Kunst aus Pappe und Plastiktüten

Von Ole Schulz |
Im Rahmen des Projektes "Die Kunst der Unabhängigkeit: Der Zeitgenössische Pulsschlag" haben sich 15 lateinamerikanische und deutsche Künstler mit zeitgenössischen Mitteln der 200-jährigen Unabhängigkeit Lateinamerikas genähert. Das Resultat ist in der Wanderausstellung "Weniger Zeit als Raum" des Goethe-Institutes zu sehen - zunächst in Buenos Aires.
Ein Körper windet sich in einer Hängematte, mal schlaff ausgestreckt, mal in wilden Bewegungen. Die Hängematte ist in gold, blau und rot gehalten - den Farben der Nationalflagge Venezuelas. Begleitet wird das Video der deutschen Künstlerin Christine de la Garenne von eigenartigen Papageienlauten. Hört man genau hin, versteht man, dass die Papageien "Gloria al bravo pueblo" singen, Teile der Nationalhymne Venezuelas.

"Ruhm dem tapferen Volke", die fünfminütige Videoarbeit Christine de la Garennes, ist eines der Kunstwerke, die in der Wander-Ausstellung "Weniger Zeit als Raum" vom Goethe-Institut in Buenos Aires anlässlich von 200 Jahren Unabhängigkeit Lateinamerikas gezeigt werden. Der Kurator Alfons Hug:

"Wir machen keine Jubelfeier. Wir haben Künstler eingeladen, sich vor Ort zu begeben, das Hinterland zu besuchen, aber auch die Großstädte natürlich, zu sehen, wie das urbane Drama sich entwickelt. Einige sind bis in den Amazonas gegangen, nach Iquitos, andere auf dem Inkapfad gewandelt, der damals den halben Kontinent verbunden hat, 5.000 Kilometer von Kolumbien bis Nordchile. Jeder Künstler hat zwei Orte besucht, und die Künstler wurden begleitet von Intellektuellen aus Südamerika und aus Deutschland, die dann dazu Essays geschrieben haben. Ein unglaublich aufwendiger Vorgang, dass alle Werke dieser Ausstellung in Auftragsarbeiten entstanden sind."

Ort und Zeitpunkt der Vernissage sind dabei mit Bedacht gewählt: Buenos Aires war und ist eine der großen Kulturmetropolen des Kontinents. Hier wird am 25. Mai 2010 auch der große Staatsakt Argentiniens zum "Bicentenario" stattfinden, dem 200. Jubiläum der Unabhängigkeit.

Herausgekommen sind vor allem satirische Arbeiten zum "Bicentenario": Der Peruaner Fernando Gutiérrez hat etwa eine Reise im VW-Bus nach Nordchile unternommen – entstanden ist eine in opulenten Farben gehaltene Fotoserie durch jene Gebiete, die Chile dem Nachbarland Peru einst in einem Krieg abgerungen hat. In Peru ist diese Niederlage bis heute ein nationales Trauma.

Nationale Traumata, politische Versprechungen, soziale Verwerfungen: Auch die beteiligten deutschen Künstler interessierte vornehmlich, wie die Unabhängigkeitskriege heute noch nachwirken. Christine de la Garenne ist beispielsweise ganz bewusst nach Venezuela gereist, um sich selber ein Bild vom umstrittenen Präsidenten Hugo Chávez zu machen. Für de la Garenne hat sich vor Ort allerdings ein ambivalentes Bild ergeben.

"Ich muss auch sagen, dass ich eben vor allem Leute aus der Mittelschicht getroffen habe und nicht eben die besonders Armen, denen er ja wirklich auch geholfen hat. Diese Idee mit den Kollektiven funktioniert ja zum Teil ganz gut, und diese 'Missiones' kümmern sich um die Obdachlosen, um die Armen, um die allein stehenden Mütter, und das scheint schon einen Zusammenhalt zu geben innerhalb der Bevölkerung, der eben vorher nicht da war, weil das Land sehr zerrissen war."

Roland Stratmann hat indes in Bolivien und Paraguay jeweils mit Jugendlichen aus armen und reichen Vierteln aus einfachen Materialien wie Pappe und Plastiktüten raumgreifende Installationen geschaffen. In Asunción, Paraguays Hauptstadt, wo die Armenviertel direkt neben den Regierungsgebäuden liegen, entschied sich Stratmann am Ende dafür, ein Raumschiff-artiges Objekt zu kreieren – gegen die anscheinend unüberwindbare Spaltung des Landes.

"Der Wunsch, der eigentlich auf beiden Seiten ist, dass man eben diese Barriere überwinden möge oder möchte, und auf der anderen Seite aber eben diese Hilflosigkeit oder diese, ja, Ohnmacht, das einfach nicht zu können, da habe ich gedacht, vielleicht muss man da einfach was von außen reinschicken, wie so ein Zeichen, und deshalb kam ich eben auf diesen Sputnik. Das war die Idee, deswegen haben wir dort ein kleines Raumschiff gebaut."

Service:
Die Wanderausstellung "Weniger Zeit als Raum" des Goethe-Instituts wird einen Monat lang im "Palais de Glace" in Buenos Aires zu sehen sein, bevor sie nach Santiago de Chile (Mai/Juni), Montevideo (Juli/August), Lima (August/Oktober) und Medellín (September/November) weiter zieht und 2011 nach Deutschland kommen soll.

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