Kunst zu Überwachung und Big Data

Die Sehnsucht nach dem roten Knopf

05:46 Minuten
Der Einblick in die Installation "empathy 1" von Simon Fujiwara in der Schau "Manual Override" im Kunstzentrum The Shed in New York zeigt zwei Personen, die im Dunkeln vor einer Leinwand sitzen, auf der ein Film von Meereswelle läuft. Gleichzeitig werden sie mit Wasser besprüht, um die Erfahrung des Gesehenen noch realer erscheinen zu lassen. Die Wasserperlen lassen des Foto körnig erscheinen.
In der Installation "Empathy I" können Besucher eine Flüchtlingsrettung auf dem Meer nachempfinden und werden dabei mit Wasser besprüht. © Photo: Dan Bradica. Courtesy The Shed.
Von Andreas Robertz · 14.11.2019
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Im New Yorker Kulturzentrum „The Shed“ beschäftigen sich fünf Künstler in der Schau „Manual Override“ mit der Rolle von neuen Technologien bei der Massenüberwachung. Sie zeigen, wie unsichtbare Algorithmen für Regierungen und Konzerne arbeiten.
Man sitzt in Simon Fujiwaras Installation "Empathy I" festgeschnallt auf Sitzen eines Flugsimulators und erlebt mit allen Sinnen eine rasante vier minütige Achterbahnfahrt durch YouTube-Bilderwelten in Smartphone-Perspektive:
Eine Braut, die bei ihrer Hochzeit eine Kamera auf dem Kopf trägt und ihre Hochzeit live streamed, eine Kamera einer Drohne, die auf einen riesigen Hochhauskomplex in Japan zufliegt und vor den Füssen eines jungen Paares in ihrem Wohnzimmer landet oder jemand in einem Boot auf stürmischer See während des Versuchs, einen Menschen aus dem Meer zu retten. Kräftiges Ruckeln der Sitze, eiskalter Wind und Sprühregen ins Gesicht machen das Erlebnis erschreckend real.

Keine Empathie über das Smartphone

Die Idee zu der Arbeit kam Simon Fujiwara nach einem Besuch im Disneyland Paris: "Ich dachte plötzlich über den Zusammenhang zwischen Bild und Körper nach. Die Erfahrung war so umfassend, dass ich alles um mich herum vergaß. Wir reden immer darüber, den Bildern und der Technik zu entkommen, und doch kam ich in dieser High-Tech Maschine in meinen Körper zurück."
Er tat sich mit Ingenieuren und Designern zusammen, die Vergnügungsparkattraktionen entwerfen und baute seinen Simulator. Warum "Empathy I" als Titel? "Bei Empathie geht es darum, sich in jemanden hineinzuversetzen. Wir sehen Tausende von Menschen jeden Tag auf unseren Smartphones und fühlen uns schuldig, dass wir keine Empathie aufbringen. Aber vielleicht ist es ja im Grunde psychotisch zu glauben, man könne Empathie mit einem Bild empfinden."

Strengbewachte, hochvernetzte Technologien

"Das Konzept von Manual Override kommt aus 80er-Jahre Science-Fiction Filmen, in denen ein Computer oder ein System außer Kontrolle gerät und jemand auf einen großen roten Knopf drücken oder einen Schalter umlegen muss, um alles in letzter Sekunde zu stoppen", so Medientheoretikerin und Künstlerin Nora Khan, die die erste Gast-Kuratorin am Shed ist.
Sie spricht von der Erfahrung, in einer Welt zu leben, in der so ein Knopf nicht mehr existiert und das Wissen um hochvernetzte Technologien wie dem Internet oder künstlicher Intelligenz in den Händen weniger Spezialisten liegt, die streng bewacht für multinationale Konzerne oder Regierungen arbeiten:
"Wir haben alle Smartphones in unseren Händen und benutzen Computer. Fast jeder, der hierher kommt, hat bereits eine Beziehung zu Technologie, aber nicht wirklich das Gefühl, Zugang dazu zu haben. Die Künstler hier zeigen, dass man kein Programmierer sein muss, um Technologie, die wir heute benutzen, kritisch zu sehen und infrage zu stellen."

Algorithmen als Überwachungssoftware

Wie wehrlos man der Welt der Algorithmen mit seinen, für das Individuum oft verheerenden Folgen ausgeliefert ist, macht die Arbeit "Shadow Stalker" der kalifornischen Künstlerin Lynn Herschman Leeson deutlich, die für diese Ausstellung vom Shed in Auftrag gegeben wurde. In einem dunklen Raum erklärt eine Sprecherin, wie Regierung, Konzerne und Polizei einen Algorithmus benutzen, der der Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens ganz bestimmte Postleitzahlen zuordnet.
Der Einblick in die Installation "Shadow Stalker" von Lynn Hershman Leeson in der Schau "Manual Override" im Kunstzentrum The Shed in New York sieht man eine Person in einem Quadrat mit diagol ausgestreckten Armen auf dem Boden stehen. Eine digital veränderte Version der Person sieht man auf einem Bildschirm links an der gegenüberliegenden Wand. Daneben ein Bildschirm der etwas zeigt, das wie Gesichtserkennung aussieht und daneben eine digitale Landkarte aus der Luft aufgenommen.
Einblick in die Installation "Shadow Stalker" von Lynn Hershman Leeson© Photo: Dan Bradica. Courtesy The Shed.
In diesen, auf einer Karte mit einem roten Rechteck markierten Gegenden wird daraufhin eine größere Polizeipräsenz etabliert, die Zahl der Festnahmen steigt. Gesichtserkennungssoftware und Daten aus sozialen Plattformen helfen, Individuen zu identifizieren, deren Zugang zu bestimmten Produkten, Immobilien und Ausbildungschancen eingeschränkt wird. Beim Betreten des Raumes kann der Besucher seine Email-Adresse eingeben, auf den Wänden erscheinen dann Informationen, mit welchen Orten diese Adresse assoziiert wird.
Um die Beliebigkeit solcher Überwachungssoftware zu verdeutlichen, hat die Künstlerin zusammen mit ihren Programmierern einen neuen Algorithmus entwickelt, der diesmal die Gegenden markiert, in denen die Chance, finanziell betrogen zu werden, am größten ist. Eine völlig neue Landkarte entsteht, in der die gefährlichste Gegend New Yorks nicht mehr die South Bronx ist, sondern Wall Street.
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