Kunst im Zeichen des Wertewandels

Von Ute May |
Mit der Frage "Woran glauben?" stoßen die diesjährigen Duisburger Akzente eine Diskussion über die Werte unserer Gesellschaft an. Auf der einen Seite empfindet man die Unabhängigkeit von starren moralischen Regeln als Freiheit, auf der anderen Seite offenbart gerade das in den vergangenen Jahren einen offensichtlichen Mangel und gesellschaftliche Erosion.
Der Duisburger Kulturdezernent Karl Janssen will der Debatte um Werte und Wertewandel deshalb eine breite Basis geben, denn ...

"... man ist leicht geneigt, bei diesem sehr spannenden Thema, das die Menschen berührt, die Religion in den Mittelpunkt zu stellen. Die hat bei den 29. Akzenten einen großen Stellenwert, ... aber wir stellen auch die Frage nach den Werten und Normen, nach den Sehnsüchten. Wir wollen das Herz der Menschen erreichen und uns durchaus auch kritisch auseinandersetzen mit der Frage, woran glauben wir insgesamt."

Als eines der wenigen spartenübergreifenden Festivals werden bei den Duisburger Akzenten Musik, Tanz, Literatur, Film und kulturhistorische Ausstellungen um Antworten auf die zentrale Festival-Frage gebeten. Seit einigen Jahren gehören auch Symposien und Vorlesungsreihen an der Universität Duisburg-Essen ins Programm.

Das Theatertreffen, das seit Beginn der Duisburger Akzente 1977 fast eine eigene Veranstaltungsreihe ist, zeigt in diesem Jahr neun prominente Produktionen zum Beispiel aus Basel, Hannover oder des Deutschen Theaters Berlin. Kulturdezernent Karl Janssen:

"Dazu muss bei 'Woran glauben?' Faust I + II gehören, das ist eine zentrale Frage. Und dazu gehört, dass wir in der Bildenden Kunst mit neun Kunstwerken, die eigens für die Akzente geschaffenen werden, provokante Punkte innerhalb der Stadt setzen."

Für "PubliCity – Kunst im öffentlichen Raum" wurden Künstler und Künstlergruppen eingeladen und aufgefordert, ihre Gedanken über die sich rasant verändernden Duisburger Innenstadt zu Kunst zu machen, mögliche neue Orte der Identifikation suchen beziehungsweise nach der heutigen Wirkung alter emotionaler Ankerpunkte zu fragen. Einer ist zum Beispiel ein Brunnen von Niki de St.Phalle, den sie mit einer dicken tanzenden Nana gekrönt hat. Der Brunnen bekommt ein neues Outfit, berichtet Dr. Söke Dinkla, die für die Außenprojekte verantwortlich ist:

"Das Brunnenbecken ist blau gestrichen worden und da sind die Leute jetzt schon aufmerksam. ... Das ist ein Projekt von ... der Gruppe 'stadtraum_org', die prägen ein Münze mit dem Aufdruck 'Duisburg – city of hope' und die Münze kann von einem Podest in den Brunnen geworfen werden."

Zu kaufen gibt es das Kunstgeld an Orten, die sich Wünschen und Hoffnungen widmen: Juweliere etwa, das Spielcasino oder ein Hochzeitsausstatter. Jochen Gerz, der in Frankreich lebende deutsche Künstler, hat auf die elektronische Anzeigentafel im Duisburger Hauptbahnhof die "Zehn Gebote" gespeichert - zwischen kommerziellen Werbebotschaften leuchten sie auf. Er hat aber auch den "Tausch der Tabus" angestoßen, berichtet Söke Dinkla:

"Jochen Gerz hat Vertreter von acht verschiedenen Glaubensrichtungen befragt, ... wie können Sie den Gott Ihres Glaubens beschreiben. ... Die Essenz der Antworten hat er in Form von Glastafeln gebracht, die jeweils an anderen Glaubensorten aufgehängt werden. Die Tafel der Moslems hängt in den Jüdischen Gemeindezentrum, die Tafel der Katholiken hängt in der Moschee. ... Alle Institutionen sind aufgefordert, die Aussage des anderen zu tolerieren und ihnen Gastgeber zu sein."

Kuratorin Söke Dinkla wünscht sich die heftige Diskussion besonders über diese Kunstaktion, aber anstoßen wird sie sie nicht. Die Zeit muss also zeigen, welche Wirkung dieses sehr philosophische und intime Projekt über das Kulturfestival hinaus hat.

"Weltpresse" heißt ein großformatiges Lichtprojekt, das an verschiedenen Orten in der Stadt prägnante Bilder und Texte aus den Zeitungen der Welt auf Häuserwände projiziert. Auch die Mauer des Duisburger Gefängnisses wird eine weitere Kunstidee zur Projektionsfläche.

"Kunst sucht sich die Orte, an denen sie wirken möchte oder glaubt, wirken zu müssen, auch selbst."

Unter dem Stichwort "Designing Truth" zeigen Künstlerinnen und Künstler im Wilhelm-Lehmbruck-Museum ihre ästhetische Vorstellung von Wahrheiten, aber auch deren Zerstörung. Alle Arbeiten drehen sich um menschliche Sinnsuche oder Lebensgestaltung, aber auch um wissenschaftliche Erklärungsmodelle oder um gesellschaftliche Versprechungen und Verheißungen. Söke Dinkla:

"Diese Künstler beschäftigen sich vor allem mit der Frage, mit welchen Mitteln Kunst heute operiert, um so etwas wie Wahrheit zu finden, zu suchen. Es geht dabei ... darum, dass wir es heute mit künstlichen Wahrheiten zu tun haben, ... auch mit Lügen zu tun haben."

Die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation, zwischen konstruierten, imaginären und realen Welten scheinen manchmal zu verschwimmen in den Arbeiten unter anderem von Daniele Buetti, Jimmy Durham, Sigalit Landau oder Rita Mc Bride. Er gilt also, genau hinzusehen.