Kunst statt Kleider

Von Volkhard App · 29.08.2008
Helmut Lang wurde als Modedesigner bekannt, doch dann erfolgte der Bruch: Er wollte nicht mehr Mode, sondern Kunst machen. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich zurzeit in Hannover ansehen: Die Kestnergesellschaft zeigt im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes "Hannover goes Fashion" die Ausstellung "Helmut Lang - alles gleich schwer".
Die Blicke richten sich auf einen Grenzgänger: den Modeschöpfer Helmut Lang, trennte der sich doch 2005 endgültig von seinem Gewerbe, um auf Long Island zu sich selbst zu finden - und zur Bildenden Kunst. In der Kestnergesellschaft sind nun, großzügig über die Räume und Etagen verteilt, Wandbilder, Skulpturen und eine Filmprojektion des Novizen zu sehen.

Die empfängt uns gleich zu Beginn: Modeschauen aus den neunziger Jahren, ins Schemenhafte verfremdet und auf eine große Fläche projiziert, die diese Bilder wiederum auf andere Wände wirft. Ein optisch irritierendes Spektakel, die Vergangenheit Langs irrlichtert durch den Saal. Auch mit anderen Werken erinnert er, wenigstens indirekt, an sein früheres Leben: die große Discokugel befand sich in seiner New Yorker Boutique, nun liegt sie lädiert und notdürftig geflickt auf dem Boden des Ausstellungsraumes. Und den ebenfalls aus seinem Geschäft stammenden drei hölzernen Greifvögeln hat Lang ein paar Gliedmaßen abgehackt und die Figuren mit Teer bedeckt. Man mag in diesen Objekten ein Symbol für Langs Abschied sehen und für seinen Neubeginn. Kurator Frank-Thorsten Moll:
"Wenn ein Modeschöpfer auf dem Zenit seines Erfolgs einfach abtritt, seinen Laden verkauft, viel Geld dafür bekommt, drei Jahre nichts tut und dann als Künstler in Erscheinung tritt, ist es natürlich, dass man über einen Bruch redet. Ich möchte das aber etwas abgemildert wissen, im Sinne eines Übergangs. Eine der häufigsten Vokabeln, wenn man mit Helmut Lang redet: der Übergang und die Prozesshaftigkeit von Handlungen und Entscheidungen."
Auch Stoßdämpfer, wie man sie an Rampen in Lagerhallen findet, sind als Objets trouvés in die Kunsträume geraten. Ein umgewandelter Maibaum ragt schräg in die Höhe, Holzkästen hat Lang mit Teer überzogen und gediegenes Architektenpapier in vielen Schichten zu Wandbildern übereinandergelegt - so dass reizvoll schrundige Oberflächen entstehen.

Ein Bündel aus Latex soll sogar eine Reminiszenz an die befreundete Louise Bourgeois sein. Lang beweist sein Gespür für Materialien auch in der Bildenden Kunst - aber es fällt schwer, mit den vereinzelten Objekten die Räume wirklich aufzuladen. In einer Zeitschrift wurden seine Werke als "erste Gehversuche” bezeichnet. Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft, wagt sogar einen Vergleich:
"Wenn ich ihn als freien Künstler betrachte, müsste ich sagen: Helmut Lang ist jetzt 26 oder 27 Jahre alt, hat die Akademie gerade verlassen und macht hier seine erste große Ausstellung. Und wenn ich mir die Exponate angucke, wie sie in den Räumen placiert sind, muss ich sagen: Es ist ein großes Versprechen in die Zukunft - eines jungen Künstlers."
Helmut Lang hat sich auf den Weg gemacht. Das ist das Beste, was sich über diese Präsentation sagen lässt. "Promi"- fixierten Medien zufolge soll sie das eigentliche Highlight von "Hannover Goes Fashion” sein. Da darf denn doch "Entwarnung” gegeben werden.

Ein Grenzgänger war sicherlich auch Leigh Bowery. Sind in anderen Künstlerbiografien die Ausstellungen der jeweiligen Karriere verzeichnet, so findet man bei Bowery eher die Nachtclubs aufgezählt. 1980 kam er nach London und fiel in der Szene der schwulen Exzentriker durch seine fantastischen Kostüme und eigenwilligen Performances auf. All das wäre ein bloßes Zeitphänomen in den Köpfen der Szenebewohner geblieben, hätten nicht Fotografen und Filmemacher mit Bowery zusammengearbeitet und ihn zu immer neuen, farbenprächtigen Outfits ermutigt. Auf den Bildern von Johnny Rozsa posiert er körperbemalt mit seinem Freund, und auf den Fotos von Fergus Greer brilliert er als Paradiesvogel, der seinen eigenen Körper mit vielen Accessoires zur modischen Kunst machte. Versteckte er ihn dabei oder stellte er ihn aus - verhüllte er seine Persönlichkeit oder entblößte er sie durch grelle Schaustellung? René Zechlin, Direktor des hannoverschen Kunstvereins:
"Seine Persönlichkeit versteckt er sicherlich. Einerseits deformiert er den Körper, verändert ihn so extrem, dass man nicht mehr sehen kann, ob dahinter ein Mann oder eine Frau steckt. Das Geschlecht verschwimmt in einer gewissen Weise, so dass fast eine Skulptur daraus wird mit einer ungeheuren Expressivität. Bowery war selbst aber sehr schüchtern. Er wollte, dass um ihn herum eine Hülle geschaffen wird, die die Person, den Charakter, die Privatheit total verschwinden lässt."
Zu den eindrucksvollen Performances gehörte das Experiment in einer Galerie 1988: Bowery, der sich im Schneeleopardenkostüm auf einer Chaiselongue räkelt und in einer Spiegelwand betrachtet. Die ist von außen aber durchsichtig. Draußen stehen Besucher und beobachten Bowery - er selbst ist auf sich zurückgeworfen, ein einsamer Narziss.

Am schönsten in dieser Schau sind die Radierungen von Lucian Freud, der Bowery in dessen letzten Jahren, vor dem Aidstod 1994, zeichnete und malte. Bowery entblößt, mit massigem Körper stand er Modell, von der Statur her eher "Dorfrichter Adam” als Partyschönling. Bilder von großer Offenheit. Zechlin:
"Während er seinen Körper anfangs versteckte, hat er sich an ihn gewöhnt, hat begonnen, ihn zu lieben - und vor dem Spiegel posiert. Diesen persönlichen, ungeschminkten Blick hat er erst spät zugelassen."
Wer sich nach dem Besuch von Kunstverein und Kestnergesellschaft ein wenig erholt hat, sollte unbedingt noch ins Sprengel Museum gehen - wird hier doch an höchst unterschiedlichen Positionen gezeigt, wie sich zeitgenössische Künstler mit der Mode befassen. So hat Sylvie Fleury Schuhe mit Mondrian-Mustern auf Podeste gestellt, die mit ihren Oberflächen weitere bekannte Klassiker zitieren: die Farbklecksereien Jackson Pollocks oder die Streifen von Daniel Buren. Ein witziges Spiel mit "Markennamen" - Warenfetisch in der angewandten und in der "freien" Kunst.

Und Silke Wagner schneidert Kleidungsstücke selbstbewusster Frauen nach: Das Spektrum reicht von maskuliner Garderobe Marlene Dietrichs bis zu Petra Kellys Pulli mit Anti-AKW-Sprüchen. Nach dem Konzept von Michel Majerus entstand schließlich eine große Wandmalerei, in der Firmen aufgelistet sind, die Schuhe für Skateboarder produzieren. Eine vielseitige Ausstellung, die den Betrachter stimulieren soll. Gabriele Sand über ihre Erwartungen:
"Man wird aus dieser Ausstellung sicherlich mit einem anderen Verhältnis zum Thema Mode herauskommen - vielleicht mit einem kritischeren, vielleicht auch mit einer stärkeren Distanz zu sich selbst: Wie zieht man sich selber an und was vermittelt man durch das, was man anhat?"