Kunstvermittlung als Basis- und Breitenarbeit

Von Volkhard App · 11.03.2007
Der stolze Jubilar hat sich selbst zum Thema einer Rauminstallation gemacht: Und so schritten die 250 Geburtstagsgäste über einen langen Steg und sahen rechts und links Berge alter Ausstellungs-Kataloge, Dokumente der hiesigen Betriebsamkeit.
Dabei wirbt die Einrichtung öffentlich gar nicht mit dem Alter von 175 Jahren: Auf Einladungskarten, Buttons und in Zeitungsinseraten prangt vielmehr die Zahl "175.000". Ist der Verein derart in die Jahre gekommen? Direktor Stephan Berg:

"Wir sind in die Jahre gekommen und trotzdem jung geblieben. Und das soll diese Zahl auch andeuten. Einerseits: 175 – das ist für manche Menschen so alt, dass es gleichzeitig ‚uralt’ bedeuten könnte. Auf der anderen Seite steht 175.000 als noch ungewisse Projektion in die Zukunft. Es ist so die Verklammerung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die treffen sich in dieser Zahl."

1832 im Königreich Hannover gegründet, war dieser Kunstverein sicher Ausdruck bürgerlichen Selbstbewusstseins, aber beileibe keine radikale Herausforderung des alten Regimes. Der Zweck laut Satzung: "Beförderung der bildenden Künste durch Verbreitung der Theilnahme für dieselben und durch Aufmunterung und Unterstützung der Künstler."

Historienbilder, idyllische Landschaften und schöne Porträts waren besonders beliebt, auch das Königshaus kaufte auf den Ausstellungen. Kunst, die ein wenig vom Pfade abwich, wurde gemieden - Spitzwegs "Armer Poet” stieß in Hannover auf entschiedene Ablehnung.

"Heinrich der Löwe verteidigt Friedrich Barbarossa in Rom”, so der Titel der ersten lithographierten Jahresgabe an die Mitglieder. Der Münchner Künstler Stephan Huber hat für seine launige Geburtstagsrede nach weiteren typischen Beispielen Ausschau gehalten:

"’Gretchen am Spinnrade’, ‚Gretchens Kirchgang’, ‚Gretchen vor der Mater Dolorosa’, ‚Gretchen am Brunnen’, ‚Gretchen im Garten’, alle gestaltet von Professor Liezen-Mayer, dann endlich ‚Gretchen im Kerker’ als Jahresgabe - und 1886 der Paradigmenwechsel: ‚Schillers Glocke’, wieder von Professor
Liezen-Mayer."

So konservativ war selbst im frühen 20. Jahrhundert das Erscheinungsbild dieses Kunstvereins, dass Bürger 1916, also mitten im Krieg, einen zweiten Verein mit Namen "Kestnergesellschaft” gründeten, der der Moderne endlich Spielraum geben sollte. Und das heutige Profil? Stephan Berg steht seit 2001 an der Spitze des hannoverschen Kunstvereins:

"Wir sind zukunftsorientiert, sehr zeitgenössisch. Unser Auftrag lautet: Jüngere internationale Kunst, die wir auf der Schwelle zum größeren Erfolg sehen, zu befördern und daneben ein waches Auge auf die regionale Szene in Niedersachsen zu haben – durch eine klare Nachwuchsförderung, zum Beispiel durch die Berücksichtigung in der Herbstausstellung oder durch die Vergabe eines Stipendiums."

Ohne die Schätze, aber auch die Bürde einer eigenen bedeutenden Sammlung, gehen Kunstvereine auf Fischzug in der Gegenwartskunst mit ihren meist ungesicherten Positionen und kaum etablierten Namen, neigen mal zur grandiosen Überschätzung eines Aufsteigers, können andererseits aber auch herausragende Künstler erstmals in unseren Breiten zeigen: So präsentierte der hannoversche Kunstverein den phantastischen Fotografen Gregory Crewdson und stellt zur Zeit die Malerin Julie Mehretu vor mit ihren vielschichtigen Bildern auf dem Grat zwischen Gegenständlichkeit und völliger Abstraktion.

1200 Mitglieder hat der hannoversche Verein zurzeit und wird von der Stadt und vom Land gefördert. Für aufwendige Projekte müssen Sponsoren gesucht werden. Kunstverein - das bedeutet soviel wie schmaler Apparat mit knappen Finanzen:

"Weder Resignation noch Larmoyanz bringen uns im Moment weiter. Man muss nüchtern die Situation konstatieren. Das bedeutet im Ergebnis: Es wird kontinuierlich schwieriger. Es gilt aber auch: Wenn Sie Enthusiasmus verbreiten können und mit tragfähigen Ausstellungsideen verknüpfen, auch mit kulturpolitischen Konzepten, die für die gesamte Region interessant sind, dann gibt es Möglichkeiten. Sie zu suchen, ist eine Goldgräber-Aufgabe."

Beneiden Museumsdirektoren eigentlich Kunstvereinsleiter manchmal um die Beweglichkeit, ohne großen Apparat und aufwendige Sammlungspflege aktiv werden zu können: Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums, war als Gratulant in den hannoverschen Kunstverein gekommen:

"Wir beneiden uns manchmal gegenseitig. Aber ich glaube, wir bewegen uns in ganz unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Ich beneide die Kollegen gelegentlich um die Geschwindigkeit, in der sie arbeiten müssen, aber auch arbeiten können. Museen haben andere Tempi. Auf der anderen Seite bin ich aber auch ganz zufrieden, denn manches klauen wir natürlich auch an Ideen und Geschwindigkeit von den Kunstvereinen, wenn wir mit zeitgenössischer Kunst umgehen. Umgekehrt ist auch so. Und wenn wir ganz gut drauf sind, arbeiten wir sogar zusammen - wie in diesem Jahr."

Und dieses Gemeinschaftsprojekt ist "Made in Germany", die ab Mai stattfindende Bestandsaufnahme der bei uns produzierten Kunst. Der um Originalität nie verlegene Timm Ulrichs verdiente sich einst durch Gelegenheitsarbeiten ein paar Mark im Kunstverein, indem er bei den Jurysitzungen zur jährlichen Herbstausstellung Bilder und Skulpturen hin- und hertrug. Als Künstler hatte er es anfangs schwer, mit seinen Werken hier akzeptiert zu werden, gehörte dann aber zu den Hausheiligen:

"Für mich war es gerade in den Anfangsjahren wichtig, vor ein Publikum treten zu können. Aus dem Atelier heraus eine Öffentlichkeit zu finden, sich zeigen und auch vergleichen lassen zu können, darauf kommt es an. In dieser Art der Förderung hat der Kunstverein eine wichtige Aufgabe."

Ob der hiesige Kunstverein einmal den 175.000. Geburtstag feiern wird? Jedenfalls dürfte der Ausstellungsbetrieb auch in den nächsten Jahren anregend sein, um die Zukunft ist es so schlecht nicht bestellt.