Kunst

Mit dem Zielbewusstsein des Scharfschützen

Ein Bild des US-Künstlers Jean-Michel Basquiat bei einer Versteigerung des Auktionshauses Christie's in London.
Die jüngste Leidenschaft Axelrods: Grafitti-Kunst wie die von Jean-Michel Basquiat © picture alliance / dpa
Von Jürgen Kalwa |
Er sammelt Kunstwerke bis seine Wohnung nicht mehr genug Platz bietet – dann verschenkt er alles an angesehene Museen. John P. Axelrods jüngste Leidenschaft gilt der New Yorker Graffiti-Kunst.
Es kommt nur selten vor, dass eine Stadt innerhalb kurzer Zeit so etwas produziert wie New York Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre. Da wurde die wirtschaftlich und sozial angeschlagene, schmuddelige Metropole das kreative Kraftfeld für neue Musik, neue Formen von Tanz und vor allem für eine schier überwältigende Bilderwelt an den Fassaden und Rollläden von Häusern und in der U-Bahn.
Eine Rebellion war das, sagt John Matos, der damals zum ersten Mal unter dem Namen Crash mit Sprühdosen hantierte.
"Du musstest die Farbe klauen, dich mitten der Nacht in die U-Bahn-Depots schleichen. Aber ich glaube, diese rebellische Haltung hat die meisten Leuten angezogen."
Die jungen künstlerischen Propheten, allesamt Autodidakten, galten im eigenen Land nur wenig.
"Such art was not viewed as art initially in New York. It was vandalism",
sagt John Axelrod, der seit ein paar Jahren gezielt Arbeiten aus jener Zeit ankauft. Bilder, die bis Ende Juli in einer Museumsausstellung in Andover in Massachusetts zu sehen sein werden. "Loisaida: New York’s Lower Eastside in the 80’s".
Eine Kunst, von der das Meiste verschwand
"And I suppose it was vandalism. But now it is considered by many to be an exciting art form."
Eine Kunstform voller wilder Energie, von der das Meiste für immer verschwand. Es wurde abgewaschen oder übermalt. Was die Revolte überlebte, entstand erst, als die kreativen "Writer" und Maler eine konventionellere Lösung fanden, um ihre Tags und Motive auszudrücken. Auf Leinwand als Untergrund zum Beispiel.
"Es ist so wie der abstrakte Expressionismus eine ureigene amerikanische Bewegung. Nicht abgeleitet von etwas anderem. So viel an amerikanischer Kunst ist einfach nur abgeleitet."
Nicht nur gibt es einen großen Teil dieser Kunst nicht mehr. Wichtige stilprägende Protagonisten wie Jean-Michel Basquiat, Keith Haring oder Martin Wong starben früh – an den Folgen von AIDS. Und vieles von dem, was sie hinterlassen hatten, wurde vom Kunstmarkt wie mit einer riesigen Aerosol-Sprühdose in alle Richtungen verteilt. Basquiats Bilder erzielen märchenhafte Preise von fast 50 Millionen Dollar.
Sammeln, um die Essenz eines Themas herauszufiltern
Der Blick für Zeit und Ort und die Umstände, unter den die Kunst entstand, rückte während dessen in den Hintergrund. Unter anderem überdeckt von der Gentrification von Manhattan. Zum Glück für jemanden wie John Axelrod, für den Sammeln tatsächlich mehr bedeutet als nur Ansammeln und Anhäufen. Ihm geht es schließlich darum, die Essenz eines Themas herauszufiltern.
Dabei könnten die Pole nicht weiter auseinander liegen. Axelrods angestammtes Milieu ist Boston. Eine Gegend unweit vom Charles River, wo Anwälte, Ärzte und Geschäftsleute wohnen, die – statt zu rebellieren – von klein auf an Richtung Upperclass unterwegs waren. Angefangen beim Prestige-Internat und der Prestige-Universität.
Der gelernte Rechtsanwalt, der sein Geld in der Bauindustrie verdiente, inzwischen über 70, ist jedoch ein ungewöhnlicher Fall. Tatsächlich ist dies bereits die vierte Sammlung. Von denen davor – wie den Art-déco-Möbeln und der afroamerikanischen Kunst – hat er sich komplett getrennt, als ihm in seiner großen Wohnung der Platz ausging.
"Einige Freunde halten mich für obsessiv. Und das ist korrekt."
Seine Besitztümer landen übrigens nie auf dem Kunstmarkt. Er schenkt sie angesehenen Museen. Alles, was er im Gegenzug dafür bekommt, sind die üppigen Abzüge, die das amerikanische Steuerrecht für solche Gaben gewährt. Und das Gefühl, das er in einem Gespräch mit der Zeitschrift "Art + Auction" so beschrieb: "Nichts wertet das, was du tust so sehr auf, wie wenn ein Museum die Kunstwerke übernimmt.”
Nirgendwo wird das so deutlich wie im Museum of Fine Arts in Boston, das heute jene 700 Möbelstücke aus der Art-déco-Zeit und Arbeiten ornamentaler Kunst besitzt, von denen sich Axelrod trennte, um sich etwas Neuem widmen zu können. Vieles steht im 2010 eröffneten "Arts of the Americas"-Flügel. In Andover, wo Axelrod einst zur Schule ging, hofft man nun auf die Graffiti-Kunst, die zurzeit noch in seiner Wohnung hängt:
"Einige Freunde halten mich für obsessiv. Und das ist korrekt. Ich konzentriere mich auf einen kleinen Ausschnitt, auf die Lower East Side. Im Grund nicht mehr als ein Quadrant von zwölf Straßen in New York."
Kurios genug ist, wie das mit der Graffiti-Kunst begann. Nämlich damit, dass er einen alten Prospekt über Martin Wong wiederentdeckte, als er seine Art-déco-Bibliothek ausräumte. Das Papier war hinter Bücher gerutscht. Er wurde neugierig, begann bei Null, aber bewegte sich zielbewusst wie ein Scharfschütze:
"And I started collecting them, same way, bull's eye: Keith Haring, Jean-Michel Basquiat. Next circle: Crash, Daze, Lady Pink, Dondi White, Futura 2000."
Eines allerdings war anders: Diesmal bekam er die Gelegenheit, Künstler persönlich kennenzulernen.
Der Sammler als Katalysator
Chris Ellis, der den Künstlernamen Daze adoptierte und damals an der Lower East Side wohnte, mag das. Und die Energie des Avantgarde-Sammlers, der mit einem Blick für Kontext und seinen Kontakten zu Museen so etwas wie die Rolle eines Katalysators spielt.
"Johns Leidenschaft steckt an. Er er ist gerne als Grenzgänger unterwegs. Das gibt es in den Vereinigten Staaten kaum. Anders als in Europa, wo es schon immer solche Menschen gegeben hat."
Auf diese Weise hilft Axelrod Einrichtungen wie der Addison Gallery of American Art. Das Museum ist in seiner Art einmalig. Es wurde in den Dreißigerjahren als Teil jenes berühmten Internats gegründet – der Phillips Academy –, zu deren Absolventen die beiden Präsidenten Bush Vater und Sohn gehören, der Maler Frank Stella und der Schauspieler Humphrey Bogart.
Das Museum, das pro Jahr ein Budget von etwas mehr als drei Millionen Dollar zur Verfügung hat, besitzt zwar bereits nennenswerte Arbeiten von Künstlern wie Edward Hopper, Georgia O'Keeffe und Jackson Pollock und kann sich auf Netzwerke von Ehemaligen stützen, die es zu einem der wichtigsten Museen seiner Art in den USA gemacht haben. Aber was fehlt, ist eine breite öffentliche Anerkennung für das Museum. Das könnte sich bald ändern. Gönner wie John Axelrod arbeiten daran.