Kunst-Biennale in Venedig

Ukrainischer Oligarch sponsert Glashaus

Kunstbiennale in Venedig, Mai 2015: Besucher vor dem Pavillon der Ukraine, den der Oligarch Wictor Pinchuk finanziert hat. Der Titel der Ausstellung junger ukrainischer lautet "Hope!" – Hoffnung.
Kunstbiennale in Venedig, Mai 2015: Besucher vor dem Pavillon der Ukraine, den der Oligarch Wictor Pinchuk finanziert hat. Der Titel der Ausstellung junger ukrainischer lautet "Hope!" – Hoffnung. © AFP PHOTO / GABRIEL BOUYS
Von Kathrin Hondl · 09.05.2015
Heute eröffnet in Venedig die Kunstbiennale. Sie ist eine von über hundert Biennalen weltweit und doch immer noch die, die als die wichtigste gilt. Seit 120 Jahren findet die "Mutter der Biennalen" statt. In diesem Jahr geht es um die "Zukünfte" der Welt.
Auf dem Weg zum Biennale-Gelände in den Giardini scheint die Welt noch in Ordnung. Die Frühsommersonne wärmt, das blaugrüne Wasser der Lagune schwappt an die Quais. An den zahllosen Souvenir-Buden herrscht Hochbetrieb, die Kirchenglocken läuten und die gigantischen Yachten ultrareicher Biennale-Gäste bekommen von fleißigen Dienstbotenhänden die Treppengeländer auf Hochglanz poliert.
Wem das 80 Meter lange Mammutboot namens "Chopi Chopi" gehört, dürfe er leider nicht verraten, sagt der gut aussehende, schwarz gekleidete Geländer-Polierer. Es muss ein sehr ultrareicher Biennale-Gast sein – mehr als 110 Millionen US-Dollar ist die Yacht wert. So steht es im Internet.
Von der Yacht kann man direkt auf den ukrainischen Pavillon schauen: ein Glashaus, das der Oligarch Wictor Pinchuk, ein Multimiliardär und angeblich zweitreichster Mann der Ukraine, finanziert hat. Der Titel der Ausstellung junger ukrainischer Künstler ist überall zu lesen, in den Nationalfarben gelb und blau: "Hope!" – Hoffnung.
Gleich am Eingang des internationalen Pavillons in den Giardini vertreibt ein erbärmlich hustender, würgender, Blut spuckender Mann die venezianische Wohlfühlatmosphäre – der Film von Christian Boltanski aus dem Jahr 1969 geht unter die Haut.
Mörderische Messerblumen
Ein Paukenschlag ist auch der erste Raum in den Arsenale: Große Messer hat der aus Algerien stammende Künstler Adel Abdessemed da in den Boden gerammt und wie Blumensträuße arrangiert. "Nymphéas", Seerosen nennt er kunsthistorisch anspielungsreich diese potentiell mörderischen Messerblumen. Die archaischen Waffen mit dem impressionistischen Künstlernamen sind von knalligen Neonschriftzügen des US-Amerikaners Bruce Nauman umgeben: "American Violence" – Tod, Krieg, Hass, Gewalt – geformt aus dem Material bunter Werbebotschaften für die Konsumenten der spätkapitalistischen Warenwelt. Worte spielen eine wichtige Rolle auf dieser Biennale. Die von Karl Marx etwa.
Auf einer großen roten Bühne, die Kurator Okwui Enwezor mitten im internationalen Pavillon bauen ließ, wird "Das Kapital" gelesen. Jeden Tag, von vorne bis hinten, alle drei Bände. Am Ende der Biennale im November wird man wohl durch sein.
"Das Kapital" häppchenweise als Lesung ist für sich kein besonderes Kunsterlebnis. Aber ein Statement mit Bedeutung – und das Hintergrundgeräusch einer Ausstellung, in der sich viele Arbeiten mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Kapitalismus auseinandersetzen.
Jason Moran: "You know, it’s troubling. That’s what it is. It’s troubling."
Beunruhigend sei das, sagt der amerikanische Künstler und Musiker Jason Moran. Er präsentiert auf der Biennale die Songs, die afroamerikanische Arbeiter und Gefängnisinsassen in den 1930er-Jahren sangen – die historischen Aufnahmen aus dem Süden der USA beschallen ein architektonisches Modell eines legendären New Yorker Jazzclubs, des Savoy Ballrooms in Harlem.
Jason Moran: "Die schwarze Musik in den USA und der Jazz haben sich größtenteils aus diesen Liedern entwickelt. Aber niemand denkt heute an diese Menschen, die schwitzten, blutige Finger, Rückenschmerzen und wunde Knie hatten."
Auch der britische Künstler Jeremy Deller lässt in Venedig Arbeiterlieder vortragen – aus der Zeit der industriellen Revolution in England.
Das Lied über das harte Leben eines 14-jährigen Arbeitermädchens im Jahr 1842 singt Jennifer Freid, eine junge toughe Britin mit blau gefärbten Haaren besonders hingebungsvoll.
"Die Leute heute sind so mit dem Managen ihres Lebens beschäftigt. Sie vergessen, dass die Kämpfe, die die Menschen vor mehr als hundert Jahren ausgetragen haben, heute noch relevant sind. Das will ich mit diesen Balladen zeigen. Wir müssen zurück schauen, um voran zu kommen."
Die Zukunft der Welt – beziehungsweise die Zukünfte, von denen im Titel die Rede ist, eröffnen sich in der Ausstellung selbstverständlich nicht. Aber, mit Arbeiten von 136 Künstlern aus 53 Ländern, eine Fülle und Vielfalt von künstlerischen Perspektiven auf diese Welt. Und zwar auffallend geräuschvoll.
Da taucht zum Beispiel auf einmal eine Gruppe von Sängern auf. In einem langen Mittelgang der Ausstellung gehen sie auf und ab. Zwischen der originalgetreuen Reproduktion einer Kanone, mit der man aber nicht schießen kann, und einem Turm aus Trommeln singen sie eine Chorversion von Haydns Schöpfung.
Inspirierende Kakophonie
"All the world’s futures" ist eine inspirierende Kakophonie, in der sich viele menschliche Stimmen erheben. Und sei es auch, um die Worte dem Rauschen des grünlichen Wassers der Lagune zu überlassen – wie in der Performance des französischen Künstlers Saadane Afif, der fernab des Biennale-Geländes unter einer Brücke ein Speaker’s Corner eingerichtet hat. Zum Sonnenuntergang richtet dort ein Sprecher – und visuell ein Widergänger von Caspar David Friedrichs Mönch am Meer – das Wort an die Lagune.
Saadane Afif: "Es gibt ein ernsthaftes Bedürfnis nach direkten Kontakten, sagt Saadane Afif. Nicht mehr über Medien und soziale Netzwerke zu kommunizieren, sondern wieder das Wort zu ergreifen und wieder an die Worte der anderen zu glauben."
Es sei seine Absicht, die Kunst als scheinbar hermetisch versiegelten Raum aufzubrechen, erklärte Okwui Enwezor zur Biennale-Eröffnung. Das könnte tatsächlich funktionieren.
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