Kunst und Leben

Vorgestellt von Wolfgang Schneider |
Der langjährige Nobelpreiskandidat hat seit den Tagen des eigenen Kunststudiums eine Schwäche für die Malerei - und sein Roman malt vor allem die allzumenschliche Seite des amerikanischen Kunstbetriebs aus. Jetzt ist er als Hörbuch erschienen.
John Updikes 20. Roman ist ein langes Gespräch. Zwei Frauen sitzen sich gegenüber: die 78-jährige Malerin Hope und die junge Journalistin Kathryn, die aus New York in die Vermonter Berge hinaufgekommen ist, um die alte Frau über Kunst, Leben und Liebe einen ganzen Tag lang zu befragen. Denn Hope ist zudem die Witwe zweier Größen der amerikanischen Kunst. In den fünfziger Jahren war sie mit dem alkoholsüchtigen Action-Painter Zack McCoy verheiratet, hinter dessen Darstellung unschwer das Vorbild Jackson Pollocks zu erkennen ist. Danach mit Guy Halloway, einem wichtigen Vertreter der Pop Art, der unter anderem Züge Andy Warhols trägt.

Kathryns insistierende Fragen setzen im Kopf Hopes einen Bewusstseinsroman in Gang - ihr Leben zieht vorüber. Erinnerung spielt im Spätwerk Updikes eine immer größere Rolle. Kein Wunder: Je älter der Mensch wird, desto mehr Macht gewinnt das Erlebte, Erinnerte über die fadenscheinig werdende Gegenwart.

Nina Petri, die die leicht gekürzte Fassung des Romans liest, ist erst Anfang vierzig. Man kann diese Verjüngung damit rechtfertigen, dass ihre warme, dunkle Stimme ja auch den Gegenpart der jungen Journalistin repräsentieren muss. Vor allem gilt es, die latente Dramatik der Gesprächssituation umzusetzen, die leise Spannung, das gegenseitige Belauern der beiden Frauen. Bevor sie am Ende zu einer fast familiären Nähe kommen, steht dem Erfahrungsneid der Jungen das Misstrauen der Alten gegenüber:

"Es schiebt Hope einen Kloß in den Hals. Diesen nervös aggressiven ungebetenen Gast hier zu haben, dieses Mädchen mit dem großstadtblassen Gesicht und den dunkel lackierten Fingernägeln an den langen Händen und dem kompromisslos schwarzen Outfit (...) Und an den Füßen so ein bedrohlich schweres, vorn eckiges Schuhwerk. Kampfstiefel, könnte man fast sagen..."

Der Beschreibungskünstler Updike ist prinzipiell ein gut fürs Hörbuch geeigneter Autor. Ganz so selbstverständlich ist das in diesem Fall jedoch nicht. Denn der Roman setzt sich nicht nur thematisch mit der Moderne auseinander, es spielt auch selbst mit ihr, vor allem in der - moderat gehandhabten - Form des Bewusstseinsstroms. Die Sätze sind oft lang und assoziativ; rasch wechseln die Perspektiven, werden Gegenwärtiges und Vergangenes überblendet. Nina Petri gelingt es, mittels feiner Zwischentöne und Nuancen des Ausdrucks für Übersicht zu sorgen. Sei es, dass ein Hellerwerden der Stimme eine kleine glückliche Erinnerung markiert, sei es, dass man geradezu Hopes Kopfschütteln mithört, wenn sie über die Nachbarstochter meditiert:

"Ein übergewichtiges Mädchen. Vierzehn vielleicht. Mit den Gedanken immer meilenweit weg und hoffnungslos verrückt nach Jungs und Musik. Musik, die sie auf dem Kopf trägt. Die ihr aus knisternden Kopfhörern direkt in die Ohren dringt. Damit jeder Gedanke, der sich vielleicht in ihrem armen Hirn regen könnte, sofort erstickt wird. Hope kann sich nicht vorstellen, dass sie selber jemals so süchtig war. Musik kam für sie aus dem Radio ihrer Eltern und streifte kaum ihr Bewusstsein (...) Selbst im Krieg tanzte man, wenn die Musik, der Swing, gerade da war, aber man trug sie nicht auf dem Kopf wie eine Narrenkappe."

Updike hat in jungen Jahren selbst eine Weile Kunst studiert. Der Blick des Zeichners ist in seinen präzisen literarischen Darstellungen wirksam geblieben. Und bis heute verfasst er regelmäßig Kunstkritiken. Mögen Künstler wie Zack ihre abstoßenden oder schwer narzisstischen Seiten haben - auch sie sind Pioniere Amerikas. Denn mit dem abstrakten Expressionismus und der Pop-Art löste sich die Kunst der Vereinigten Staaten aus dem europäischen Schatten; ein Aspekt, der Updike besonders interessiert.

Der Roman bekommt seine Dynamik durch starke Gegensätze und Polaritäten: Amerika und Europa, Mann und Frau, alt und jung. Und nicht zuletzt: Stadt und Land.

"Genau, donnerte Bernie Nova. Regionalismus ist faschistische Malerei. Er spricht die gleichen Lumpen an, er stempelt alles andere als entartet ab (...) Er ist das ländliche Amerika, die Mistgabel, das Mastvieh, die Baumwollfelder, der Okie in seiner Klapperkiste, die guten einfachen aufrechten Farmersleute, großer Gott, die ordentlichen Maisreihen, der Tornado, der dunkel am Horizont dräut! Das ländliche Amerika in seinem ganzen Anti-Neger, Anti-Juden, Anti-Großstadtisolationismus. Der Krieg, gepriesen soll er sein, hat den ganzen Isolationismus weggefegt, dito: die American Scene!"

In vielen seiner Werke, insbesondere den Rabbit-Romanen, stellte Updike gewöhnliche Menschen in den Mittelpunkt: Jedermänner des amerikanischen Alltags, in denen sich sehr viele Leser wieder finden konnten. Hier dagegen sollte der Hörer schon ein gewisses Interesse an moderner Kunst mitbringen. Aber was anfangs vielleicht sehr speziell wirkt und manchmal ein wenig ins Kunstgerede abzudriften droht, zieht zunehmend in den Bann durch bewährte Qualitäten dieses Schriftstellers - die Atmosphäre und eine Konkretion, die sich insbesondere in der Darstellung von Hopes schwierigen Ehen bewährt. Das kann er nun einmal, der alte Zauberer Updike.

John Updike: Sucht mein Angesicht
Roman
Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson
Lesung mit Nina Petri. 9 CDs, 720 Min.
Hoffmann und Campe
23,90 Euro