Kunstgeschichte per Mausklick

Von Susanne Billig |
Mit der DVD "Belser Lexikon der Kunst- und Stilgeschichte" lassen sich die Kunstschätze der Menschheit am Bildschirm erkunden. 1300 bedeutende Werke der Malerei, Plastik und Architektur werden multimedial präsentiert und erläutert.
"Auffällig ist in Altamira die geschickte Nutzung natürlicher Felsbuckel an der Höhlenwand, was den Tierbildern ein gewisses Maß an Plastizität verleiht. Dies gilt vor allem für die Bisonfiguren an der Decke. Als Farbstoffe dienten schwarze Holzkohle und rote, eisenoxidhaltige Erde, versetzt mit erhitztem Tierfett als Bindemittel."

Die riesige Höhle von Altamira in Spanien - schon vor 11.000 Jahren stürzte der Eingang in sich zusammen. Hier schufen die Künstler der Steinzeit Kunstwerke von anrührender Zartheit: Bisons und Hirsche ziehen so lebensecht über die steinernen Wände, als wollten sie davongaloppieren. Seit diesen frühen Werken hat sich das künstlerische Schaffen der Menschheit in zahllose Stilrichtungen aufgefächert. Diese Kunstschätze lassen sich nun auf einer DVD erkunden. Das "Belser Lexikon der Kunst- und Stilgeschichte" präsentiert 1300 Meisterwerke der Malerei, Plastik und Architektur. Dazu kommt eine Enzyklopädie mit über 5000 Artikeln und 20.000 Querverbindungen. Vertonte Diashows lenken den Blick auf Details:

"Die Vorliebe der islamischen Kunst für den Kuppelbau wurzelt in der Begegnung mit der byzantinischen Kunst in Palästina. Die achtstrahlig gegliederte Kuppel der Großen Moschee in Cordoba tendiert zum floralen Motiv der Blüte, mit gerundeten Blättern, die mit Doppelzacken kontrastieren. Die konkav eingewölbten Blätter sind mit Rankenwerk ausgestattet. Florale und geometrische Ornamentierung wechselt auch an der Fassade der Moschee."

Über den Bildschirm gleiten Fotografien des monumentalen Sakralbaus, dessen Bau 785 begann. Heute werden hier längst wieder katholische Gottesdienste gefeiert. Die islamischen Baumeister verbanden römische, gotische, byzantinische, syrische und persische Elemente. Ein Spiel aus Licht und Schatten durchflutet das Innere der Moschee, dafür sorgen die geschickt angeordneten Säulenreihen.

Vielfältig sind die Navigationsmöglichkeiten der digitalen Kunstgeschichte. Horizontale Reiter bieten die Wahl, Einzelwerke zu erkunden, die Schätze von Museen weltweit zu durchstöbern oder sich in das Sachlexikon zu vertiefen. Und natürlich werden auch berühmte Künstler in Text und Bild porträtiert.

Carlo Crivelli lebte im 15. Jahrhundert in Italien. Er verwebte die Formensprache der Renaissance mit gotischen Traditionen. Ein Video der digitalen Kunstgeschichte erklärt, wie subtil der Künstler die perspektivische Bildgestaltung zu nutzen wusste.

"Die Verkündigung an Maria gestattete oft die Darstellung eines architektonischen Ambientes. In solchen Kompositionen gewinnt die Perspektive symbolische Bedeutung. Bei Crivelli verläuft der zentrale Strahl - zwischen dem Auge des Betrachters und dem Fluchtpunkt - parallel zum Strahl, denen das 'Auge im Himmel' unmittelbar über dem Fluchtpunkt aussendet. Auf diesem Strahl fliegt die Taube durch eine Öffnung im Palast zu Maria. Der Augenblick der 'Fleischwerdung des Gottessohnes' wird somit durch perspektivische Mittel verbildlicht."

Horizontale Navigationspunkte am Bildschirmrand eröffnen zusätzliche Wege, per Maus und Computer durch die Kunstgeschichte zu reisen. Epochen, Stilrichtungen, Herstellungsweisen oder auch thematische Inhalte lassen sich aufrufen. Es sind Grundfragen des Menschseins, die Künstler aller Epochen bewegen.

"Die Legende von der Begegnung der drei Lebenden mit drei Toten und deren Mahnung 'Was ihr seid, das waren wir - was wir sind, das werdet ihr' wurde im Spätmittelalter mit der Vorstellung vom mitternächtlichen Tanz der Toten auf dem Friedhof verbunden. Zusammen ergab dies einen als Reigen dargestellten Totentanz, bei dem sich abwechselnd Lebende und Skelette die Hände reichen."

Bis in unsere Tage reicht das Spektrum der Silberscheibe. Um zeitgenössische Werke umfassend zu deuten, fehlt uns der Abstand. Doch Einiges lässt sich schon jetzt über moderne Kreativität sagen. So hebt sie - im "Happening" beispielsweise - die Grenzen zwischen bildender und darstellender Kunst auf. Und sie nimmt die Möglichkeiten der elektronischen Medien als neues Material in sich auf.

"Mitte der 60er-Jahre schien die bunte Welt der Pop Art die Kunst in die Niederungen des Trivialen hinabzuziehen. Dabei reflektieren Werke wie 'Der Akt' von Tom Wesselmann aus dem Jahr 1963 durch einmontierte reale Gegenstände das Verhältnis zwischen Illusion und Wirklichkeit - ein Hauptthema nicht nur der modernen Kunst. Eine Radikalisierung dieses Ansatzes bildet der Hyper-Realismus des Plastikers Duane Hanson, dessen 'Putzfrau' aus Polyester und realen Kleidungsstücken die Besucher der Stuttgarter Staatsgalerie regelmäßig zu einem erschreckten Schritt rückwärts veranlasst."

Über manch einen horrenden Preis, für den Kunstwerke heute über den globalisierten Ladentisch gehen, werden unsere Nachfahren wohl nur spotten. Nicht alles, was der Kunstmarkt heute bejubelt, hat auch morgen noch Bestand. Eines ist sicher: Solange es Menschen gibt, wird das Bauen und Basteln, das Formen und Malen nie versiegen.