Kunsthalle Baden-Baden

Abgründe menschlicher Optimierung

Die Künstlerin Eva Kot'átková sitzt am in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden in einem Teil ihrer Installation "The Architecture of Sleep" aus dem Jahr 2014.
Die Künstlerin Eva Kot'átková in einem Teil ihrer Installation "The Architecture of Sleep" aus dem Jahr 2014. © picture alliance / dpa / Uli Deck
Von Johannes Halder  · 08.11.2014
Eine Mischung aus Folterkammer, Kuriositätenkabinett und Versuchslabor erwartet den Besucher in der beklemmenden Ausstellung von Eva Kot'átková. In ihren Collagen und Skulpturen thematisiert die Künstlerin den Einfluss gesellschaftlicher Normen und Zwänge auf den Menschen.
Am besten, man kommt an einem Sonntag, dann ist hier etwas los: Körper kullern eine Treppe hinunter, Männer zwängen ihre Körperglieder in prothesenhafte Metallkonstruktionen, andere Performer rekeln sich in unbehaglichen Positionen, schmiegen sich an Käfige, verrenken sich in aberwitzigen Haltungen oder suchen auf unbequeme Weise Schlaf. Es ist eine Art absurdes Theater, drei Stunden lang.
Doch auch ohne Performance-Spektakel, an normalen Wochentagen, ist die Schau ein Erlebnis, eine Mischung aus Folterkammer, Kuriositätenkabinett, Versuchslabor, Zirkuskäfig und Theaterbühne. Kunsthallenchef Johan Holten kommentiert das so:
"Die Künstlerin arbeitet mit Normierungsstandards oder Mustern, in denen unsere Köper hineingezwängt werden und zeigt uns diese eigentlich auf."
Eva Kot’átková beschäftigt sich also mit dem, was der Mensch an absurden Apparaturen ersonnen hat, um den Körper gesellschaftlichen Normen anzupassen. Und dass die körperliche Korrektur seelische Deformierungen mit sich bringt, was soll’s – Hauptsache, die Haltung stimmt. Der Mensch muss funktionieren, notfalls wird er mit orthopädischen Geradehaltungsapparaten, Strafhaltungen und Disziplinierungsmechanismen zugerichtet.
Woher er kommt, dieser künstlerische Drang zum Zwang, weiß Eva Kot’átková auch nicht so genau. Ihre private Erziehung, versichert die Prager Künstlerin, Jahrgang 1982, war frei von derlei Repressionen. Aber, sagt sie:
"Ich habe schon noch so etwas wie eine sozialistische Erziehung erfahren. Das Regime brach zwar während meiner Schulzeit zusammen, aber die Erziehungsmethoden änderten sich nur sehr langsam. Wir wurden schikaniert, es war sehr engstirnig. Ein Trauma, das in meinem Werk wohl sichtbar ist."
Es sind wohl weniger sozialistische Prägungen als universale Erfahrungen, die Eva Kot’átková beschäftigen. Sie führt uns in die Abgründe der Seele und in die dunklen Ecken einer vielleicht typisch tschechischen Mentalität, wie sie seit jeher auch in der Literatur, im Theater und Film des Landes zum Ausdruck kommen.
Versteckte Traumata historischer Artefakte
Wir sehen neben raumbeherrschenden Metallkäfigen altertümliche Messgeräte. Eine hölzerne Sprossenwand erinnert an die Quälerei im Sportunterricht, und überall groteske Gegenstände, Prothesen und pseudomedizinische Vorrichtungen, ein riesenhaftes Hörgerät, ein künstlicher Sprechapparat, eine Flugmaschine aus alten Regenschirmen, bizarre Konstruktionen aus obskuren Medizinbüchern, bauchige Keramikgefäße; und in einer Art Sandkasten kann man mit den Händen nach vergrabenen Objekten wühlen wie nach verschütteten Erinnerungen.
Dass die eigentlichen Zwänge heutzutage eher digitaler Natur sind, ist der Künstlerin schon klar. Den Umweg über historische Artefakte nimmt sie ganz bewusst.
"Ich halte mich lieber an Objekte, an all die Erinnerungen, versteckten Geschichten oder Traumata, die sie mit sich herumschleppen. Man kann die Dinge anfassen und was mit ihnen machen. Ich arbeite auch viel mit alten Büchern, Schulbücher vor allem. Ich zerschneide sie und füge die Fragmente dann neu zusammen. Also ich arbeite viel mit historischem Material."
Die Collagen sind wunderbar. In einer zehn Meter langen Wandvitrine flattern und zappeln hunderte von ihnen wie an einer Wäscheleine: merkwürdige Missgeburten, fragmentierte Körper in gymnastischen Verrenkungen. Das hat etwas von schwarzem Theater.
Den stärksten Eindruck aber hinterlässt wohl jenes große Tableau, das die Künstlerin 2013 auf der Biennale von Venedig schon gezeigt hatte. "Asyl" heißt es, ein grau gestrichenes Podest, angefüllt mit einem Sammelsurium absonderlichster Dinge.
"Ich sehe das als seine Art von Depot oder Archiv von allen möglichen Ängsten, Visionen, Hirngespinsten oder seltsamen Träumen von Geisteskranken. Ich sammle schon seit Jahren Biografien von psychisch Kranken. Ich meine nicht das, was die Ärzte in die Krankenakte schreiben, sondern was den Patienten im Kopf herumspukt. Ich würde gerne in ihr Hirn schauen und ihre Gedanken lesen."
Das ist beklemmend. Und während man als Betrachter in den Anblick vertieft ist, zuckt man plötzlich zusammen und entdeckt unter all den leblosen Dingen einen menschlichen Arm und an anderer Stelle ein paar Augen, die einen anstarren. Ein Performer hat sich hier versteckt. Der Arm ist echt, die Augen auch. Es ist, als erwache man aus einem Alptraum. Und überhaupt: Die ganze Schau ist wie ein Alptraum. Aber einer, an den man sich gerne erinnert.