Kunstsammlungen zwischen Schatz- und Abstellkammer

Von Barbara Wiegand · 23.08.2010
Statt teurer Sonderausstellungen Rückbesinnung auf bereits vorhandene Schätze - Museen wie die Neue Neue Nationalgalerie Berlin zeigen sammlungseigene Klassiker der Moderne aus den Jahren 1900 bis 1945 sowie Leihgaben aus Privathaushalten.
Doch diese Rückbesinnung auf die eigenen Bestände sei keine Frage des knapper gewordenen Geldes, sondern eine der Einstellung – meint Udo Kittelmann, der Direktor der Berliner Nationalgalerie.

"Das hat, was meine Denke anbelangt, nichts mit fehlendem Geld zu tun. Das hat etwas mit meinem Selbstverständnis zu tun, was die Aufgabe von Museum, zumal, wenn es ein öffentliches Museum ist. Und ein Museum zeichnet sich ja gegenüber allen anderen Ausstellungsorten dadurch aus, dass es eine Sammlung hat. Und mir war das auch immer unverständlich, dass die Museen in den letzten zurückliegenden Jahrzehnten weniger über ihre prächtigen Sammlungen gesprochen haben als vielmehr in den Vordergrund die sogenannten temporären Ausstellungen geschoben haben."

Zumindest was die Ausstellung der Neuen Nationalgalerie anbetrifft, mag man Udo Kittelmann hier zustimmen. Und das gilt nicht nur für die Höhepunkte der insgesamt 2500 Werke umfassenden Sammlung, die man unter dem Titel "Moderne Zeiten" natürlich auch in der Dauerausstellung präsentiert, für Kirchners Potsdamer Platz als farbintensive Ikone des deutschen Expressionismus, für Skulpturen von Max Ernst, Gemälde von Otto Dix.

Die im März eröffnete Schau ist ein mit bekannten aber auch unbekannten Werken bestückter Rundgang entlang der Geschichte der Sammlung und darüber hinaus der deutschen Geschichte. Und auch ihrer Brüche. Während man noch die von Karl Schmidt Rottluff in leuchtenden Farben gemalten Bauernhäuser vor Augen hat, ist man ein paar Schritte weiter irritiert, wenn man um die Ecke biegt und die zaghaft blühende Topfblume sieht, die Franz Lenk brav und in ihrer seltsamen Tristesse doch beeindruckend gemalt hat. Kurator Joachim Jäger:

"Gerade von diesem Werk bin ich selber sehr beeindruckt, weil das Werk aus dem Jahr 1933 stammt. Das Interessante daran ist nicht die Topfpflanze, Topfpflanzen haben viele Künstler vorher schon gemalt. Aber im Jahr 33, wo Hitler an die Macht kommt, in den Rückzug, auf so ein Detail zurückzugehen. Und das zeigt eben schon – Stichwort innere Immigration - dieses Zurückziehen der Intellektuellen vor einem neuen System. Man muss also das Bild vielgestaltig lesen.

Und um die Ecke rum sind die Expressionisten, da lodert noch das Feuer das ekstatisch, und dann geht man um die Ecke und hat jemanden wie Lenk, der malt eben eine Topfpflanze. Und das finde ich eben dieses Nebeneinander der Moderne, was so faszinierend ist."

Mit der Ausstellung des auf den ersten Blick unscheinbaren Gemäldes wird darüber hinaus auch klar, wie sehr der Schwerpunkt der Sammlungen auf dem Werk deutscher Künstler liegt. Wenn im Herbst kommenden Jahres wie geplant in einem zweiten Ausstellungsteil Kunst der eigenen Sammlung gezeigt wird, die nach 1945 entstanden ist, ist die Perspektive sicher internationaler. Vor allem was Konzeptkunst und Informel, Performance und PopArt betrifft.

Um die Großinstallationen und Ikonen dieser Kunst, etwa von Beuys und Warhol, zu sehen, muss man sich dann nach wie vor in den Hamburger Bahnhof begeben – Berlins Museum für Gegenwartskunst, das ebenfalls vom Nationalgaleriedirektor Udo Kittelmann geleitet wird. Auch dort konzentriert man sich jetzt auf die eigenen Bestände. Vor allem aber auf die zur Verfügung gestellten Kunstkollektionen.

1996 mit der Sammlung Marx, mit Werken von Beuys, Kieffer, Rauschenberg eröffnet, kamen im Laufe der Jahre Konzeptkunst des Sammlers Marzona und die 2000 Werke umfassende Kollektion von Friedrich Christian Flick hinzu. Doch nicht nur diese Dauerleihgabe verursachte Diskussionen wegen der nationalsozialistisch belasteten Familiengeschichte des Unternehmers.

Überhaupt birgt das dem Hamburger Bahnhof zur Verfügung stehende Kunstpotential auch jede Menge Konfliktstoff. Gilt es doch, die Leihgeber unter einen Hut zu bringen und Vorwürfen zu begegnen, das Museum gerate zur "Abstellkammer" privater Sammler.

Ein neues Konzept war also gefragt. Dazu gehört für Udo Kittelmann durchaus, Werke aus verschiedenen Sammlungen miteinander zu verknüpfen und zu konfrontieren, ja, auch zu provozieren. Als er unter dem Titel "Die Kunst ist super" im Herbst letzten Jahres seine erste Variante der Neupräsentation vorstellte, räumte er die einst mit Großkunstwerken aus der Sammlung Marx bestückte Haupthalle fast leer. Was der Sammler Erich Marx wiederum gar nicht super fand.

"Ich fühle mich, ich muss, wenn ich ehrlich bin, sagen, nicht sehr gut aufgehoben. Der Hamburger Bahnhof ist mal gegründet worden, durch meine Zusage, dass ich meine Sammlung hierher bringe. Und das kann man nun nicht so alles auflösen in einer neuen Bewegung, die ich im Prinzip nicht mal für falsch halte, denn das Museum Hamburger Bahnhof muss sich auch der Gegenwart zuwenden. Aber da ist es meine Aufgabe als Sammler, darauf zu achten, dass das, was mal Prinzip des Vertrages war, dass das beachtet wird. Ich habe nicht einzelne Bilder an den Hamburger Bahnhof oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz geliehen. Sondern eine Sammlung. Eine Sammlung, die in sich eine Konzeption hat. Das kann nicht einfach aufgelöst werden in einzelne Bilder. Sonst verliert die Sammlung die Kraft, und damit auch der Hamburger Bahnhof."

So will der bald 90-jährige Berliner nicht ganz ausschließen, seine schon mal erhobene Drohung doch noch wahr zu machen und seine Sammlung zurückzuziehen. Andererseits aber ist er bereit, auf Kompromisse einzugehen. Sich zu gedulden, bis seine Kollektion vielleicht eines Tages in der jetzigen Gemäldegalerie Einzug halten kann. Wenn die Altmeister von dort in einen Neubau an der Museumsinsel ziehen. Große Pläne, deren Realisierung derzeit nicht finanzierbar ist.

So konzentriert sich Nationalgalerie-Chef Udo Kittelmann auf die Gegenwart und ist dabei überzeugt, im Sinne aller Beteiligten – und vor allem der Kunst zu handeln.

"Ich will ihnen ein paar Beispiele nennen. Wir haben gerade im Kontext der Sammlung Flick eine Ausstellung um Bruce Nauman gemacht. Und glücklicherweise trägt es sich auch zu, dass aus der Sammlung Marx auch eine Arbeit von Bruce Nauman ist, eine der wunderbarsten Arbeiten. Und die ist eben jetzt auch in den Kontext der gesamten Präsentation des Hamburger Bahnhof aufgenommen worden."

Bei der erwähnten Arbeit handelt es sich um eine Pyramide aus Tierskulpturen, die in der Tat in den für die Sammlung Flick umgebauten Rieckhallen einen interessanten Wirkungsraum bekommt. Denn Naumans Schaumstofffiguren gegenüber hängt Nikolaus Langs Bild "Roadkill", mit Abdrücken von auf australischen Highways überfahrenen Kängurus drauf. Hier die Tiere als fabelhafter Turm, dort als eine Art Tapetenornament. Eine Konstellation, die morgen vielleicht wieder ganz anders aussieht. Denn mit den Sammlungen zu arbeiten, bedeutet für Kittelmann auch permanente Veränderung. Neue Schwerpunkte zu setzen.

So wurde die große, zuvor fast leere Haupthalle für die erwähnte Bruce Nauman Ausstellung voll gestellt mit den beklemmenden Korridorbauten des US-Künstlers. Im Hamburger Bahnhof kann man also nicht im klassischen Sinne von einer Dauerausstellung reden. Aber das nichts so bleibt wie es ist, das passt ja eigentlich zu einem Museum für Gegenwart.