Kunsthalle Dresden: "Die Vermessung des Unmenschen"

Zwischen Ethnologie und Ideologie

Der Lipsiusbau in Dresden, in dem sich die Kunsthalle befindet (aufgenommen 2015)
Der Lipsiusbau in Dresden, in dem sich die Kunsthalle befindet © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Barbara Wiegand · 12.05.2016
Die Menschen sind unterschiedlich, das liegt in den Genen. Doch noch immer sind Rasse-Theorien und rassistische Vorurteile en vogue. Mit dem Phänomen des Rassismus und seiner Geschichte beschäftigt sich jetzt auch eine Ausstellung in der Kunsthalle Dresden.
Überlebensgroß posiert ein Gorilla in der Eingangshalle des Lipsiusbaus – die Schnauze brüllend weit geöffnet. Links trägt er einen Stein, rechts hat er eine sich windende hellhäutige Frau unterm Arm: King Kong lässt grüßen. Aber es ist der Gipsabguss einer Skulptur von Emmanuel Frémiet aus dem 19. Jahrhundert, die einen da mit der vollen Wucht rassistischer Bildästhetik empfängt. Wolfgang Scheppe, Kurator und Initiator der Schau "Die Vermessung des Unmenschen" in der Kunsthalle Dresden:
"Frémiet war der erfolgreichste Bildhauer der Welt. Und der größte Erfolg ist ihm Zuteil geworden mit einer Bildhauerarbeit in der sich die ganze Furcht seiner nationalistisch aufgeheizten Epoche verbunden hat und das ist die Darstellung eines Gorillas, der eine weiße Frau wegschleppt es mündete in die weitverbreitete Populärikonografie die es gibt. Und das ist die Ikonografie, die sich um den King Kong Mythos rankt. Das komplette Genre des Filmmonsters beruht auf der Idee, das ein dunkles, fremdes das heiligste eigene wegzerrt."
Dem Affen als fremdes, wildes (Un-)Wesen begegnet man auch auf dem weiteren Rundgang. Auf drei langen Tischen unter Glas präsentierte Fotos zeigen etwa Gorillas neben Abbildungen von Neandertalern oder afrikanischen Ureinwohnern, die in diesem Zusammenhang wie vorgeführt wirken.

"Massiver Zuspruch, den rassistisches Gedankengut im Moment wieder findet"

Es handelt sich um Postkarten, Zeitungsausschnitte, bei Feldforschungen entstandene Aufnahmen aus dem Bildarchiv des Dresdner Ethnologen und Anthropologen Bernhard Struck. Kombiniert und kritisch konfrontiert auch mit zeitgenössischer Kunst wie dem Bilderzyklus zur Schönheit der Macht von Fabio Mauri, bietet Strucks Archiv die Grundlage für dieses komplexe Projekt des Philosophen Scheppe.
"Einmal sind wir gestoßen auf dieses unglaubliche Bildarchiv, das seine eigene Erklärungsbedürfnis mitgebracht hat. Wie so ein Menschenbild zustande kommt, wie das, das Bernhard Struck sein ganzes Leben zusammengetragen hat. Aber - was mich beschäftigt hat ist, dass mit dem massiven Zuspruch, den rassistisches Gedankengut im Moment wieder findet, das dem nicht ein begrifflicher Diskurs gegenüber steht, sondern dass der nur in Form von moralischer Kritik geführt wird."
So begibt sich die Schau auf Spurensuche nach derlei wissenschaftlichen Herleitungsversuchen des Begriffs Rasse – und volkstümlichen, darauf basierenden rassistischen Vorstellungen. Und sie nimmt Struck und seine zwischen 1925 und 1955 entstandene Sammlung als Exempel. Steht sie doch für die Suche nach Gründen, die Menschen zu kategorisieren. Gründe dafür, dass auch im Zeitalter der Aufklärung manche gleicher waren als andere. Eine Suche, die sich am Erscheinungsbild der Menschen festmachte und die obsessiv war. So rückte Bernhard Struck etwa mit einem martialisch wirkenden Instrument den afrikanischen Bidyogos zu leibe, vermaß zu hunderten ihre Köpfe, füllte mit den Ergebnissen zahllose Tabellen, erstellte komplizierte Diagramme. Eine Datenerhebung, die heutigen wissenschaftlichen Standards keinesfalls genügt.
"Er war kein Parteimitglied, er hat sich nur nützlich gemacht für den Kolonialrevanchismus der Nationalsozialisten. Nichts destotrotz war sein Selbstbewusstsein ganz davon bestimmt, das er ein Vertreter der exakten Wissenschaft ist. Struck hat wirklich zutiefst dran geglaubt, dass der Mensch nur als Rassetypus existiert."

Rassismus und Wissenschaft

In diesem Glauben lieferte Struck Vorlagen für Hans Günther, einem der Urheber der Nationalsozialistischen Rassenideologie. Und als zeitweiliger Leiter des Dresdner Völkerkundemuseums war er Vorgänger von Michael Hesch, einem hochrangigen SS-Offizier, dessen zweifelhafte Zwillingsforschungen in der Ausstellung auch thematisiert werden. So ist das, was Wolfgang Scheppe aus den Depots des Dresdner Museums geholt hat, durchaus problematisch. Zumal der Begriff Rasse höchst belastet und wissenschaftlich umstritten ist. Nanette Snoep, die Leiterin der Ethnographischen Sammlungen Sachsen, in der sich unter anderem das Archiv von Bernhard Struck befindet
"Ich denke, dass in allen Museen für Völkerkunde wir solche Geschichte finden können. Dann ist es an uns zu sagen: Zeigen wir das, reden wir darüber oder bleibt es in unseren Schränken. Ich finde, heute, mit dieser ganzen Radikalisierung in ganz Europa finde ich für uns es ist eine Verpflichtung darüber zu reden."
Insofern ist der Ansatz des Kurators Wolfgang Scheppe, Rassismus und seine Ursprünge zu ergründen und zu hinterfragen, indem man sie exemplarisch zeigt, aller Ehren wert. Dennoch bleibt am Ende die Frage, ob man dieser Mischung zwischen Ethno- und Ideologie nicht zu viel Raum lässt. Ob die Vermessungen des Unmenschen, so wie Bernhard Struck sie massenhaft betrieb, nicht als Obsessionen eines verschrobenen Forschers verharmlost werden. Eine zwiespältige Ausstellung – die aber in dieser Zwiespältigkeit sehenswert ist.