Kunst

Die Museen sind zu müde

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In den Deichtorhallen in Hamburg hat Daniel Tyradellis die Ausstellung "Wunder" erarbeitet. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Moderation: Ulrike Timm · 12.03.2014
Viele Ausstellungen seien nur für Kunsthistoriker und Experten interessant, sagt der Philosoph Daniel Tyradellis. Im Interview mit Deutschlandradio Kultur sagt er, wie Gegenwartskunst Besuchern schmackhaft gemacht werden kann.
Ulrike Timm: Wenn etwas reif fürs Museum ist, dann ist das kein Kompliment. Und das Wortpaar Museum und verstaubt gehört im Deutschen immer noch stabil zusammen. Andererseits, die Museen und die Ausstellungshallen melden vergnügt Besucherrekorde, keine Spur von Desinteresse.
Der Philosoph und Kurator Daniel Tyradellis macht sich trotzdem Sorgen, sonst hätte er wohl kein Buch vorgelegt mit dem provokanten Titel "Müde Museen", Untertitel "Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten". Könnten - Konjunktiv also.
Daniel Tyradellis ist jetzt unser Gast. Willkommen erst mal.
Daniel Tyradellis: Hallo!
Timm: Ja, Herr Tyradellis, Sie mischen im Betrieb ja kräftig mit. Sie haben als Kurator mehrfach Ausstellungen betreut, in Hamburg, in Dresden, in Berlin. Aber offenbar ärgern Sie sich oft, sonst würden Sie ja nicht so einen Titel wählen, "Müde Museen. Wie Ausstellungen das Denken verändern könnten". Wann ärgern Sie sich denn, und worüber?
Tyradellis: Ich ärgere mich regelmäßig darüber, dass es so schwer ist, Projekte, also Ausstellungen zu machen, die mal die normalen Grenzen überschreiten. Ich habe immer wieder das Problem, dass ich ein Konzept entwickle, und dann werde ich von den jeweiligen Museen bombardiert mit Reglementarien, was erlaubt ist an einem solchen Ort und was nicht.
Also, dass man etwa in einem Kunstmuseum auch Nicht-Kunstwerke zeigt, ist annähernd unmögliche, außer es ist eben ein Künstler, der sagt, ich stelle die da rein. Ich bin aber kein Künstler, sondern ich bin halt nur so ein Kurator-Heini, der sich da ganz anders erklären muss. Und was ich extrem ermüdend finde, ist eben, dass all diese Museen, und es gibt in Deutschland, je nachdem, sechseinhalb- bis siebentausend, je nach Zählweise, davon dass doch die Art und Weise, wie innerhalb dieser einzelnen Häuser Ausstellungen gemacht werden, doch das nach dem fast immer gleichen Schema geschieht. Und das finde ich total schade.
Timm: Da brauche ich jetzt mal ein Beispiel - was Sie ärgert und was Sie anders machen würden.
Tyradellis: Na ja, Sie müssen nur - schauen Sie sich einfach den Veranstaltungskalender an. Da ist dann halt die Ausstellung "Paul Klee und seine Zeit" oder "Paul Klee und die Druckgrafiken" oder "Der frühe Picasso" oder "Georges Braque - das Spätwerk" oder so.
Das ist natürlich für Kunsthistoriker und Experten interessant. Das würde ich gar nicht bestreiten wollen. Aber man erreicht doch niemals eine breite Öffentlichkeit mit solchen extremen Sparten, wo halt 30 Kunstwerke eines Künstlers gezeigt werden. Was ich viel interessanter finde, ist, Themenausstellungen zu entwickeln, wo man also eine bestimmte Fragestellung hat, die sich aus politischen, gesellschaftlichen, ästhetischen Momenten her ableiten kann, und dann bringt man unterschiedlichste Dinge zueinander in diesen Ausstellungsraum, sodass der Besucher die Chance hat, sich intensiv mit den verschiedenen Fragen auseinanderzusetzen und nicht bloß additiv - noch ein Kunstwerk und noch ein Kunstwerk und noch ein Kunstwerk - unter irgendeinem Label vorgesetzt zu bekommen.
Timm: Nun haben die Museen ja trotzdem - viele Museen haben großen Erfolg. Wenn man aber je im Britischen Museum war, der weiß, da gehen die Leute in der Mittagspause hin, trinken Kaffee und bleiben dann trotzdem vor etwas stehen und kriegen etwas mit. Wer je in der wunderbaren Gemäldegalerie in Berlin war, der ist da ziemlich alleine. Ist es nur die Präsentation, ist es vielleicht auch der Standort, der Eintrittspreis, der abschreckt oder anzieht?
Tyradellis: Also sicherlich auch der Eintrittspreis, der Standort, glaube ich, weniger. Aber man muss sich das im Detail anschauen. Die Museen in Großbritannien haben insgesamt eine viel stärkere Besucheransprache, also die Art und Weise, wie dem Besucher geholfen wird, diese Exponate anzuschauen, durch eine Betextungsebene, die auch so ist, dass man sie tatsächlich verstehen kann, ohne einen Doktortitel zu haben. Die auch so formuliert sind, dass man auch Lust hat, sich intensiver damit zu beschäftigen. Das spielt schon eine Rolle. Und es spielt auch eine Rolle, welche Kunstwerke in diesem Falle jetzt nebeneinandergehängt werden, wo man also merkt, hier wird versucht, durch die gemeinsame Präsentation im Raum, einer Frage einen Raum zu geben, mit der man sich dann auseinandersetzen kann.
Während, wenn Sie in die Gemäldegalerie gehen, Sie vor allem etwas repräsentiert sehen, nämlich einen bestimmten Stand, wie man wissenschaftlich Kunstwerke eben thematisiert. Das wird dann historisch-chronologisch geordnet dargestellt. Das ist einfach ästhetisch nicht ansprechend, außer, man bringt schon sehr, sehr viel Expertise mit, und davon sollte man, glaube ich, nicht ausgehen.
Timm: Nun haben Sie versucht, es anders zu machen mit Ausstellungen, die heißen zum Beispiel "Schmerz" oder "Wunder" oder "Reichtum" - Themenausstellungen, wie Sie es eben benannt haben. Sie wollen aber auch, ganz Philosoph, das Denken verändern, also nicht nur den flüchtigen Moment, das Hingucken. Unter welchen Voraussetzungen klappt das denn, dass Ausstellungen das Denken verändern könnten?
In Denkgewissheiten verunsichern
Tyradellis: Man muss sich natürlich erst mal fragen, was meint man denn mit Denken, weil wir alle unterstellen uns ja selber, wir könnten denken. Da bin ich mir nicht so sicher, ich bin mir in meinem Fall auch nicht immer ganz so sicher, ob ich das kann. Ich glaube, Denken heißt halt wesentlich, dass man eine Erfahrung zulässt, die nicht nur das, was man im Moment schon für wahr und richtig hält, affirmiert. Und ein Ausstellungsraum kann einer sein, in dem man mit Sichtweisen auf die Welt konfrontiert wird, in Gestalt von Exponaten, aber auch in Gestalt von Betextung et cetera, wo man sagt, hm, habe ich so gar noch nicht gesehen.
Und wenn ich das gut komponiere, kann ich eine vielschichtige Argumentation in einer Ausstellung anbieten, die dann so ist, dass man in seinen Gewissheiten, in seinen Denkgewissheiten verunsichert wird durch die Affekte, die Eindrücke, die man hat in dieser Ausstellung. Aber nicht bloß, oh, sind die hier schlau, als Resultat hat oder das ist ja alles falsch, sondern man merkt, welche Voraussetzungen das eigene Denken immer schon mit sich bringt. Und wenn man das zum Thema macht, dann hat man schon eine Differenz zum eigenen Denken, und das ist der beste Weg, weiter zu denken.
Das halte ich für einen Anspruch von Mündigkeit, dass man halt einfach merkt, ganz egal, was ich denke, man kann immer auch anders über die Dinge denken. Und wenn mir das klar ist, bin ich einen entschiedenen Schritt weiter.
Timm: Und ich bin mir ganz sicher, das würde jeder konventionelle Ausstellungsmacher auch unterschreiben, für sich unterschreiben, was Sie jetzt sagen. Nun sagen Sie ja trotzdem, es muss noch viel getan werden. Wie haben Sie denn das zum Beispiel umgesetzt bei einer Ausstellung wie "Wunder" in Hamburg.
Tyradellis: Bei "Wunder" ging es mit wesentlich darum - das ist ja ein Ort, der für Gegenwartskunst sehr abonniert ist …
Timm: Die Deichtorhallen.
Tyradellis: Die Deichtorhallen in Hamburg, genau. Und mein Interesse war halt, wie schaffe ich es, dort eine Ausstellung zu machen, die Menschen, die eher Berührungsängste gegenüber Gegenwartskunst haben, trotzdem in dieses Haus reinzukriegen.
Timm: Es war eine Kunstausstellung.
Tyradellis: Es war eine …
Timm: Es ging nicht darum, worüber man sich wundern kann oder biblische Wunder oder so was - es war eine Kunstausstellung?
Einen Berg versetzen
Tyradellis: Ja, wobei die Art und Weise, wie Sie fragen, ist sozusagen schon Teil des Problems. Weil, ich sage, ich nehme für meine Ausstellung das, was mir am sinnvollsten erscheint. Und das kann mal ein Kunstwerk sein, das kann aber auch mal was bei Karstadt Gekauftes sein, sofern es Karstadt überhaupt noch gibt. Oder es kann ein Objekt aus einem Wissenschaftsmuseum sein, wo ich sage, ich möchte den Leuten, die Lust haben, sich damit zu beschäftigen, klar machen, was bedeutet dieses Phänomen Wunder für das Abendland in seiner Geschichte, aber auch für uns heute noch, wenn wir mit dem Wort Wunder operieren, was wir ja gerne noch tun, aber natürlich es meistens nicht mehr ganz so ernst meinen, weil wir meinen, Wunder gäbe es nicht.
Und so habe ich versucht, in der Ausstellung durch eine Kombination von zum Teil doch echt komplexen Kunstwerken mit Objekten aus der Wissenschafts- und Kulturgeschichte ganz viele Brücken zu bauen zwischen den einzelnen Genres, sodass jeder Besucher da einsteigen konnte, wo er seine stärksten Interessen hat, also wo sein eigenes Denken zu Hause ist, um ihn dann schrittweise in andere Terrains zu bewegen, wo man sagt, na hoppsa, das ist ja schon wirklich interessant. Ich kann Ihnen vielleicht ein Beispiel geben. Es gibt eine Arbeit von Francis Alys, "When faith moves mountains", wo der Künstler überredet hat Leute in Peru, gemeinsam mit ihm, nur mit Schaufeln bewaffnet, einen Berg um zehn Zentimeter zu versetzen.
Timm: Viel Arbeit!
Tyradellis: Viel Arbeit, und man sich denkt, ja Leute, kauft euch einen Bagger, Thema erledigt. Aber Teil der Arbeit ist ein Interview mit diesen Leuten, und die sagen, boah, es war so heiß, es hörte nicht auf, es war furchtbar, aber irgendwie war es das Größte, an dem ich jemals teilgenommen habe. Weil man einfach ein Gemeinschaftserlebnis hatte. Wir haben ein Ziel, völlig egal, ob das irgendwie Sinn macht oder nicht. Aber wir haben ein Ziel, und dafür lohnt es sich, sich zu engagieren. Und man kriegt in dieser Arbeit, glaube ich, schon eine Idee davon, welche Funktion Kunst haben kann, nämlich Menschen auf ein Ziel hin auszurichten und diese Energien zu bündeln. Das ist im Übrigen auch die historische Funktion des Wortes Wunder. Was ich nun aber getan habe, ist, dass ich diese Videoarbeit von Francis Alys kombiniert habe mit dem Pokal des Wunders von Bern, 1954.
Timm: Fußball!
Deutschland wird 1954 Fußballweltmeister
Deutschland wird 1954 Fußballweltmeister© AP
Tyradellis: Genau, Fußball. Und das ist etwas, wo man sagt, aha, auch hier ist es so, man muss sich das klar machen. Neun Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg konnte der Deutsche wieder sagen, wir sind wieder wer, nämlich Weltmeister.
Was das für die Identität einer Nation bedeutet, das kann man gar nicht überschätzen. Und hier kriegt man eben so eine Idee davon, was es bedeutet, dass bestimmte Ereignisse, die an sich hoch unwahrscheinlich sind, welche Funktion die haben, um Menschen Geschichte und Zukunft und auch eine Identität zu geben. Und wenn man solche Dinge miteinander kombiniert, wie diesen Pokal und diese künstlerische Arbeit, glaube ich, kriegen auch viele ein Gefühl davon, was denn so ein Kunstwerk soll, dem sie sich vielleicht sonst überhaupt gar nicht angenähert hätten.
Timm: Und da haben Sie auch eine Kinderspur gelegt in diesem Museum noch. Also, sind die Kinder da, haben die dieses Kunstwerk mitgestaltet oder wie lief das?
Tyradellis: Die Kinderspur, das war mir ganz wichtig bei dem Thema Wunder, weil man immer wieder diesen Kitsch-Satz hört, "Kinder können sich noch wundern". Man muss aber halt auch sagen, na ja, wer so richtig doof ist, wundert sich halt über alles. Also das ist sozusagen diese Spannung -
Timm: Oder wer ganz klug ist - das geht auch!
Je mehr man weiß, desto mehr kann man sich wundern
Tyradellis: Genau. Das ist genau das Thema gewesen. Das heißt, es gilt eben auch, je mehr man weiß, desto mehr kann man sich auch über Dinge wundern, die andere nicht mal wahrnehmen. Und in der Kinderspur war es mir dann darum gegangen - wir haben etwa Kinder vorher Kunstwerke gezeigt und mit denen gesprochen, und diese Interviews dann in die Ausstellung integriert. Und man konnte dann per Kopfhörer sich diese Videos anschauen und erfuhr über die Stimmen der Kinder sehr viel über einzelne Exponate der Ausstellung.
Allerdings war das so, dass nur Kinder diese Kopfhörer bekamen, um sich das anzuhören. Was bedeutete, dass die Erwachsenen einmal in der Position des Nicht-Mehrwissenden waren, sondern die Kinder waren die Schlaueren. Und Sie glauben nicht, wie viele Erwachsene da energischst die Herausgabe dieser Kopfhörer verlangten, weil sie natürlich klar wollten, wir Erwachsenen sollen dieses Mehrwissen haben, und die Kinder sollen eben die sein, die weniger wissen. Das wollte ich in diesem Fall mal umkehren.
Timm: Denkanstöße geben für schöne, für bemerkenswerte Ausstellungen, das möchte der Philosoph und Kurator Daniel Tyradellis. Wenn Sie es nachlesen mögen, er hat ein Buch veröffentlicht, "Müde Museen. Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten", erschienen in der Edition Körber-Stiftung.
Danke für den Besuch im Studio!
Tyradellis: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.