Kunstlied nach 1945

Wer singt noch von Gärten und Geliebten?

Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher
Der Pianist Steffen Schleiermacher war einer der Klavierpartner beim Stuttgarter Festival © Xavier Miró
22.03.2015
Winterreise, Dichterliebe und Artverwandtes: Das klavierbegleitete Kunstlied ist eine Erscheinung der Romantik schlechthin. Hat diese Gattung heute noch eine Chance? Ein Festival der Stuttgarter Hugo-Wolf-Akademie sucht nach Antworten.
Ein halbgeöffneter kleiner Konzertflügel, ein Sänger (gerne Bariton), 80 Minuten vertonte Poesie: Der Liederabend ist in seiner Abstraktion und Konzentration eine der erstaunlichsten Hervorbringungen des Musiklebens. Diese Konzertform blühte in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf und bezog sich dabei fast immer auf die Musik des 19. Jahrhunderts. Ludwig van Beethovens Zyklus „An die ferne Geliebte" op. 98 (1816) und Arnold Schönbergs „Das Buch der hängenden Gärten" op. 15 (1909) gelten als die historischen Eckpfeiler dieser Gattung, deren Höhepunkte von Schubert und Schumann bis zu Mahler und Wolf reichen.
Die Internationale Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart ist ihrem 1903 gestorbenen Namenspatron natürlich verpflichtet, sorgt sich aber auch um die Zukunft des Kunstliedes: Ist dieses, von der Präsentationsform mal abgesehen, für Komponisten überhaupt noch interessant? Sind, um mit Paul Celan und dem Festivalmotto zu fragen, noch Lieder zu singen? Ein viertägiges Festival mit Konzerten, Diskussionen und Workshops versuchte sich dieser Tage an einer Positionsbestimmung. Die Konzerte, aus denen wir hier eine mosaikartige Auswahl präsentieren, beinhalteten stets einen „historischen" Teil, der sich dem Lied in Ost- und Westdeutschland nach 1945 widmete. Sodann standen Lieder von etablierten Komponisten wie Wolfgang Rihm und Aribert Reimann auf dem Prüfstand, gefolgt von zahlreichen Uraufführungen. Fazit: Das Lied lebt, und Texte kann ein Komponist nicht nur vertonen, sondern, wie der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher im Programmbuch des Festivals schrieb, auch betonen, zertonen oder enttonen – aber möglichst nicht vorbeitonen...
Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
Aufzeichnungen vom 12. bis 15. März 2015
„Sind noch Lieder zu singen?" - ein Festival über das Kunstlied in Deutschland nach 1945
Werke von:
Boris Blacher, Carsten Hennig, Gordon Kampe, Georg Katzer, Matthias Pintscher, Wolfgang Rihm, Peter Ronnefeld, Iris ter Schiphorst, Dieter Schnebel u.a.
Mit:
Claudia Barainsky, Salome Kammer, Matthias Klink, Holger Falk (Gesang)
Axel Bauni, Akiko Okabe, Steffen Schleiermacher, Jan Philipp Schulze (Klavier)