Kunstschaffen heute

Bleibende Werte zeitgenössischer Kunst

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Antike Büsten im Skulpturendepot der Antikensammlung des Archäologischen Zentrums in Berlin © picture alliance / dpa
Von Sebastian Hennig |
Engagement für die Kunst ist so unnötig wie eine engagierte Kunst – mit dieser These provoziert unser Autor Sebastian Hennig. Was "dem Biedermeier der Ohrensessel" war, sei heute der "Dauerschock". Nur was ideologiefrei sei, werde Bedeutung über die Zeit hinaus behalten.
Was treibt zeitgenössische Künstler um? Fühlen sie sich in ihrer Eigenschaft als Künstler durch die aktuelle Lage angesprochen? Mischen sie sich ein? Haben sie überhaupt ein solches Bedürfnis? Wenn ja, was treibt sie dabei an?
Die Altvorderen gaben die Antwort noch selbst – drastisch und unverstellt. Wladimir Majakowski forderte "Ich will - Meine Feder ins Waffenverzeichnis". Käthe Kollwitz wollte "... wirken in dieser Zeit". Und Rainer Maria Rilke lässt in seinem Gedicht "Archaischer Torso Apolls" eine Statue dem Betrachter zurufen: "Du musst Dein Leben ändern!"
Hier heißt es aufmerken: Die Kunst macht keine Vorschläge, was zu tun sei. Nicht einmal Dich verändert sie, geschweige die Verhältnisse. Rilke betont das "Du". Die Statue ist stumm. Sie fordert durch ihre Gegenwart vom Betrachter, dass er sich selbst ändere. Wie sollte ein Kunstwerk auch helfen können, jemand befreien oder trösten, der unfrei, untröstlich ist.
Kunst weist nicht den Weg zur Freiheit. Sie ist die Freiheit. Sie wächst mit der Freiheit, die sich der Künstler nimmt, um sie zu schaffen. Doch nutzen die Schriftsteller, Maler und Bildhauer diese ihre Freiheit noch? Wagen sie ihre eigentliche Zuständigkeit?
Vor 30 Jahren grassierte unter ihnen die Angst vor dem Atomkrieg. Inzwischen rüstet jeder gegen jeden. Die Angst vor dem Krieg ist der Angst gewichen, nicht mehr mitreden zu können, kernhaft ausgelöscht zu werden ohne Kernschlag. Nicht mehr gehört und gesehen zu werden, dass ist der eigentliche Horror.
Kunst entfaltet Wirkung, wenn sie sich Ideologien entzieht
Um der Kunst willen besteht kein Bedarf an engagierten Künstlern. Engagement für die Kunst ist so unnötig wie eine engagierte Kunst. Es bedarf des Engagements in der Kunst. Wer seine Kunst ausüben kann, braucht sich nicht zu beklagen, auch nicht über das Unrecht der Welt. Und wen die Kunstausübung überfordert, der unterlasse sie eben besser.
Politisch wirksam wird sie, sobald sie sich den Ideologien entzieht. Ein Kunstschaffender, der auf den Grenzen seines Metiers besteht, provoziert heute mehr als jeder Grenzgänger. Denn der Dauerschock ist uns, was dem Biedermeier der Ohrensessel war. Nur noch das Aussetzen des Lärms vermag wachzurütteln.
Wir haben eine behagliche Rebellion und bräuchten eine unbehagliche Gemütlichkeit, wie sie die militante Romantik hervorbrachte, die aus einem Volkkrieg geboren wurde. Diese Romantik ist Anfang und Ende der Moderne. Die Avantgarde ist unterdessen längst zum Tross geworden. Schwerfällig wälzt sie den Umwälzungen hinterdrein.
Zeitgenössische Kunst ist keine Stilrichtung. Wo sie etwas Gültiges über unser jetziges Dasein aussagt, das wird sich erst in 50 Jahren zeigen. Wenn, frei nach Goethe, der letzte gestorben ist, der sich noch persönlich an heutige Künstler erinnert. Das Vorurteil wird dahin sein. Vergessen oder Mythos folgt.
Der nackte Mensch als höchster Anlass der bildenden Kunst
Der archaische Apoll blickt noch ungerührt auf uns herab. Was sind ihm hundert Jahre? Das Hervorragendste an ihm ist seine menschliche Gestalt. Der Mensch, zumal der nackte, ist der wichtigste, höchste, ja hehrste Anlass der bildenden Kunst. Wenn er sich darin nicht mehr unmittelbar manifestiert, helfen ihr auch keine Manifeste weiter.
Die Schönheit ist das Bedeutende. Hässlich ist allein das Unbedeutende, Banale. Es spricht nicht an und birgt keine Botschaften. Stumm ist es heute und bleibt es auch morgen.
Machwerke werden ins Unbedeutende zurückgestuft werden, während Kunstwerke nicht allein von vergangenen Zeiten erzählen, sondern in ihrem bleibenden Wert, das Heute widerspiegeln. Wer sie aufmerksam betrachtet, unbeirrt vom Diskurs der Kuratoren, der mag etwas davon vorausahnen. Es lohnt, sich heute vorzustellen, wie sie wohl in fünfzig Jahren aufgenommen werden.
Den Alten Meistern sind Werke gelungen, durch sie nicht allein berühmt wurden, seltener auch wohlhabend, aber nie so reich wie ihre Auftraggeber, deren Antlitz und Gestalt durch diese Kunst überdauerten.
Sebastian Hennig, 1972 in Leipzig geboren, studierte er Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Neben der freiberuflichen Tätigkeit als Bildender Künstler publiziert er in Zeitungen und Zeitschriften, vorzugsweise in "Tumult – Vierteljahreszeitschrift für Konsensstörung", ist in der Förderung des künstlerischen Nachwuchses aktiv und betreibt einen bibliophilen Kleinverlag.
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Der Autor Sebastian Hennig© Hans-Ludwig Böhme