Kunst- und Modeszene verlässt Berlin

Sag zum Abschied leis' "Macht's jut"

02:32 Minuten
Eine Frau in einem extravaganten schwarzen Kleid in einer Rückenansicht auf dem Laufsteg.
Die Kunst- und Modewelt kehrt Berlin den Rücken. Tränen muss man deshalb dennoch nicht vergießen, meint Vladimir Balzer. © imago images / Pacific Press Agency / Simone Kuhlmey
Eine Glosse von Vladimir Balzer |
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Jetzt auch noch die Fashion Week: Kunstsammler und Modemacher verlassen derzeit scharenweise Berlin. So zumindest der Eindruck. Dabei hat der Wegzug auch was Gutes, meint Vladimir Balzer: So kommt wieder Bewegung in die Stadt.
Jetzt also ist das Gejammer groß. Was ist nur mit Berlin geschehen? Was ist mit dem Mythos von damals? Ich kann sagen, was damit ist: Er hat sich gewandelt, genauso wie die Stadt selbst. Und das ist eine gute Nachricht. Nichts schlimmer, als wenn die Hauptstadt sich nicht verändern würde, zumal Veränderung ihr Charakter seit 100 Jahren ist.

Rote Teppiche und Dankbarkeit

Nehmen wir die Kunstsammler. Einige von ihnen verlassen die Stadt. Wenn man genau hinschaut, sind es oft welche, die in den Neunzigern hierher gekommen sind. Das war die Zeit in der das Klischee von "arm aber sexy" noch galt.
Da konnte man als reicher, älterer Kunstsammler aus dem Westen seinem Leben noch mal einen ganz neuen Dreh geben, in dem man sich mit einer jungen Begleiterin schmückte: Berlin. Das waren Zeiten! Muss sich wie Aufbauhilfe nach dem Krieg angefühlt haben, rote Teppiche und unendliche Dankbarkeit.
Doch dann begann sich die Stadt zu wandeln, sie wurde - wie soll man sagen - kapitalistischer. Die Freiräume wurden kleiner, die Immobilien teurer, der Zuzug stärker. Berlin begann sich zu normalisieren, die Realität übernahm, der Mythos wurde kleiner. Die Kunstsammler - übrigens fast alles westdeutsche Männer jenseits der 70 - waren nicht die Einzigen, die diese Ernüchterung erfahren mussten.

Graffiti-Chic und günstige Mieten - das war einmal

Die Modebranche ist es, die ihnen jetzt in diesem Erkenntnisprozess folgt, nur eben etwas später. Auch sie merkt: Die gern gebrauchte Graffitikulisse und die billigen Mieten sind längst passé. Der Mythos von einer kreativen Hauptstadtszene, die unter Umgehung schnöder Betriebswirtschaft ideentrunken die großen Marken mit Nachwuchs beliefert, ist vorbei. Berlin ist nicht mehr als Kulisse missbrauchbar, die Stadt und ihre Szene sind erwachsen geworden.
Das bedeutet übrigens nicht, dass es keine Freiräume und Neuanfänge gäbe. Man muss halt mehr suchen, in den Außenbezirken etwa.
Jedenfalls wäre nichts schlimmer als eine Stadt, die zum Museum erstarrt ist. Und falls es Kunstsammler, Modemanager oder PR-Agentinnen geben sollte, die dies noch nicht begriffen haben, dann sage ich wahlweise: Umdenken bitte. Oder ich sage beim Abschied leise ‚Servus’.
Nein, besser: Macht’s jut, wa.
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