Kunst aus Island

Von Volkhard App · 18.08.2011
Kunst von der Insel: In Frankfurt ist eine Schau über den isländischen Performance-Künstler Ragnar Kjartansson zu sehen - und parallel eine Ausstellung mit zeitgenössischer Fotokunst aus Island.
Dieser Mann nimmt sich viel Zeit: auf einer kleinen Bühne fernab von Reykjavik spielt er im Kostüm eines traurigen Ritters einen Monat lang monotone Akkorde auf seiner Gitarre. Ein anderes Mal hat sich dieser Künstler eingegraben, ragt nur noch mit dem Oberkörper aus dem Erdloch und singt immer denselben Vers.

Lang und intensiv sind die Performances von Ragnar Kjartansson - und variantenreich. In feinem Outfit steht er, begleitet von einem Orchester, am Mikrofon und behauptet, dass die Sorgen das Glück besiegen. Diese Melodie aber trägt er stundenlang vor, als wäre er ständig auf der Suche nach dem richtigen Ausdruck für diese Zeile.

Gelegentlich setzt er auch andere Akteure in Szene: ein bekannter Komödiant Islands stapft durch eine Schneelandschaft und ballert mit seinem Gewehr sinnlos in die Gegend. Ragnar Kjartansson ist fest davon überzeugt, dass seine Szenen nur Wirkung haben, wenn sie von Dauer sind:

"Bei einigen Performances ist es wirklich nötig: sie brauchen Zeit, um zur Kunst zu werden. Das ist wie mit gutem Wein. Wenn man eine bestimmte Handlung nur einmal durchführt, hat sie keine Wirkung. Das ändert sich, wenn man es 300 mal macht. Da entwickeln sich dann grundlegende Gefühle. Das Publikum muss dafür keine Geduld aufbringen, nur der Künstler. Die Zuschauer können es sich mal kurz ansehen und ein Gefühl dafür entwickeln – sie können der Performance aber auch länger beiwohnen und ihre Eindrücke vertiefen."

Von seinen eigensinnigen Darbietungen sind Fotoserien und Videos geblieben, die das Gesicht dieser Frankfurter Ausstellung bestimmen. In einem Raum wird der Künstler aber auch als Maler vorgestellt: lichte Bilder hat er in den taghellen Nächten Islands gemalt, und nachtschwarze Landschaftsmotive an düsteren, eisigen Tagen.

Wichtiger als diese durchwachsene Bilderfolge ist die Rolle, die er bei der Produktion gespielt hat: denn er inszeniert sich auch als Maler, raucht und trinkt. Kunst, die typisch ist für Island? Holger Kube Ventura, Leiter des Frankfurter Kunstvereins:

"Ja, in einer bestimmten Weise. Typisch ist, und dazu zählt auch das Werk von Ragnar Kjartansson, dass isländische Künstler multimedial sind, mit Fotografie und Video, mit Malerei, Musik und Performances arbeiten. Da ist er überhaupt kein Einzelfall. Aber dieses Motiv der Sehnsucht und die ausdauernden Performances – da ist er ein absoluter Ausnahmekünstler. Und deswegen zeigen wir ihn hier ja auch."

Fraglich ist aber, wieweit diese Performances wirklich unsere eigene Existenz berühren, ob sie unter die Haut gehen. Für den Künstler sind sie vermutlich wichtiger als für neugierige Betrachter fernab.

In Erinnerung bleibt seine Video-Serie "Me and My Mother", für die sich Kjartansson im Wohnzimmer von seiner Mutter bespucken lässt. Zwar spielen die beiden hier Rollen, aber ohne Spannung scheint ihr Verhältnis nicht zu sein:

"Das stimmt ja auch. Es gibt da Spannungen wie in jedem Mutter-Sohn-Verhältnis. Aber eben auch Liebe und Vertrauen. Sonst würde sie nicht sagen: 'Okay, Darling, ich mache das für Dich, ich spucke Dich an.'''"

Alle fünf Jahre wird diese Spuck-Szene wiederholt - wir erleben, wie die beiden Akteure altern. Das ist das Faszinierende an dieser Arbeit. Mit dieser Präsentation des jungen Stars aus Island wird für uns ein Fenster geöffnet, die Karte Europas erhält weitere Farbtupfer.

In gleichem Maße gilt das für die parallele Fotoausstellung, die Schattenseiten nicht verschweigt. Denn die aus der Erde aufsteigenden Dämpfe bekommen den Bäumen und Gewächsen nicht so gut. Und Pétur Thomsen hat mit seinen Fotos vom Bau des Wasserkraftwerks im schneebedeckten Osten der Insel zwar auch die Schönheit der Landschaft groß ins Bild gesetzt, zugleich aber einen herben Eingriff in die Natur dokumentiert. Eine Form von Zivilisationskritik - oder fühlte er sich doch eher von der Ästhetik angezogen?

""Beides. Ich bin von der Landschaft fasziniert, die mir von Geburt an vertraut ist. Aber ich möchte die Gesellschaft mit meiner Arbeit auch kritisch sehen. Es handelt sich bei diesem Kraftwerk um ein umstrittenes Projekt. Die Diskussion darüber hält bis zum heutigen Tag an: soll man die Natur bewahren oder ihre Kraft in Elektrizität verwandeln?"

Umweltkritische Töne. Die Kunst aus Island im Frankfurter Kunstverein ist ein Ereignis - mit dem liebenswerten Eigenbrötler Kjartansson und der illustren Fotografenschar. Das Publikum darf auf Reisen gehen.