Kunst aus Krempel

Von Anette Schneider |
Die Kölner Künstlerin Alexandra Bircken verwendet für ihre Arbeiten ungewöhnliche Materialien: alte Kleidung, Haare, Abfall, Blätter, Wolle, Hausrat. Aus ihnen baut sie filigrane Gebilde - die zu albtraumhaften Abbildern werden. Einige ihrer Werke sind im Hamburger Kunstverein zu sehen.
Das riesige Plakat auf der Fassade des Kunstvereins zeigt eine Blondine, die stolz zwischen unzähligen, fein säuberlich aufgereihten Haushaltsgeräten sitzt. Was gut als Werbung für das geplante Betreuungsgeld durchgehen könnte, entdeckte Alexandra Bircken in einem Hausfrauen-Ratgeber aus den 50er-Jahren. Jetzt wirbt das Bild für ihre Ausstellung mit dem Titel "Hausrat". Wenig später steht man vor Bügelbrett, Badewanne, Schaukelpferd.

"Das ist ja irgendwie so eine Sache, die man besitzt, die man hat. Das ist ja nicht irgendwie eine Hi-Fi-Anlage oder irgend so ein Kram. Sondern das sind Sachen, die man auch einfach benutzt, und die so eine Selbstverständlichkeit haben."

Die treibt die Künstlerin den Dingen allerdings ebenso aus wie ihre vermeintliche Harmlosigkeit: Herausgelöst aus dem Alltag und verwandelt in faszinierend-ästhetische Installationen legt sie den ideologischen Gehalt der Gegenstände und Materialien bloß. Zum Beispiel näht sie zahlreiche bunte Textilschlangen zusammen, in die sie Puppen, Stofftiere, Trockenblumen und das Bild der Schauspielerin Maria Furtwängler hineinwebt. So entsteht ein bedrohliches Netz, das auf all die Erwartungen und Rollenzuweisungen verweist, in denen sich Frauen angesichts fehlender Gleichberechtigung nach wie vor verstricken.

Oder das Bügelbrett. Mit einem Mast versehen kommt es als Segelboot daher, als "Traumschiff". Doch besteht das Segel nur aus einigen großen, schlaffen Wollfäden: Dieses Schiff wird seine Besitzerin nirgendwohin entführen. Zumal auf dem Bügelbrett ein Schaffell liegt und darauf ein ziemlich eklig wirkender, hautähnlicher Lappen.

"Das ist eine ganz enge Weste, die im Grunde genauso geformt ist, wie die Büste von einer Schneiderpuppe. Das sind Latexschichten, die aufgetragen wurden, immer übereinander, übereinander, und dann ein Reißverschluss eingearbeitet. Also, die ist so eng, dass man kaum atmen kann."

So hat Frau die Wahl: Will sie Schaf sein am Bügelbrett? Oder scharf im Latex-Outfit?

In anderen Arbeiten fügt die 44-jährige Kölnerin unterschiedliche Materialien zusammen: Ein Wagen mit vielarmiger Spindel versammelt Holzstücke, menschliche Haare, fein geglättete Ölsardinendeckel, Wollfäden und Ginkgoblätter.

"Da gibt es keine Hierarchie zwischen dem Material. Obwohl das Wegwerfmaterial ist, haben sie einen Wert, und der ist gleich. Und so funktionieren teilweise auch diese Netze, die ich mache: Das soll die Ebenen und die Gleichwertigkeit der Materialien auch unterstreichen."

Doch lassen sich ihre Arbeiten nie auf Fragen der Materialästhetik reduzieren. Denn in das Material - Hausrat eben - sind gesellschaftliche Verhältnisse eingeschrieben, vorherrschende Werte, Normen, Rollenzuweisungen. Letztere führten übrigens auch dazu, dass die studierte Modedesignerin vor einigen Jahren ihren ursprünglichen Beruf aufgab.

"Ich hatte 'ne Babypause gemacht und hab dann wieder angefangen zu arbeiten und hab einfach gemerkt: Dieses Frauenbild, das sehr eng gefasst ist in dem Modebetrieb, entsprach mir einfach nicht. Und auch dieses ständig neue Sachen machen. Ich hatte jahrelang meine eigene Kollektion... Und dann hatte ich angefangen, Objekte zu machen - eigentlich Accessoires, die aber plötzlich keinen funktionalen Charakter mehr hatten, sondern wirklich Objekte wurden, die an der Wand hingen. Und dann hat die Galerie BQ, die damals neben mir war in Köln, die haben mich dann gefragt, ob ich nicht eine Ausstellung machen wollte bei Ihnen. Und das - wie so ein Antrieb - hat ganz viele Sachen hervorgebracht."

Das Faszinierende an den Arbeiten ist ihre Komplexität: Formal von hohem Reiz, verweisen sie durch ihre verwendeten Gegenstände und Materialien oft auf Missstände, auf Fragwürdiges, Skandalöses. Dadurch können sie ein tiefes Unbehagen auslösen. Etwa der Galgen: Er besteht aus einem schlanken Baumstamm, dessen oberste Äste Alexandra Bircken zu einer Schlinge geformt hat, darinnen: weibliche Plastikgenitalien und ein blonder Zopf.

"Das ist 'ne Pornopuppe, die ich so zerstückelt, wie sie da ist - ich hab sie wieder zusammengefügt, zusammengenäht - im Rhein gefunden habe, als Niedrigwasser war."

Vielen Werken dieser ungewöhnlichen Künstlerin wohnt eine tiefe Empörung inne über die bestehenden Verhältnisse. Sie wird deutlich in den bunten Netzen aus Textilschlangen und Puppen. Sie wird deutlich in der grauen Badewanne, die geformt ist aus in Mörtel getauchten Putzlappen und Kleidungsstücken, und die zynischerweise "Mudbath" heißt, also "Fango-Bad". Und sie springt einem aus dem Bild von David Beckham entgegen, der für Unterwäsche posiert: Dieser dummdreiste Sexismus veranlasste Bircken, das Plakat abzufotografieren und groß in die Ausstellung zu hängen - direkt gegenüber der Badewanne.

"Eine Wahnsinnskampagne, fand ich, die ganze westliche Hemisphäre war damit zugekleistert. Ich find's halt irre, wie der auf seinem Fußballkörper, seinen Genitalien, seine Unterhosen da trägt, und im Grunde sehr das darstellt, was Frauen seit Jahren schon längst waren - und einfach auch nicht mehr damit einverstanden sein sollten, ne?"