Kunstsalat in Münster
Der Münsteraner Stadtteil Kinderdorf ist nicht gerade ein Tempel für zeitgenössische Kunst. In den Schrebergärten sprießen ein paar Karotten und Kohlköpfe. Hier leben Russlanddeutsche, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger und langweilen sich. Ein trostloser Ort. Doch einmal im Jahr kommt Kunst nach Kinderdorf.
Für die Ausstellung "Kunst trifft Kohl" erstellen Künstler aus Münster Skulpturen, die in den Kleingartenanlagen aufgestellt werden. Die Einwohner sind vier Monate lang Pate von Skulpturen. Und Besucher können bis Ende September zu Fuß oder mit dem Fahrrad einem vier Kilometer langen Skulpturenpfad folgen.
Knorrige Apfelbäume, feuerrote Geranien, ein Zierbrunnen plätschert. Alles perfekt für ein Wochenende im Schrebergartenidyll. Doch Dieter Holst kann nicht entspannen. Nervös trippelt der Rentner hin und her, er stellt sich auf die Zehenspitzen, um über die Buchsbaumhecke seiner Parzelle zu schauen.
"Ich sehe gerade da die Dame, die da die ganze Zeit herum läuft. Ich meine, die macht ja schon Notizen, wo man was hinstellen kann."
Die Dame in intellektuellem Schwarz heißt Annette Georgi. Sie leitet die kulpturenausstellung "Kunst trifft Kohl" und muss 100 Werke auf drei Schrebergartenanlagen in Kinderhaus verteilen. Das sorgt für Konkurrenz in den Kolonien. Im letzten Jahr ging Dieter Holst leer aus, doch Annette Georgi hat dieses Mal gute Nachrichten für ihn.
Annette Georgi: "Sie kriegen was! Und zwar habe ich eine Künstlerin, die möchte gerne hier in diesem kleinen Alleechen was ausstellen."
Dieter Holst: "Wir sind der einzige Garten, der keinen Zaun hat."
Annette Georgi: "Ja. Eine Frau Olivier, Heike Olivier, möchte gerne eine Skulptur ausstellen, die ist aus glasierter Keramik, also, sehr schön! Passt da prima zu. Gut, ne?! "
Zwei Wochen später parkt ein Van vor dem Schrebergarten von Dieter Holst. Die Künstlerin Heike Olivier, die mit einem langem Kleid und hochgesteckten Haaren wie ein 70er-Jahre-Blumenmädchen aussieht, hat mehrere Tierskulpturen für die Ausstellung getöpfert. Dieter Holst bekommt ein Reh:
"Es ist eine Gazelle, nicht naturgetreu. Der Kopf sitzt auf einem ganz schlanken, langen Hals und soll eigentlich so die Grazilität der Gazelle noch unterstützen. Ich habe fünf Skulpturen hier stehen und habe jetzt Tierskulpturen genommen, weil ich dachte, die passen am besten in so eine Gartenanlage."
Dieter Holst hilft beim Aufbau. Er schwitzt, zieht sich sein T-Shirt aus. Nur mit ägyptischem Goldkettchen um den Hals und in Boxershorts durchsägt er einen Eisenstab. Mit dem wird er gleich die Gazelle auf einem Sockel befestigen.
Dieter Holst: "Baum fällt gleich!"
Heike Olivier: "Ach, guck mal, der Herr schneidet jetzt auch noch die Äste weg, damit man genau drauf gucken kann, wunderbar! (Lachen)."
Der Rentner mäht stolz den Rasen, Heike Oliver beobachtet ihn aus dem Kleinbus:
"Hauptsache, der ballert nicht gegen das Podest mit seinem dicken Teil da. (Lachen)."
Die Ausstellung möchte Bildhauer und Gärtner ins Gespräch bringen. Doch statt um Kunst geht es um den Rasenmäher. Nach so mancher Vereinsvorschrift darf das Gras nicht viel mehr als eine Daumenlänge in die Höhe sprießen. Bei vier Monaten Ausstellungsdauer führt am Rasenmäher also kein Weg vorbei.
Barbara Soerensen sorgt sich deshalb um ihre Skulptur. Eine hüfthohe Raute aus bemalten Keramikrohren, die an Lego erinnert, aber zerbrechlicher ist als das Steckspiel für Kinder. Sie ermahnt Parzellenbesitzer Karl-Heinz Fischer.
Barbara Soerensen: "Das Problem ist dann natürlich das Rasenmähen. Sie können es da nicht wegnehmen."
Karl-Heinz Fischer: "Ach, das wird auch nur alle paar Wochen mal."
Barbara Soerensen: "Dann geht das ja."
Am Tag zuvor tobte ein Unwetter über Münster.
Barbara Soerensen: "Wir haben das jetzt ein bisschen nochmal gesondert befestigt, damit Sie auch keinen Stress damit haben. Sonst trägt es sich schon von alleine."
Karl-Heinz Fischer: "Ist sturmfest, ja?!"
Barbara Soerensen: "Ja, ja. Wenn es sich mal ein bisschen bewegt bei Wind, macht das nichts, keine Angst, das geht alles gut."
Karl-Heinz Fischer: "Ja, okay."
Barbara Soerensen: "Nur, es darf natürlich nicht der Rasenmäher gehen."
Karl-Heinz Fischer: "Ach! (Lachen)."
Sturm und Rasenmäher sind eine Herausforderung für Künstler und Gärtner, keine Hürde. Wenn ein Werk wirklich die Vorschriften des Kleingartenvereins verletzt, greift Günter Schmidtfrerig ein. Der kernige Rentner ist der Vorsitzende der Anlage Münsterblick:
"Probleme hatte ich mit einem Kunstwerk, das habe ich abgelehnt. Ein Japaner war das, glaube ich, der gesagt hat, er wollte ein metertiefes Loch buddeln, so als Brunnen. Das habe ich abgelehnt, weil dafür die Gärten zu sehr verunstaltet wurden. Hat er eingesehen, und damit war das Ding erledigt."
Ansonsten ist Günter Schmidtfrerig, der die Skulpturenausstellung vor vier Jahren mitbegründet hat, aufgeschlossen. Er vermittelt zwischen Künstlern und Gärtnern, die oft in unterschiedlichen Zungen sprechen.
"Ich hatte Probleme bei dem Künstler, der mit der Motorsäge gearbeitet hat. Weil viele Leute gesagt haben: Oh Gott, jetzt kommt mein Baum weg. Ich sage: nein! Das wird ein Kunstwerk, das bleibt dir erhalten. Ich sage: Freu dich drauf! Wenn die 'Kettensäge' hören, dann kriegen die natürlich solche Ohren!"
Renate Ackermann hatte solche Ohren. In ihrer Parzelle steht ein Baumstumpf, den seit Jahren eine Schale Begonien verziert. Eigentlich ganz hübsch, findet die Gärtnerin. Ausgerechnet diesen Stumpf hat sich Henri Alain Unsenso für sein Kunstwerk ausgesucht. Inzwischen kann Renate Ackermann das Kettensägen-Massaker kaum erwarten.
"Kommen die denn heute noch zum Schnitzen, weißt du es nicht? Es soll geschnitzt werden in unseren Baum. Das bleibt aber dann, das wird mir nicht wieder weggenommen, das ist für ewig. Das finde ich super. Und hier bei Walter gegenüber, da wird auch etwas in den Baumstamm geschnitzt. Wir warten jetzt darauf, wenn der Künstler… Um was es dann geht, ich weiß nicht, was für eine Figur oder wie. Also, wir sind selber noch ratlos, aber ich hoffe, dass das schön wird."
Henri Alain Unsenso passt sich der Welt der Kleingärtner an: Er metzelt Zwerge aus den Baumstümpfen.
"Und die kriegen wahrscheinlich auch noch ein kleines rotes Käppchen, wir sind ja im Schrebergarten. Schrebergarten Münsterblick! Dummerweise gucken die jetzt alle in eine Richtung, in den Himmel. (Lachen). Vielleicht ist da Münster, ich weiß es nicht."
Henri Alain Unsenso legt los, die Gärtner schauen zu. Um ein Uhr mittags erschöpft sich der Kunstsinn der Kleingärtner:
"Es gab ein bisschen Beschwerden wegen Ruhestörung, weil, ich denke mal, dass die Kleingärtner nicht unbedingt homogen sind. Und da sonst, nachmittags speziell, ein Rasenmähverbot existiert, waren ein paar wohl ein bisschen genervt und sagten: Ne! Ruhe! Es ist Ruhezeit! Und da habe ich dann doch erst mal ein bisschen aufgehört. (Lachen)."
Lautlos schwimmt ein riesiger Wal durch den Garten von Magdalena Hümann. Der Fisch ist gefertigt aus altem Metall, weggeworfenen Rohren und Eisen. An den Anblick von Schrott haben sich die Gärtner in vier Jahren "Kunst trifft Kohl" gewöhnt. Doch Magdalena Hümann irritiert der Titel. Der Wal heißt "Kopulation", Begattung.
"Ich habe gedacht, wo ist der zweite Wal. Zum Kopulieren gehören zwei!"
Sex sells - auch im Schrebergarten. Doch es geht gar nicht um Sex. Die Künstlerin Melanie Tiemann-Hamel, die mit Pferdeschwanz und Jeans sehr geerdet wirkt, erklärt den einsam vor sich hin kopulierenden Wal:
"Ja, das ist ja das Unterteil, das kommt von meinem Mann. Und das ist die Kopulation aus Hannes und Melanie Hamel praktisch. Das ist die Kopulation, Zusammenfassung. Auch unser Zusammenleben. Mein Mann ist ja meine Muse, mein Pressesprecher eigentlich! Ich habe da ja nichts für übrig, aber ich muss es ja tun."
Kopulation bedeutet Zusammenarbeit, meint die Autodidaktin aus Steinfurt. Ihre Muse Mann, bärtig, lockig, Typ Rübezahl, erzählt, dass er zusammen mit seiner Frau den Schuppen entrümpelt hat. Herausgekommen ist der Wal:
"Wir versuchen eigentlich aus Abfall erst mal alles herzustellen, weil es auch billiger ist. So vom Schrottplatz kriegen wir auch nochmal billigere Sachen. Von meinem Bruder, der ist Klempner, der hat uns dann noch Kupfer vermacht. Und ein anderer hat uns Edelstahl vorbei gebracht. Dann wird einfach alles verarbeitet, was da ist. So aus Schlossersicht kann man das gar nicht verbinden."
Aus Künstlersicht offenbar schon, bei einem Wettbewerb der Kreissparkasse Steinfurt belegte der Wal immerhin Platz eins. Aber was ist Kunst? Jeder hat doch eine vollgemüllte Laube, die mal aufgeräumt werden müsste.
Diese Frage treibt die Kleingärtner Eckhard Schütz und Manfred Stöckmann vor die Hecken. Im Partnerlook - grüne Latzhose, sonnenverbranntes Gesicht, Bierflasche in der Hand - schlendern der Renter und der Golfplatzpfleger durch die Kolonie und bleiben vor einer rostigen Heuschrecke stehen.
Das Insekt von dem Künstlerduo Jaffke besteht aus einer umgedrehten Sense mit anmontierten Rohren als Fühler und Beine: Schweißen müsste man können, sagt Manfred Stöckmann zu Eckhardt Schütz. Der sieht da kein Problem.
Eckhardt Schütz: "Das können wir ja! Wir haben ja ein Schweißgerät hier. Peter könnte das wohl zusammen schweißen, das wäre kein Problem."
Manfred Stöckmann: "Aber wir haben doch die Ideen nicht, weil wir keine Künstler sind!"
Eckhardt Schütz: "Eben! (Lachen). Das würde bei uns auch nicht
wirken. Was hat der Idiot sich da einfallen lassen?"
Manfred Stöckmann: "Ja, genau. Wenn wir so etwas hinstellen würden, hast Du gesehen, wie bescheuert. Hast Du ja damals an meinen alten Arbeitsschuhen gesehen, die ich da hingestellt habe, die ich dann mit Töpfen bepflanzt habe."
Eckhard Schütz: "Ach so, das war auch ganz originell!"
Manfred Stöckmann: "Ja, das war ganz originell, aber: Was hast Du denn da gemacht?! Wenn ich jetzt Künstler wäre, hätten die gesagt: Töfte! Aber so: Was hast Du denn da gemacht!"
Eberhardt Schütz: "Hättest Du ein Schildchen davor gemacht, hättest Du wahrscheinlich ein Bombenangebot gekriegt! (Lachen)."
Manfred Stöckmann: "Ja, genau. So sieht es aus. Wir armen Gärtner!"
Macht das Schildchen Kunst zur Kunst? Im Garten des Sicherheitsbeamten Martin Kretschmar posieren ein paar Plastikzwerge neben Rhabarber und Stockrosen. "Martin und seine Sex-Zwerge" steht auf weißem Papier unter regenfester Folie. An der betitelten Eigenkreation der Gärtner war der Nachbar Bernd Sandmann beteiligt. Ein zierlicher Jäger in Rente, dem man solche Schlüpfrigkeiten gar nicht zutraut:
"Das haben wir als Nachbarschaft mal gemacht. Der hat immer seine Zwerge hier, dann haben wir im vergangenen Jahr einen Zettel dran gemacht. Ja, er hatte da Frauen… Zwerge, sage ich einfach mal, oben ohne. Darauf haben wir das einfach bezogen."
Bernd Sandmann hat keine Ausstellungsskulptur im Garten, es ist ihm egal. Er schmückt seit Jahren seine Laube mit Hirschgeweihen von selbst erlegten Tieren und bleibt seinem Ruf als Meister der Heckenschere treu. Er stutzt Buchsbäume in Form:
"Je nachdem. Einer möchte es rund haben, einer möchte eine Pyramide. Und ich hab eine Schneckenform. (Lachen)."
Karola Hüttenrauch trinkt einen Kräutertee in ihrer Hollywoodschaukel und blickt zu der Skulptur "Das ungleiche Paar". Die beiden tanzenden Figuren aus Stahl, in denen Sonnenlicht funkelt, stammen aus der Ausstellung vom letzten Jahr. Karola Hüttenrauch konnte sich nach einem gemeinsamen Sommer nicht von ihnen trennen und hat sie gekauft. Die spöttischen Kommentare von Kunstbanausen im Freundeskreis nerven sie, deshalb spricht sie nicht mehr über den Preis der Anschaffung. "
Man muss auch bedenken, wie lange man da dran sitzt. Man hat ja die Idee, die man umsetzen will, das klappt natürlich - denke ich mal - als Künstler nicht sofort auf Anhieb. Man arbeitet da dran. Und wenn man dann einen Stundensatz nimmt, den jemand anderes für seine Arbeit auch bekommt - alle reden vom Mindestlohn - dann muss das auch entlohnt werden."
In diesem Jahr bekam Karola Hüttenrauch ein Borstenschwein in den Garten gepflanzt, das genauso aussieht, wie man es sich vorstellt. Es ist weniger poetisch als das ungleiche Paar, das fernöstliche Ying Yang Prinzipien auf den Plan ruft. Doch Kunstliebhaberin Karola Hüttenrauch gibt auch dem Schwein eine Chance:
"Es spricht mich schon sehr an, aber man muss ein bisschen vorsichtig sein. Man muss auch gucken, wie es sich im Laufe des Sommers so entwickelt. Ob man eine Beziehung dazu kriegt, ob man sich das vorstellen kann, dass es immer da ist. Und mit der Zeit, dass es nicht zu viel wird an Kunst im Garten."
Klaus Dieter Scholle schaut durch die Blumenampeln, die an seiner Laube baumeln, zu seiner Nachbarin Karola Hüttenrauch. Vielleicht teilt er ihre Freude, vielleicht ist er auch ein bisschen neidisch auf ihren dekorierten Garten:
"Der Künstler des letzten Jahres hat mich gefragt im letzten Jahr, ob er das nochmal machen dürfte. Ich sage: selbstverständlich. Überhaupt kein Problem mit."
Jetzt wartet Klaus-Dieter Scholle mit seiner Frau und Hund Porki auf die Ankunft einer Gartenskulptur.
Veronika Haschnik: "Es kommt wieder ein Mann mit Hühnerbeinen. Aber ob das so richtig ist, ob ich das falsch verstanden habe, weiß ich nicht. Jedenfalls kommt wieder eine Figur, ein Mann mit Hühnerbeinen."
Klaus-Dieter Scholle: "Das sollte wohl ein Witz sein, was er Dir da erzählt hat."
Veronika Haschnik: "Ne, das glaube ich nicht."
Hund Porki: (Bellen).
Veronika Haschnik: "Sei ruhig jetzt! Glaube ich eigentlich weniger. Ach, ist ja auch egal."
Es kommt kein Mann mit Hühnerbeinen und auch sonst keine Skulptur für Ehepaar Scholle.
Klaus-Dieter Scholle: "Das wäre ungewohnt, weil wir uns jetzt dran gewöhnt haben, dass hier immer etwas steht. Und dann auf einmal tote Hose."
Im letzten Jahr hatten sie eine Marienfigur im Garten, die gefühlt über zwei Meter groß war. Am Anfang erschrak er sich regelmäßig vor der Heiligenskulptur im XXL-Format. Vor allem nachts auf dem Weg zum stillen Örtchen. Doch als sie weg war, sah die Parzelle plötzlich kahl aus. An der Skulptur, die jetzt auf einmal männlich ist, bewunderte der 53-Jährige vor allem handwerkliche Qualitäten.
Veronika Haschnik: "Der große Mann, der hier stand, das muss auch unheimlich viel Arbeit gewesen sein."
Klaus-Dieter Scholle: "Das war massiv Eiche. Das war massiv Eiche, und der Künstler hat da echt paar Tage für gebraucht. Ja! Doppelt lackiert auf Eiche, sah fantastisch aus. Muss ein Künstler gewesen sein, der richtig Ahnung davon hat. Also, besser als ich mit Pinsel und Farbe."
Klaus-Dieter Scholle, den Farbkleckser auf der Latzhose als Malermeister ausweisen, hat seine Laube mit Sinn für die schönen Dinge des Lebens eingerichtet. Das Porträt einer Zigeunerin hängt neben Fußballfanschals, Ehrenurkunden und Postkarten vom Hamburger Hafen. Auch zu Hause ist Kunst.
"Ja, alles was in Essig in Öl ist. Also, gemalte Bilder. Aber mehr oder weniger Fotos, dann 3D, also dreidimensional, weil ich da Fan von bin. Das war es dann eigentlich."
Und ausgestopfte Tiere, sagt Lebensgefährtin Veronika Haschnik.
Klaus-Dieter Scholle: "Ja, ja, aber das ist ja keine Kunst."
Veronika Haschnik: "Nö, nö, aber die haben wir viel da hängen, die ehen auch ganz gut aus."
Eckhard Schütz: "Moin Moin! Hast du keine Skulptur?!"
Manfred Stöckmann: "Der ist doch selber eine."
Eckhard Schütz: "Ach, Du bist Kunstbanause. (Lachen)."
Die Gärtner Manfred Stöckmann und Eckhard Schütz setzen ihren Rundgang durch die Kolonie fort.
Eckhard Schütz: "Was ist denn da in der Ecke?"
Manfred Stöckmann: "Was ist das denn?"
Eckhard Schütz: "Das habe ich ja noch gar nicht gesehen. Da müssen wir jetzt mal herumgehen."
Vor dem Vereinshaus ragen ein Bein und ein Arm aus der Erde. Eine Skulptur aus Stein.
Eckhard Schütz: "Da liegt einer, die Knochen verloren, oder weiß nicht, der Körper weg. (Lachen). Ein Arm, ein Bein."
Das mutet morbide an. Manfred Stöckmann atmet erleichtert auf, dass in seiner Parzelle eine Eule steht. Es würde ihn stören, wenn er im Garten über Mord und Totschlag nachdenken müsste, wie vor der Skulptur am Vereinshaus.
"Wenn ich jetzt so überlege, was die Medien da immer gebracht haben, da haben sie irgendwie einen Torso gefunden. Wenn man das damit in Verbindung setzen würde, dann würde ich sagen: Macht das Ding mal weg."
Warum weg damit, das klingt doch interessant. Kunst soll schön sein, sagt Manfred Stöckmann. Das findet auch eine Nachbarin. Sie erfreut sich an ihrer Giraffe aus Hufeisen, die neben Borstenschwein, Wal, Gazelle und einem ganzen Zoo anderer Tiere in guter Gesellschaft ist.
"Ich finde es schön, vor allem, wenn man es erkennen kann. Wenn es eine Figur ist oder irgend etwas. Ich habe auch Vogelscheuchen schon gemacht über die vielen Jahre, die wir hier sind. Gut, wenn man nichts von Kunst versteht, kann man damit nichts anfangen. Aber wenn es Gegenstände sind, die schön sind, dann passt es auch in jeden Garten, dann passt es auch in den Vorgarten, oder was weiß ich."
Kunst liegt im Auge des Betrachters. Doch in Erinnerung bleiben Arbeiten, die verstören. Schrebergartenvorstand Günter Schmidtfrerig:
"Das war im vergangenen Jahr ein Fenster mit Blut, so eine Blutspur war da durch. Die ist sehr negativ aufgenommen worden, muss ich schon sagen. Ich konnte mit den Kunstwerken auch nichts anfangen, muss ich schon sagen. Aber das sieht nun mal jeder Künstler anders, wie jeder Kleingärtner seinen Kleingarten ja auch anders sieht. Es ist nun mal so."
Wenn es nach Bodo Treichler ginge, gäbe es mehr Kunstblut, mehr Kunstleichen, mehr Streit im Grün. Der Bildhauer aus Kinderhaus, der mit Baskenmütze und Leinenanzug einem Pariser Dandy ähnelt, ist ebenfalls Gründungsmitglied von "Kunst trifft Kohl". Seine Idee: Wenn der Gärtner nicht ins Museum kommt, kommt das Museum eben zum Gärtner. Ursprünglich hatte er den Kunstsalat in Kinderhaus als Vorbereitung zur "Skulptur Projekte 2007" geplant, der internationalen Großausstellung, die alle zehn Jahre in Münster stattfindet:
"Das war bei mir die Intension zu sagen, da wird eine Kunst laufen, die vom Großteil der Bevölkerung gar nicht verstanden wird. Und man müsste mal sehen, ob man so lokale Bildhauer sammeln könnte für so ein Projekt."
Bodo Treichler hat für "Kunst trifft Kohl" drei Holzskulpturen erstellt, die unter dem Titel "Erkenntnis" zum Perspektivenwechsel und neuen Sichtweisen auffordern sollen. Der 65-Jährige engagiert sich seit Jahren für linke Stadtteilpolitik in Kinderhaus. Er möchte Gedanken verändern, nicht Gärten verschönern. Er kritisiert.
"Aber es ist noch vieles zu dekorativ und beliebig. Es fehlt noch ein bisschen etwas Provokatives, an dem man sich gerade reibt, von dem man provoziert ist, ein Gespräch zu führen. Eben so etwas: Das ist doch keine Kunst: Blut, was hat das hier zu suchen! Es ist uns vielleicht auch dieses Mal noch nicht so richtig gelungen, die Schrebergärtner zu erreichen mal mit einer Veranstaltung. Die stellen zwar die Gärten zur Verfügung, aber ein Kunstdialog, wie ich ihn mir wünschen würde, findet so nicht statt."
Doch ein Etappenziel ist erreicht. Günter Schmidtfrerig erinnert sich an den Widerstand der Gärtner zur ersten Ausstellung. Damals musste der Vorstandsvorsitzende Ängste abbauen:
"Diese anfänglichen Schwierigkeiten: Ach, ich möchte das nicht, die laufen in meinen Garten rein, und alle laufen hinterher. Ich sage: Das ist es nicht! Die kommen an den Rand des Gartens und dann ist das erledigt. Das hat sich irgendwie entwickelt.
Heute sind die Leute soweit: Warum krieg ich keine? Ich sage: Weil wir nicht so viele haben. So einfach ist das. Ja, in meinem Garten stehen ja zwei drinnen. Da sollten drei herein. Ich sage: Das möchte ich nicht. Ich sage: Hinterher heißt es, der Vorsitzende hat drei gekriegt, ich habe wieder keine. Ich sage: Wir verteilen das etwas, dann ist das sicherlich einfacher und besser für alle."
Ein friedlicher Sommerabend im Juni zur Eröffnung. Eine kleine Kombo spielt Gitarrenmusik, zur Eröffnung sprechen Bürgermeister, Ausstellungsmacher, Vereinsvorstände:
"Sehr verehrte Gäste, liebe Kleingärtner und Künstler. Ich darf Sie recht herzlich in unserer schönen Kleingartenanlage Beim Bergbusch begrüßen. Wir haben uns hier getroffen, um mal so die Ausstellung 'Kunst trifft Kohl' zu eröffnen. Herzlich Willkommen! (Klatschen)."
Gärtner und Künstler sehnen gemeinsam die erste Grillwurst auf dem Pappteller herbei. Dann ist das Buffet eröffnet.
"Und heute Abend vor allem viel Spaß."
Auf langen Bierbänken entfachen sich Gespräche - über Kettensägen-Zwerge und über das letzte Rezept für Schichtsalat aus Mais. Günter Schmidtfrerig streicht sein grün-weiß-kariertes Oberhemd glatt. Er ist zufrieden und freut sich über die Skulpturenausstellung, die den Alltag in den Anlagen lebendiger macht:
"Oft ist es ja so, die Kleingärtner kommen in die Kleingartenanlage, links oder rechts, ab in den Garten. Schluss. Und durch diese 'Kunst trifft Kohl'-Ausstellung sind viele Leute dabei und sagen: Ich gehe mal durch die Anlage, gucke mir den Garten einmal an. Und man kommt miteinander ins Gespräch. Und das ist für mich ganz wichtig."
Knorrige Apfelbäume, feuerrote Geranien, ein Zierbrunnen plätschert. Alles perfekt für ein Wochenende im Schrebergartenidyll. Doch Dieter Holst kann nicht entspannen. Nervös trippelt der Rentner hin und her, er stellt sich auf die Zehenspitzen, um über die Buchsbaumhecke seiner Parzelle zu schauen.
"Ich sehe gerade da die Dame, die da die ganze Zeit herum läuft. Ich meine, die macht ja schon Notizen, wo man was hinstellen kann."
Die Dame in intellektuellem Schwarz heißt Annette Georgi. Sie leitet die kulpturenausstellung "Kunst trifft Kohl" und muss 100 Werke auf drei Schrebergartenanlagen in Kinderhaus verteilen. Das sorgt für Konkurrenz in den Kolonien. Im letzten Jahr ging Dieter Holst leer aus, doch Annette Georgi hat dieses Mal gute Nachrichten für ihn.
Annette Georgi: "Sie kriegen was! Und zwar habe ich eine Künstlerin, die möchte gerne hier in diesem kleinen Alleechen was ausstellen."
Dieter Holst: "Wir sind der einzige Garten, der keinen Zaun hat."
Annette Georgi: "Ja. Eine Frau Olivier, Heike Olivier, möchte gerne eine Skulptur ausstellen, die ist aus glasierter Keramik, also, sehr schön! Passt da prima zu. Gut, ne?! "
Zwei Wochen später parkt ein Van vor dem Schrebergarten von Dieter Holst. Die Künstlerin Heike Olivier, die mit einem langem Kleid und hochgesteckten Haaren wie ein 70er-Jahre-Blumenmädchen aussieht, hat mehrere Tierskulpturen für die Ausstellung getöpfert. Dieter Holst bekommt ein Reh:
"Es ist eine Gazelle, nicht naturgetreu. Der Kopf sitzt auf einem ganz schlanken, langen Hals und soll eigentlich so die Grazilität der Gazelle noch unterstützen. Ich habe fünf Skulpturen hier stehen und habe jetzt Tierskulpturen genommen, weil ich dachte, die passen am besten in so eine Gartenanlage."
Dieter Holst hilft beim Aufbau. Er schwitzt, zieht sich sein T-Shirt aus. Nur mit ägyptischem Goldkettchen um den Hals und in Boxershorts durchsägt er einen Eisenstab. Mit dem wird er gleich die Gazelle auf einem Sockel befestigen.
Dieter Holst: "Baum fällt gleich!"
Heike Olivier: "Ach, guck mal, der Herr schneidet jetzt auch noch die Äste weg, damit man genau drauf gucken kann, wunderbar! (Lachen)."
Der Rentner mäht stolz den Rasen, Heike Oliver beobachtet ihn aus dem Kleinbus:
"Hauptsache, der ballert nicht gegen das Podest mit seinem dicken Teil da. (Lachen)."
Die Ausstellung möchte Bildhauer und Gärtner ins Gespräch bringen. Doch statt um Kunst geht es um den Rasenmäher. Nach so mancher Vereinsvorschrift darf das Gras nicht viel mehr als eine Daumenlänge in die Höhe sprießen. Bei vier Monaten Ausstellungsdauer führt am Rasenmäher also kein Weg vorbei.
Barbara Soerensen sorgt sich deshalb um ihre Skulptur. Eine hüfthohe Raute aus bemalten Keramikrohren, die an Lego erinnert, aber zerbrechlicher ist als das Steckspiel für Kinder. Sie ermahnt Parzellenbesitzer Karl-Heinz Fischer.
Barbara Soerensen: "Das Problem ist dann natürlich das Rasenmähen. Sie können es da nicht wegnehmen."
Karl-Heinz Fischer: "Ach, das wird auch nur alle paar Wochen mal."
Barbara Soerensen: "Dann geht das ja."
Am Tag zuvor tobte ein Unwetter über Münster.
Barbara Soerensen: "Wir haben das jetzt ein bisschen nochmal gesondert befestigt, damit Sie auch keinen Stress damit haben. Sonst trägt es sich schon von alleine."
Karl-Heinz Fischer: "Ist sturmfest, ja?!"
Barbara Soerensen: "Ja, ja. Wenn es sich mal ein bisschen bewegt bei Wind, macht das nichts, keine Angst, das geht alles gut."
Karl-Heinz Fischer: "Ja, okay."
Barbara Soerensen: "Nur, es darf natürlich nicht der Rasenmäher gehen."
Karl-Heinz Fischer: "Ach! (Lachen)."
Sturm und Rasenmäher sind eine Herausforderung für Künstler und Gärtner, keine Hürde. Wenn ein Werk wirklich die Vorschriften des Kleingartenvereins verletzt, greift Günter Schmidtfrerig ein. Der kernige Rentner ist der Vorsitzende der Anlage Münsterblick:
"Probleme hatte ich mit einem Kunstwerk, das habe ich abgelehnt. Ein Japaner war das, glaube ich, der gesagt hat, er wollte ein metertiefes Loch buddeln, so als Brunnen. Das habe ich abgelehnt, weil dafür die Gärten zu sehr verunstaltet wurden. Hat er eingesehen, und damit war das Ding erledigt."
Ansonsten ist Günter Schmidtfrerig, der die Skulpturenausstellung vor vier Jahren mitbegründet hat, aufgeschlossen. Er vermittelt zwischen Künstlern und Gärtnern, die oft in unterschiedlichen Zungen sprechen.
"Ich hatte Probleme bei dem Künstler, der mit der Motorsäge gearbeitet hat. Weil viele Leute gesagt haben: Oh Gott, jetzt kommt mein Baum weg. Ich sage: nein! Das wird ein Kunstwerk, das bleibt dir erhalten. Ich sage: Freu dich drauf! Wenn die 'Kettensäge' hören, dann kriegen die natürlich solche Ohren!"
Renate Ackermann hatte solche Ohren. In ihrer Parzelle steht ein Baumstumpf, den seit Jahren eine Schale Begonien verziert. Eigentlich ganz hübsch, findet die Gärtnerin. Ausgerechnet diesen Stumpf hat sich Henri Alain Unsenso für sein Kunstwerk ausgesucht. Inzwischen kann Renate Ackermann das Kettensägen-Massaker kaum erwarten.
"Kommen die denn heute noch zum Schnitzen, weißt du es nicht? Es soll geschnitzt werden in unseren Baum. Das bleibt aber dann, das wird mir nicht wieder weggenommen, das ist für ewig. Das finde ich super. Und hier bei Walter gegenüber, da wird auch etwas in den Baumstamm geschnitzt. Wir warten jetzt darauf, wenn der Künstler… Um was es dann geht, ich weiß nicht, was für eine Figur oder wie. Also, wir sind selber noch ratlos, aber ich hoffe, dass das schön wird."
Henri Alain Unsenso passt sich der Welt der Kleingärtner an: Er metzelt Zwerge aus den Baumstümpfen.
"Und die kriegen wahrscheinlich auch noch ein kleines rotes Käppchen, wir sind ja im Schrebergarten. Schrebergarten Münsterblick! Dummerweise gucken die jetzt alle in eine Richtung, in den Himmel. (Lachen). Vielleicht ist da Münster, ich weiß es nicht."
Henri Alain Unsenso legt los, die Gärtner schauen zu. Um ein Uhr mittags erschöpft sich der Kunstsinn der Kleingärtner:
"Es gab ein bisschen Beschwerden wegen Ruhestörung, weil, ich denke mal, dass die Kleingärtner nicht unbedingt homogen sind. Und da sonst, nachmittags speziell, ein Rasenmähverbot existiert, waren ein paar wohl ein bisschen genervt und sagten: Ne! Ruhe! Es ist Ruhezeit! Und da habe ich dann doch erst mal ein bisschen aufgehört. (Lachen)."
Lautlos schwimmt ein riesiger Wal durch den Garten von Magdalena Hümann. Der Fisch ist gefertigt aus altem Metall, weggeworfenen Rohren und Eisen. An den Anblick von Schrott haben sich die Gärtner in vier Jahren "Kunst trifft Kohl" gewöhnt. Doch Magdalena Hümann irritiert der Titel. Der Wal heißt "Kopulation", Begattung.
"Ich habe gedacht, wo ist der zweite Wal. Zum Kopulieren gehören zwei!"
Sex sells - auch im Schrebergarten. Doch es geht gar nicht um Sex. Die Künstlerin Melanie Tiemann-Hamel, die mit Pferdeschwanz und Jeans sehr geerdet wirkt, erklärt den einsam vor sich hin kopulierenden Wal:
"Ja, das ist ja das Unterteil, das kommt von meinem Mann. Und das ist die Kopulation aus Hannes und Melanie Hamel praktisch. Das ist die Kopulation, Zusammenfassung. Auch unser Zusammenleben. Mein Mann ist ja meine Muse, mein Pressesprecher eigentlich! Ich habe da ja nichts für übrig, aber ich muss es ja tun."
Kopulation bedeutet Zusammenarbeit, meint die Autodidaktin aus Steinfurt. Ihre Muse Mann, bärtig, lockig, Typ Rübezahl, erzählt, dass er zusammen mit seiner Frau den Schuppen entrümpelt hat. Herausgekommen ist der Wal:
"Wir versuchen eigentlich aus Abfall erst mal alles herzustellen, weil es auch billiger ist. So vom Schrottplatz kriegen wir auch nochmal billigere Sachen. Von meinem Bruder, der ist Klempner, der hat uns dann noch Kupfer vermacht. Und ein anderer hat uns Edelstahl vorbei gebracht. Dann wird einfach alles verarbeitet, was da ist. So aus Schlossersicht kann man das gar nicht verbinden."
Aus Künstlersicht offenbar schon, bei einem Wettbewerb der Kreissparkasse Steinfurt belegte der Wal immerhin Platz eins. Aber was ist Kunst? Jeder hat doch eine vollgemüllte Laube, die mal aufgeräumt werden müsste.
Diese Frage treibt die Kleingärtner Eckhard Schütz und Manfred Stöckmann vor die Hecken. Im Partnerlook - grüne Latzhose, sonnenverbranntes Gesicht, Bierflasche in der Hand - schlendern der Renter und der Golfplatzpfleger durch die Kolonie und bleiben vor einer rostigen Heuschrecke stehen.
Das Insekt von dem Künstlerduo Jaffke besteht aus einer umgedrehten Sense mit anmontierten Rohren als Fühler und Beine: Schweißen müsste man können, sagt Manfred Stöckmann zu Eckhardt Schütz. Der sieht da kein Problem.
Eckhardt Schütz: "Das können wir ja! Wir haben ja ein Schweißgerät hier. Peter könnte das wohl zusammen schweißen, das wäre kein Problem."
Manfred Stöckmann: "Aber wir haben doch die Ideen nicht, weil wir keine Künstler sind!"
Eckhardt Schütz: "Eben! (Lachen). Das würde bei uns auch nicht
wirken. Was hat der Idiot sich da einfallen lassen?"
Manfred Stöckmann: "Ja, genau. Wenn wir so etwas hinstellen würden, hast Du gesehen, wie bescheuert. Hast Du ja damals an meinen alten Arbeitsschuhen gesehen, die ich da hingestellt habe, die ich dann mit Töpfen bepflanzt habe."
Eckhard Schütz: "Ach so, das war auch ganz originell!"
Manfred Stöckmann: "Ja, das war ganz originell, aber: Was hast Du denn da gemacht?! Wenn ich jetzt Künstler wäre, hätten die gesagt: Töfte! Aber so: Was hast Du denn da gemacht!"
Eberhardt Schütz: "Hättest Du ein Schildchen davor gemacht, hättest Du wahrscheinlich ein Bombenangebot gekriegt! (Lachen)."
Manfred Stöckmann: "Ja, genau. So sieht es aus. Wir armen Gärtner!"
Macht das Schildchen Kunst zur Kunst? Im Garten des Sicherheitsbeamten Martin Kretschmar posieren ein paar Plastikzwerge neben Rhabarber und Stockrosen. "Martin und seine Sex-Zwerge" steht auf weißem Papier unter regenfester Folie. An der betitelten Eigenkreation der Gärtner war der Nachbar Bernd Sandmann beteiligt. Ein zierlicher Jäger in Rente, dem man solche Schlüpfrigkeiten gar nicht zutraut:
"Das haben wir als Nachbarschaft mal gemacht. Der hat immer seine Zwerge hier, dann haben wir im vergangenen Jahr einen Zettel dran gemacht. Ja, er hatte da Frauen… Zwerge, sage ich einfach mal, oben ohne. Darauf haben wir das einfach bezogen."
Bernd Sandmann hat keine Ausstellungsskulptur im Garten, es ist ihm egal. Er schmückt seit Jahren seine Laube mit Hirschgeweihen von selbst erlegten Tieren und bleibt seinem Ruf als Meister der Heckenschere treu. Er stutzt Buchsbäume in Form:
"Je nachdem. Einer möchte es rund haben, einer möchte eine Pyramide. Und ich hab eine Schneckenform. (Lachen)."
Karola Hüttenrauch trinkt einen Kräutertee in ihrer Hollywoodschaukel und blickt zu der Skulptur "Das ungleiche Paar". Die beiden tanzenden Figuren aus Stahl, in denen Sonnenlicht funkelt, stammen aus der Ausstellung vom letzten Jahr. Karola Hüttenrauch konnte sich nach einem gemeinsamen Sommer nicht von ihnen trennen und hat sie gekauft. Die spöttischen Kommentare von Kunstbanausen im Freundeskreis nerven sie, deshalb spricht sie nicht mehr über den Preis der Anschaffung. "
Man muss auch bedenken, wie lange man da dran sitzt. Man hat ja die Idee, die man umsetzen will, das klappt natürlich - denke ich mal - als Künstler nicht sofort auf Anhieb. Man arbeitet da dran. Und wenn man dann einen Stundensatz nimmt, den jemand anderes für seine Arbeit auch bekommt - alle reden vom Mindestlohn - dann muss das auch entlohnt werden."
In diesem Jahr bekam Karola Hüttenrauch ein Borstenschwein in den Garten gepflanzt, das genauso aussieht, wie man es sich vorstellt. Es ist weniger poetisch als das ungleiche Paar, das fernöstliche Ying Yang Prinzipien auf den Plan ruft. Doch Kunstliebhaberin Karola Hüttenrauch gibt auch dem Schwein eine Chance:
"Es spricht mich schon sehr an, aber man muss ein bisschen vorsichtig sein. Man muss auch gucken, wie es sich im Laufe des Sommers so entwickelt. Ob man eine Beziehung dazu kriegt, ob man sich das vorstellen kann, dass es immer da ist. Und mit der Zeit, dass es nicht zu viel wird an Kunst im Garten."
Klaus Dieter Scholle schaut durch die Blumenampeln, die an seiner Laube baumeln, zu seiner Nachbarin Karola Hüttenrauch. Vielleicht teilt er ihre Freude, vielleicht ist er auch ein bisschen neidisch auf ihren dekorierten Garten:
"Der Künstler des letzten Jahres hat mich gefragt im letzten Jahr, ob er das nochmal machen dürfte. Ich sage: selbstverständlich. Überhaupt kein Problem mit."
Jetzt wartet Klaus-Dieter Scholle mit seiner Frau und Hund Porki auf die Ankunft einer Gartenskulptur.
Veronika Haschnik: "Es kommt wieder ein Mann mit Hühnerbeinen. Aber ob das so richtig ist, ob ich das falsch verstanden habe, weiß ich nicht. Jedenfalls kommt wieder eine Figur, ein Mann mit Hühnerbeinen."
Klaus-Dieter Scholle: "Das sollte wohl ein Witz sein, was er Dir da erzählt hat."
Veronika Haschnik: "Ne, das glaube ich nicht."
Hund Porki: (Bellen).
Veronika Haschnik: "Sei ruhig jetzt! Glaube ich eigentlich weniger. Ach, ist ja auch egal."
Es kommt kein Mann mit Hühnerbeinen und auch sonst keine Skulptur für Ehepaar Scholle.
Klaus-Dieter Scholle: "Das wäre ungewohnt, weil wir uns jetzt dran gewöhnt haben, dass hier immer etwas steht. Und dann auf einmal tote Hose."
Im letzten Jahr hatten sie eine Marienfigur im Garten, die gefühlt über zwei Meter groß war. Am Anfang erschrak er sich regelmäßig vor der Heiligenskulptur im XXL-Format. Vor allem nachts auf dem Weg zum stillen Örtchen. Doch als sie weg war, sah die Parzelle plötzlich kahl aus. An der Skulptur, die jetzt auf einmal männlich ist, bewunderte der 53-Jährige vor allem handwerkliche Qualitäten.
Veronika Haschnik: "Der große Mann, der hier stand, das muss auch unheimlich viel Arbeit gewesen sein."
Klaus-Dieter Scholle: "Das war massiv Eiche. Das war massiv Eiche, und der Künstler hat da echt paar Tage für gebraucht. Ja! Doppelt lackiert auf Eiche, sah fantastisch aus. Muss ein Künstler gewesen sein, der richtig Ahnung davon hat. Also, besser als ich mit Pinsel und Farbe."
Klaus-Dieter Scholle, den Farbkleckser auf der Latzhose als Malermeister ausweisen, hat seine Laube mit Sinn für die schönen Dinge des Lebens eingerichtet. Das Porträt einer Zigeunerin hängt neben Fußballfanschals, Ehrenurkunden und Postkarten vom Hamburger Hafen. Auch zu Hause ist Kunst.
"Ja, alles was in Essig in Öl ist. Also, gemalte Bilder. Aber mehr oder weniger Fotos, dann 3D, also dreidimensional, weil ich da Fan von bin. Das war es dann eigentlich."
Und ausgestopfte Tiere, sagt Lebensgefährtin Veronika Haschnik.
Klaus-Dieter Scholle: "Ja, ja, aber das ist ja keine Kunst."
Veronika Haschnik: "Nö, nö, aber die haben wir viel da hängen, die ehen auch ganz gut aus."
Eckhard Schütz: "Moin Moin! Hast du keine Skulptur?!"
Manfred Stöckmann: "Der ist doch selber eine."
Eckhard Schütz: "Ach, Du bist Kunstbanause. (Lachen)."
Die Gärtner Manfred Stöckmann und Eckhard Schütz setzen ihren Rundgang durch die Kolonie fort.
Eckhard Schütz: "Was ist denn da in der Ecke?"
Manfred Stöckmann: "Was ist das denn?"
Eckhard Schütz: "Das habe ich ja noch gar nicht gesehen. Da müssen wir jetzt mal herumgehen."
Vor dem Vereinshaus ragen ein Bein und ein Arm aus der Erde. Eine Skulptur aus Stein.
Eckhard Schütz: "Da liegt einer, die Knochen verloren, oder weiß nicht, der Körper weg. (Lachen). Ein Arm, ein Bein."
Das mutet morbide an. Manfred Stöckmann atmet erleichtert auf, dass in seiner Parzelle eine Eule steht. Es würde ihn stören, wenn er im Garten über Mord und Totschlag nachdenken müsste, wie vor der Skulptur am Vereinshaus.
"Wenn ich jetzt so überlege, was die Medien da immer gebracht haben, da haben sie irgendwie einen Torso gefunden. Wenn man das damit in Verbindung setzen würde, dann würde ich sagen: Macht das Ding mal weg."
Warum weg damit, das klingt doch interessant. Kunst soll schön sein, sagt Manfred Stöckmann. Das findet auch eine Nachbarin. Sie erfreut sich an ihrer Giraffe aus Hufeisen, die neben Borstenschwein, Wal, Gazelle und einem ganzen Zoo anderer Tiere in guter Gesellschaft ist.
"Ich finde es schön, vor allem, wenn man es erkennen kann. Wenn es eine Figur ist oder irgend etwas. Ich habe auch Vogelscheuchen schon gemacht über die vielen Jahre, die wir hier sind. Gut, wenn man nichts von Kunst versteht, kann man damit nichts anfangen. Aber wenn es Gegenstände sind, die schön sind, dann passt es auch in jeden Garten, dann passt es auch in den Vorgarten, oder was weiß ich."
Kunst liegt im Auge des Betrachters. Doch in Erinnerung bleiben Arbeiten, die verstören. Schrebergartenvorstand Günter Schmidtfrerig:
"Das war im vergangenen Jahr ein Fenster mit Blut, so eine Blutspur war da durch. Die ist sehr negativ aufgenommen worden, muss ich schon sagen. Ich konnte mit den Kunstwerken auch nichts anfangen, muss ich schon sagen. Aber das sieht nun mal jeder Künstler anders, wie jeder Kleingärtner seinen Kleingarten ja auch anders sieht. Es ist nun mal so."
Wenn es nach Bodo Treichler ginge, gäbe es mehr Kunstblut, mehr Kunstleichen, mehr Streit im Grün. Der Bildhauer aus Kinderhaus, der mit Baskenmütze und Leinenanzug einem Pariser Dandy ähnelt, ist ebenfalls Gründungsmitglied von "Kunst trifft Kohl". Seine Idee: Wenn der Gärtner nicht ins Museum kommt, kommt das Museum eben zum Gärtner. Ursprünglich hatte er den Kunstsalat in Kinderhaus als Vorbereitung zur "Skulptur Projekte 2007" geplant, der internationalen Großausstellung, die alle zehn Jahre in Münster stattfindet:
"Das war bei mir die Intension zu sagen, da wird eine Kunst laufen, die vom Großteil der Bevölkerung gar nicht verstanden wird. Und man müsste mal sehen, ob man so lokale Bildhauer sammeln könnte für so ein Projekt."
Bodo Treichler hat für "Kunst trifft Kohl" drei Holzskulpturen erstellt, die unter dem Titel "Erkenntnis" zum Perspektivenwechsel und neuen Sichtweisen auffordern sollen. Der 65-Jährige engagiert sich seit Jahren für linke Stadtteilpolitik in Kinderhaus. Er möchte Gedanken verändern, nicht Gärten verschönern. Er kritisiert.
"Aber es ist noch vieles zu dekorativ und beliebig. Es fehlt noch ein bisschen etwas Provokatives, an dem man sich gerade reibt, von dem man provoziert ist, ein Gespräch zu führen. Eben so etwas: Das ist doch keine Kunst: Blut, was hat das hier zu suchen! Es ist uns vielleicht auch dieses Mal noch nicht so richtig gelungen, die Schrebergärtner zu erreichen mal mit einer Veranstaltung. Die stellen zwar die Gärten zur Verfügung, aber ein Kunstdialog, wie ich ihn mir wünschen würde, findet so nicht statt."
Doch ein Etappenziel ist erreicht. Günter Schmidtfrerig erinnert sich an den Widerstand der Gärtner zur ersten Ausstellung. Damals musste der Vorstandsvorsitzende Ängste abbauen:
"Diese anfänglichen Schwierigkeiten: Ach, ich möchte das nicht, die laufen in meinen Garten rein, und alle laufen hinterher. Ich sage: Das ist es nicht! Die kommen an den Rand des Gartens und dann ist das erledigt. Das hat sich irgendwie entwickelt.
Heute sind die Leute soweit: Warum krieg ich keine? Ich sage: Weil wir nicht so viele haben. So einfach ist das. Ja, in meinem Garten stehen ja zwei drinnen. Da sollten drei herein. Ich sage: Das möchte ich nicht. Ich sage: Hinterher heißt es, der Vorsitzende hat drei gekriegt, ich habe wieder keine. Ich sage: Wir verteilen das etwas, dann ist das sicherlich einfacher und besser für alle."
Ein friedlicher Sommerabend im Juni zur Eröffnung. Eine kleine Kombo spielt Gitarrenmusik, zur Eröffnung sprechen Bürgermeister, Ausstellungsmacher, Vereinsvorstände:
"Sehr verehrte Gäste, liebe Kleingärtner und Künstler. Ich darf Sie recht herzlich in unserer schönen Kleingartenanlage Beim Bergbusch begrüßen. Wir haben uns hier getroffen, um mal so die Ausstellung 'Kunst trifft Kohl' zu eröffnen. Herzlich Willkommen! (Klatschen)."
Gärtner und Künstler sehnen gemeinsam die erste Grillwurst auf dem Pappteller herbei. Dann ist das Buffet eröffnet.
"Und heute Abend vor allem viel Spaß."
Auf langen Bierbänken entfachen sich Gespräche - über Kettensägen-Zwerge und über das letzte Rezept für Schichtsalat aus Mais. Günter Schmidtfrerig streicht sein grün-weiß-kariertes Oberhemd glatt. Er ist zufrieden und freut sich über die Skulpturenausstellung, die den Alltag in den Anlagen lebendiger macht:
"Oft ist es ja so, die Kleingärtner kommen in die Kleingartenanlage, links oder rechts, ab in den Garten. Schluss. Und durch diese 'Kunst trifft Kohl'-Ausstellung sind viele Leute dabei und sagen: Ich gehe mal durch die Anlage, gucke mir den Garten einmal an. Und man kommt miteinander ins Gespräch. Und das ist für mich ganz wichtig."