Früher musste man das mühselig herstellen, entweder aus menschlichen Körperflüssigkeiten wie dem Blut, oder Pflanzensäften, Orchideensäften, was natürlich nur zu bestimmten Jahreszeiten vorhanden ist."
Nicht mehr nach Jahreszeit, glücklicherweise auch nicht nach der Konjunktur des Kunstmarktes werden die Arbeiten Mawurndjuls von den Museen in Sydney oder Melbourne angekauft. Ulrich Krempel:
"Da ist ja auch bei einer neuen Generation von Museumsleuten die Einsicht gewachsen, dass das eigentlich originäre nicht die australische Kolonialkunst ist, nicht die Maler der "Heidelberg School" und wie sie alle heißen, sondern eben tatsächlich doch eher die Kunst der australischen Ureinwohner."
Service:
Die Ausstellung "'rarrk' John Mawurndjul. Zeitreise in Nord-Australien" ist noch bis zum 5. Juni 2006 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.
"Mawurndjul sagt, ihr Walanga, also ihr Weißen könnt euch diese Dinge angucken, ich finde es gut, wenn ihr sie zeigt, weil in diesen Bildern unsere Botschaften sind: Die Kunde von unserem Land, unserem Leben, unseren Traditionen. Und es ist ja tatsächlich in Australien so, dass für viele der politischen Kämpfe, die die Ureinwohner um ihr Land führen müssen, ihre Kunst und ihre Lieder gerichtsverwertbare Tatsachen geworden sind."
In den Gerichtsverfahren geht es um Grundbesitz, um ein weites Land, das die Aborigines als Jäger seit Jahrtausenden durchstreiften, ohne es im Wortsinne in "Besitz" nehmen, ohne sesshaft zu werden. Aber in eben dieser Situation hatte eine Kunst existentielle Bedeutung, auf deren traditioneller Überlieferung von Ornamenten und Motiven auch die scheinbar abstrakten Kompositionen Mawurndjuls noch beruhen. Ulrich Krempel:
"Die Kreise, die wir da sehen, das sind zum Beispiel Lagerorte. Diese langen Schnüre, das sind Wege. Das sind Landkarten, die durch lange Überlieferung und eigene Erfahrung so getreu gestaltet werden, dass sie dann, wenn sie sich zum ersten Mal im Flugzeug befinden, die Aborigines in der Lage sind, tatsächlich ihr Territorium exakt zu beschreiben."
Nicht nur im Flugzeug, auch mit dem eigenen Geländewagen sind Aborigines heute unterwegs. Aber das bringt sie nicht aus dem Tritt, wenn es um die Geister ihrer verehrten Ahnen geht, wie Museumsdirektor Krempel bei seinen Ausflügen nach Australien erkannt hat:
"Man fährt mit dem Four-Wheel-Drive, man ist auch sonst den westlichen Errungenschaften nicht ganz abhold. Aber trotzdem sind das Menschen, die es heute noch schaffen, so ein Stück weit jahrtausendealte Traditionen aufrecht zu erhalten, zu modifizieren, der neuen Wirklichkeit anzupassen und sie uns über Bilder mitzuteilen."
Von ganz eigener Mitteilungsfreude zeugt auch der Titel der großen Mawurndjul-Schau: Eine schier unaussprechliche Lautmalerei in der Art eines Comics, die dem Aborigine-Freund Krempel allerdings flott über die Lippen kommt:
"'Rarrk' – das ist die Kreuzschraffur, die John Mawarndjul in ganz besonderer Weise entwickelt hat. Er ist einer, der da auch Beispiele gegeben hat und sozusagen ein Lehrer war für viele. Und wie er selber beklagt, die ihn auch imitieren. Aber es ist eine wichtige Veränderung: Die Figuren werden jetzt besetzt mit solchen großflächigen Mustern, die sehr individuelle Handschriften haben."
Diese Handschrift, dieser individuelle, gitterartig ziselierte "Strich" ist keineswegs ein "Markenzeichen". Dann wäre Mawurndjul nichts weiter als ein besserer Kunsthandwerker. Als Rindenmaler – die Borke der Eukalyptusbäume dient den Aborigines seit jeher als "Leinwand" – bricht Mawurndjul aber auch mit der Tradition. Die Verwendung der Kreuzschraffur nämlich war bislang dem Initiationsritual des "Mardayin" vorbehalten, nun wird sie immer häufiger zum Ausfüllen der unregelmäßigen Farbfelder benutzt. Ulrich Krempel:
"Was sich geändert hat in den letzten zwanzig Jahren, das ist zum Beispiel der Stil. Also dieses crossedging, diese Kreuzschraffur, ist schon eine langsame Veränderung vom 'Rohen' zum 'Gekochten', wenn man so will. Da wird nämlich etwas sehr viel kunstvoller gestaltet, als es traditionell in der Körperbemalung oder in der Felsmalerei üblich gewesen ist. Das sind übrigens zwei sehr wichtige Quellen für diese Bilder auf Rinden."
Mit der zivilisationshistorischen Kategorie "gekocht" weist Krempel darauf hin, dass im Werk Mawurndjuls die Überlieferung sachte, mit Fingerspitzengefühl und großem Wissen, verwandelt wird, ohne die Quellen zu verschütten oder gar unkenntlich zu machen. Deutlich zu sehen am Beispiel einiger reich ornamentierter Bilder, die von weißen Schädeln dominiert werden:
"Das sind Figuren wie die Mimihs, die Geister, die in den Felsen leben und die die ursprünglichen Lehrer der Menschen für die Kunst sind. Von denen sie also, in der Schöpfungsgeschichte der Aborigines im Norden, das Malen gelernt haben."
Die scheinbar abstrakte Geometrie bleibt immer auf Gegenstände bezogen, und seien es geisterhafte Wesen als Verkörperung von Wasser oder Felsen. So entsteht aus geheimnisvollen Zeichen ein Gegenuniversum zur globalisierten Alltagswelt der selbst für Analphabeten lesbaren Piktogramme in den immergleichen Flughäfen, den Einheitshotels, durchgestylten Städten und vielleicht auch den Museen? Ulrich Krempel:
"Im Museum westlicher Prägung können wir die geheimen und geheiligten Inhalte nicht lesen. Darüber wird auch im Katalog nachgedacht. Das ist auch eine Geschichte, die inzwischen zu den Verabredungen zwischen den Künstlern und den Ausstellern gehört, dass man sagt: Okay, wir lesen die Bilder bis zu der Ebene, die ihr uns noch mitteilt – und darüber hinaus gibt es sicherlich noch geheimere Ebenen."
Im Museum steht – und besteht – das Werk des Aborigine-Künstlers neben den Monumenten der Moderne, jenen monochromen Farbfeldern etwa, die einen Barnett Newman mit missionarischer Rhetorik fragen ließen, wer denn etwa Angst habe vor Gelb, Rot oder Blau? Dem entzieht sich Mawurndjul mit minimalistischer Konsequenz, mit dem Rückgriff auf das, was die karge australische Erde zu bieten hat. Ulrich Krempel:
"Also die Töne des Ocker, die vom Gelb bis ins Rot und dunkle Braun gehen. Dann gibt es Schwarz, das ist aus einfacher Holzkohle gewonnen. Und das Weiß, das ist Ton, so genannter Pfeifenton. Und neueste Hinzugabe als Bindemittel ist heute Holzleim. Früher musste man das mühselig herstellen, entweder aus menschlichen Körperflüssigkeiten wie dem Blut, oder Pflanzensäften, Orchideensäften, was natürlich nur zu bestimmten Jahreszeiten vorhanden ist."
Nicht mehr nach Jahreszeit, glücklicherweise auch nicht nach der Konjunktur des Kunstmarktes werden die Arbeiten Mawurndjuls von den Museen in Sydney oder Melbourne angekauft. Ulrich Krempel:
"Da ist ja auch bei einer neuen Generation von Museumsleuten die Einsicht gewachsen, dass das eigentlich originäre nicht die australische Kolonialkunst ist, nicht die Maler der "Heidelberg School" und wie sie alle heißen, sondern eben tatsächlich doch eher die Kunst der australischen Ureinwohner."
Service:
Die Ausstellung "'rarrk' John Mawurndjul. Zeitreise in Nord-Australien" ist noch bis zum 5. Juni 2006 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.