"Kunst kann die Gesellschaft verändern"

Von Christoph Richter · 04.06.2013
Der Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt und von einer Demokratie im westlichen Sinne weit entfernt. Trotzdem gibt es Hoffnung. Einer der Hoffnungsträger ist der 32-jährige Béral Mbaikoubou: Der blinde Musiker will etwas verändern. Er ist der jüngste Abgeordnete des Landes.
"Danke und einen wunderschönen Abend an Alle. Toll, dass sie alle zur Vorstellung meines neuen Albums gekommen sind. Ich will auch gleich ohne große Umschweife anfangen ..."

Der aus dem zentralafrikanischen Tschad stammende Béral Mbaikoubou ist Philosoph, Lyriker, Politiker. Und Liedermacher. Im Berliner Afrika-Haus gibt er das einzige Deutschland-Konzert:

"Es ist mir ein großes Vergnügen, hier zu singen. Was auch eine Liebeserklärung an meine Gitarre ist …"

Der kleine Saal im Berliner Wedding ist überfüllt, man drängelt sich, um dem tschadischen Chansonier zu lauschen. Mit schwarzem Rollkragenpullover, schwarzem Kord-Jackett: Béral Mbaikoubou sieht aus wie eine Mischung aus Jean-Paul Sartre und Hannes Wader. Selbst nennt er sich "Provocateur de l’art":

"Die Kunst, ob nun die Musik, die Malerei oder andere Kunstrichtungen, sie sind eine Form Reflexion. Sie kann die Gesellschaft verändern. Und über die Musik kann ich etwas bewegen, die Art des Denkens verändern. Zwar nicht sofort, aber Stück für Stück. Letztlich funktioniert das wie in einer Art Schneeballeffekt. Und kann die Menschen mit dem Demokratie-Virus regelrecht infizieren. Erst einen, dann zwei, dann drei … Ich bin völlig überzeugt, dass Kunst die Macht hat, Dinge zu verändern."

Der erste Song lautet "N’Djamena invite", N’Djamena lädt dich ein. Ist nicht auf der aktuellen CD zu finden. Zu gefährlich, sagt Béral Mbaikoubou. Scharfzüngig und bissig singt er über Korruption, Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft, Hunger und Gewalt. Dinge, die im Tschad – eines der weltweit ärmsten Länder, in dem jeder Zweite weder lesen noch schreiben kann – allgegenwärtig sind.

Mit gerade mal 32 vertritt Béral Mbaikoubou als jüngster Abgeordneter die Oppositionspartei MPRT – eine Demokratie-Bewegung zur Erneuerung der Republik - in der Nationalversammlung, dem Parlament des Tschad. In seinen Reden, aber vor allen durch seine Lieder kritisiert Béral Mbaikoubou – der als kleines Kind durch eine schwere Windpockenerkrankung erblindet ist – die gesellschaftlichen Zustände im Tschad.

"Ein Onkel mütterlicherseits hat Gitarre gespielt. Das war meine erste Begegnung mit dem Instrument und hat mir wahnsinnig gut gefallen. Ich war regelrecht Feuer und Flamme. Und lernte es schnell. War aber nur Mittel zum Zweck. Denn mit der Gitarre wollte ich meine Liebesgedichte vertonen: Einzig und allein, um den Mädchen zu imponieren."

Béral Mbaikoubou grinst. Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Zusammen mit zwei Brüdern und einer Schwester ist er am Rande der einzigen Millionen-Metropole des Landes, in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, aufgewachsen.

Sein Vater war ein kleiner Staatsbeamter mit einem mickrigen Gehalt. Trotzdem schickte er seine Kinder auf die besten Schulen. So kam Béral als jüngster Sohn auf das private Gymnasium Sacre-Coeur im Zentrum von N’Djamena, das einst von französischen katholischen Priestern gegründet wurde. Dort habe man ihm – schon als kleinem Schüler - die Liebe zur Philosophie, zur Literatur, zur Musik beigebracht.

"Das Allerwichtigste für mich ist das Engagement für alle die, die keine Stimme haben. Die vielen namenlosen und anonymen Opfer staatlicher Willkür, die aus nichtigen Gründen ohne Prozesse in Gefängnisse gesteckt werden. Wie zum Beispiel Aids-Kranke, Homosexuelle oder Frauen und Mädchen, die Vergewaltigungen ausgesetzt sind. Menschen, die auch das Recht haben – hier keine Selbstverständlichkeit –, auf Augenhöhe zu leben, zu arbeiten und wahrgenommen zu werden. Ein Anliegen, das mir sehr wichtig ist."

Der junge Vater und mit einer deutschen Entwicklungshelferin verheiratete Béral Mbaikoubou lebt heute unter privilegierten Verhältnissen in Mourssal, einem Stadtbezirk von N’Djamena, der als Künstler- und Intellektuellenhochburg gilt. In einer für tschadische Verhältnisse geradezu luxuriös ausgestatteten Wohnung. Sie ist aus Beton und nicht aus Lehm gebaut, es gibt fließend Wasser und Strom.

"Ich habe bisher einfach viel Glück gehabt. Dass ich Abitur machen konnte, dass ich durch ein Stipendium im französischen Lille studieren und dort meinen Magister in Philosophie machen konnte. Dass ich Musik machen kann und damit die Menschen erreiche. Von all diesen Dingen möchte ich den Menschen im Tschad ein Stück zurückgeben. Letztlich glaube ich an eine Demokratie, eine offene Zukunft, wie sie dann auch immer aussehen möge."

Immunität, vielleicht auch Narrenfreiheit gibt Béral Mbaikoubou ironischerweise seine Blindheit. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum die Machthaber im Tschad den Liedermacher und Oppositionellen Béral Mbaikoubou in Ruhe lassen.
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