Kunst der Zukunft
Deutschland hat zu wenig Visionen. Das hören wir jeden Sonntag Abend bei "Christiansen". Und zwar so oft, dass man es schon nicht mehr hören möchte. Die Schau "My Vision" macht es anders. Sie beklagt nicht das, was fehlt, sondern zeigt das auf, was möglich ist. In den Medien Video, Foto und Installation zeigen 15 zumeist junge internationale Künstlerinnen und Künstlern ihre ganz persönlichen Ideen davon, wie die Welt in Zukunft aussehen könnte.
"Ich glaube, dass wir sozusagen einfach mal darüber nachdenken. Vielleicht können Sie nachher, äh, äh, äh, einspringen. Da gibt es eine schöne Geschichte. Aber wenn man überlegt ... Jetzt kommt die Frage ..."
Ruth Hutter hat in einer Toncollage die Worthülsen von Mediendarstellern wie Politikern, Talkshowmastern und Journalisten aufbereitet. Ein Videobeamer projiziert drei sprechende Gesichter auf die Köpfe weißer Schaufensterpuppen, und so hören wir auf den Talking Heads die Stimmen von Heiner Geißler, Jürgen Fliege und Matthias Matussek. Einfach schön, einfach entlarvend. Ein Gruß an die schöne neue Medienwelt, Videokonferenzen gibt es ja bereits. Und der nächste Schritt wird sein, den Körper ganz zu dematerialisieren und irgendwo beliebig auftauchen zu lassen, so wie wir es aus "Star Trek" kennen.
Eine ähnlich spitzfindige und hintersinnige, und ebenfalls ästhetisch schöne Installation hat das Berliner Künstlerduo FLCO beigesteuert. Ihre Arbeit denkt nach über eine Welt ohne Öl. "Holy War" heißt die Installation: In einem quadratischen Raum hängt in der Mitte ein Boxsack von der Decke herab, aus einem ehemaligen Ölktank ist er hergestellt, darunter liegen Matratzen aus Leichensäcken, alles ist nach einer strengen Geometrie angeordnet, so wie in einem japanischen Tempel. Um dieses Carrée herum stehen und liegen schwarze Tankschläuche, die verknotet sind oder sich aufbäumen wie Kobras beim Angriff. Das Öl geht uns aus, ganz klar, was uns bleibt, ist die Kunst? Die Kunst des Überlebens? Thomas Schirmböck, der Kurator:
"Es gibt Medienkritik. Es gibt Untersuchungen über sehr spezielle Ausformungen der Sexualität. Die ja auch zunehmend intensiviert wird. Weil das Internet für viele die Rolle der schnellen Lustbefriedigung übernimmt. Es gibt einerseits Visionen über die Zukunft. Es gibt zum anderen Visionen in geistiger Art. Anders kann ich es überhaupt nicht sagen. Also beispielsweise versucht Eno Henze die Prozesse grafisch darzustellen, die in unserem Inneren ablaufen. Das ist etwas, das unglaublich komplex ist. Das ist einfach eine Vision, weil es letztendlich nicht abbildbar ist. Und er findet trotzdem ein Bild dafür."
Eno Henze geht in seiner Arbeit "Wirklichkeitsschaum" in das Körperinnere. Wir wissen, dass Zellen sich ständig neu organisieren, dass im Körper nichts stillsteht und alles in Bewegung ist und dass man ein Abbild dessen, was da stattfindet, eigentlich gar nicht machen kann. Eno Henze hat in einer unendlich akribischen Arbeit feinste Linien und Blasen per Computerprogramm auf eine große Leinwand gezeichnet, einen sich unendlich bewegenden Schaum, und man bekommt eine Idee davon, was es heißt, einen Moment, der nicht festzuhalten ist, dann doch zu zeigen. Auch diese Arbeit ist eindrucksvoll!
Genauso wie die Fotocollagen der Gruppe OLGA.
"Das sind drei auch für sich genommen sehr erfolgreiche Fotografen. Die in Hamburg respektive Zürich leben. Die machen das so: Einer von ihnen fängt mit einer Collage an, gibt das dann an den zweiten weiter, der zweite schickt das an den dritten, der dritte schickt das wieder an den ersten. Und so wächst ein Bild. Dieser Arbeitsprozess, der irgendwo so ein bisschen an DADA angelegt ist, an die écriture automatique, der ist einfach heute in einer Zeit, in der alles so super durchkomponiert, in der alles so super, super ästhetisiert ist, ganz spannend."
Bilder verändern sich ohne Kontrolle. Das Internet ist das beste Beispiel für diesen Prozess, der für unsere heutige Welt so kennzeichnend ist. Der Zuschauer oder Besucher ist kein passiver Betrachter mehr, das Werk, das Kunstwerk, entsteht erst und nur mit seiner aktiven Beteiligung. Der Zuschauer wird Teil des Werks. Alles hängt mit allem zusammen. Und auch beim Katalog gehen die Ausstellungsmacher genau diesem Prinzip nach.
"Wir haben versucht, auf Basis eines intelligenten Netzes einen Katalog zu erstellen, der tatsächlich auch eine Vision eines Kataloges ist. Der wird also als eine kleine Printversion vorliegen und als DVD als Trägermedium. Nicht eine DVD, die man sich in seinen DVD-Player einlegt, sondern als eine DVD, die man in seinen Rechner einlegt und dann passiert etwas."
Was passiert? So viel sei gesagt: Bloß hingucken wie beim Katalog geht nicht. Man muss schon etwas tun ... Und so zeigt die gelungene Mannheimer Schau viele Ideen von Künstlern über das, wie Zukunft aussehen wird. Sie wird bunt, vielfältig und interaktiv sein, keine Frage. Stillsitzen wird es nicht mehr geben, nur noch die aktive Beteiligung. Die Zusammenstellung des eigenen Lebens wird nach einem individuellen Menü verlaufen, so wie man heute schon das Fernsehprogramm aus Tausenden von Kanälen persönlich auf sich zuschneidern kann oder per Podcast sein Programm mit sich herumträgt.
So wird es mit dem "Lebensprogramm" sein. "MyVision" zeigt, dass die Persönlichkeit in Zukunft nie ruht, dass sie sich ständig neu zusammensetzt nach Plänen, die sich ständig ändern, und dass eines genauso wichtig sein wird wie die ständige Bewegung: nämlich die Ruhe im Sturm! Alles wird schneller gehen und wir werden ständig mitgerissen, da hilft nur eins: mitsurfen und dabei in Ruhe ausatmen ...
Service:
Die Ausstellung "My Vision" ist noch bis zum 15.4.2007 in den Reiß-Engelhorn-Museen Mannheim sowie im ZEPHYR - Zentrum für Fotografie zu sehen.
Ruth Hutter hat in einer Toncollage die Worthülsen von Mediendarstellern wie Politikern, Talkshowmastern und Journalisten aufbereitet. Ein Videobeamer projiziert drei sprechende Gesichter auf die Köpfe weißer Schaufensterpuppen, und so hören wir auf den Talking Heads die Stimmen von Heiner Geißler, Jürgen Fliege und Matthias Matussek. Einfach schön, einfach entlarvend. Ein Gruß an die schöne neue Medienwelt, Videokonferenzen gibt es ja bereits. Und der nächste Schritt wird sein, den Körper ganz zu dematerialisieren und irgendwo beliebig auftauchen zu lassen, so wie wir es aus "Star Trek" kennen.
Eine ähnlich spitzfindige und hintersinnige, und ebenfalls ästhetisch schöne Installation hat das Berliner Künstlerduo FLCO beigesteuert. Ihre Arbeit denkt nach über eine Welt ohne Öl. "Holy War" heißt die Installation: In einem quadratischen Raum hängt in der Mitte ein Boxsack von der Decke herab, aus einem ehemaligen Ölktank ist er hergestellt, darunter liegen Matratzen aus Leichensäcken, alles ist nach einer strengen Geometrie angeordnet, so wie in einem japanischen Tempel. Um dieses Carrée herum stehen und liegen schwarze Tankschläuche, die verknotet sind oder sich aufbäumen wie Kobras beim Angriff. Das Öl geht uns aus, ganz klar, was uns bleibt, ist die Kunst? Die Kunst des Überlebens? Thomas Schirmböck, der Kurator:
"Es gibt Medienkritik. Es gibt Untersuchungen über sehr spezielle Ausformungen der Sexualität. Die ja auch zunehmend intensiviert wird. Weil das Internet für viele die Rolle der schnellen Lustbefriedigung übernimmt. Es gibt einerseits Visionen über die Zukunft. Es gibt zum anderen Visionen in geistiger Art. Anders kann ich es überhaupt nicht sagen. Also beispielsweise versucht Eno Henze die Prozesse grafisch darzustellen, die in unserem Inneren ablaufen. Das ist etwas, das unglaublich komplex ist. Das ist einfach eine Vision, weil es letztendlich nicht abbildbar ist. Und er findet trotzdem ein Bild dafür."
Eno Henze geht in seiner Arbeit "Wirklichkeitsschaum" in das Körperinnere. Wir wissen, dass Zellen sich ständig neu organisieren, dass im Körper nichts stillsteht und alles in Bewegung ist und dass man ein Abbild dessen, was da stattfindet, eigentlich gar nicht machen kann. Eno Henze hat in einer unendlich akribischen Arbeit feinste Linien und Blasen per Computerprogramm auf eine große Leinwand gezeichnet, einen sich unendlich bewegenden Schaum, und man bekommt eine Idee davon, was es heißt, einen Moment, der nicht festzuhalten ist, dann doch zu zeigen. Auch diese Arbeit ist eindrucksvoll!
Genauso wie die Fotocollagen der Gruppe OLGA.
"Das sind drei auch für sich genommen sehr erfolgreiche Fotografen. Die in Hamburg respektive Zürich leben. Die machen das so: Einer von ihnen fängt mit einer Collage an, gibt das dann an den zweiten weiter, der zweite schickt das an den dritten, der dritte schickt das wieder an den ersten. Und so wächst ein Bild. Dieser Arbeitsprozess, der irgendwo so ein bisschen an DADA angelegt ist, an die écriture automatique, der ist einfach heute in einer Zeit, in der alles so super durchkomponiert, in der alles so super, super ästhetisiert ist, ganz spannend."
Bilder verändern sich ohne Kontrolle. Das Internet ist das beste Beispiel für diesen Prozess, der für unsere heutige Welt so kennzeichnend ist. Der Zuschauer oder Besucher ist kein passiver Betrachter mehr, das Werk, das Kunstwerk, entsteht erst und nur mit seiner aktiven Beteiligung. Der Zuschauer wird Teil des Werks. Alles hängt mit allem zusammen. Und auch beim Katalog gehen die Ausstellungsmacher genau diesem Prinzip nach.
"Wir haben versucht, auf Basis eines intelligenten Netzes einen Katalog zu erstellen, der tatsächlich auch eine Vision eines Kataloges ist. Der wird also als eine kleine Printversion vorliegen und als DVD als Trägermedium. Nicht eine DVD, die man sich in seinen DVD-Player einlegt, sondern als eine DVD, die man in seinen Rechner einlegt und dann passiert etwas."
Was passiert? So viel sei gesagt: Bloß hingucken wie beim Katalog geht nicht. Man muss schon etwas tun ... Und so zeigt die gelungene Mannheimer Schau viele Ideen von Künstlern über das, wie Zukunft aussehen wird. Sie wird bunt, vielfältig und interaktiv sein, keine Frage. Stillsitzen wird es nicht mehr geben, nur noch die aktive Beteiligung. Die Zusammenstellung des eigenen Lebens wird nach einem individuellen Menü verlaufen, so wie man heute schon das Fernsehprogramm aus Tausenden von Kanälen persönlich auf sich zuschneidern kann oder per Podcast sein Programm mit sich herumträgt.
So wird es mit dem "Lebensprogramm" sein. "MyVision" zeigt, dass die Persönlichkeit in Zukunft nie ruht, dass sie sich ständig neu zusammensetzt nach Plänen, die sich ständig ändern, und dass eines genauso wichtig sein wird wie die ständige Bewegung: nämlich die Ruhe im Sturm! Alles wird schneller gehen und wir werden ständig mitgerissen, da hilft nur eins: mitsurfen und dabei in Ruhe ausatmen ...
Service:
Die Ausstellung "My Vision" ist noch bis zum 15.4.2007 in den Reiß-Engelhorn-Museen Mannheim sowie im ZEPHYR - Zentrum für Fotografie zu sehen.