Kunst in der Küche
Die Hitze und der Lärm in einer Restaurantküche, der Zeitdruck, das fast schon gespenstische, wortlose Ineinandergleiten der Abläufe, die adrenalindurchflutete Selbstwahrnehmung der Küchenbrigade, der Wahnsinn und der Zauber.
All das ist für jemanden, der nie professionell gekocht hat, kaum nachzuvollziehen. Das mag erklären, warum das Kochen in diesen Tagen eine derart mediale Zugkraft hat, dass Fernsehen, Zeitschriften und Tagespresse das Thema Kochen so sehr in den Vordergrund rücken.
Allerdings (das ist eine Erkenntnis, die Anhänger eines klassischen Kulturbegriffs zutiefst beglücken dürfte) ist die Wirkmächtigkeit all jener Fernseh- und Zeitschriften-Annäherungen ans Kochen eher beschränkt. Auf so ziemlich allen Kanälen wird gekocht, geschnibbelt, gerührt – doch wirklich berührend ist das alles nicht. Der Erkenntnisgehalt ist überschaubar, die televisionäre Annäherung ans Kochen bleibt eine Draufsicht, das küchentypische Prickeln, Kribbeln, Arschsausen – Fehlanzeige. Da ist es ausgerechnet der Literatur vorbehalten, den Druck im Dampfkessel Restaurantküche erfahrbar zu machen, das Räderwerk der Posten zu durchleuchten, Worte für das Adrenalin im Küchendunst zu finden. Es waren die Bücher von Anthony Bourdain ("Kitchen confidential" – deutsch: "Geständnisse eines Küchenchefs. Was Sie über Restaurants nie wissen wollten") und von Bill Buford ("Heat" – deutsch: "Hitze"), die genau jene Lücke geschlossen haben: deftige, packende Inneneinsichten in Küchenhierarchien und Restaurantbetrieb.
Nun wäre es sicher falsch, Stevan Paul in die Schublade dieser sprachlich bemuskelten Küchen-Beschreiber zu stecken – denn sein Buch "Monsieur, der Hummer und ich" geht weit über anschauliche Beschreibungen des alltäglichen Küchen-Wahnsinns hinaus. Gerade mal 5 seiner 17 "Erzählungen vom Kochen" sind Episoden aus der Restaurantküche, die anderen Texte arrondieren das Thema Kochen mal als kammermusikalische Meditation über einen Koch und seinen Hund, mal als zartbittere Trinkerballade, mal als glitzerbunte 50er-Jahre-"Was wäre gewesen, wenn ... "-Fantasie.
"Der Tanz der Schlachter" ist eine fulminante, multikulturell gewürzte Geschichte, die in eine Schrebergartenkolonie führt, in der ein Grieche einem verstockten deutschen Ehepaar südliche Leichtigkeit vermittelt, einem griechischen Bauernsalat mit Skordalia sei Dank. In der "Bratwurstpalme" manifestiert sich für Stevan Paul die kulinarische deutsche Einheit, im Kammerton der 80er-Jahre-Klassenfahrt erzählt; der "Sonntagsnachmittagstrinker" führt in eine Berliner Bar mit dem "Einstürzende Neubauten"-Frontmann Blixa Bargeld als special guest: eine charaktervolle Vignette, ruhig, rauchig, wodkatrunken.
Überhaupt sind die Erzählungen von Stevan Paul dort am stärksten, wo sich Tiefe und Intensität der Beobachtung mit hochsuggestiver Sprache und formalem Witz verbinden – in der hypnotisch-surrealen Erzählung "Ich bin der Fischmensch" etwa, wo eine abgesäbelte Fingerkuppe der Ausgangspunkt ist für eine Achterbahnfahrt in die Psyche eines Speisefisches.
Der Food-Stylist und Food-Autor Stevan Paul ist gelernter Koch und der Motor einer Lesebühne in Hamburg, "Kaffee.Satz.Lesen". Der unmittelbare, direkte, überaus wirkungsvolle Lesebühnenton ist nur ein Aspekt von Pauls sprachlicher Durchwirkung seiner Texte. Der verhalten-elegische Ton von Pauls Großvater-Erinnerung "Afrika" verdichtet sich zu einem gedankenschweren Adagio vor der Kulisse riesiger Kuchenbuffets, während die pointenpralle "Begegnung mit Gott" eine Begegnung mit Paul Bocuse und weiteren Küchengöttern als kulinarische up-tempo-Nummer zelebriert.
"Monsieur, der Hummer und ich" ist ein wundervolles Buch. Stevan Paul gelingt es, für das Wunderwerk Restaurantküche ein atemberaubendes Erzähltempo und eine mitreißende Sprache zu finden. Seine "Erzählungen vom Kochen" haben genau das, was auch große Küchenkunst ausmacht: Inspiration, Leidenschaft und Präzision.
Einen kulinarischen Nutzwert erhält das Buch dadurch, dass jeder Erzählung ein Rezept beigestellt ist - quasi als gastrosophisches Leitmotiv.
Besprochen von Holger Hettinger
Stevan Paul: Monsieur, der Hummer und ich. Erzählungen vom Kochen
mairisch Verlag 2009
176 Seiten, 18,90 Euro
Allerdings (das ist eine Erkenntnis, die Anhänger eines klassischen Kulturbegriffs zutiefst beglücken dürfte) ist die Wirkmächtigkeit all jener Fernseh- und Zeitschriften-Annäherungen ans Kochen eher beschränkt. Auf so ziemlich allen Kanälen wird gekocht, geschnibbelt, gerührt – doch wirklich berührend ist das alles nicht. Der Erkenntnisgehalt ist überschaubar, die televisionäre Annäherung ans Kochen bleibt eine Draufsicht, das küchentypische Prickeln, Kribbeln, Arschsausen – Fehlanzeige. Da ist es ausgerechnet der Literatur vorbehalten, den Druck im Dampfkessel Restaurantküche erfahrbar zu machen, das Räderwerk der Posten zu durchleuchten, Worte für das Adrenalin im Küchendunst zu finden. Es waren die Bücher von Anthony Bourdain ("Kitchen confidential" – deutsch: "Geständnisse eines Küchenchefs. Was Sie über Restaurants nie wissen wollten") und von Bill Buford ("Heat" – deutsch: "Hitze"), die genau jene Lücke geschlossen haben: deftige, packende Inneneinsichten in Küchenhierarchien und Restaurantbetrieb.
Nun wäre es sicher falsch, Stevan Paul in die Schublade dieser sprachlich bemuskelten Küchen-Beschreiber zu stecken – denn sein Buch "Monsieur, der Hummer und ich" geht weit über anschauliche Beschreibungen des alltäglichen Küchen-Wahnsinns hinaus. Gerade mal 5 seiner 17 "Erzählungen vom Kochen" sind Episoden aus der Restaurantküche, die anderen Texte arrondieren das Thema Kochen mal als kammermusikalische Meditation über einen Koch und seinen Hund, mal als zartbittere Trinkerballade, mal als glitzerbunte 50er-Jahre-"Was wäre gewesen, wenn ... "-Fantasie.
"Der Tanz der Schlachter" ist eine fulminante, multikulturell gewürzte Geschichte, die in eine Schrebergartenkolonie führt, in der ein Grieche einem verstockten deutschen Ehepaar südliche Leichtigkeit vermittelt, einem griechischen Bauernsalat mit Skordalia sei Dank. In der "Bratwurstpalme" manifestiert sich für Stevan Paul die kulinarische deutsche Einheit, im Kammerton der 80er-Jahre-Klassenfahrt erzählt; der "Sonntagsnachmittagstrinker" führt in eine Berliner Bar mit dem "Einstürzende Neubauten"-Frontmann Blixa Bargeld als special guest: eine charaktervolle Vignette, ruhig, rauchig, wodkatrunken.
Überhaupt sind die Erzählungen von Stevan Paul dort am stärksten, wo sich Tiefe und Intensität der Beobachtung mit hochsuggestiver Sprache und formalem Witz verbinden – in der hypnotisch-surrealen Erzählung "Ich bin der Fischmensch" etwa, wo eine abgesäbelte Fingerkuppe der Ausgangspunkt ist für eine Achterbahnfahrt in die Psyche eines Speisefisches.
Der Food-Stylist und Food-Autor Stevan Paul ist gelernter Koch und der Motor einer Lesebühne in Hamburg, "Kaffee.Satz.Lesen". Der unmittelbare, direkte, überaus wirkungsvolle Lesebühnenton ist nur ein Aspekt von Pauls sprachlicher Durchwirkung seiner Texte. Der verhalten-elegische Ton von Pauls Großvater-Erinnerung "Afrika" verdichtet sich zu einem gedankenschweren Adagio vor der Kulisse riesiger Kuchenbuffets, während die pointenpralle "Begegnung mit Gott" eine Begegnung mit Paul Bocuse und weiteren Küchengöttern als kulinarische up-tempo-Nummer zelebriert.
"Monsieur, der Hummer und ich" ist ein wundervolles Buch. Stevan Paul gelingt es, für das Wunderwerk Restaurantküche ein atemberaubendes Erzähltempo und eine mitreißende Sprache zu finden. Seine "Erzählungen vom Kochen" haben genau das, was auch große Küchenkunst ausmacht: Inspiration, Leidenschaft und Präzision.
Einen kulinarischen Nutzwert erhält das Buch dadurch, dass jeder Erzählung ein Rezept beigestellt ist - quasi als gastrosophisches Leitmotiv.
Besprochen von Holger Hettinger
Stevan Paul: Monsieur, der Hummer und ich. Erzählungen vom Kochen
mairisch Verlag 2009
176 Seiten, 18,90 Euro