Kunst-Biennalen im Rückblick

Trotz Inflation wichtige Trendmelder

Neue Kunst für eine alte Stadt: Maarten Vanden Eyndes Installation "Pinpointing Progress" (2018) im Hafen von Riga während der 1. Riga-Biennale.
Maarten Vanden Eyndes Installation "Pinpointing Progress" (2018) im Hafen von Riga während der 1. Riga-Biennale. © Ingo Arend
Ingo Arend im Gespräch mit Sigrid Brinkmann  · 27.12.2018
Schätzungsweise 250 bis 360 Kunst-Biennalen gibt es weltweit, sagt der Kunstkritiker Ingo Arend. Trotz Kritik an dieser Veranstaltungsfülle und einem Trend zur Exklusivität lobt er die kritische Selbstreflexion einiger Ausstellungsmacher.
Angesichts der hohen Zahl von Kunst-Biennalen – laut Schätzungen gibt es weltweit inzwischen 250 bis 360 – könne man inzwischen von einer gewissen Müdigkeit sprechen, sagte der Kunstkritiker Ingo Arend im Deutschlandfunk Kultur.
Er sieht vor allem kritisch, dass die Ausstellungen immer mehr ein Treffpunkt für den internationalen Kunst-Jetset seien: "Diese Clique aus Künstlern, Sammlern und Kuratoren, die ewig so um den Erdball jetten, um von einer Biennale zur anderen zu reisen", sagte Arend, der selbst im zurückliegenden Jahr sechs Biennalen besuchte. Den Trend zur exklusiven Öffentlichkeit in einem Format, das sich eigentlich der Öffnung der Kunst verschrieben habe, findet er "ein bisschen problematisch." Die Biennalen krankten an ihrem Eventcharakter, einer Spektakelkultur und zu viel Stadtmarketing.

Machtverschiebung in den Süden

Trotz solcher Einwände sprach Amend anerkennend davon, dass einige Kuratoren sich selbstkritisch mit diesen Themen auseinander setzten. "Für mich haben Biennalen trotzdem noch eine wichtige Funktion", sagte der Kunstkritiker. Sie seien "Trendmelder" für Verschiebungen der ästhetischen Produktionsweisen und der Themenfelder, die Künstler weltweit bearbeiteten.
"Die vielleicht allerwichtigste Funktion ist, dass sie für auch Trendmelder einer globalen, ästhetischen und politischen Machtverschiebung sind, weg vom Westen hin zum Süden." (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Sigrid Brinkmann: In "Fazit" berichten wir kontinuierlich über herausragende Ereignisse der Kunstwelt, und natürlich gehören die internationalen Biennalen, von denen wir wie im Fall von Venedig oder in diesem Jahr auch Palermo live berichten, dazu. Der Kunstkritiker Ingo Arend besucht Kunstbiennalen seit vielen Jahren.
Ich erinnere mich, dass wir zuletzt über die große Schau in Istanbul, bei der es gezielte Störaktionen und Vernichtungen gegeben hat, gesprochen haben. Heute wollen wir ein paar grundlegende Betrachtungen von ihm zu der Institution Biennale hören – das scheint angemessen, denn es gibt inzwischen zuhauf Kunstbiennalen. Die Frage drängt sich also auf: Nutzt sich das Format langsam ab?
Ingo Arend
Der Kunstkritiker Ingo Arend© privat
Ingo Arend: Ja, liebe Sigrid Brinkmann, die Schätzungen schwanken zwischen 250 und 360 Biennalen weltweit, da kann man schon mal von Biennale-Müdigkeit sprechen, wie das die Kuratorin Ute Meta Bauer vor ein paar Jahren auf einer Konferenz mal gesagt hat. Sie hat ja selber mal eine Biennale in Berlin kuratiert und ist auch in der Findungskommission für die nächste documenta, die documenta 15, und es hat natürlich etwas mit der Inflation zu tun: Je mehr Biennalen es gibt, desto beliebiger werden sie sicher auch, weil die Formate, in denen sie veranstaltet werden, sich wiederholen. Im Zuge dieser Entwicklung verschärft sich natürlich auch die Frage nach dem Publikum.
Biennalen weltweit gibt es inzwischen, da fragt man sich, welcher Normalverbraucher kann die tollen Entwicklungen, von denen die Kritiker dann in der Zeitung und im Rundfunk berichten, eigentlich noch nachvollziehen, wer fährt schon ins arabische Emirat Sharjah oder nach Schanghai, um das alles mit zu vollziehen. Da hat man doch manchmal ein bisschen den Verdacht, dass es so ein Treffpunkt für den internationalen Jetset mehr ist, also für diese Clique aus, sag ich jetzt mal, Künstlern, Sammlern und Kuratoren, die ewig so um den Erdball jetten, um von einer Biennale zur anderen zu reisen, während der Zuschauer ja letztlich vielleicht dann doch nur nach Venedig fährt. Da muss ich schon sagen, dass es einen Trend zur exklusiven Öffentlichkeit gibt in einem Format, das sich ja eigentlich der Öffnung der Kunst verschrieben hat, und das finde ich ein bisschen problematisch.

Erste Biennale in Riga

Brinkmann: Welche Biennalen haben Sie in diesem Jahr besucht, wie fällt die Bilanz da aus?
Arend: Ja, es war dieses Jahr wirklich extrem. Ich habe sechs Biennalen besucht – Berlin, Athen, Riga, ich war in Palermo, ich war in Sao Paulo und bin sogar bis ins pakistanische Lahore gekommen –, und da ist es dann schon interessant, dass man sieht, dass eben sehr alte Muster bei manchen Biennalen wirksam sind. Nehmen wir das Beispiel der Biennale in Riga, die erste, die in Lettland veranstaltet wurde, da mischte sich so das Bedürfnis nach Standortmarketing und das Prestigebedürfnis.
Auf der einen Seite hat die Stadt die Biennale unterstützt, auf der anderen Seite war sie fast vollständig finanziert von einem reichen russischen Industriellen, der seiner Tochter sozusagen das Geschenk gemacht hat: Hier, du darfst in Zukunft eine Biennale veranstalten. Man hatte dort sehr viel Geld und über 150 Künstler, fast documenta-Größe, und das war auch erstklassig kuratiert. Trotzdem hatte man das Gefühl, dass diese Biennale so ein bisschen wie ein Fremdkörper in der Stadt implantiert wurde und dass sie nicht sozusagen als eine originäre Anstrengung aus der Stadtgesellschaft heraus erwachsen ist.
Brinkmann: So was schürt ja auch Unzufriedenheit, was wird dagegen aufgeboten?
Arend: Man kann sehen, dass innerhalb der Biennalen durchaus über die Defizite nachgedacht wird. Nehmen wir das Beispiel der Sao-Paulo-Biennale, die im September gestartet ist, eine der großen und wichtigen Biennalen: Die hat gesagt, wir wollen nun genau das, was in Riga passiert ist, eine Themen-Biennale – in Riga hieß die Biennale "Change" (Wandel) –, wollen wir nicht veranstalten, sondern der Kurator Pérez-Barreiro, ein Spanier aus Venezuela, hat sich gesagt, ich will jetzt weg von diesen beliebigen Schlagworten, wo ein Haufen Künstler eingeladen wird, wo aller Welt Eindruck geschunden werden soll. Er hat dann den Trick angewandt, er hat überhaupt kein Thema vorgegeben, er hat befreundete Künstler eingeladen, die selber wieder befreundete Künstler einladen sollten, die ihnen gut gefallen.
Das war dann so ein "rendez-vous des amis". Man lief dann durch diese Biennale durch und suchte nach dem inneren Zusammenhang, den es irgendwie nicht gab, war dadurch aber auch gezwungen, sich auf die einzelnen Positionen sehr stark einzulassen. Er wollte zurück, der Kurator, zu einer Schule des Sehens und dieser kontemplativen Kunsterfahrung, die bei den ganzen Biennalen nicht mehr stattfindet, also ein relativ radikales Experiment, was aber so ein bisschen wie ein naives, ästhetisches Glasperlenspiel wirkte angesichts des heraufdämmernden Faschismus in Gestalt des rechtspopulistischen siegreichen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro, der draußen im Wahlkampf sich gegen die kritische Kunst wandte. Aber an diesem Beispiel kann man sehen, dass es eben sozusagen innerhalb der Biennalen Versuche gibt, dieses ubiquitäre oder etwas abgenutzte Institut eben zu reformieren.
Poetisch und praktisch: Die Installation "What is above is what is below" (2018) des britischen Künstlerduos "Cooking Sections" im Giardino de Giusti von Palermo während der Manifesta im Frühsommer.
Die Installation "What is above is what is below" (2018) des britischen Künstlerduos "Cooking Sections" im Giardino de Giusti von Palermo während der Manifesta. © Ingo Arend
Brinkmann: Sechs Biennalen haben Sie in diesem Jahren besucht – gibt es ein Kunstwerk, das Ihnen länger als jedes andere im Gedächtnis geblieben ist?
Arend: Ja, tatsächlich, es ist sogar nicht unbedingt ein sehr klassisches Kunstwerk, es ist eine Position von der Manifesta-Biennale in Palermo, die im Sommer war. Es ist eine Installation des britischen Künstlerduos "Cooking Sections", die haben in dem Garten eines alten Justizpalastes so ein grün fluoreszierendes Netz über eine Gruppe von Orangenbäumen gestülpt.
Es ging bei dieser Installation eigentlich um die Frage, wie wir in Zukunft Kochen und Kulinarik in Zeiten des Klimawandels instrumentieren, wenn es kein Wasser mehr gibt – Kochen ohne Wasser. Wenn man so will, war das keine rein künstlerische Position, aber dieses Netz über den Orangenbäumen hatte so was Poetisches und Elegantes zugleich, dass es für mich wie ein Kunstwerk gewirkt hat, und das ist so ein Bild, was mir in diesem Jahr in Erinnerung geblieben ist.
Brinkmann: Wir kommen noch mal zurück zu der entscheidenden Frage: Sind Biennalen also sinnvoll oder ist das Format letztlich doch ausgereizt?
Arend: Wenn man die ganzen Defizite Revue passieren lässt: Es ist zu sehr Event, es ist zu sehr Stadtmarketing, es bedient zu sehr die Spektakelkultur. Da könnte man auf die Idee kommen, die der amerikanische Kritiker Ben Cranfield letztlich in der Zeitung "Apollo" ventiliert hat, wo er geschrieben hat: Macht endlich Schluss mit den Biennalen, ein Ende für die Biennalen.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan, weil es inzwischen ja auch eine Einnahmequelle für Künstler und Kuratoren ist, die man nicht so einfach vom Tisch wischen kann. Für mich haben Biennalen trotzdem noch eine wichtige Funktion: Unabhängig von der Frage, ob man dort tolle Künstlerpositionen entdecken kann, die dann hinterher wie ein Star am Kunsthimmel aufsteigen, sind sie Trendmelder für Verschiebungen der ästhetischen Produktionsweisen und auch der Themenfelder, die Künstler bearbeiten. Dass Fragen wie Ökologie, Vermittlung, Performance, Künstlerkollektive – früher war es künstlerische Forschung – eine Rolle spielen, merkt man an solchen Biennalen.
Die vielleicht allerwichtigste Funktion ist, dass sie für mich sozusagen auch Trendmelder einer globalen ästhetischen und politischen Machtverschiebung sind, nämlich weg vom Westen, hin zum Süden. Das, was Adam Szymczyk eigentlich bei der documenta im letzten Jahr "Learning from the South" anvisiert hat, das zeigt sich in ihnen. Im Gründungsjahr der documenta 1955, das für uns heute wie der Urknall aller Biennalen vorkommt, gab es schon eine Biennale im ägyptischen Alexandria, und da zieht sich eine Linie bis hin zu Gwangju, 1995 gegründet, und die Biennalen, die jetzt in den letzten Jahren gegründet wurden.
Historische Kulisse: Das Lahore Fort gab den Schauplatz für die Eröffnung der 1. Lahore-Biennale im März 2018 in Pakistan ab.
Das Lahore Fort gab den Schauplatz für die Eröffnung der ersten Lahore-Biennale im März 2018 in Pakistan ab.© Ingo Arend
Ich war im vergangenen Jahr und im Frühjahr in Karatschi und in Lahore, es gibt inzwischen eine Thailand-Biennale, es gibt im indischen Kochi eine Biennale. Bei diesen immer weiter aufblockenden Biennalen kann man entdecken, dass es eine Bewegung weg von dieser westlichen, weißen, männlich dominierten transatlantischen Moderne hin zu einer Landkarte, dass dieses Kunstsystems sich hinbewegt zu einer Landkarte der globalen, der Weltkunst. Und das ist eine ganz wichtige Entwicklung, die ja auch in diesen ganzen postkolonialen Zeiten eine richtige Rolle spielt. Und sie sind, unabhängig davon, dass sie Felder für ästhetische Experimente sind, auch so etwas wie transnationale Gehäuse, in denen sich alles mischt, und insofern ein wichtiges Instrument in Zeiten dieses aufdämmernden Nationalsozialismus, der heute überall wieder fröhliche Urstände feiert.
Brinkmann: Selbst wenn mit an die 300 Biennalen weltweit ein Sättigungspunkt erreicht ist, man möchte einige Kunstbiennalen nicht missen, und es gibt Versuche, wie wir gehört haben, die Institution selber aus sich heraus zu verändern. Der Kunstkritiker Ingo Arend war zu Gast bei "Fazit", vielen Dank für den Besuch im Studio.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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