Kunstausstellungen mit knallhartem Kalkül

Von Anette Schneider |
Giacometti in Duisburg, Wolfsburg, Zürich, Hamburg. Paul Klee in Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt. Gerhard Richter in Köln, München, Hamburg, Berlin. Picasso wird immer und überall gern genommen. Die Impressionisten und Expressionisten sowieso.
Seit einigen Jahren präsentieren die führenden bundesdeutschen Museen immer wieder "Blockbuster-Ausstellungen". In ihnen reihen sie allseits bekannte Bilder allseits bekannter Künstler aneinander, als hätte die Kunstgeschichte sonst nichts zu bieten.

Meist werden historische und gesellschaftliche Zusammenhänge ausgeblendet: Die Kunst soll sich ganz aus sich selbst heraus erklären - als wäre sie im luftleeren Raum entstanden. Das Ergebnis sind "Events", die Kunst auf ihren Berühmtheitsfaktor reduzieren, anstatt ihr geistiges Potenzial zu nutzen, ihre Kritikfähigkeit und ihre Erkenntnismöglichkeiten.

Das gleiche gilt für die zeitgenössische Kunst: In allen großen Museen trifft man auf die immer selben Namen. Sie vermitteln die immer gleiche, vorherrschende Vorstellung von Kunst: Ob Murakamis Plastikpuppen, Neo Rauchs verrätselte Bilderwelten, Jeff Koons polierte Oberflächen, Damien Hirsts in Formaldehyd eingelegte Tierkadaver, Andreas Gurskys riesige Fotopuzzles - mit großen Gesten wird formal experimentiert, Kunst über Kunst produziert - Wirklichkeit verkommt zur Fußnote.

Gerade hinter der Kuratoren-Bestenliste der zeitgenössischen Künstler steckt knallhartes Kalkül: Da die Museen nach jahrelangen Etatkürzungen über keine Ankaufsetats mehr verfügen, müssen sie - wollen sie junge Kunst zeigen - mit privaten Sammlern und Galeristen zusammenarbeiten. Die verleihen das, womit sie Gewinn machen möchten. Denn was als Leihgabe in einem Museum hängt, erzielt danach auf dem Kunstmarkt Höchstpreise. Wo sich aber die Qualität von Kunst vornehmlich an ihrem Marktwert bemisst, werden Inhalte zweitrangig.

Aktuelles Beispiel: die Hamburger Deichtorhallen. Dort präsentiert Anselm Reyle zerknitterte Alufolie hinter Plexiglas. Ausgerichtet wurde diese "Schöner-Wohnen-Ausstellung" des gefeierten "Shootingstars der Kunstszene" von Reyles Berliner Galeristen.

Noch Ende der 80er-Jahre war solch eine Interessensverflechtung und die damit einhergehende Verflachung von Kunst undenkbar. Führende Museumsleiter wie Uwe Schneede, Werner Hofmann, Wulf Herzogenrath verstanden Kunst selbstverständlich auch als Mittel der Aufklärung, der Emanzipation und Persönlichkeitsbildung, der geistigen Anregung und Erkenntnisvermittlung - Möglichkeiten übrigens, die im 19. Jahrhundert das junge, aufstrebende Bürgertum überhaupt erst veranlasste, Museen zu gründen und Kunst zu sammeln.

So könnte man angesichts der aktuellen, angepassten Ausstellungspolitik fast resignieren - gäbe es nicht jenseits des herrschenden Mainstreams auch anderes: Künstler und Künstlerinnen, die sich dem Leben zuwenden. Mit Glück entdeckt man sie in versteckten Kabinettsausstellungen großer Museen, eher jedoch in kleinen, engagierten Institutionen wie zum Beispiel Kunstvereinen. Der in Hamburg präsentierte kürzlich die Kölner Künstlerin Alexandra Bircken. Ihre formal faszinierenden Gebilde aus alten Lappen, Nylonstrümpfen, Pornopuppen und Wollfäden waren gleichzeitig ätzende Kommentare zur angeblichen Gleichberechtigung der Frau.

Santiago Sierra, Luis Camnitzer, Cildo Meireles, Doris Salcedo, William Kentridge oder Cara Walker sind nur einige wenige der vielen, die sich in ihrer Arbeit kritisch mit der Wirklichkeit beschäftigen: mit Armut, Rassismus, Folter, Krieg.

Mit den Möglichkeiten der Kunst befragen sie die herrschenden Verhältnisse, stören, verstören, ermöglichen neue Einsichten. Doch hierzulande ignorieren die großen Häuser diese Vorstellung von einer aktiven, sich einmischenden, aufklärerischen Kunst. Lieber käuen sie die immer gleichen, unverfänglichen Namen wider - auf dass sich bloß nichts bewegt.


Anette Schneider: Journalistin in Hamburg, schreibt für den Hörfunk, u.a. über Kulturthemen.

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