Kunst

Die Sommerbefreiung der Farbe

Karl Marx vor der Porta Nigra. Im Rahmen einer Installation des Künstlers Ottmar Hörl wurden 500 ein Meter hohe Karl Marx-Figuren aus Kunststoff um das Wahrzeichen der Stadt an der Mosel aufgestellt.
Kunst in Trier: Karl Marx-Figuren vor der Porta Nigra des Künstlers Ottmar Hörl © picture alliance / dpa / Foto: Romain Fellens
Von Ludger Fittkau  · 06.08.2014
Metallskulpturen oder farbintensive Malereien - seit fast vier Jahrzehnten strömen die Menschen zur "Europäischen Kunstakademie Trier". Höhepunkt im kreativen Jahreszyklus sind die Sommerkurse auf einem alten Schlachthof am Moselufer.
Ursula Rettig wäscht ihren Pinsel aus – gefühlt zweihundert Mal macht sie das während des einwöchigen Malkurses bei Wolfgang Rüppel. Ursula Rettig ist eine zierliche Frau um die 60. Sie lebt als Kunsterzieherin im Odenwald und nimmt in diesem Jahr zum vierzehnten Mal an der Sommerakademie in Trier.
"Ich komme schon ganz oft zum Wolfgang Rüppel – gerne."
Wolfgang Rüppel ist ein bescheiden wirkender Kursleiter im kurzärmligen, bunten Sommerhemd. Im geräumigen Atelier in einem alten Schlachthof am Trierer Moselufer geht der in Berlin und Köln lebende Künstler von Staffelei zu Staffelei. Acht Frauen arbeiten an der komplizierten Aufgabe, zunächst die Farbe Grau richtig zu mischen und auf die Leinwand zu bringen. Erst dann sollen sie sich weiteren Farben zuwenden:
"Thema meines Kurses ist die Macht der Farbe. Es ist auch bewusst angelehnt an den Titel der Verdi-Oper ´Die Macht des Schicksals`. Denn eigentlich soll es um große Oper gehen."
Vor der vielfarbigen Orchestrierung kommt jedoch erst einmal der konkrete einzelne Pinselstrich im Kurs. Eine große Kulisse bietet allerdings der Ort, an dem sich im Juli und August Jahr für Jahr rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerkurse einfinden - in der "Europäischen Kunstakademie" am Moselufer. Von Metallbearbeitung über Aktzeichen bis zur künstlerischen Keramik reicht das breite Spektrum der Kunsttechniken, die man hier lernen kann.
"Größte freie Kunstakademie in Europa"
Dr. Gabriele Lohberg ist Kunsthistorikerin und Leiterin der Einrichtung:
"Wir sind die größte freie Kunstakademie in Europa, wir haben 18 Ateliers zur Verfügung in diesen sehr schönen denkmalgeschützten Räumlichkeiten. Von daher sind in jeder Klasse zwischen sieben und 16 Personen. Die Skulptur, die hier steht, die braucht noch einen Kopf und da mache ich jetzt eine Maske, die hoffentlich am Schluss dazu passt."
Der Autohändler Pietro Corte ist Mitte 50 und aus Zürich nach Trier gereist. Er werkelt seit anderthalb Wochen im baumbestandenen Hof des alten Schlachthofs an einer Metallskulptur von der Größe eines Menschen. Pietro Corte nimmt bereits zum dritten Mal am Sommer-Metallkurs teil:
"Das ist super, hier unter dem Baum, das ist perfekt. Das finde ich genau das Reizvolle hier. Man hat so Materialien, man ist draußen an der Sonne, unter dem Baum, viele nette Kollegen, also super."
Auch Kursleiter Wolfgang Rüppel schätzt die beschauliche Atmosphäre in der alten Stadt am Moselufer sehr:
"Ich lebe ja in Berlin und in Köln, das sind beides gute Großstädte. Aber so die vier Wochen im Sommer und zwei Wochen im Frühling und über Ostern, die finde ich hier auch immer ziemlich gut. Dieses Trier hat auch so was eigenes, so eben, wo die Provinz am Schönsten ist."
Kunstkurse für jedermann
Nicht nur Großstädter suchen Kontraste in der Trierer Sommerakademie, sondern auch Verena Sulzer aus dem weit entfernten und sehr ländlichen Engadin in der Schweiz. Sie nimmt an Rüppels Malkurs teil.
"Ich sehe einfach, das Angebot ist relativ groß. Ich weiß nicht, manchmal geht man ja auch ganz gerne in die Weite. Ich weiß nicht, ob ich jetzt an diese Kunstakademie gehen würde, wenn sie gerade um die Ecke liegt. Aber ich finde das Angebot gut und man kann relativ gut seinen Dingen nachgehen."
Autor: "Gehen wir kurz auf ihr Werk ein. Das grau dominiert hier noch sehr stark – aus der ersten Phase. Doch auch Farben kommen schon zur Geltung: Eine Menschengruppe in einem Hauseingang, an einem Fenster…"
Verena Sulzer: "Gut, ich versuche jetzt auch hier ein bisschen gegenständlicher zu werden. Gegenstände, auch wenn sie nachher verfremdet werden, haben ihre Herausforderung für mich. Weil ich wahrscheinlich zum Teil Mühe habe, wenn ich überhaupt keine Vorlage habe."
Rüppel: "Also hier zum Beispiel, sie arbeitet nach Fotos und beinahe fotorealistisch. Aber natürlich geht es dabei auch wieder – es sind ja so Porträtbilder – da geht es auch wieder um die Befreiung der Farbe, um die Loslösung der Farbe in den Gesichtsfarben. Bei den beiden Bildern kann man schon deutlich die Unterschiede sehen: Also das obere, das viel freier geworden ist, als das untere Bild."
Auffällig in Rüppels Malkurs – es sind nur Frauen am Werk. Akademieleiterin Gabriele Lohberg bestätigt den Eindruck, dass Malerei in den Sommerkursen bisher eine Frauendomäne ist:
"Aber wir hoffen natürlich sehr, dass die Männer einer neuen Generation nicht denken: Ah, Malerei, das hat mit Mechanik nichts zu tun und das interessiert mich nicht als Mann. Sondern das die neuen Männer sagen: Malerei, das gehört zum Leben dazu und das macht auch einen Menschen aus, dass er kreativ ist und traut sich auch, hier in der Gruppe zu malen."
In der Gruppe malen, wie Eva Rettig es schon so oft gemacht hat. An einem Abend in der Woche, wenn sie am Ende des Kurses wieder den Pinsel ausgewaschen und beiseite gelegt hat, bittet Wolfgang Rüppel Eva Rettig und die anderen Malschüler zum gemeinsamen Grillen auf dem alten Schlachthofgelände – nicht nur im Sommer:
"In meiner Klasse wird immer am Donnerstag gegrillt – egal, ob Schneefall angesagt ist oder nicht. Das findet auch im Februar statt."