Kunst während des Krieges

Von Günter Beyer |
Das Oldenburger Landesmuseum zeigt in seiner Ausstellung "Der Erste Weltkrieg und die Kunst" verschiedene Reaktionen von Künstlern auf den Kriegsverlauf. Die Schau zeigt mehr als 200 Exponate von 60 Künstlern.
Wie ein Feuermal ist dem Christuskopf die fette Jahreszahl 1918 auf die Stirn gebrannt - zu sehen auf einem Holzschnitt, mit dem der "Brücke"-Gründer Karl Schmidt-Rottluff das Ende der vierjährigen Völkerschlacht kommentiert, darunter die hilflose Frage: "Ist euch nicht Kristus erschienen?" 1918 war die Einsicht inzwischen Gemeingut geworden: Der große Krieg, der Erste Weltkrieg der Geschichte, war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, und Schmidt-Rottluffs Rückgriff auf christliche Ikonografie konnte das erlebte Grauen nur unvollständig abbilden. Als der Krieg im August 1914 mit Mobilmachung, Tschingdarassabum und forschen Reden begann, herrschte freilich eine völlig andere Stimmung.

Küster: "Was diesen ersten Weltkrieg von allen anderen davor und danach unterscheidet, ist der hohe Anteil von Zustimmung seitens der Intellektuellen und der bildenden Künstler natürlich, die alle sich auf die Seite des Krieges gestellt haben und Propaganda, teilweise sehr platte Propaganda, für die Kriegsziele des deutschen Kaisers betrieben haben."

Bernd Küster, der Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg, hat die Rolle der Kunst im Ersten Weltkrieg in den Mittelpunkt einer Ausstellung gerückt. Ihn hatte geärgert, dass in den meisten Darstellungen so getan wird, als sei die künstlerische Produktivität mit der Mobilmachung erloschen und erst nach 1918 der Krieg als das große, traumatische Thema von den bildenden Künstlern entdeckt worden. Die Oldenburger Schau ist eine Thesen-Ausstellung. Danach ist der Krieg von Anfang an von führenden deutschen Künstlern aktiv propagandistisch begleitet worden, und erst allmählich wandelt sich die Haltung von Skepsis zum Widerstand.

Küster: "Kaum dass der Krieg eröffnet war, gab es in Berlin eine Zeitung, die hieß "Kriegszeit" mit Originallithografien der bedeutendsten deutschen Künstler, allen voran Max Liebermann, ‚und es bezeichnet nur die Bewegung und die Einmütigkeit der Künstler in ihrer Haltung’. Keiner ist ausgeschert aus diesem Propagandainstrument, und der Kaiser war gut beraten, sich dieser Kapazitäten zu bedienen, die ihm kostenlos zugearbeitet haben."

Herausgegeben wurde die "Kriegszeit" von Paul Cassirer, der in den 1920er Jahren einer der wichtigsten Galeristen der Avantgarde wurde. "Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur noch Deutsche!" hatte der Kaiser erklärt, und Max Liebermann war sich nicht zu schade, das Ereignis in einer Lithografie für die erste Ausgabe der "Kriegszeit" festzuhalten. Ausziehende Truppen vor dem Brandenburger Tor, vorwärtsstürmende Infanterie im Felde wählt der Präsident der Berliner Sezession als weitere Motive.

Wo schon die künstlerische Avantgarde stramm steht, wundert es nicht, dass die Kriegs-Kunst auch in der Provinz zu großer Form aufläuft. Da überrennen, auf einem 1914 gemalten, übergroßen Format Bernhard Winters, die kampfeslustigen blauäugigen Infanteristen eines oldenburgischen Regiments den Betrachter geradezu.

Während Bernhard Winter und andere akademisch ausgebildete Künstler gemütlich im Atelier malten, hält sich eine erstaunlich große Zahl durchaus begabter Künstler "im Felde" auf, malt und zeichnet Schützengräben, Soldaten, zerstörte flandrische Dörfer.

Küster: "Dieser Weltkrieg war ein Krieg der Medien und die Medien wurden instrumentalisiert zu Propadandazwecken. Die Fotografie, die damals noch junge Filmindustrie, aber vor allem auch die bildenden Künstler wurden aufgefordert, Berichterstattung für die Heimatfront zu liefern. Und es wurde damals auch authentisches Material erwartet. Nicht Arbeiten aus zweiter Hand, sondern authentische Erlebnisse."

Die künstlerische Qualität dieser Arbeiten ist ebenso überraschend wie ihr Realismus. Vor allem: im weiteren Verlauf des Krieges geraten Motive ins Visier, die während des Hurra-Patriotismus der ersten Monate undenkbar wären. In Willy Jaeckels Lithografien stolpern irre gewordene Verwundete über ein Schlachtfeld, eine brutale Vergewaltigungsszene zeigt, was Kriegsalltag für die Zivilbevölkerung bedeutet. Nein, es gibt nichts zu beschönigen, wenn der Wiener Aloys Wach in seinen Radierungen auf die Motive des mitteralterlichen Totentanzes zurückgreift und den mit der Geige aufspielenden Sensenmann reiche Beute machen lässt.

Oder wenn Otto Schubert das massenhafte Abschlachten der Armeepferde in sehr reduzierten,
fast schon abstrakten Lithografien festhält. Es ist die Unmittelbarkeit des Erlebens, die unter die Haut geht, die spontane Umsetzung in Bilder, die durchaus auch nach Hause geschickt wurden und dort für Entsetzen sorgten. Andere Künstler, die ebenfalls am Krieg teilnahmen, brauchten Jahre, um den Schock der Ereignisse zu verarbeiten. Otto Dix etwa, der mit seinen karikaturhaften, bösartigen Darstellungen zu einem der wohl bekanntesten Chronisten des Krieges wurde, war erst Anfang der Zwanzigerjahre in der Lage, das Erlebte in dieser künstlerisch zugespitzten Form mitzuteilen.

Für die Darstellung all dieser Schrecken entwickelt sich in den Kriegsjahren geradezu zwingend eine authentische Formsprache, in der Künstler ihren Widerstand protokollieren.

Ausstellungsmacher Bernd Küster: ""Ich neige zu der Behauptung, dass der Weltkrieg den Expressionismus kulturgeschichtlich etabliert hat. Es gibt eine ganz bittere Ironie des Schicksals: Der
Expressionismus hat ja immer von einem Weltumbruch geträumt, von einer ganz anderen Menschheitsentwicklung. Und diesen Weltumbruch bekam es plötzlich frei Haus, der Expressionismus. Und war natürlich von der Gewaltigkeit der Ereignisse genauso überrascht wie alle anderen Künstler, aber hat angemessen drauf reagiert, weil der Expressionismus die Sprachmittel hatte, um die äußere und die innere Katastrophe gleichzeitig zu demonstrieren."

Das klingt plausibel und trifft im Umkehrschluss vor allem die akademisch ausgebildeten Schlachtenmaler. Theodor Rocholl etwa, der durchaus gekonnt Realismus und Impressionismus miteinander zu verbinden weiß, erspart seinem Publikum keineswegs explodierende Granaten, qualmende Trümmer, verreckende Pferde und blutende Verwundete. Aber seine durchaus unheroischen Gemälde und Gouachen lassen den Betrachter merkwürdig kalt. Als sei das Völkermorden nur ein pittoresker Kriegsfilm gewesen.