Info: Die Filmemacherin Sabine Herpich hat über die Arbeit der Kunstschaffenden eine 100-minütige Dokumentation erstellt. Der Film "Kunst kommt aus dem Schnabel, wie er gewachsen ist" hatte im letzten Jahr im Berlinale Forum Weltpremiere und ist jetzt in ausgewählten Kinos zu sehen.
Das Einzige, was zählt, ist Begabung
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In der Werkstatt "Mosaik" in Berlin-Spandau arbeiten derzeit 21 Menschen mit Behinderung professionell als Künstler. Drei Mitarbeiter unterstützen sie organisatorisch und künstlerisch. Ihre Werke sind als "Outsider Art" auf dem Kunstmarkt gefragt.
Nina Pfannenstiel von "Mosaik" hilft dabei, die Buntstifte wieder nach Farben zu sortieren, dann kann Till Kalischer weitermalen. Die Ordnung seines Arbeitsmaterials ist ihm als Autist wichtig. Auf dem großen Papierbogen entsteht ein farbenprächtiges Bild mit dem Titel "Budapest". Auf der linken Seite steht ein bauchiger Turm:
"Budapest, größte Stadt, ich war noch nicht in Budapest."
Ob er schon mal da war oder nicht, ist egal. Till Kalischer, Anfang 50, ist Künstler, fest angestellt in Vollzeit in den Mosaik-Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Hier in einem Spandauer Gewerbegebiet, weit im Berliner Westen, sind 20 Menschen beschäftigt. Begabung ist Voraussetzung, um hier zu arbeiten, erklärt Nina Pfannenstiel, die die Kunstwerkstatt leitet.
"Wir haben Menschen mit Downsyndrom, mit Autismusspektrumsstörungen, mit einer geistigen Behinderung, Intelligenzminderung, solche Sachen. Aber das sind Sachen, die unerheblich sind für das künstlerische Schaffen. Und ich denke auch, dass man vielen Arbeiten nicht ansieht, wer es gemacht hat, also ob dieser Mensch eine Behinderung hat oder nicht. In den künstlerischen Arbeiten sehen Sie es manchmal aber auch oft nicht."
Die Kunst muss auch etwas einbringen
In dem großen Atelier hängen Bilder an jeder Wand. Es gibt Arbeiten mit reduzierten Strichzeichnungen, daneben abstrakte Farbverläufe, die zu leuchten scheinen. In einem Regal steht eine Skulptur aus Ton, die an einen Phallus erinnert, neben ganz fein bemaltem Porzellan, das in der eigenen Werkstatt gebrannt wird.
Die Künstler sind hier gleichberechtigt mit den Menschen, die bei Mosaik in der Tischlerei, in der Lebensmittelverpackung oder im Versand arbeiten. Und das heißt, die Arbeit muss auch etwas einbringen, so Nina Pfannenstiel:
"Das ist jetzt nicht so, dass das Unternehmen sich eine Kunstwerkstatt leistet aus Jux und Tollerei oder weil es allen so guttut. Das wäre ja eher auch ein therapeutischer Ansatz, sondern das ist ein professioneller Bereich und wir versuchen eben die einzelnen Künstlerpersönlichkeiten so zu unterstützen, dass sie tatsächlich richtige Werke erstellen können hier. Und diese Arbeiten werden natürlich auch verkauft. Und ich meine, es ist auch das größte Kompliment für einen Künstler, wenn eine Arbeit gekauft wird."
Inzwischen sind die Werke als "Outsider Art" auch auf dem Kunstmarkt gefragt. Mario Peinze, der seine Signatur stets in besonders schöner Schrift an den unteren Bildrand schreibt, hatte schon mehrere Ausstellungen und einige seiner Werke verkauft. Jetzt sitzt er hoch konzentriert in einer Ecke neben dem großen Fenster und arbeitet an einer Bilderserie über die Familie.
Das Privileg, mit begabten Menschen zu arbeiten
"Da male ich dann parallel an den Bildern, das ist die Familie, Opa, Oma, Mama, Kinder, hier ist mehr Bewegung drinnen und hier weniger, hier ist auch eine andere Stellung. Das sind Kleisterfarben, dann muss ich noch mal eine Schicht darüberlegen, aber das macht auch ein Bild interessant."
Drei Mitarbeiterinnen sorgen für die Unterstützung der Künstler, organisatorisch und künstlerisch, erklärt Nina Pfannenstiel.
"Wir haben ja auch das Privileg, dass wir mit so vielen begabten Menschen arbeiten, das heißt, bei uns ist nicht so viel Motivationsarbeit zu machen, sondern es geht wirklich jeden Tag darum: Was machst du heute? Wie kann es weitergehen? Was interessiert dich? Und natürlich auch immer: Was haben wir Assistentinnen da für eine Idee dazu? Das ist auch für uns eine kreative Arbeit. Wobei wir schon versuchen, uns soweit wie möglich zurückzunehmen und die Künstler alle wesentlichen Entscheidungen treffen zu lassen."
Hitlers Kopf wird zum Coronavirus
Suzi van Zehlendorf beispielsweise will Geschichte künstlerisch neu schreiben. Sie hat eine große Bibliothek, weiß alles über das Schloss Charlottenburg und beschäftigt sich mit der Umgestaltung des Bode Museums. Daneben übermalt sie Abbildungen in Büchern. In einem Bildband über das Dritte Reich wird Hitlers Kopf zum Coronavirus, aus einer Kanone wächst ein Wasserhahn.
Manche der Künstlerinnen können hier erstmalig im Leben so gestalten, wie sie wollen, das ausdrücken, was sie denken, fühlen und wünschen, sagt Nina Pfannenstiel:
"Und das ist natürlich auch eine künstlerische Triebkraft, das ist eine dauerhafte Triebfeder, die Umwelt umzugestalten und die Geschichte neu zu schreiben und Berlin umzubauen und alles passend zu machen. In der Kunst kann man das alles ausleben. Wenn man die Welt verändern möchte, dann ist das am besten in der Kunst."